Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 58. Psalm.
1. Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme. 2. Seid ihr denn stumm, dass ihr nicht reden wollt, was recht ist, und richten, was gleich ist, ihr Menschenkinder? 3. Ja mutwillig tut ihr Unrecht im Lande, und geht stracks durch mit euern Händen zu freveln. 4. Die Gottlosen sind verkehrt von Mutterleibe an, die Lügner irren von Mutterleibe 5. Ihr Wüten ist gleich wie das Wüten einer Schlange, wie eine taube Otter, die ihr Ohr zustopft, 6. Dass sie nicht höre die Stimme des Zauberers, des Beschwörers, der wohl beschwören kann. 7. GOtt, zerbrich ihre Zähne in ihrem Maul, zerstoße, HErr, die Backenzähne der jungen Löwen. 8. Sie werden zergehen wie Wasser, das dahin fließt. Sie zielen mit ihren Pfeilen, aber dieselben zerbrechen. 9. Sie vergehen, wie eine Schnecke verschmachtet, wie eine unzeitige Geburt eines Weibes sehen sie die Sonne nicht. 10. Ehe eure Dornen reif werden am Dornstrauch, wird sie ein Zorn so frisch wegreißen. 11. Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Rache sieht, und wird seine Füße baden in des Gottlosen Blut. 12. Dass die Leute werden sagen: Der Gerechte. wird seiner ja genießen; es ist ja noch GOtt Richter auf Erden.
Der 58. Psalm hat 1) die Überschrift: Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme. Der Psalm selbst hat es mit der schweren Versuchung zu tun, die einem beim Lauf durch die Welt oft vorkommen kann, dass man oft Männer und Leute in Ämtern stehen sieht, die aber ihre Pflicht und das Beste Anderer wenig beobachten, sondern mit Ungerechtigkeit und gottlosem Wesen das Böse vielmehr empor bringen, als dass das Gute Hilfe und Förderung von ihnen hätte. Auch dagegen stärkt sich nun David in seinem Gebet, so dass er 2) die Bosheit solcher Leute nachdrücklich aufdeckt, und ihnen selbst ans Gewissen redet, V. 2-6. Je weniger Gerechtigkeit in der Welt anzutreffen und zu erhalten ist, desto mehr soll das Warten und Hoffen auf den neuen Himmel und die neue Erde, darinnen Gerechtigkeit wohnt, bei einem gestärkt werden. Da Salomo unter anderem Anblick der eitlen Welt auch Stätte des Gerichts sah, da ein gottloses Wesen war, und Stätte der Gerechtigkeit, da Gottlose waren; so nahm er daraus die Lehre: GOtt muss richten den Gerechten und Gottlosen. So gar soll man sich also den Strom nicht hinreißen lassen, sondern vielmehr daraus eine Anmahnung nehmen: es ist ja noch GOtt Richter auf Erden. Der Gerechte wird es noch zu genießen haben. Je mehr Hohe und Niedere, Reiche und Regenten erblich werden, desto mehr ist zu sorgen, dass Leute darin aufkommen, wie der Psalm beschreibt: die von Mutterleib an verkehrt sind, die von Jugend an Herz und Ohr von der Wahrheit abwenden, und dafür gestraft werden. Hingegen war die vorige Regierungsweise unter den Richtern darin bequem, dass es eben einer war, den GOtt besonders dazu erweckte, und mit Mut und Redlichkeit ausrüstete. Jetzt muss sich freilich ein Christ in das schicken, wie er es in der Welt antrifft. Sein Glaube an das Reich GOttes wird ihm immer auch der Sieg sein über die Welt, und was er unter dem übel bestellten Regiment zu leiden hat.