Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - I. Die Aufgabe.

Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - I. Die Aufgabe.

Unter dem Donner des furchtbaren Krieges, den wir vor Kurzem erlebten, für eine Weile konnte vergessen werden, das drangt sich bereits wieder recht allgemein fühlbar auf; wir meinen die Wahrheit, welche das bekannte Wort von Goethe aussprach: im Grunde sei das einzige rechte Hauptthema der Geschichte der immer neue Kampf zwischen Glauben und Unglauben. Wohl wird das äußere Schicksal der Völker durch einen Krieg wie der kürzlich geführte in andre Bahnen geworfen. Aber nachdem die Kanonen verstummt sind, lernt man sich wieder allgemeiner besinnen, daß auf der Geisteswage gewogen die unblutigen Kämpfe um den Bestand des evangelischen Glaubens nicht leichter wiegen; gehen sie doch auf das, was die Seele des Lebens ist. Sie können einem klein, ja kleinlich vorkommen; viel Ungeschick, Mattigkeit, Schwachheit der Menschen mischt sich darein. Wer aber ein Jünger des Herrn sein will, darf sich durch nichts verleiten lassen, die Treue im Kleinen, ja im Kleinsten (Luk. 16,10) gering zu achten; und ein anvertrautes Kleinod wie der apostolische Glaube ist überdieß nichts Kleines. Es gibt ein Festhalten desselben nach dem alten Herkommen, das nicht verächtlich ist, denn es handelt sich um ein überliefertes hohes Gut. Aber je länger je weniger genügt nach außen und innen ein solcher Conservatismus. Er kommt nicht auf gegen die Neigung, das Alte preiszugeben, wobei sich manche noch leichthin trösten, als sei ja doch nur etwas Menschliches und darum Wunderbares verloren. Sollen Muth und Treue nicht hinfällig werden, so müssen wir mit Ernst die lebendige Einsicht in Wesen und Werth des Kleinods pflegen. Das ist es, was die folgende Untersuchung bezweckt.

Der apostolische Glaube, jenes uralte Bekenntniß: Ich glaube an Gott Vater, den Allmächtigen u. s. w., oder wie man in altkirchlicher Sprache sagt: das Credo, galt früher unangefochten als ein besonders wichtiges unter den fünf Hauptstücken der christlichen Religion. Nicht nur durch das ganze Mittelalter wurde dasselbe in allerlei Weise gebetet und gesungen, auch die Kirchen der Reformation, sowohl der deutschen als der schweizerischen, französischen, englischen u. s. w. hielten es hoch und theuer. Die Kinder wurden und werden auf dasselbe getauft; auch in der Abendmahlsliturgie von mehr als einer Schweizerkirche steht es noch heute oder ist nicht seit langem daraus verschwunden; in manchen Kirchen von Deutschland wie von Frankreich hat es jeden Sonntag im Gottesdienste seine Stelle; in der englischen Liturgie sogar in den täglichen Gebeten. Die klassischen Katechismen der Reformation, der lutherische wie der Heidelberger, legen es aus, und so werden auch die Katechumenen meist auf dieses Bekenntniß zum Abendmahl admittiert. Hat es so innerhalb unsrer Kirche seine wichtige Stelle, so ist es auch ein Band der Gemeinschaft, das vornehmste vielleicht, das uns mit der römischen Kirche verbindet. Und wenn die griechische Kirche statt desselben das nicäno-constantinopolitanische Bekenntniß braucht, so liegt darin keine Spaltung zwischen Ost und West; denn nicht nur kam das letztgenannte Bekenntniß von Anfang an auch im Abendland zur Geltung, wenn gleich nicht zum Gebrauch in der Taufe; sondern es zeigt sich auch mit dem sogenannten apostolischen Bekenntniß nahe verwandt; führt doch das nicänische im Morgenland den Namen des apostolischen (Zezschwitz, Katechet. II, S. 90). Beide haben durchaus den gleichen Grundstock; einige Ausdrücke des apostolischen fehlen wohl im nicänischen Bekenntniß, auch nach der Erweiterung, die es in Constantinopel gewann; statt dessen ist darin das Hauptstück von der Person Jesu Christi durch die Streitsätze des vierten Jahrhunderts bereichert. Man darf aber mit Zuversicht sagen: Wer in Wahrheit dem nicäno-constantinopolitanischen Bekenntniß zustimmt, der hat keinen wesentlichen Grund zu einer Einwendung gegen das einfachere Symbolum apostolicum. Es ist und bleibt dieses der älteste Ausdruck für den gemeinsamen Glauben der Christenheit.

