Riggenbach, Bernhard - Frauengestalten aus der Geschichte des Reiches Gottes - V. Die Gehilfinnen der Reformatoren
Für die Stimmung, in der sich die besten Elemente der Christenheit zu Ende des 15. Jahrhunderts befanden, weiß ich keinen bessern als den biblischen Ausdruck des Römerbriefes Kap. 8, V. 19, den Luther unrichtig als „ängstliches Harren“ aufgefasst hat, der vielmehr verstanden sein will als erwartungsvolles Ausschauen. Ja, in die Zukunft blickten sie hinaus all jene strebsamen Geister am Ausgang des Mittelalters, welche sich sehnten frei zu werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens und hinanzugelangen zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Römer 8,21); von naher, teilweise sogar von nächster Zukunft erwarteten sie Erlösung und Befriedigung al ihres Sehnens, die Einen erfüllt von kühner Hoffnung, die Andern wenigstens von unbestimmten Ahnungen.
Schon früher hatten Einige das Verderbnis der Kirche erkannt, und im 14. Jahrhundert hatte sich ziemlich allgemein das klare Bewusstsein geltend gemacht, dass eine Erneuerung von Nöten sei. Allein wir haben an dem Beispiel der beiden Prophetinnen Katharina und Brigitta am besten sehen können, wie überall, im Norden und im Süden, auch die tiefste Einsicht der Schäden und Gebrechen in dem Wahn gefangen war, es könne die Heilung nirgends anders woher kommen als vom heiligen Vater zu. Rom. Erst als die wohlgemeinten Versuche, die päpstliche Kurie zu entscheidender Initiative zu treiben, an der phlegmatischen Apathie der besseren und an der entschiedenen Antipathie der geradezu schlechten Päpste gescheitert war, hatte man angefangen von der persönlichen Spitze an die allgemeine Vertretung der Kirche, an ökumenische Konzilien zu appellieren. Auch diese Instanz erwies sich als unzuverlässig und unfähig. Das Konzil zu Konstanz suchte das Sehnen aller derer, welche sich als Gottes zur Freiheit berufene Kinder fühlten und nicht bloße Kreaturen der Kirche sein wollten, in dem qualmenden Rauch zweier Scheiterhaufen zu ersticken, und das Konzil von Basel raffte sich aus seinen vielen schönen und langen Reden nur selten zu Taten auf und auch dann nur zu törichten und unheilvollen. So musste langsam die für jene Zeit schreckliche Überzeugung ausreifen, welche auch bei Luther nur allmählich die Oberhand gewonnen hat, dass es vergeblich sei, auf eine von den offiziellen Organen der Kirche selbst ausgehende Verbesserung zu hoffen, dass vielmehr eine große Umwälzung kommen müsse, welche auch vor einem Bruch mit Rom nicht zurückschrecke. Nur wenn wir diesen Umstand recht in Erwägung ziehen und daran denken, dass in allen Kreisen eine sehnsüchtige Spannung sich der Gemüter bemächtigt hatte, können wir begreifen, warum gleich die ersten Heroldsrufe Luthers so allgemeines Verständnis und so ungeheuren Anklang fanden. Überall, wo seine Schriften eindrangen, wurde mit Erleichterung empfunden, dass der Bann gehoben und jetzt endlich das lösende Wort, das längst Vielen auf der Zunge gelegen hatte, ausgesprochen sei. Kein Wunder, dass nun auch aller Orten der Frühlingsjubel laut wurde: „unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Stricke des Voglers; der Strick ist zerrissen, und wir sind los!“ (Ps. 124,7). Und je gehemmter und eingeengter ein Einzelner oder eine ganze Klasse von Menschen gewesen, je schmerzlicher irgendwo der Druck des römischen Joches empfunden worden, um so freudiger war die Zustimmung zu Luthers Vorgehen, um so unbedingter die Bereitwilligkeit ihm Heeresfolge zu leisten in dem gegen Rom eröffneten Kriegszug.
Wo die Stimme der Reformatoren ein besonders williges Gehör und ein besonders lebhaftes Echo fand, das war sehr erklärlicher Weise in den Klöstern und zwar mindestens ebenso sehr in den Frauenklöstern als bei den Mönchen. Unter den Nonnen nämlich trieb der von Rom aus über den ganzen Erdkreis hin systematisch verbreitete geistliche Despotismus schon deshalb üppigere Blüten, weil er sich die eigentümliche natürliche Schwachheit und das Bedürfnis des weiblichen Geschlechtes, sich irgendwo anzulehnen und anzuschmiegen, zu Nutze machen konnte. Wohl gab es auch einzelne Ausnahmen, Klöster, wo die Nonnen unter der freundlichen mütterlichen Leitung einer frommen Priorin in schönem schwesterlichem Vereine christlichem Leben und häuslicher Arbeit, echter Askese und barmherziger Liebe sich widmen lernten. In. Allgemeinen aber werden die Schilderungen des Joh. Eberlin von Günzburg, welcher selbst Franziskaner gewesen war und als solcher die Clarissenklöster wenigstens in Schwaben und in der Schweiz und auch das baslerische Gnadental (jetziges Kornhaus) genau kennen lernte, nicht können übertrieben genannt werden. Er sagt: „Nur auserwählte Menschen können den Jammer und die Versuchungen des Klosterlebens aushalten, und die Eltern sollen es deshalb wohl überlegen, ehe sie ihre Töchter, etwa nur aus Scheu vor einem armen Mann, ins Kloster stecken. Viele Eltern bereuen es genug, dass sie ihre Tochter, anstatt sie einem Bauern in die Ehe zu geben, an den Bratspieß des Klosterlebens geliefert und so die Hölle an ihr verdient haben. Wenn ärmere Eltern ihre Töchter bis zum heiratsfähigen Alter in ein Kloster tun wollen, ohne deren Freiheit in ewige Ketten zu schlagen, kann ich nicht widerraten; denn das Kloster kann für Manche eine gute Schule der Zucht werden. Freilich wissen die meisten Klosterfrauen nichts von der Bibel, deren Lektüre doch ihre erste Beschäftigung sein sollte, sondern nichts als die Tandmähre der Legenden und anderes Pfaffengeschwätz. Der Unverstand aber zieht alle Laster nach sich; denn wie die Speise, so wird auch das Fleisch. Darum behalte deine Tochter lieber bei dir, lass sie mäßig arbeiten, Gottes Wort hören, beten. Dein Kind selbst zu erziehen ist deine Pflicht, deren Erfüllung dir Gott, auch wenn du arm bist, so du nur zu ihm betest, schon wird gelingen lassen. Soll es aber im Kloster können selig werden, so darf es die drei Gelübde (des unbedingten Gehorsams gegen die geistlichen Oberen, der vollständigen Enthaltung von allem irdischen Besitz und der Ehelosigkeit) nicht ablegen. Die Hebefenster (d. h. die Gitter, durch welche allein die Nonnen mit der Außenwelt verkehren durften) soll man aufreißen, damit man die Nonnen sehen, und ein etwaiger Freier sie begrüßen kann. Einlass ins Kloster soll jedoch kein Mann bekommen. Wird aber einem eine solche ehrbare Klosterjungfrau zur Ehe, so soll er das für eine besondere Gnade ansehen und sie gut halten. Die Andachtsübungen in den Klöstern sollen kurz und leicht sein, die gegenwärtigen Statuten der Frauenklöster sind überhaupt zu hart, ja sie sind - widersinnig genug - härter als die der Mönchsorden. Müssen doch die armen Nönnlein oft für die Mönche sieden und braten, selbst aber fasten, und während die Mönche als Neuigkeitskrämer überall herumlaufen, dürfen die Nonnen nicht einmal zu ihren Eltern.“ - Soweit Eberlin in einem Reformationstraktat vom Jahre 1521, betitelt: Die fünfzehn Bundesgenossen. Ich hätte auch Sätze aus Luthers Schriften anführen können; doch finden wir in den Schriften Luthers aus jener früheren Zeit, um welche es sich hier handelt, neben allgemeinen Erörterungen über den verderblichen Einfluss der Mönchsgelübde und über die babylonische Gefangenschaft des Klosterlebens wirklich nur sehr vereinzelte Sätze über die eigentümlichen Übelstände der Frauenklöster. Dagegen ist es Eberlins besonderes Verdienst, Einer der Ersten gewesen zu sein, welche Luthers allgemeine Gedanken spezialisiert, in Gestalt von Flugschriften unter das Volk gebracht und so ungemein viel dazu beigetragen haben, dass die Reformation so rasch und ausgedehnt Wurzel fasste.
