Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 109. Psalm.

Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 109. Psalm.

1. Ein Psalm Davids, vorzusingen. GOtt, mein Ruhm, schweige nicht. 2. Denn sie haben ihr gottloses und falsches Maul wider mich aufgetan, und reden wider mich mit falscher Zungen; 3. Und sie reden giftig wider mich allenthalben, und streiten wider mich ohne Ursache. 4. Dafür, dass ich sie liebe, sind sie wider mich; Ich aber bete. 5. Sie beweisen mir Böses um Gutes, und Hass um Liebe. 6. Setze Gottlose über ihn; und der Satan müsse stehen zu seiner Rechten. 7. Wer sich denselben lehren lässt, des Leben müsse gottlos sein, und sein Gebet müsse Sünde sein. 8. Seiner Tage müssen wenige werden, und sein Amt müsse ein anderer empfangen. 9. Seine Kinder müssen Waisen werden, und sein Weib eine Witwe. 10. Seine Kinder müssen in der Irre gehen und betteln, und suchen, als die verdorben sind. 11. Es müsse der Wucherer aussaugen alles, was er hat; und Fremde müssen seine Güter rauben. 12. Und Niemand müsse ihm Gutes tun, und Niemand erbarme sich seiner Waisen. 13. Seine Nachkommen müssen ausgerottet werden, ihr Name müsse im andern Glied vertilgt werden. 14. Seiner Väter Missetat müsse gedacht werden vor dem HErrn, und seiner Mütter Sünde müsse nicht ausgetilgt werden. 15. Der HErr müsse sie nimmer aus den Augen lassen, und ihr Gedächtnis müsse ausgerottet werden auf Erden. 16. Darum, dass er so gar keine Barmherzigkeit hatte; sondern verfolgte den Elenden und Armen, und den Betrübten, dass er ihn tötete. 17. Und er wollte den Fluch haben, der wird ihm auch kommen; er wollte des Segens nicht, so wird er auch ferne von ihm bleiben. 18. Und zog an den Fluch, wie sein Hemd, und ist in sein Inwendiges gegangen wie Wasser, und wie Öl in seine Gebeine; 19. So werde er ihm wie ein Kleid, das er anhabe, und wie ein Gürtel, da er sich allewege mit gürte. 20. So geschehe denen vom HErrn, die mir zu wider sind, und reden Böses wider meine Seele. 21. Aber Du, HErr HErr, sei du mit mir, um deines Namens willen; denn deine Gnade ist mein Trost, errette mich. 22. Denn ich bin arm und elend, mein Herz ist zerschlagen in mir. 23. Ich fahre dahin wie ein Schatten, der vertrieben wird, und werde verjagt, wie die Heuschrecken. 24. Meine Knie sind schwach von Fasten; und mein Fleisch ist mager, und hat kein Fett. 25. Und ich muss ihr Spott sein; wenn sie mich sehen, schütteln sie ihren Kopf. 26. Stehe mir bei, HErr, mein GOtt; hilf mir nach deiner Gnade, 27. Dass sie inne werden, dass dies sei deine Hand, dass Du, HErr, solches tust. 28. Fluchen sie, so segne Du. Setzen sie sich wider mich, so müssen sie zu Schanden werden; aber dein Knecht müsse sich freuen. 29. Meine Widersacher müssen mit Schmach angezogen wer den, und mit ihrer Schande bekleidet werden, wie mit einem Rock. 30. Ich will dem HErrn sehr danken mit meinem Munde, und ihn rühmen unter Vielen. 31. Denn er steht dem Armen zur Rechten, dass er ihm helfe von denen, die sein Leben verurteilen.

Der 109. Psalm heißt in seiner Überschrift: Ein Psalm Davids, vorzusingen. Ist auch einer von den Leidens-Psalmen, und wird im Neuen Testament besonders von den Leiden, durch den ungetreuen Jünger Judas verursacht, angezogen. Er enthält vor andern Vieles von schweren Flüchen, die nach GOttes Vergeltungsrecht über die kommen werden, die diese Trübsal angelegt haben. Darüber entsteht billig die Frage: Wie hat man es doch anzusehen, dass unser lieber Heiland bei Seinem wirklichen Leiden eine so unverbrüchliche Stille und Geduld bewiesen, und hier hingegen kommen so schwere Flüche vor? Er stellt es bei aller Geduld Dem heim, der da recht richtet, 1. Petr. 2,23. Durch alle Geduld des Leidenden wird der Gerechtigkeit GOttes nichts vergeben. Der da recht richtet, behält doch Sein Recht an Den, der Trübsal anlegt, auch wenn der Leidende Fürbitte tut: Vergib es ihnen, behalte ihnen diese Sünde nicht, so gilt es zwar vor GOtt als ein liebliches Opfer. Aber ob wirkliche Vergebung erfolgen kann, das kommt noch auf Den an, der Unrecht getan hat, ob und wie er sich zur Erkenntnis und Abbitte seines Unrechts bringen lässt.

