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Ruysbroek, Johann - Zitate

Ruysbroek, Johann - Zitate

Meistentheils wird durch äußere Veranlassungen dem Menschen der Weg zur Selbsterkenntnis gebahnt. Dahin gehören: Krankheit des Körpers, Verlust von Gütern, Freunden und Verwandten, öffentliche Schande, Predigten, Gespräche und Thaten frommer Männer. Bisweilen jedoch wird das verstockte Gemüth lediglich von Innen erweckt und gezogen. Auf den Einen macht das Leiden Christi einen plötzlichen Eindruck, auf den Andern der Gedanke an die unendlichen Wohlthaten Gottes, auf einen Dritten die Hinfälligkeit dieses Lebens. Dieser wird durch die Furcht vor Tod und Hölle, Jener durch die Hoffnung der Herrlichkeit des Himmels, Mancher sogar durch die einfache Betrachtung der Wunder in der Natur und in allen Kreaturen für die Wahrheit gewonnen. So verschieden und nach eines Jeden Bedürfniß mit Weisheit vertheilt sind die Werke der zuvorkommenden Gnade.


Oft läßt Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, im Anfange ihrer Bekehrung den Menschen alle seine Güte empfinden. Dann wenden sie sich ganz von der Welt ab, wollen nur Ihm leben. Aber sie sind noch schwach, wie junge Pflanzen des Mai's. Darum schaden ihnen in dieser Zeit der Reif und der Nebel. Reif überfällt sie, wenn sie etwas sein und scheinen wollen, wenn sie sich der göttlichen Tröstung für werth halten und solches Glück verdient zu haben meinen; Nebel aber umzieht sie, wenn sie in dem süßen Gefühle beständig bleiben und ruhen wollen. Dadurch nämlich wird das Licht der Vernunft verfinstert, die Kräfte, welche offen sein und Blüthen und Früchte tragen sollten, schließen sich und die Erkenntniß der Wahrheit wird verhindert.


Der Geizige ist ein Narr und ein Thor, da er den Himmel mit der Erde vertauscht, obwohl ihm nicht unbekannt ist, daß er die Erde bald verlieren muß. Er wählt statt der Frucht die Hülfe, statt des Eidotters die Schaale. Er trinkt Wasser des ewigen Jammers, und je mehr er trinkt, desto durstiger wird er. Denn hat er gleich viele Güter, so ist er doch nimmer zufrieden; dieweil alles, was Andre mehr haben, ihm fehlt, und was er hat, ihm gering und wie Nichts dünkt. Wenn ein Kameel durch ein Nadelöhr wird gehen, wird auch ein Geiziger in den Himmel kommen. Darum müssen wir die Pest des Geizes als die Wurzel alles Uebels aufs sorgfältigste meiden.


Wer zeitliche Güter mit Geiz besitzt, der will sie weder zu Gottes Ehre, noch zum Besten des Nächsten, noch für sich hingeben, daß er sich Schätze im Himmel dadurch sammelte; darum er verachtet bei Gott, verachtet bei den Menschen, und sein eigner Feind ist. Ein reicher Geizhals ist einem Buckligen vergleichbar. Wie dieser den Buckel nicht bemerkt, weil er seinem Rücken aufsitzt; so scheint auch dem Geizigen Alles, was er zusammenscharrt, so viel wie Nichts. Ihm fehlt, was er hat, so gut als, was er nicht hat. Der leibliche Buckel verwächst mehr und mehr mit der Natur, die Nerven und Adern des Menschen ziehen sich zusammen, er geht zur Erde niedergebückt, je länger er lebt, desto krummer wird er; das Uebel kann durch natürliche Mittel nicht mehr gehoben werden. So wird auch der Geizige von Jahr zu Jahr immer fester an das Irdische und Vergängliche gefesselt und versinkt immer tiefer in den Staub der Eitelkeit, also daß ihn kein Mensch mehr retten kann. Doch was bei Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott noch möglich. Darum sollten doch alle reiche Geizhälse ihr Elend erkennen und seufzend um Hülfe von oben bitten. Denn mit dem Buckel behaftet, können sie nicht in den Himmel kommen, dieweil der Weg, der zum Leben führet, schmal und die Pforte eng ist.