Eberlins soeben im Auszug mitgeteilte „Vermahnung aller Christen, dass sie sich erbarmen über die Klosterfrauen,“ wird es denn auch gewesen sein, die in Verbindung mit ähnlichen literarischen Kundgebungen in vielen geistig regsamen, vielleicht zum Teil auch lebens- und liebesdurstigen, zum Teil aber jedenfalls in ihrem Gewissen hartbedrängten Nonnen den Entschluss zur Reife brachte, ihrer Knechtschaft so bald als möglich loszuwerden. So wandten sich denn auch zu Anfang des Jahres 1523 neun Ordensschwestern aus dem Kloster Niemtzsch bei Grimma, unter ihnen die Schwester von Luthers väterlichem Freunde Staupitz, an ihre Eltern und Angehörigen mit der demütigen Bitte, ihnen aus einem Leben heraus zu helfen, das sie Gewissens Halber nicht länger erdulden könnten. Trotzdem sie sich erboten, daheim zu tun und zu leiden, was irgend fromme Kinder tun und leiden sollen, erhielten sie Alle abschlägigen Bescheid. Dem Adel, dem die Mehrzahl angehörte, war es am Allerwenigsten um Aufhebung der Klöster zu tun; denn für überzählige Töchter war, in Ermanglung einer passenden Heirat, das Kloster immerhin noch eine sehr standesgemäße Versorgung, und es gereichte einem adeligen Stammbaum nur zur Ehre, wenn er, neben etlichen zum Bischofsstuhl hinangelangten jüngeren Söhnen, auch einige Äbtissinnen aufweisen konnte. Allein jene Neun gaben sich mit den Antworten ihrer selbstsüchtigen Sippen durchaus nicht zufrieden, sondern wendeten sich, wohl eben durch Vermittlung der Magdalena Staupitz, direkt an Luther. Und dieser fand an dem Freiheitsdrang der gequälten Nonnen so wenig Strafbares, dass er vielmehr den Torgauer Ratsherrn Leonhard Koppe veranlasste, ihnen zur Entweichung aus dem Kloster behilflich zu sein und sie nach Wittenberg zu bringen. Diese ziemlich schwierige und gefahrvolle Expedition führte der kühne Koppe denn auch wirklich in der Nacht vor dem Osterfest 1523 so glücklich aus, dass bald auch in anderen Klöstern Fluchtversuche gemacht wurden; freilich nicht überall mit dem nämlichen Glück wie dort in Niemtzsch oder in dem Mansfeldischen Kloster Widerstetten, wo sechzehn Nonnen auf einmal entrannen. Luther selbst erzählt uns in einem besonderen kleinen Traktat die Geschichte einer Nonne aus Eisleben, Namens Florentine, welche schon im elften Jahr eingesegnet worden, später aber zur Erkenntnis gekommen war, das Klosterleben tauge nicht für sie. Mit größter Aufrichtigkeit wandte sie sich an die Ordensobern und bat entlassen zu werden. Von Stund an wurde sie als Gefangene betrachtet. Als sie von Luther und der durch ihn verkündigten Lehre von der evangelischen Freiheit hörte, schrieb sie an ihn um Trost und Rat, wurde aber verraten und darauf hin förmlich eingekerkert. Nur zu den Gottesdiensten durfte sie ihr kaltes Gefängnis verlassen und dann musste sie sich in der Kirche auf den Boden legen und ihre Genossinnen über sich hinschreiten lassen. Es gelang ihr zum zweiten Mal eine Klageschrift an ihre Verwandten gelangen zu lassen; aber wieder wurde sie verraten und bestraft. Und zwar wurde sie diesmal von der Oberin eigenhändig gestäupt, eine Zeit lang in Ketten gelegt und schließlich zu lebenslänglicher Zellenhaft verurteilt. Doch beging die Schließerin einmal das Versehen die Türe offen zu lassen, und Florentine entkam! So sah sich Luther bald von entlaufenen Klosterleuten beiderlei Geschlechts aus allen möglichen Orden umringt und finanziell um ihretwillen sehr bedrängt. Für die Mönche zwar fand sich jeweilen schnell ein Unterkommen, hingegen machte ihm die Frage viel zu schaffen, was er mit den gewesenen Nonnen anfangen solle. Wegen jener neun Niemptzscher Flüchtlinge schrieb er sofort nach ihrer Ankunft an seinen einflussreichen Freund, den kursächsischen Hofprediger Spalatin, und bat ihn dringend, bei den reichen Leuten des Hofes eine Sammlung zu veranstalten, damit das arme Häuflein einstweilen könne ernährt werden. Nach und nach zeigte sich für jede ein Plätzchen, die Einen heirateten, die Andern konnten zu Verwandten ziehen, in Wittenberg blieb keine als Katharina von Bora. Geboren am 29. Januar 1499 und früh Waise geworden, war die aus altem sächsischem Adel stammende Katharina schon als Kind in das Zisterzienser Kloster Niemtzsch eingetreten. Dort befand sich seit Jahren auch eine Tante von ihr, Magdalena von Bora, Luthers nachmalige Hausgenossin, die auch uns aus Königs Lutherbildern von Kindheit auf heimelige Muhme Lene. Nachdem Katharina auf die obenerwähnte Art aus dem Kloster entwichen war, war es für sie, die keine nahen Verwandten hatte, ein besonderes Glück, im Hause des wittenbergischen Stadtschreibers und nachmaligen Bürgermeisters Philipp Reichenbach eine wirkliche Heimat zu finden. Die Bereitwilligkeit der Reichenbachschen Eheleute, die entlaufene Nonne bei sich aufzunehmen, war ohne Zweifel eine Folge von Luthers Fürsprache, doch gibt uns das durchaus kein Recht zu der Annahme, er habe für sie mehr getan als für jene Niemtzscher Nonnen alle. Und wenn wir Katharinas später als Hausfrau bewährte Umsicht erwägen, so können wir es auch sehr wohl begreifen, dass ihre Gastfreunde sie gerne bei sich festhielten. Von einer Absicht Luthers, sie zu heiraten, war jedenfalls 1523 noch keine Spur vorhanden. Er selbst hat später in Katharinas Gegenwart das Geständnis abgelegt, wenn er schon damals hätte freien wollen, würde er wohl eher eine Andere jener Neun, die Ave von Schönfeld, genommen haben, Katharina habe ihm auf den ersten Blick eines hochfahrenden Sinnes geschienen. Äußere Vorzüge hatte sie, wenn wir Cranachs Bildern dürfen Glauben schenken, ohnehin keine. Dagegen deuten auch ihre Gesichtszüge auf den klaren Verstand und die gesunde Offenherzigkeit, Schlagfertigkeit und Derbheit, wovon ihr späteres Leben Zeugnis ablegt. Übrigens dachte Katharina während der ersten Zeit ihres Wittenberger Aufenthaltes von Ferne nicht an eine Verbindung mit dem ernsthaften Dr. Luther, sondern liebäugelte im Gegenteil lebhaft mit einem in Wittenberg studierenden galanten, jungen Nürnberger Patrizier Hieronymus Baumgärtner und war tiefbetrübt, als derselbe von seinem vorsichtigen Vater heimgerufen und zur Ehe mit einer reichen Erbin veranlasst wurde. Luther aber konnte noch zwanzig Jahre später, als er einmal einen Brief von ihm erhielt, seine Hausfrau mit ihrem alten Feuer necken. Damals, als sie aus dem Kloster kam, hätte er sie wie all die Nonnen, welche sich zu ihm flüchteten, am liebsten sofort an den Mann gebracht und noch zu Anfang 1525 wollte er sie mit dem Prediger Glatz von Orlamünde verheiraten. Sie aber sträubte sich entschieden hiergegen und tat bei diesem Anlass gegenüber von Luthers Freund Amsdorf den höchst naiven Ausspruch, wenn Luther oder er sie haben wolle, so sei sie bereit, mit dem Einen oder Andern eine ehrsame Ehe einzugehen, mit Glass aber nimmermehr. Ob gerade dieses etwas stark prosaische Wort, welches manchen Andern wohl eher stutzig gemacht hätte, den großen Reformator vorwärts getrieben hat, lassen wir dahingestellt. Jedenfalls machte der Erfolg Katharina zur Prophetin. Glatz nämlich bewährte sich gar nicht und musste abgelegt werden, sie aber wurde in der Tat im Sommer 1525 wieder alles Erwarten von Luther zur Ehe begehrt.
