Rieger, Georg Conrad - Auszug aus einem Vortrage über das Gleichniß Jesu von dem verlornen Schafe.

Rieger, Georg Conrad - Auszug aus einem Vortrage über das Gleichniß Jesu von dem verlornen Schafe.

Die gefunden sind, und wissen, daß sie gefunden sind, denen muß das Herz leben, und im Leibe lachen. Diese sind Zeugen, daß der Herr Jesus nicht nur anfange, ein verirrtes Schaf zu suchen: sondern daß Ers suche, bis Ers finde; und euch hat Er gefunden! Nun kennet ihr den, der euch von Jugend auf nachgegangen ist; nun kennet ihr den, der euch in alle eure Büsche und Schupflöcher der Wüste dieser Welt nachgeschlichen ist; ihr kennet nun den, der nicht ohne euch seyn wollte, da ihr mit Gewalt ohne Ihn leben und wandeln wolltet; nun kennet ihr den, der euch so lange angelegen, solange an euer Gewissen geschlagen, so lange gelocket, so lange an eurem Herzen angehalten, bis ihr euch endlich ergeben habt! Der dieses alles an euch gethan, ist Jesus, der gute Hirte, der Liebhaber eurer Seelen. Dem sollet ihr zu Ehren auftreten, mit eurem Mund bekennen, und den Leuten sagen: Es stehet im Text, und dessen Vergleichung mit Luc. 15, 4. Der Hirte suche das verlorne einige Schaf, bis daß ers finde. Und dies ist wahr! Ich habs erfahren. Ich war auch störrig und hartnäckig. Aber der ewigtreue Heiland Jesus Christus hat nicht abgelassen ,und ist nicht von meinem Herzen gewichen, bis Er mich finden, fassen und heimtragen konnte.

Darnach mögen auch solche Seelen seyn, die wirklich spüren, daß sie gesucht werden: Aber die Versicherung und tröstliche Gewißheit noch nicht empfinden, daß sie gefunden seyn. Denn solcher giebts unter den Gemeinden immer manche, die die an ihnen arbeitende kräftige Gnade Gottes nicht verleugnen können. Sie sind dahin gebracht, daß sie sich für irrende Schafe erkennen; sie wollen nicht tiefer fortlaufen in das wüste unordentliche Wesen der Welt; sie schämen sich vielmehr über ihrem thörichten bisherigen Wandel; sie bereuen ihren Ungehorsam und Eigenwillen; sie stehen still auf dem Wege; sie schauen zurück nach der glückseligen Heerde, die sie verlassen haben, und wünschen, daß sie auch unter ihnen wieder wären. Aber bey dem allem sehen sie eben nichts an sich, als Untreue, Abweichung, Rathlosigkeit, Mattigkeit, Verirrung und Verlohrenseyn. Sie denken, der Herr werde des Erbarmens über sie müde worden seyn; sie haben so gar viel Gnade vergeblich empfangen; sie hätten dieselbe eher wohl gebrauchen sollen. Jetzt möchte der Hirte in seinem gerechten Unwillen sie dahin gegeben und gesagt haben: Ich will eurer nimmer hüten. Was da verschmachtet, das verschmachte; was da stirbet, das sterbe; und die übrigen fresse ein jedes des andern Fleisch, Zachar. 11, 9. Und freylich muß ein solches muthwillig ausgeschweiftes und lange herumvagirendes Schaf vor diesem gerechten Eifer seines Hirten sich auch fürchten, und sehr erschrecken lernen. Aber doch, wenn jemand dieser Gattung unter euch ist: der lasse mich jetzt nur mit diesem meinem Evangelio, so ich in meinen Händen trage, ihm an sein Herz kommen. Ist dein Zustand nicht so beschaffen, wie ich ihn oben beschrieben? Mußt du nicht bekennen, diese und diese Bewegungen finden sich in dir? Wärest du nicht gern aus der Irre wieder daheim bey der Heerde? Und wolltest du nicht daran erkennen, daß dein Hirte dich eben damit suche? Was du in dir fühlest, zeiget an, daß Er dich suche. Siehe, das Verlangen so du spürest, daß du möchtest aus der Irre zu recht gebracht werden, ist sein Suchen. Wenn du das nicht leugnen kannst, so sage ich: Hat der Heiland angefangen, dich zu suchen: ey so ists so viel, als gewonnen. Denn Er suchet das Schaf, bis daß Ers findet. Hat er einen solchen Halt bey dir gemacht: so wird Er nicht nachlassen, bis Ers vollendet hat. Wer Suchen bey sich spürt, der tröste sich, daß auch das Finden darauf folgen werde. Wer da suchet, der findet, hat Christus von unserm menschlichen Suchen versichert, Matth. 7, 8. Wie viel mehr wird solches bey seinem göttlichen Suchen eintreffen! du bist also nahe bey deinem Hirten. Entzeuch dich nur nicht wieder denen über dich hingeworfenen Liebesseilen. Halte nur an im Verlangen. Das kann nicht fehlen. Da du noch entliefest, und kein Verlangen nach der Umkehr zu deinem Hirten hattest, so lief Er dir doch nach; wie vielmehr muß Er sich deiner annehmen, da du jetzund nach Ihm verlangest, und gern wieder zurück gebracht wärest!