Nach diesem Rückblick, welches verschiedene Bild zeigt uns die Gegenwart! Wie ist so vieles seit einem Vierteljahrhundert anders geworden! Vereinzelt, wohl auch schüchtern begannen damals die Angriffe auf den hergebrachten Bestand; und jetzt, wie wird bald überall in der protestantischen Kirche des europäischen Festlandes Sturm darauf gelaufen. In Deutschland noch bis vor kurzem am wenigsten offen. Zwar wird die Zahl derjenigen nicht so ganz klein sein, die sich dem ererbten Bekenntnis welchem sie innerlich fremd geworden, nur ungern anbequemen. Doch scheinen noch immer nicht wenige mit Schleiermacher sich zu beruhigen, daß sie für die liturgischen Formeln der Kirche nicht verantwortlich seien. Viel weniger versteht es der Geist der Franzosen, einen solchen Widerspruch zu ertragen zwischen dem offiziellen Brauch und der eigenen Ueberzeugung. So sehen wir denn die reformierte Kirche von Frankreich durch den hitzigsten Kampf für und wider das apostolische Glaubensbekenntniß gespalten. Derselbe Streit ist in Holland entbrannt, und nicht minder in unserm Vaterlande.

War dieß doch einer der Hauptpunkte, um den es sich 1868 bei der Revision der Zürcher Agende handelte: die Beseitigung des Apostolikums, oder da dieß noch nicht völlig zu erzwingen war: die Aufstellung von Tauf- und Abendmahlsformularen, aus denen es ausgetilgt war, neben solchen, die es noch enthielten. Einer der Hauptvertreter des „Fortschritts“ hat damals in gewohnter Offenheit eingeräumt: man sage mit vollem Recht, der Bekenntnißstand der Zürcher Kirche sei dadurch geändert (Reformblätter II, 541). Er meinte freilich beifügen zu können: aus der Unwahrheit in die Wahrheit. Wir aber können höchstens zugeben, daß es für manche ein Uebergang zur Wahrhaftigkeit gewesen sei; die göttliche Wahrheit aber ist noch etwas anderes. Bekanntlich hatte der abtretende große Rath nicht den Muth, der mühsamen Geburt jener Doppelagende seine Gutheißung zu ertheilen; und auch der jetzige, wenn er vor einiger Zeit beschloß, er habe nichts gegen den Druck derselben einzuwenden, gab keine sehr freudige Zuversicht zu erkennen. Die Praxis mancher Pfarrer war schon vor diesem Beschlüsse willkürlich genug.

Weiter steht bereits in der Liturgie für Graubünden und Glarus, 1868, beim apostolischen Glaubensbekenntniß die Anmerkung: kann unter Umständen weggelassen werden. Welches diese Umstände seien, wird mit keiner Silbe naher bestimmt. Es wird so ziemlich, wo nicht etwa die Rücksicht auf die Gemeinden noch hindert, vom willkürlichen Gutfinden der Pfarrer abhängen. Gleiches zu erringen ist unstreitig der Wunsch der Reformer in den andern Kantonen. Im Jahr 1871 ist an mehr als Einem Ort unsers Vaterlandes ein Ruck vorwärts in dieser Sache geschehen. Das bezeugen die Beschlüsse des großen Raths von Basel (den 2. Mai), der St. Galler Synode (den 20. Juni), der Bernischen (am 28.), endlich des Genfer Consistoriums (den 3. Oktober). Die St. Galler haben eine Revision der Liturgie nach dem Muster von Zürich beschlossen, mit der Hauptabsicht, das apostolische Symbolum zu beseitigen oder doch freizugeben. Die Genfer Kirchenbehörde gestattete jedem Pfarrer aus der Liturgie wegzulassen, was ihm beliebe, nur unter der Bedingung, daß er davon Anzeige mache, und sofort strichen ihrer etliche unter anderm das apostolische Bekenntniß. In Bern und Basel haben einstweilen die Reformer noch nicht das gleiche Resultat errungen. Aber schwerlich haben jene siebzehn Berner Pfarrer die Meinung geändert, die sie am 12. Mai 1869 neben den eifrigsten Versicherungen ihrer Christlichkeit ungescheut mit den Worten aussprachen: „Wir halten es für eine Schmach, daß eine Glaubensbekenntnißformel, die theilweise ganz krasse und unwahre Sätze enthält, überhaupt aber weder den protestantischen noch den apostolischen, sondern den katholischen Glauben ausspricht, immer und immer noch in unsrer Kirche gebraucht werden soll.“ Es wird unsere Aufgabe sein, unsern Lesern zu einer genaueren Einsicht in die krassen und unwahren, noch dazu katholischen Sätze behülflich zu sein, damit sie urtheilen können, auf welcher Seite von Schmach zu reden sei. Auch an Leser in Deutschland denken wir. Setzen doch mehr und mehr auch dort die Gegner des apostolischen Glaubens ihre unverhüllten Angriffe von einer Stadt zur andern in Szene.