Zwar hatte Luther im Oktober 1524 Gott zu Ehren, Vielen zur Freude, dem Satan zum Trotz die Kutte abgelegt, allein von der weiteren Konsequenz, welche von seinen Freunden daraus gezogen wurde, dass er nun auch zur Ehe schreiten werde, wollte er durchaus nichts wissen. Wohl stand auch ihm das Recht der Priesterehe unerschütterlich fest, und er gab jenem starken Wort Eberlins gewiss vollkommenen Beifall: „Wer das Verbot der Priesterehe so oder anders fordert, der sündigt mehr, als der ein Kruzifix verspeit“. Und so war es denn sehr natürlich, dass er von allen Seiten her aufgefordert wurde, das selbst zu tun, wozu er mit so vielen Gründen Andere getrieben.
Mit besonderer Energie hatte eine Frau - man weiß ja, wie gerne die Frauen Ehen stiften! - in Luther gedrungen, und zwar eine Frau, die es wohl verdient, dass wir sie wenigstens vorübergehend ins Auge fassen: die bairische Edelfrau Argula von Grumbach geb. von Stauffen. Dieselbe stand seit geraumer Zeit mit Luther in Korrespondenz und war eine sehr tapfere Frau. Als z. B. die Universität Ingolstadt unter Ecks Anführung im Jahr 1523 einen armen Magister wegen seiner Hinneigung zu Luthers Lehre verfolgte, da protestierte Argula öffentlich gegen ein solches Verfahren. Dr. Johann Eck freilich sandte ihr als Antwort einen Spinnrocken und bedeutete ihr in einem höhnischen Begleitschreiben, sie solle sich lieber mit weiblicher Handarbeit als mit theologisch-kirchlichen Streitfragen abgeben. Eberlin dagegen preist sie in einem seiner Traktate als eine der Besten ihres Geschlechts und lobt ihr öffentliches Auftreten mit den für die damaligen Frauen überhaupt sehr schmeichelhaften Worten: „Ein großer Teil der barteten, großmütigen, weisen, gelehrten Männer zeigt sich schwächlich, verzaglich, töricht, schriftlos. Die Weiber aber, Junge und Alte, Edle und Unedle, werden von Gott gelehrt und gewiesen, christlich und mutiglich zu handeln in Worten und Werken. Ja sie bemühen sich so sehr mit Lesen heiliger Schrift und werden so gar erleuchtet und erhitzt in Gottes Wort, dass sie lieber in große Gefahr sich begeben als Gottes Wort leugnen oder verschweigen“. In der Tat ruhte der giftgeschwollene Gegner der Reformation zu Ingolstadt nicht, bis der Landesfürst die verhasste „Grumbacherin“ ernstlich bedrohte. Ihr feiger Gatte, der nicht zum Mindesten Christum in ihr verfolgte, war zum Widerruf zu bewegen. Argula aber ließ sich von ihrem Glauben nicht abwendig machen und erklärte: „Meine Kindlein wird der HErr schon versorgen, sie speisen, wie er die Vögel in der Luft speist, und sie kleiden, wie er die Blümlein des Feldes kleidet, er hat es gesagt, er kann nicht lügen.“ Wirklich wurde sie des Landes verwiesen. Luther, der stets gern mit ihr verkehrte, nannte sie eine „Jüngerin Christi“. Als solche hatte sie nun eben 1524 geglaubt, den großen Wittenberger an seine, wie es ihr schien, heilige Pflicht zu erinnern und ihn ernstlich mahnen zu müssen, er solle nun endlich auch ehelich werden. Und Luther verkannte ihre gute Meinung durchaus nicht; er ließ ihr herzlich dafür danken, zugleich aber bemerkte er, dass er zwar dem andern Geschlecht gegenüber weder von Holz noch von Stein sei, dennoch aber gegenwärtig nicht ans Heiraten denken könne, weil sein Leben stündlich der Gefahr eines wohlverdienten Ketzergerichts ausgesetzt sei.
Als nun aber mitten in den Aufregungen, welche die Gräuel des Bauernkrieges und der Tod seines Landesherrn ihm verursachten, im Frühling 1525, seine Gegner ihn beschuldigten, es fehle ihm der nötige Mut zu dem entscheidenden Schritt, und anderseits ängstliche Freunde ihn zurückhalten wollten und die Befürchtung aussprachen, seine Heirat würde ihn vor der Welt zu Schanden und sein ganzes bisheriges Werk zunichte machen, da war sein Entschluss gefasst. Dem Kardinal Albrecht von Mainz ließ er sagen: wo meine Ehe Sr. kurfürstlichen Gnaden eine Stärkung sein möchte, wollt ich gar bald bereit sein, Sr. kurfürstlichen Gnaden zum Exempel voranzutraben. Trutziglich erklärte er, dass er ganz und gar beschlossen habe, ehe er aus diesem Leben scheide, in dem Ehestand sich finden zu lassen, den er von Gott gefordert achte. Ja, er behauptete sogar später, wenn er damals unversehens aufs Sterbebett gelegt worden wäre, er würde sich noch ein frommes Mägdlein haben antrauen lassen und ihm als Morgengabe zwei silberne Becher gegeben haben. Nun, dazu kam es nicht, dagegen führte er, mitten in dem stürmisch bewegten Sommer 1525, als man es gerade am Wenigsten von ihm erwartete, allen Freunden und Feinden, ja dem Teufel selbst zum Trotz, seine Käthe heim. Ohne einen seiner Freunde ins Vertrauen gezogen zu haben, verständigte er sich mit Katharina, machte dann aber den Rat sofort zur Tat. „Es ist“, pflegte er später in Heiratsangelegenheiten Anderen zu raten, „nicht gut viel dazu zu reden, man muss Gott um Rat fragen und beten und darnach bald fortfahren“. So lud er denn auf den Abend des 13. Juni seine nichtsahnenden treuen Freunde, den Stadtpfarrer Bugenhagen, den Professor der Theologie Jonas, den Juristen Apel und den Ratsherrn Lukas Cranach, in seine Wohnung ein, und als sie versammelt waren, setzte er sie von seinem Vorhaben in Kenntnis. Sofort musste Bugenhagen die Verlobten „zusammensprechen“, und damit war nach damaligem Brauch die Ehe geschlossen, und Katharina blieb bei Luther als sein Weib. Eine größere öffentliche Hochzeitsfeier fand erst am 17. Juni statt. Bei derselben erschienen auch auswärtige Freunde mit reichen Geschenken. Am meisten freute es Luther, dass er bei diesem Anlass seine greisen Eltern, deren längst gehegter Wunsch nun erfüllt war, gänzlich ausgesöhnt wiedersehen durfte. Im Allgemeinen war der 41jährige junge Ehemann, ohne geradezu verliebt zu sein, doch voll Freude.