Es sind aber auch solche Seelen hie oder anderswo, die der Hirte ihr Lebtag gesucht, ja kein Gehör von Ihnen erlanget hat. Wo denket ihr aber hin? und was wirds denn zuletzt mit euch werden? Ach! daß jetzt das selige Tempo wäre, da Ihr euch auf so langes Suchen endlich finden ließet! Als Kis, der Vater Sauls, seine Eselinnen verloren hatte, und seinen Sohn sammt einem Knaben dieselbe zu suchen ausgesendet, so heißt es: Sie giengen durch das Gebirge Ephraim, und funden sie nicht; sie giengen durch das Land Salisa, und funden sie nicht; sie giengen durch das Land Saalim, und sie waren nicht da; sie giengen durchs Land Jemini, und funden sie nicht, 1 Sam. 9, 3. 4. Wie ist es mir so betrübt, o Sünder, daß ich hie deinen widerwärtigen Zustand so eigentlich abgemahlet finde! Du hast dich schon vorlängsten verirret von Gott, in die Welt hinein. Der Vater im Himmel hat alsobald seinen Sohn gesendet, sammt einem Diener und Prediger, dich zu suchen. Sie thatens auch, und suchten dich; aber sie funden dich nicht. Sie suchten dich schon in der Schule; und funden dich auch da nimmer. Sie suchten dich in der Kirche; und funden dich nicht; im Beichtstuhl, und funden dich nicht; im Vaterland, und funden dich nicht; in der Fremde, und funden dich nicht; auf der Universität, und funden dich nicht; in der Werckstatt, und du warest nicht da. Du bist an manchem Ort in der Welt gewesen, und überall hat dich der Hirte gesuchet, aber nirgend gefunden. Du hast manchen Prediger dein Lebtage gehöret, der dich gesuchet hat; aber keiner ist so glücklich gewesen, dich zu finden. Dein Heiland ist dir aufs Gebirge Ephraim, und in die Thäler Salisa und Saalim, durch Ehre und Erniedrigung, durch gute und böse Tage nachgefolget: aber überall hats bisher geheißen: Und er fand dich nicht. Wie traurig ist das! wie schändlich ist das! wie unglückselig ist das! Aber auch wie verwunderlich ist das, daß dich der Herr Jesus doch noch suchet; daß Er dich eben jetzt suchet! Ach! laß dich nur jetzt noch finden, so spät es ist, so lange es angestanden haben mag! wenns nur noch endlich gefunden heißt, ehe dich der Tod in deiner Irre und Dürre übereilet! Als Saul die Eselinnen an allen diesen oben benannten Orten nicht gefunden hatte: so gieng er noch ins Land Zuph, und wenn er sie da nicht finde, wollte er sie fahren lassen, und wieder heim ziehen. Aber eben da hörte er, daß die Eselinnen gefunden wären. Ach! daß ich hie alle widersetzliche und muthwillige Sünder vor mir hätte! Ach! daß ich ihnen alle die Gänge, alle die Mühe, alle die Geduld und Langmuth, die der Herr mit ihnen gehabt, zu Gemüthe führen, und ernstlich fragen könnte: Ob sie sich denn hierüber gar nicht schämeten? Ob sie denn alles dieses an sich wollten lassen verloren seyn? Mensch! Du bist ja kein Thier; du hast eine unsterbliche Seele! Ach! daß du dich doch eben jetzt von Jesu finden ließest!

Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.

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