Den HErrn, der ihm Recht spricht, hatte der HErr JEsus in Seinem Leiden wohl vor Augen, Jesaj. 50,6-8. Daraus stärkte Er sich aber in Seiner Geduld. Dass aber hier und anderswo so bittere Klagen und schwere Flüche vorkommen, das hat man so anzusehen: Beim unschuldigen Leiden ist im Herzen zweierlei. Eines Teils eine Empfindung, die der Leidende notwendig hat von dem Unrecht, so ihm widerfährt, und mithin auch von der Ansprache, die er an die Gerechtigkeit GOttes hat; andern Teils aber die Geduld, oder die Stärke des Herzens, womit er die Empfindlichkeit überwindet, und seine Ansprache an die Gerechtigkeit GOttes wohl gar in Fürbitte verwandelt. Beides kann auf einmal im Innersten des Leidenden vorgehen. Aber es kann nicht auf einmal vorgestellt und in Worte gefasst werden, darum ist es so geteilt, dass das eine in den Leidens-Psalmen vor Augen gestellt ist, und doch das Andere unter dem wirklichen Leiden an dem Lamm GOttes geleuchtet hat. Das erste taugt ohnehin besser in die Schriften des Alten Testaments, und wie der Geist GOttes damals bei dem noch nicht so weit verklärten Geheimnis des Kreuzes vom Leiden gezeugt hat, das Andere aber ist der Art des Neuen Testaments gemäßer, wo die Hoffnung der Herrlichkeit unter dem Leiden schon mehr hervorgebrochen war, und der Geist GOttes als ein Geist der Herrlichkeit über dem Leidenden ruhet, und also die Stille und Geduld auch völliger sein kann. Neben dem wird auf diese Weise auch etwas zur Verwahrung gesetzt, dass man an der Stille und Geduld des Leidenden nicht Gelegenheit nehme, sich desto frecher an Ihm zu versündigen, sondern fein auch bedächte, was zum Voraus auf seine Feinde ausgesprochen und geschrieben sei. So hat es auch unser lieber Heiland dem Judas neben einander hingelegt, Matth. 26,24. Des Menschen Sohn geht zwar dahin doch wehe dem Menschen - und endlich hat diese Vorherverkündigung der Schrift dazu gedient, dass dem Ärgernis vorgebeugt wurde, welches sonst für die Redlichen, aber in den Kreuzes Wegen Unerfahrenen viel schwerer gewesen wäre. Darum hat sich der liebe Heiland auch in dem Vorfall mit Judas gegen Seine Jünger auf die Schrift bezogen, und Petrus nachgehends Apostelg. 1,16. ausdrücklich auf diesen 109. Psalm. Übrigens lässt sich derselbe füglich in zwei Teile einteilen, und fängt an 1) mit Gebet, aber so, dass die Klage und Beweggrund zur Erhörung von der Feinde Bosheit und Falschheit hergenommen ist, und also GOttes Vergeltungs-Recht über sie angerufen wird, V. 1-20. 2) Von dem wendet sich nun das Gebet so, dass die Klage und Beweggrund zur Erhörung von des Leidenden großem Elend hergenommen ist, und dabei verspricht er sich zuversichtlich einen guten Ausgang, V. 21-31. So hatte unser leidender Heiland unter Seinem Leiden eine Seele, in welcher GOtt verkläret war, und einen Leib voll Leiden, Schmerzen, Schmach und Hohn. Aber was GOttes Hand herausgebracht, das wird nun im Evangelio verkündigt und uns zum Glauben und Genießen vorgehalten.

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autoren/r/rieger_k/rieger-psalmen-psalm_109.txt · Zuletzt geändert: von aj
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