An Katharina aber bewährten sich die Worte Eberlins über die Ehen der Pfaffen: „ es ist ein Zeichen trefflicher Gesinnung, wenn Eine sich um die Nachrede der Narren nicht bekümmert, und die Ehe wird gewiss wohl geraten, wenn sie ohne andere Ursachen, allein aus persönlicher Liebe geschlossen wird. Ich habe es jetzt an vieler Pfaffen Ehen erfahren, dass Gott mit ihnen ist.“ Luther sollte nie Anlass haben, jenen raschen Entschluss zu bereuen. Seine „liebe treue Hausfrau“ hat ihn, wie er in seinem Testament bezeugt, „als ein fromm, treu, ehelich Gemahl allezeit lieb, wert und schön gehalten“. Die Prophezeiungen der Feinde, die große Tragödie der Reformation sei eine bloße Komödie, an deren Ende Alle heiraten, haben sich ebenso wenig erfüllt, wie die Befürchtungen der Freunde, sogar eines Melanchthon, Luthers hoher, männlicher Geist werde in der Ehe zu weich werden. Zwar hat ohne Zweifel Käthe hie und da den weiblich besänftigenden Einfluss geltend gemacht; allein dass Luther als Ehemann irgendwie an Tatkraft und Schneidigkeit eingebüßt hätte, wird Niemand zu behaupten wagen.
Wenn er unter Freunden scherzweise von seinem Herrn und seinem Moses Käthe redete oder Briefe an sie mit den Worten anfing: „Lieber Herr Rat“, so wollte er damit allerdings andeuten, dass Versuche zum Pantoffelregiment gemacht würden, allein auch diese betrafen gewiss nicht Luthers reformatorisches Wirken, sondern wohl nur seine grenzenlose Freigebigkeit, welcher sie zu Zeiten Einhalt zu gebieten versuchte. Und dazu hatte sie als umsichtige Hausfrau wahrlich einiges Recht. Während nämlich Melanchthons brave, aber unbedeutende und kränkliche Frau die Sorgenlast ihres Mannes nur noch vermehrte, war die kerngesunde und energische Lutherin ihrem Manne eine wirkliche Gehilfin. Sie besaß körperliche und moralische Kraft genug, um unter den vielfachen physischen und psychischen Leiden ihres Gatten und unter den heftigen Aufwallungen seines Temperaments fest und ruhig auszuhalten und ihm für Leib und Seele gerade das zu bieten, was er bedurfte, um stets mit neuer Frische und Elastizität, neuem Kampfesmut und neuer Arbeitskraft in seinen aufregenden und aufreibenden Beruf zurückzukehren.
Die Sorgen des Hausstandes, für welche Luther weder Zeit noch Geschick besaß, zog sie mit einer oft mehr festen als zarten Hand an sich. Da Luthers Besoldung nur sehr bescheiden, seine Gastfreundschaft dagegen die eines Fürsten war, so musste Katharina sich der Ökonomie mit allem Ernst annehmen und sich dabei gefallen lassen, dass Luther sie für all ihre Hingebung mit derbem Humor ziemlich schonungslos an den Pranger stellte. Weil sie eine ausgedehnte Viehzucht trieb, an der er oft selber seine königliche Freude hatte, konnte er einen Brief an sie adressieren: „Meiner lieben Hausfrauen, Katherin Lütherin Doktorin Säumarkterin zu Wittenberg meiner gnedigen Frauen zu Handen und Füßen“. Ein ander Mal witzelt er über ihre landwirtschaftlichen Liebhabereien und nennt sie wegen des Gütleins Zulsdorf, das sie gekauft hatte und eifrigst bewirtschaftete, „Euer Gnaden von Zulsdorf“. Wie froh ist er aber dann auch wieder, am Abend mit den Freunden hinauspilgern zu können in den wohlgepflegten Garten vor dem Elstertor und bei einem Trunk von dem Bier, das seine Hausehre in einem eigens erbauten Brauhaus selbst fabriziert hatte, des Tages Last und Hitze zu vergessen. Dort draußen oder auch in den Räumen des Klosters, das der Kurfürst ihm geschenkt hatte, und an dem die unternehmungslustige Käthe stets neue Verbesserungen anbrachte, konnte er des traulichsten Verkehrs mit Weib und Kind sich freuen und ein so einfacher Mensch werden, dass, wie er sich äußerte, die Engel im Himmel lachen und alle Teufel weinen müssen. In solchen Stunden pries er sich glücklich, seine Käthe zu besitzen und rühmte laut, er achte sie teurer als das Königreich Frankreich oder der Venediger Herrschaft. Daneben versäumte er nicht auf das Heil ihrer Seele und auf das Wachstum ihrer Erkenntnis sorgfältig Bedacht zu nehmen. Und als er fand, sie tue nach dieser Richtung zu wenig, so wandte er List an und stellte ihren ausgesprochenen Erwerbsgeist in den Dienst der Seelsorge, er versprach ihr im Herbst 1535, sie bekomme fünfzig Gulden, wenn sie bis Ostern die ganze Bibel durchlese. Bekannt ist, welch treue Stütze Katharina an dem glaubensstarken Mann hatte, als von den sechs Kindern ihrer Ehe zwei, darunter das vielversprechende Lenchen, heimgerufen wurden. An Magdalenens Sterbebett zog er sie an sich mit den Trostworten: „Liebe Käthe, bedenke doch, wo sie hin kommt, sie kommt ja wohl“. Es darf nicht übersehen werden, dass in einer solchen Hinweisung auf die Wahrheit des Evangeliums ein ehrenvolles Zeugnis für den Glaubensstand derjenigen Person enthalten ist, an welche der Appell sich richtet. So verstanden ist auch der köstliche Humor, womit Luther sich noch in den letzten Tagen seines Lebens bei Käthe für ihre zärtliche Sorge um seine Gesundheit bedankt hat, ein Ehrendenkmal für sie. „Meine alte, arme Liebe und wie ich weiß Unkräftige“, schreibt er, „du willst sorgen für deinen Gott, als wenn Er nicht allmächtig, der da könnte zehn Doktor Martinus schaffen, wo der eine alte ersöffe in der Saale oder im Ofenloch; lass mich in Frieden mit deiner Sorge, ich hab einen bessern Sorger, denn du und alle Engel sind. Allerheiligste Frau Doktorin, dieweil ihr so gut für mich gesorgt und darob den Schlaf verloren habt, wollte uns das Feuer verzehren in unserer Herberge hart vor unserer Stubentür, und gestern, ohne Zweifel aus Kraft eurer Sorge, fiel uns schier ein Stein auf den Kopf, uns zu zerquetschen wie in einer Mausfalle. So sorge, wo du nicht aufhörest zu sorgen, es möchte uns zuletzt die Erde verschlingen. Bete du und lass Gott sorgen! Lass uns sagen und singen: wir wollen warten, was Gott tun wird, hiermit Gott befohlen“. Luther, der wohl selbst fühlte, dass die Sorge seiner Käthe nicht unbegründet sei, wollte ihr offenbar mit den letzten Briefen, aus denen wir hier einige Proben mitgeteilt haben, nochmals die ganze Fülle seiner zärtlichen Liebe zu fühlen geben. Und als dann an 22. Feb. 1546 statt des geliebten Gatten nur ein unabsehbarer Leichenzug von Eisleben her den Toren Wittenbergs nahte, da bewies Katharina, dass sie zwanzig Jahre lang an des großen Gottesmannes Seite gestanden hatte, und dass die Worte, die sie schon im dritten Jahr ihrer Ehe an den schwerkranken Luther gerichtet hatte, ein Ausdruck lebendigen Glaubens gewesen waren: „Mein liebster Herr Doktor, ists Gottes Wille, so will ich Euch bei unserm lieben Gott lieber denn bei mir wissen“.