Wir haben alle schon oft genug versichern hören: heutzutage könne Niemand mehr, wenigstens kein gebildeter Mann, der den Fortschritt der Wissenschaft kenne, vernünftiger und ehrlicher Weise den alten Glauben festhalten. Diese Behauptungen werden so unermüdlich wiederholt, daß sie dadurch, wenn auch nicht an Wahrheit gewinnen, so doch unmerklich den unselbständigen Geistern sich einprägen, bei Vielen zum Vorurtheil werden, das man gar nicht mehr prüft, und auch Halbwiderstrebende so weit einschüchtern, daß sie meinen: etwas von Concessionen müsse man doch jedenfalls machen. Sehen wir diesen Sachverhalt an, so wird man uns nicht widersprechen können, wenn wir sagen: es ist dringend nöthig, jenen stets wiederholten Versicherungen entgegen immer wieder mit Nachdruck zu erinnern: es gibt noch allezeit solche, ob viele oder wenige, vielleicht mehr als den Reformern lieb ist, es gibt ihrer noch allezeit, die nicht gesonnen sind auf Bildung und Wissenschaft zu verzichten, und die sich gleichwohl von Herzen mit dem Kern unsres Volks zum ganzen Inhalt des apostolischen Glaubens bekennen.

Es ist aber noch nicht genug, solches zu bezeugen; es gilt auch geschichtlich nachzuweisen, wie es um die Sache steht, und weiter für das Festhalten am alten Glauben Grund zu geben; damit die Gleichgesinnten vereinigt und dadurch gestärkt werden; damit auch den Wankenden Muth gemacht werde; damit es allen zum Bewußtsein komme, daß und warum es eine große Sache sei, das anvertraute Kleinod zu wahren; und das nicht etwa nur in gesetzlichem knechtischem Gehorsam, sondern mit freiem evangelischem Gewissen, mit dankbarem Herzen, indem wir uns dazu als zu dem, was den Hort und Halt unseres Lebens in sich schließt, mit Freuden bekennen.

Unsre Aufgabe ist uns durch die Weltlage nicht eben leicht gemacht. In den gleichen heißen Julitagen von 1870, einen Tag bevor Frankreich in Berlin den Krieg erklärte, gieng für den Augenblick fast unbemerkt die Krönung des römischen Wahnglaubens vor sich. Wer tiefer blickte, mußte sich schon damals sagen: die dekretierte Unfehlbarkeit des Papstes wird der Christenheit, auch der protestantischen, noch mehr Noth bereiten als ein Krieg mit eisernen Waffen, Auch eine Verbannung des Papstes tötet das Papstthum nicht; durch ein Martyrium könnte es seinen Anhängern nur um so theurer werden und ihren Fanatismus entstammen. Concilbeschlüsse kann man nicht mit Kugeln treffen und auch durch Verhöhnung nicht ersticken. Wir wissen nicht, welche Kämpfe noch durch jenes unselige Dogma können entzündet werden. Das aber ist jetzt schon abzusehen, daß auch den evangelisch gesinnten Protestanten durch das, was in Rom geschehen, der Stand erschwert ist. Man wird sich nicht nur gegen jene äußerste Verirrung, sondern gegen jeden positiven Glauben erhitzen. Die römischen Beschlüsse werden als ein warnendes Denkzeichen gelten müssen, daran man sehen könne, wohin man auf dem Wege der Orthodoxie gelange. Gegen dieses ganze System der Verdummung, der Knechtung, der Heuchelei könne nichts anderes helfen als die völlige Befreiung von aller Autorität des alten Glaubens.

Wir unsrerseits können uns dieser behaupteten Consequenz nicht unterwerfen. An den Reformatoren sehen wir, mit welchem Erfolg sie die römische Hierarchie bekämpften, nicht etwa nur ungeachtet ihres Hangens am apostolischen Glauben, vielmehr gerade in Kraft desselben; sie hatten nichts ausgerichtet, wenn sie gleich den zerfahrenen Geistern, die schon damals nicht fehlten, auch dieses Fundament verlassen hätten. Und auch heute müßte es sich erst noch zeigen, wie lang eine Kirche bestünde, aus welcher die Elemente des positiven evangelischen Glaubens völlig ausgemerzt wären. Darum lassen wir uns weder durch die hierarchische Knechtung rechts, noch durch die falsche Freiheit links in unsrer Ueberzeugung irre machen, sondern gehen gerade vorwärts und versuchen uns und den Lesern klar zu machen, wie es geschichtlich um den apostolischen Glauben stehe und welchen guten Wahrheitsgrund wir haben, an demselben festzuhalten.

Die Haupthilfsmittel, die wir für den nun folgenden geschichtlichen Theil benützt haben, sind: die Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der apostolisch-katholischen Kirche, von Hahn, 1842; das Referat von Stockmeyer auf der Predigergesellschaft in Zürich, 1845; der Artikel von Güder: Glaubensregel, in Herzogs Realencyclopädie; vorzüglich aber die Katechetik von Zezschwitz, II, 71 ff. (1864). Hier nämlich werden die Ergebnisse der gründlichen Forschungen von Caspari mitgetheilt, durch welche das, was man seit Hahn wußte, vielfach ergänzt und auch berichtigt wurde. Namentlich lernen wir durch diese Nachweisungen viel genauer zwischen der Entwicklung der morgenländischen und derjenigen der abendländischen Kirche unterscheiden.

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