Wenn Einer die Regierung eines großen Reiches, erstreckte es sich auch über den ganzen Erdkreis, niederlegte, sich aber zurückbehielte, so gebe er wenig oder Nichts daran. Wer sich hingegen gründlich verleugnet, der hat Alles daran gegeben, mag er noch so viel für sich behalten von Reichthum und Ansehn. Denn er weiß Alles zu Gottes Ehre zu benutzen, gleichwie ein Knecht, dem ein Gut anvertraut ist, um damit hauszuhalten. Sieht ein Solcher, daß Andere der Dinge, welche er besitzt, mehr bedürfen, als er selber, so meint er auch, daß sie mehr Recht daran haben, als er. Seinem innersten Grunde nach aber ist er von der Welt abgewandt, wünscht lieber verachtet als geehrt, lieber Unterthan als Gebieter zu sein.


Ein tiefes Thal wird, wann die Sonne in der Mittagshöhe steht, Heller, wärmer und fruchtbarer, als das ebene Ackersfeld. Wer erkennt, daß er weder etwas Gutes ist, noch hat, noch aus eignen Kräften wirken kann, wer von seiner Armuth und Dürftigkeit überzeugt ist, wer den Abstand göttlicher e und menschlicher Schwäche recht bedenkt, der macht sich zu einem solchen tiefen Thale. Sofort aber sendet auch Christus, die Sonne der Gerechtigkeit und des Erbarmens, die an der Mitte des Himmels, das heißt, zur Rechten Gottes steht, in das demüthige Herz seine Strahlen. Da wird es reichlich erleuchtet durch die Gnade, mächtig erwärmt durch die Liebe, fruchtbar an Tugenden und guten Werken.


Wenn sich zwei Leute geringschätzen, so verwirft, bekämpft und widerlegt der Eine, was der Andre will, angibt und anbietet. Der Eine möchte den Andern auch von den übrigen Leuten verachtet und alle seine guten Eigenschaften ungekannt wissen. Rühmt man diesen, so hört es jener ungern, tadelt man ihn, so erheitert sich sein ganzes Gesicht. Siehe, so verhält sich der wahrhaft Demüthige zu sich selber. Er freuet sich, wenn ihn Andere verachten, weil er sieht, daß sie in ihrem Urtheil über ihn ganz mit ihm einverstanden sind; er dankt Gott, wenn er alle Lob - und Schmeichelreden von ihm fern hält. Könnte es ohne Nachtheil für den Nächsten geschehen, so möchte er immer verborgen und unbekannt bleiben. Bei sich schlägt er geringe Vergehungen hoch an, am Nächsten hält er auch kleine Tugenden für groß. Will Jemand aber vollkommen werden in der Demuth, so lerne er Gott lieben; die Liebe ist die Mutter der Demuth. In demselben Maaße, als wir in der Liebe Gottes wachsen, in demselben Maaße nimmt unser Hochmuts) ab, und wir lernen es erkennen und empfinden, wie wir uns so mit Unrecht geliebt haben.


Wer sich vollkommen verleugnet, der ist also in Gott aufgenommen, daß, was ihn auch betreffen mag, zuerst Gott berühren muß, da er in Gott ist, und Gott in ihm. Wie der Trank nicht eher den Gaumen erreichen kann, als bis er über die Zunge geflossen ist, und wie er nach dem schmecken lernt, was an der Zunge haftet, so bekommt für denjenigen, der sich Gott hingiebt, Alles, was sich ihm ereignen mag, einen würzigen Geschmack, und wird ganz göttlich. Trifft ihn auch noch so großes Leid; er trägt es leicht, da er es als aus des Herrn, nicht aus dessen Hand, der es ihm verursacht hat, annimmt; und durch den Herrn kann ja nichts Bittres gehen.