Während der sieben Jahre ihrer Witwenzeit bot sich ihr reichlich Gelegenheit, solche Gottergebenheit zu beweisen und dem Zeugnis Ehre zu machen, welches Luther ihr einst für ihre Gattentreue und Nächstenliebe während der Pestzeit ausgestellt hat: „noch ist meine Käthe stark im Glauben.“ Außer Bugenhagen und Melanchthon verwandte sich Niemand für sie. Ihre treueste Freundin, die anmutige und gottselige erste Frau des Justus Jonas, mit der sie während langen Jahren Freud und Leid hatte teilen dürfen, war schon 1542 gestorben. Andere Verbindungen anzuknüpfen hatte sie zu Luthers Lebzeiten nicht Muße gefunden. Und die Vielen, die früher gastliche Aufnahme bei ihr gefunden, handelten nach dem alten Grundsatz: Undank ist der Welt Lohn. Während des schmalkaldischen Krieges und der darauf folgenden unruhigen Zeiten finden wir Katharina mit ihren Kindern bald da, bald dort, unstet und flüchtig, oft kämpfend mit der bittersten Not. Schließlich gewährte ihr der dänische König einen Jahrgehalt, wohl auf die Fürsprache der edlen, aus dem dänischen Herrscherhaus stammenden Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg. Diese nämlich war, von ihrem rauen Gatten um ihres evangelischen Glaubens willen verstoßen, 1528 zu Luther geflohen und hatte längere Zeit mit Katharina zusammen, fast möchte ich sagen als Stütze der Hausfrau, geschaltet. Doch sollte Luthers Witwe die ihr 1552 bewilligte dänische Unterstützung nicht lange genießen. Als sie, um der abermals mit besonderer Heftigkeit in Wittenberg auftretenden Pest zu entfliehen, der Universität nach Torgau folgte, wurden unterwegs die Pferde scheu, Katharina, besorgt um die Kinder, sprang aus dem Wagen, fiel in den Graben und zog sich dabei eine Krankheit zu, der sie am 20. Dez. 1552 erlag. Ihre letzten Worte waren ein Gebet für den Sieg der guten Sache, über deren Anfang und Fortgang sie einst so genau unterrichtet gewesen und für die sie mit ihrem teuren Helden so oft um Gottes Segen gefleht hatte.
Es wäre interessant zu wissen, ob Katharina von Bora, welche ohne Zweifel ihren Eheherrn oft und viel von den schweizerischen Reformatoren, von den bösen Sakramentiereren, wie er sie zu nennen pflegte, hat reden hören, auch nach deren Frauen sich erkundigt und was für eine Meinung sie von denselben bekommen hat. Uns kann es zur Befriedigung gereichen, dass die Frauen der Väter und Begründer unserer reformirten Kirche der tapfern Räte als vollkommen ebenbürtige Gehilfinnen der Reformation dürfen an die Seite gestellt werden. Unter ihnen nimmt billigerweise die Frau des größten die erste Stelle ein. Nicht dass Zwingli der Erste gewesen wäre, der unter den schweizerischen Reformatoren den Schritt aus dem ehelosen und darum gar oft auch ehrlosen Priesterstand in einen Gott wohlgefälligen und eben deshalb für den wahren Diener Gottes ehrenvollen Ehestand gewagt hätte. Zwar hatte er sich, von seinem Gewissen geängstigt, sowohl an den Bischof, als an die Eidgenossen um Bewilligung der Priesterehe gewendet. Allein in der öffentlichen Ausführung dessen, was durch das Evangelium erlaubt, durch die offiziellen kirchlichen und staatlichen Gesetze aber verboten war, hatten ihm mehrere Freunde den Rang abgelaufen. Leo Jud z. B. hatte schon 1523 eine Beghine aus dem Kanton Schwyz heimgeführt, welche bald in Zürich von den Armen den Ehrennamen „Mutter Leuin“ erhielt. Zwingli dagegen musste seine Ehe geraume Zeit geheim halten. Er hatte durch einen seiner Schüler, den ungemein begabten Gerold Meyer, Zutritt zu dessen Mutter erhalten und sich in der Folge mit der durch viele Leiden geprüften Frau verehelicht. Anna Reinhart aber, die Witwe des vornehmen Zürchers Hans Meyer von Knonau, war durch Rücksichten auf die Familie ihres ersten Mannes gebunden. Und so konnte die öffentliche Trauung erst am 5. April 1524 stattfinden. Durch diese Heirat trat Anna aus den glänzendsten Verhältnissen heraus; um nun zu zeigen, dass sie ihre zukünftige Stellung als Gattin eines evangelischen Predigers vollkommen verstehe, war ihr Erstes, ihre sämtlichen Kleinodien abzulegen und sich zu kleiden wie gewöhnliche ehrbare Bürgersfrauen. Doch scheint sie, wohl aus ähnlichen guten Gründen wie Luthers Käthe, überhaupt der Sparsamkeit gehuldigt und auch ihren Mann dazu angehalten zu haben. Wenigstens schrieb Zwingli, als er bei der Disputation zu Bern war und länger als beabsichtigt dort verweilen musste, ihr ausdrücklich, sie solle ihm umgehend den tintenfleckigen Hausrock „Tolggenrock“ übersenden.
Sonst erfahren wir von dem nüchternen Zwingli über sein häusliches Leben ungleich weniger als von dem poesievollen Luther. Übrigens war Zwinglis Ehe auch eine sehr kurze; der unglückselige Tag von Rappel machte schon 1531 dem glücklichen Bündnis ein jähes Ende. Den besten Einblick in Anna Reinharts Seelenleben gewährt uns das auf geschichtlichen Aufzeichnungen über Zwinglis Auszug zur Schlacht und über den mörderischen Ausgang derselben beruhende Gedicht von Martin Usteri: „Der armen Frow Zwinglin Klag.“ Zum Verständnis desselben muss vorausgeschickt werden, dass kurz vor der Schlacht bei Kappel in Zürich ein Komet war gesehen worden, dass ferner Zwinglis Pferd im Augenblick, da er von seiner Frau und seinen drei Kindern Regula, Wilhelm und Ulrich Abschied nahm, sich bäumte, und dass Frau Anna an jenem verhängnisvollen Tag außer dem Gatten auch den einzigen Sohn erster Ehe, zwei Tochtermänner, einen Schwager und einen Bruder verlor. Das ergreifende Gedicht, das wegen seiner vollendeten Nachahmung der damaligen Redeweise lange für ein echtes Produkt der Anna Reinhart gehalten wurde, lautet:
O Herre Gott, wie heftig schluog
Mich dines Zornes Ruten!
Du armes Herz, ists nit genuog,
Kannst du noch nit verbluoten?
Ich ring die Händ: käm doch myn End!
Wer mag myn Elend fassen?
Wer misst die Not? Myn Gott, myn Gott,
Hast du mich gar verlassen?
Ich fürcht die Nacht, ich fürcht den Tag,
Ich schüch mich vor den Lüten;
Ich hör nur Jammer, Angst und Klag,
Nur Bschuldigen und Stryten,
Man ficht mich an: Dyn Mann hats than!
Les ich in vielen Ougen;
Es bocht der Hohn: das Alt muoß koh'n!
Bald offenbar, bald tougen.
Was klagt ihr mir der Üwern Todt?
Hab ich nicht gnuog ze tragen?
Ach, üwer Not ist ouch myn Not,
Vnd meeret myne Klagen!
Wer suocht das Korn am Schleyendorn?
Bym steinin Bild Erbarmen?
Was suocht denn Ihr Trost, Hilf by mir?
Ich bin die ärmst der Armen.
Vnd kumbt die lange Abendzyt,
Wo Kopf vnd Oug ermatten,
Erschreckt mich in der Einsamkeit
Ein jeglich Ton und Schatten.
Ich süftz: o Nacht, wärst du verbracht,
Möcht doch dyn Dunkel wychen!
Entschlafen koum, plagt mich der Troum
Mit ytel Bluot und Lychen.
Ich renn in Stryt, ich suoch und kann
Durch Spieß und Schwerter dringen,
Find Mann, Sün, Bruoder, Schwestermann
In Bluot und Tode ringen.
Man zeigt mir ouch den schwarzen Rouch
Sich hoch zum Himmel schwingen.
Ich seh die Rott mit Hohn vnd Spott
Ihr Greweltat vollbringen.
Es gellet ouch das Jammergschrey
Mir stäticklich in Oren:
Uf, Waffen, Waffen, Als herby!
Ach Gott, wir hand verloren!
Auf, Wyb vnd Mann! louf, louf wer kann!
Der Feynd ist vor den Thoren.
So helf vns Gott, Alls, Alls ist todt!
Louft, louft zu Mur vnd Toren!
Ich rannt hinus, fragt wen ich sach;
Vnd fürchtet doch die Märe.
Ich Thörin, ach ich wusst es ja,
Dass er nit widerkehre!
Des Sternes Ruoth, die Luft in Bluot
So grusamcklich entzündet,
Die klag der Ewl, das Nachtgehewl
Hatts sattsam schon verkündet.
Er wusst es ouch, doch wollt er mich -
Ich wollt ihn nit erweichen.
Doch da syn Ross so rücklings wich,
Thät er wie wir erbleichen.
Die Kind vnd mich, wie brünstiglich
Hat er vns noch umbfangen!
Sah stets zurück, syn letzter Blick
Ist mir durchs Herz gegangen.
So schwinget sich wie ein Gekett
Um mich nur Angst vnd Jammer.
Entflüch ich dann der Lagerstett,
Ze süfzen in der Kammer,
So schlycht mir ach! das Regli nach,
Vnd weint: kannst du nit schlafen?
Zwingt mich ze Bett. - So bluoten stett
Die Wunden, die mich trafen.
Hör ich das erste Hahnengschrey,
So prys ich mynen Herren:
Gottlob die Nacht ist bald vorby,
Der Tag will widerkehren!
Er zeigt mir doch die Kindlein noch,
Sy mindern doch die Läre.
Wie oft voll Forcht hab ich gehorcht,
Ob ich s‘ noch atmen höre!
Ein Engelskuss hat s‘ aufgeweckt,
Drum sy so fründlich lachen.
Ein jegklichs dann syn Köpflin streckt,
Vnd spächt, ob ich erwachen.
Dann henken s‘ sich mit Bitt an mich:
Ach, hör doch uf ze schreyen!
O Mutterherz, du armes Herz,
Kann dich noch was erfrewen?
Du bindest mich ans Leben noch,
Du trybst den Tod zerücke,
Du lüpfst des Kumbers ysin Joch,
Dass es mich nit erdrücke!
Du ruofst: fortan luog d' Waislin an!
Was soll us jnen werden?
Sy sind ein Brand us Huldrychs Hand,
Vnd hand nur dich uf Erden!
Ja, diesen Schatz, mir anvertruwt,
Ich will in trüw verwalten!
Den Tempel, den er ufgebuwt,
Den sollend sy erhalten.
Uf syner Bahn führ ich sie an,
Daß er durch sie sich neuwe,
Vnd Hulderych im Himmelrych
Sich ihr und myner freuwe.
Komm du, o Buoch, du warst syn Hort,
Syn Trost in allem Uebel.
Ward er verfolgt mit Tat vnd Wort,
So griff er nach der Bibel,
Fand Hilf by ihr. - Herr, zeig ouch mir
Die Hilf in Jesu Namen!
Gib Muoth vnd Stärk zum schweren Werk
Dem schwachen Wybe! Amen.
Übrigens erging es, was uns Schweizer auch freuen darf, der Witwe unseres großen Reformators, die auch sieben Witwenjahre durchzuleben hatte, bei Weitem besser als der Witwe Luthers. Zwinglis würdiger Nachfolger, der edle Bullinger, zögerte keinen Augenblick, seiner Verehrung für den geliebten Toten dadurch Ausdruck zu verleihen, dass er dessen vermögenslos hinterlassene Familie in sein Haus aufnahm. Dort verbrachte Anna ihre übrigen Tage in tiefster Stille, und als 1538 ihr Stündlein kam, konnte sie umso ruhiger sterben, weil sie ihre Kinder bei dem treuen väterlichen Freunde und dessen gleichgesinnter Gattin wohl geborgen wusste. In Bullingers Haus herrschte ein echt patriarchalischer Geist. So finden wir z. B. unter den Taufpaten eines seiner Kinder auch eine langjährige Dienerin seines Hauses, deren Jahrlohn, beiläufig bemerkt, in vier Gulden und einem Paar Schuhe bestand!
Eine in seltenem Maß begehrenswerte Frau muss die Gattin Oekolampads gewesen sein; denn als dieser sie heiratete, war sie schon Witwe, und doch haben auch nach Oekolampad noch zwei andere Reformatoren sich glücklich geschätzt, sie als Ehefrau besitzen zu dürfen. Der Basler Chronist Wurstisen sieht diesen Umstand als ein ganz besonderes Glück dieser Frau an. Ich glaube kaum, dass diese Anschauung die richtige ist. Jedenfalls aber besitzen wir von keiner andern Frau der Vergangenheit eine so sichere Bezeugung ihrer Vorzüge wie von ihr, welche nacheinander von vier der besten Männer ihrer Zeit nicht nur begehrt, sondern wirklich geheiratet worden ist.