Einem Liebeswerke, sei es geistlicher oder leiblicher Art, ist selbst die Andacht nachzusetzen. Denn hätte sich auch Jemand noch höher als Petrus oder Paulus oder irgend ein Apostel betend emporgeschwungen und hörte er, daß ein Armer eines Trunkes Wasser bedürfte, so müßte er lieber von seiner Andacht ablassen und dem Armen den Liebesdienst erzeigen, als jener süßen Empfindung nachhängen. Denn Gottes Gebote stehen höher, als die höchsten geistlichen Uebungen; wie dieß in folgender Erzählung ausgedrückt wird. Einer frommen Jungfrau zu Brüssel erschien, während sie andächtig in ihrem Kämmerlein war, der Herr Jesus in Knabengestalt und setzte sich zu ihr. Alsbald hört sie einen Kranken an nie Thür klopfen, der ihres Dienstes und ihrer Hülfe bedarf. Sie steht auf, läßt den Herrn Jesus sitzen, geht zu dem Kranken und nimmt sich seiner an. Als sie zurückgekehrt, findet sie statt des kleinen Knaben den Herrn Jesus in Gestalt eines schönen Jünglings. Verwundert spricht sie: O Herr, wie bist du in kurzer Zeit so groß geworden? Er antwortet: Um so viel bin ich in deinem Herzen gewachsen, darum daß du mich und meine tröstliche Empfindung daran gabest, um einem meiner Glieder zu dienen. So ist es denn Gott angenehm, daß wir seinetwegen ihn selber verlassen, um seinen Gliedern in Liebe beizustehen. In diesem Sinne wünschte auch der Apostel verbannt zu sein von Christo um einer Brüder willen, was er von dem seligen Gefühle der Liebe versteht, da er von der Liebe selber gewiß auf keinen Augenblick und um keinen Preis getrennt sein mochte.


Sei einfach, besonnen und treu in der Arbeit, welche dir obliegt. Lüge nicht, schwöre nicht, betrübe, bedrücke, verachte, beneide Keinen, täusche Niemanden mit Worten oder Werken, urtheile nicht voreilig, verkleinere Niemandes Ehre, maße dir nichts an, hüte dich vor beißender Rede und räche dich nicht. Liebe vielmehr Alle, und laß dich gern überwinden. Die, mit denen du lebst, belehre durch gute Worte, noch mehr durch ein gutes Beispiel. Beleidigt dich Jemand, so vergieb ihm sofort von Herzen, wenn er es auch nicht begehrt, zeige dich gegen ihn so freundlich, daß er sich vor Gott und vor dir schämen muß. Fliehe allen Heuchelschein und alle Verstellung, gehe nicht darauf aus, von andern bewundert und für besonders heilig gehalten zu werden, sondern schließe dich der gewöhnlichen Umgangsweise an, und sei immer bereit, Allen, die deinen Beistand suchen, zu dienen.


Immer, wenn du des Abends zu Bette gehen willst, lies zuvor drei Bücher, die du überhaupt stets bei dir haben mußt. Das erste ist ein recht altes, graues und häßliches, mit ganz schwarzer Tinte geschrieben; das zweite ist weiß und schön mit rother Schrift; das dritte prangt mit goldenen Buchstaben. Zuvörderst also lies das alte Buch, das heißt, betrachte dein vergangenes Leben, das, wie bei allen Sterblichen, auch bei dir voll von Sünden und Irrthum ist. Gehe in dich und öffne das Buch des Gewissens, das bei dem letzten Gerichte Christi vor Gott und aller Welt wird aufgeschlagen werden. Denke daran, wie schlecht du gelebt hast, wie nachlässig du gewesen bist in Worten, Werken, Wünschen, Gedanken; schlage die Augen nieder mit dem Zöllner und sprich: Gott sei mir Sünder gnädig! Ich habe gesündigt, o Herr, ich habe gesündigt, erbarme Dich meiner! Dann wird der Herr Furcht und Angst vertreiben, und dir Glauben und Hoffnung verleihen. Zugleich wird in dir die Sehnsucht erwachen, ihn zu loben und ihm treu zu sein bis in den Tod. Nun lege das alte Buch bei Seite und hole aus dem Gedächtnisse das weiße. Siehe, es ist das unschuldige Leben Christi, dessen Seele rein, dessen herrlicher Leib aber überall von Geißeln zerschlagen und mit rosenfarbenem köstlichen Blute gezeichnet ist. Das sind die rothen Buchstaben, die seine wahre Liebe gegen uns bezeugen. Schaue sie an in tiefem Mitgefühl und danke ihm, daß er dir durch seinen Tod die Thür des Himmels aufgeschlossen und die Stätte bereitet hat. Zuletzt hebe deine Augen in die Höhe und lies das dritte Buch mit goldner Schrift geschrieben, das heißt, betrachte die Herrlichkeit des ewigen Lebens, gegen welches das irdische also verschwindet, wie Kerzenlicht vor dem Glanze der Mittagssonne.


Quelle: Galle, Friedrich - Geistliche Stimmen aus dem Mittelalter

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