Vibrandis Rosenblatt war die Tochter eines Ritters und Feldobersten Kaiser Maximilians I. und verehelichte sich, wie es scheint in früher Jugend, zum ersten Mal mit dem Basler Gelehrten Cellarius. Derselbe war kränklich, und so wurde sie bei Zeiten im Kreuztragen geübt. Als Oekolampad, durch den Tod seiner Mutter veranlasst, sich zur Ehe mit ihr entschloss, fand er sie trotz ihrer Jugend sehr verständig. Er schrieb an Farel: „Gott hat mir eine Frau zugeführt, die den Herrn Jesum kennt und liebt und fleißig für mein Hauswesen sorgt,“ und an Capito: „Sie ist gerade so, wie ich mir eine Frau gewünscht habe, und ich wollte nicht, dass sie anders wäre; denn sie ist weder streitsüchtig noch klatschsüchtig, läuft auch nicht in den Häusern umher, sondern tut daheim ihre Pflicht; klug hält sie die Mitte zwischen prunkendem Aufwand und anstößiger Dürftigkeit.“ Doch war es dem edlen Manne nicht lange vergönnt, seines ehelichen Glückes und der drei Kinder sich zu freuen, die Vibrandis ihm geboren. Diesen Kindern hatte Oekolampad die sinnigen Namen gegeben: Eusebius, Aletheia und Irene: Frömmigkeit, Wahrheit und Friede. Als er 1531 starb, war sein letztes Wort an die Gattin: „Sorge, dass sie werden, wie sie heißen, fromm, friedfertig und wahr.“ In ihrem Schmerz um den frühvollendeten zweiten Gatten wurde Vibrandis einigermaßen aufgerichtet durch die vielen Beweise von Verehrung, die dem Basler Reformator über Tod und Grab hinaus nachfolgten. Und namentlich war es der greise Wolfgang Capito, der sich nicht nur brieflich in Lobeserhebungen des Freundes erging, sondern selbst von Straßburg herbeieilte, um der Witwe und den Waisen Oekolampads seinen Beistand anzubieten. Gerührt von solcher Freundestreue, folgte ihm Vibrandis nach Straßburg und pflegte den beständig kränkelnden Mann als treue Ehefrau zehn Jahre lang. In dieser Zeit erlebte sie auch den Schmerz, ihren Knaben Eusebius sterben zu sehen, und im Jahre 1541 machte sie die Pest zum dritten Male zur Witwe. In den gleichen Tagen wie Capito starb auch die Frau des andern Straßburger Reformators Martin Bucer, und so trat Vibrandis im Jahre darauf zum vierten Mal in die Ehe. Butzer aber wurde den Töchtern Oekolampads und den Kindern Capitos aus dessen erster Ehe der zärtlichste Vater und bekümmerte sich trotz seiner vielfachen Amtsgeschäfte und trotz den tausendfachen Verbindungen, die er mit Nah und Fern unterhielt, um sein Hauswesen wie wohl kein anderer der namhafteren Zeitgenossen. Vibrandis, die damals höchstens vierzig Jahre alt, nahm die große Last, mit Butzer für die vielen angetretenen und eigenen Kinder zu sorgen, rüstig auf sich. Als aber Butzer 1548 einem Ruf an die ferne englische Universität Cambridge folgte und sie allein mitten in ihrem zahlreichen Kreis zurückließ, da wollte ihr doch oft bange werden, und sie war froh, an Katharina Zell, der tapfern Tabitha Straßburgs, eine treue Hilfe zu haben. Die Zellin, die einzige unter den Gattinnen der Reformatoren, welche zur Not auch die Feder ergriff, um für die Sache des Evangeliums einzustehen, ist neuerdings durch die elsässischen Lebensbilder wieder bekannter geworden. Vibrandis folgte übrigens nach einem Jahre ihrem Dr. Butzer, der in England zu hohen Ehren gelangt war. Doch sollte auch dort ihres Bleibens nicht sein; denn Butzer starb schon 1551, nicht ohne dass er, der sein Lebenlang gern Ehen gestiftet, in seinem Testament ausdrücklich bemerkt hätte: „Ich will keineswegs, dass meine liebe Hausfrau sich im Witwenstande halten müsse, wo ihr der HErr einen gottesfürchtigen, frommen Gemahl zufügen täte.“
Allein Vibrandis hat von dieser Freiheit keinen Gebrauch gemacht; auch nicht von den Gnaden des englischen Erzbischofs. Sie zog nach Basel, um bei dem Grab Oekolampads ihr wechselvolles Leben zu beschließen. Zwar musste sie im Jahr 1554 hören, dass die kirchliche Reaktion in England die Oberhand bekommen habe, und dass die blutige Maria selbst die Gebeine des frommen, friedliebenden Butzer aus ihrer Grabesruhe habe hervorreißen und verbrennen lassen. Vibrandis durfte aber auch noch erleben, dass Königin Elisabeth den englischen Thron bestieg, die Reformation wieder einführte und 1560 das Andenken des von König Eduard so sehr geliebten Butzer in ehrenvollster Weise erneuerte. Elisabeth von England ist überhaupt unverdientermaßen so sehr verpönt; sie hatte ohne Zweifel ihre großen Schwächen und hat namentlich ihre Eifersucht gegen die Schönheit der Maria Stuart auf die äußerste Spitze getrieben. Allein das berechtigt noch keineswegs, sie neben der frivolen und bigotten Maria Stuart in den Schatten zu stellen. Und namentlich darf die evangelische Christenheit sich nicht etwa durch Schillers ästhetische Sympathie für die schöne Gestalt und das tragische Geschick der schottischen Königin verleiten lassen, ihrer in der Einsamkeit einer freudelosen Jugend verbitterten Gegnerin die großen Verdienste um den englischen Protestantismus zu vergessen. Vibrandis Rosenblatt hat die englische Fürstin gewiss dankbar gesegnet für jenen Akt der Pietät, dessen Kunde ein Lichtstrahl war am Abend ihres vielgeprüften Lebens. Eine andere große Freude war für sie die Verheiratung ihrer zweiten Tochter, Irene Oekolampad, mit einem angesehenen Bürger Basels, Lukas Eselin. Vibrandis starb 1564 und wurde im Kreuzgang des Münsters in dem Grab unseres Reformators beigesetzt. Butzer hatte mit Recht in seinem Testament von ihr sagen können: „Sie ist seit vielen Jahren der Kirchen zu dienen fast hart geübt.“
Wie wenig zu jener Zeit, wo überhaupt die Häuslichkeit mehr in den Hintergrund treten musste, wo die treibenden und bewegenden Führer von ihrer öffentlichen Tätigkeit vollauf in Anspruch genommen waren, wie wenig damals beim Heiraten nach den Bedürfnissen des Herzens gefragt wurde, zeigt uns am besten das Beispiel Calvins. Als er während seines Aufenthaltes in Straßburg zur Überzeugung kam, dass er sich nun verehelichen sollte, da sah nicht er selbst sich um, sondern er überließ es den Freunden, Eine ausfindig zu machen, die für ihn passe. Calvin, welcher offenbar mehr Sinn hatte für Freundschaft mit Männern als für das Verhältnis zu Frauen, das man gewöhnlich „Liebe“ nennt, wollte nur ehelich werden, um mit den Äußerlichkeiten des Lebens sich nicht befassen zu müssen und mehr Ruhe für seine Studien zu gewinnen. Er betrieb deshalb die Angelegenheit ohne alles Feuer, ja so kühl, dass es uns nicht wundern darf, wenn nacheinander drei Versuche scheiterten. Die Erste schreckte zurück, weil ihr ein Brief Calvins gezeigt wurde, worin es hieß: „ich bin keiner von den verliebten Toren, die über einem hübschen Gesicht alles Andere vergessen und am Ende auch die Fehler ihrer Geliebten anbeten. Die einzige Schönheit die Eindruck auf mich macht, ist die, wenn eine Frau sanft sich zeigt, keusch, bescheiden, haushälterisch, geduldig, und die Pflege ihres Mannes ihr die Hauptsache ist.“ Die Zweite erbat sich Bedenkzeit, weil Calvin, ohne sich von ihrem Reichtum und ihrer hohen Herkunft bestechen zu lassen, im Hinblick auf die ihm als Lebensaufgabe vorschwebende Reformation von Frankreich von dem vornehmen deutschen Edelfräulein kategorisch die Erlernung der französischen Sprache verlangte. Von einer dritten wurde ihm, als das Versprechen schon gegeben war, berichtet, sie habe Hang zum Leichtsinn. Ohne einen Augenblick zu zögern, löste Calvin das kaum geknüpfte Band unverzüglich wieder und schrieb seinen Freunden, es werde das Beste sein, wenn er die Bemühungen dieser Art überhaupt aufgebe. Während er diesem Vorsatz nachkam, führte Gott ihm diejenige zu, die für ihn bestimmt war, und um derentwillen eben die Vorsehung alle jene menschlichen Heiratsprojekte hatte zu Wasser werden lassen. Es war Calvin schon einige Zeit vorher gelungen, eine Anzahl Wiedertäufer zur Kirche zurückzubringen. Unter diesen befand sich auch ein junges Ehepaar aus Lüttich, Johannes Storcker und Idelette von Büren. Nun starb der Mann an der Pest, und da der jungen Witwe die Rückkehr in die täuferischen Kreise der Heimat verschlossen war, so blieb sie mit ihren Kindern in Straßburg und hatte sich der Fürsorge der dortigen Reformatoren zu erfreuen. Butzer, der öfter mit ihr verkehrte, wurde überrascht von ihrer feinen Geistesbildung und frommen Demut und machte in seinem edlen Eifer für Ehestiftung Calvin sofort auf diese Perle aufmerksam. Weiter wissen wir nichts, als dass im September 1540 mit ziemlichem Gepränge die Hochzeit stattfand. Auch über die Ehe der Beiden erfahren wir sehr wenig. Als bald nach der Hochzeit Calvin von einem heftigen Unwohlsein befallen wurde, schrieb er an Farel, Gott habe ohne Zweifel durch diese Widerwärtigkeit die Freude der Honigwochen auf das rechte Maß zurückführen wollen. Und in dieser ernsten Stimmung blieb Calvins Familienleben. Beide Gatten kränkelten fortwährend, und die Kinder, die sie bekamen, starben jeweilen schon nach wenigen Tagen. Für Calvin freilich waren diese häuslichen Beschwernisse bei Weitem nicht die drückendsten. Ihm war Gottes Werk und Gottes Reich so wichtig, dass die Verhältnisse, Neigungen und Schicksale der eigenen Person ihm daneben ohne alle Bedeutung erschienen. Als einmal das junge Leben eines Söhnleins erlosch, indem es das Licht der Welt erblickte, da konnte er den Freunden schreiben: „ja, der HErr hat mir einen Sohn gegeben und ihn wieder genommen; mögen die Feinde mir das nun zur Schmach machen, wenn es ihnen gefällt! Zähle ich denn nicht meine Söhne zu Zehntausenden auf dem ganzen christlichen Erdkreis?“ Der viel geprüften Idelette mag wohl der tröstende Blick ins Große nicht so leicht geworden sein. Für sie ist der rücksichtslose Eifer, der ihren Gatten im Dienst des HErrn beseelte, so sehr sie denselben im Grund ihres Herzens geteilt hat, doch gewiss oft und viel eine Veranlassung zu schmerzlichster Selbstverleugnung gewesen, zumal sie mit zunehmender Kränklichkeit zu kämpfen hatte. Doch fand sie immer wieder bei der treuen Freundin ihres Herzens, der frommen Gattin Virets in Lausanne, Trost und Erquickung. Und wie sehr sie allmählich an der Seite Calvins zur gleichen Höhe des selbstvergessenden Glaubens hinangelangt war, erhellt deutlich aus dem Bericht, den Calvin im April 1549 über ihren Heimgang an Viret gesandt hat: „wie sie nie ängstlich gesorgt hatte um irdische Dinge, so vermied sie auch während der ganzen Krankheit, mir die Sorge zu zeigen, die ihr allein noch am Herzen liegen konnte, die Sorge für ihre Kinder aus erster Ehe. Indessen fürchtete ich, dass dies zarte Verschweigen sie doch innerlich quäle und fing somit von selber drei Tage vor ihrem Tod von der Sache zu sprechen an, indem ich sie versicherte, dass ich für die Hinterlassenen tun werde, was in meinen Kräften stehe. Sie antwortete sogleich, sie habe ihre Kinder schon Gott empfohlen; und auf meine Erwiderung, dies verhindere nicht, dass ich Sorge für sie trage, sagte sie: das bin ich von vornherein überzeugt, dass du nicht Kinder verlassen wirst, die Gott anbefohlen sind.“ Den Freundinnen aber, welche sie aufforderten, mit Calvin über ihre Kinder zu sprechen, gab sie eine Antwort, die, als sie dem Witwer nachher mitgeteilt wurde, einen überwältigenden Eindruck auf denselben machte. Die betreffenden Worte legen in gleicher Weise von Idelettes echt calvinischer Seelenstärke und von ihrem tiefen Verständnis für das ganze Wesen ihres Mannes Zeugnis ab. Sie lauten: „es ist nicht vonnöten, meinen Mann versprechen zu lassen, dass er die Kinder in keuscher Zucht und in der Furcht Gottes erziehe. Wenn sie fromm sind, wird er ihnen unaufgefordert Vater sein; wenn sie es nicht sind, so verdienen sie nicht, dass ich für sie bitte. „
Calvin hat sich nicht wieder verehelicht. Ungehindert von irgend welcher familiären Rücksicht, die ohnehin bei ihm dem Interesse für Gottes Reich nie Eintrag getan, lag er bei zunehmenden Jahren mit immer intensiverem Ernste seiner Lebensaufgabe ob: Genf zu einem christlichen Musterstaat und zugleich zu einem Herzpunkt zu machen, aus dem allen Ländern romanischer Zunge stets neue Impulse zur Reformation zuströmten.
Der Kreis von Frauen, welche „Gehilfinnen der Reformatoren“ genannt zu werden verdienen, ließe sich noch weit ausdehnen. Gott gab den treuen Herolden seines Wortes nicht nur geistig und geistlich ebenbürtige Gefährtinnen des persönlichen Lebens, sondern er ließ sie unter allen Schichten ihrer Zeitgenossen treue Glaubens- und Arbeits-Genossinnen finden. Und die Reformatoren ihrerseits wussten das hoch zu schätzen. Zwar für fade Courtoisie fehlte ihnen sowohl Geschmack als Zeit vollständig, sie konnten im Gegenteil gelegentlich, „the monstrous regiment of women“, wie John Knox sich ausdrückt, recht unhöflich perhorreszieren1). Dagegen wanden sie frommen Frauen in ihrer Weise freundlich einen Ehrenfranz. Mit der treuen Bekennerin des Evangeliums, welche neun Tage den Thron von England geziert, der ebenso heilsbegierigen als wissbegierigen Jane Grey hat unser schweizerischer Reformator Bullinger trotz ihrer zarten Jugend einen ernsthaften Briefwechsel unterhalten, und die Handschuhe, welche sie ihm vom Blutgerüst als Andenken hatte übersenden lassen, hat er Zeitlebens sorgsam aufbewahrt. Der tapfern Zellin (Katharina Schütz, Ehefrau des Straßburger Reformators Mathias Zell), welche bald für durchreisende Reformatoren und evangelische Flüchtlinge am Herde, bald für die große Sache der Reformation am Pulte tätig war, schrieb Luther wiederholt die freundlichsten Briefe. Uns mutet an ihr nicht nur die sprichwörtlich gewordene Wohltätigkeit an, sondern nicht minder die kraftvolle Verteidigungsschrift, mit der sie aus ihrem Witwenstübchen dem Angriff eines jungen Eiferers auf ihres „seligen Mathis“ Ehre als ein „Stück von seiner Ripp“ nach Gebühr heimleuchtete! Große Achtung genoss im Kreis der Reformatoren auch die konstanzische Diakonissen-Mutter Margaretha Blaurer. In echt evangelischer Weise hatte dieselbe die guten Bestrebungen der Nonnenklöster auf dem Boden der Reformation fortgeführt und umgestaltet und einen bald herrlich blühenden Verein von Frauen und Jungfrauen ihrer Stadt begründet zur Pflege von Kranken, Armen und Waisen.