Quandt, Carl Wilhelm Emil - Micha - Das siebente Kapitel.

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Micha - Das siebente Kapitel.

In Jesu Namen. Amen.

Von allen Kapiteln unseres prophetischen Buchs hat dieses letzte den größten evangelischen Anhauch. Der Prophet steht in ihm da als bekleidet mit dem Evangelistenmantel und predigt von der Barmherzigkeit, die sich rühmet wider das Gericht. Er hatte in dem ersten Haupttheil, Kap. 1 - 3, die richtende Gerechtigkeit Gottes geschildert, wie sie sich in Strafgerichten offenbaren werde sowohl an dem nördlichen Reich Ephraim, als auch an dem südlichen Reiche Juda, dessen Bürger der Prophet selber war. Er hatte in dem zweiten Haupttheil, Kap. 4-6, die erlösende Barmherzigkeit Gottes geschildert, wie sie von Zion aus in dem, der da kommen sollte aus Bethlehem Ephrata, sich offenbaren werde an den Uebrigen aus Israel, so viele ihrer als gottesfürchtig und redlich sich erfinden würden. Nun im Schlußkapitel macht er die Abrechnung zum Troste derer, denen unter den Trümmern einer düsteren und unverbesserlichen Gegenwart das Herz zagen und verzagen wollte: Die Gerichte der strafenden Gerechtigkeit werden und müssen ja hereinbrechen über die Masse des Volks, denn Juda ist verderbt an Haupt und Gliedern, reif zum Untergang, eine wurmstichige Frucht; aber das kleine Häuflein der Gerechten, das sich jetzt verkriechen und schweigen muß, darf sich der seligen, messianischen Zukunft getrösten, zu der Gottes Barmherzigkeit es durch alle Gerichte hindurchtragen wird. Die Schilderung der messianischen Zeit in diesem Schlußkapitel ist gar süß, wird aber allerdings in Einem Stücke von der ähnlichen Schilderung Kap. 5 übertroffen: Die erhabene Gestalt des Messias, die uns dort entgegenleuchtete, tritt hier zurück.

Die nähere Gliederung des letzten Kapitels ist folgende:

  1. V. 1-6. Fortsetzung der Klage über den verzweifelt bösen Schaden Josephs.
  2. V. 7-17. Tröstlicher Blick auf die Zukunft des messianischen Heils.
  3. V. 18-20. Der erhabene Schluß des Buchs: Ein Preis der göttlichen Barmherzigkeit.

V. 1. „Ach es gehet mir wie Einem, der im Weinberge nachlieset, da man keine Trauben findet zu essen, und wollte doch gerne der besten Früchte haben.“ - Wörtlich: Wehe mir! Ich bin wie Einer nach der Obsternte oder der im Weinberge nachliest, da keine Trauben gefunden werden zum Essen, noch gute Feigen, daran man sich erquicken könnte. Unter dem Bilde des Weinbergs erscheint Israel schon im Hohenliede, und auch sonst wird das Reich Gottes im alten und im neuen Testamente oft mit einem Weinberge verglichen Jes. 5; Matth. 20, 1; 21, 33. In der schweren Zeit, da Micha weissagt, war der Weinberg Israels verwüstet. Es stand in Juda und Jerusalem, wie wenn ein Armer bei der Nachlese in Obstgarten und Weinbergen fast nirgends mehr eine Traube oder Feige findet. Diese Prophetenklage hat auch indes späteren Zeiten, auch in Zeiten des neuen Bundes oft ihren Widerhall gefunden in den Herzen treuer Diener Gottes und nicht blos solcher, die sich aus fleischlicher Schwarzseherei darin gefallen, unter allen Umständen die Vergangenheit hoch zu heben auf Kosten der Gegenwart. Dr. Martin Luther hat's gesungen über seine Zeit, und treue evangelische Hirten klagen es über unsere Zeit:

Ach, Gott vom Himmel, sieh darein
Und laß dich doch erbarmen,
Wie wenig sind der Heil'gen dein.
Verlassen sind wir Armen.
Dein Wort man läßt nicht haben wahr,
Der Glaub' ist auch verloschen gar
Bei allen Menschenkindern.

V. 2. „Die frommen Leute sind weg in diesem Lande, und die Gerechten sind nicht mehr unter den Leuten. Sie lauern alle auf's Blut; ein Jeglicher jagt den andern, daß er ihn verderbe.“ - Das Bild des ersten Verses erhält hier und im Folgenden seine Deutung. Micha redet nicht als ein Rechenmeister, sondern als Prophet. Wie zu Elia Zeit, so gab es auch zu Micha's Zeit immer noch ihrer Siebentausend, die ihre Knie nicht beugten vor Baal und nicht mit dem Strome des Verderbens schwammen; redet der Prophet doch hinterher selbst im Namen dieser Siebentausend und zum Troste dieser Siebentausend. Aber wenn man den Eindruck schildert, den eine wüste Landschaft macht, hält man sich nicht mit Beschreibung von ein paar Blumen auf, die irgend wo verborgen blühen. Auch unser Heiland, da er das Verhalten Jerusalems gegen ihn im Ganzen und Großen schildert, läßt einen Nicodemus, einen Joseph von Arimathia unerwähnt und klagt über alle Kinder Jerusalems: „Ihr habt nicht gewollt!“ „Sie lauern alle auf's Blut“ ist ein Bild, das sofort gedeutet wird: „Ein jeglicher jagt den andern, daß er ihn verderbe.“ Es war eben bei Israel Alles auf den Kopf und das Oberste zu unterst gestellt. Während es eine Generalregel im Reiche Gottes ist, daß, wie St. Paulus Röm. 15, 2 schreibt, ein jeglicher sich also stelle, daß er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung, kannte das abgefallene Israel nur die wilde Jagd der Sünde, da ein Jeder dem Nachbar Gruben gräbt. Der Meister in dieser wilden Jagd ist der böse Feind, der da umhergeht wie ein brüllender Lowe und suchet, welchen er verschlinge.

V. 3. „Sie meinen, sie thun wohl daran, wenn sie böses thun. Was der Fürst will, das spricht der Richter, daß er ihm wieder einen Dienst thun soll. Die Gewaltigen rathen nach ihrem Muthwillen, Schaden zu thun, und drehen es, wie sie wollen.“ - Wörtlich: Zum Bösen sind die Hände bereit, es gut zu vollbringen; der Fürst verlangt und der Richter läßt sich bestechen; der Große sagt, was seiner Seele gelüstet; so drehen sie den Strick zusammen. - Das allgemeine Verderben wird nun nach seinen speciellen Hauptpunkten geschildert, und zuerst die Bestechlichkeit der Richter hervorgehoben. Die Richter stellen in besonderem Sinne das Ebenbild Gottes in sich dar, also daß sie selbst Götter genannt werden 2 Mose 21, 6; wenn sie ihre Hand durch Bestechung beflecken, ist Jammer im Lande, und ihnen selber gilt dann, was Assaph ihnen sagt im 82. Psalm: „Ich habe wohl gesagt, ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten; aber ihr werdet sterben, wie Menschen und wie ein Tyrann zu Grunde gehen!“

V. 4. „Der beste unter ihnen ist wie ein Dorn, und der Redlichste unter ihnen (schlimmer) wie eine Hecke. Aber wenn der Tag deiner Prediger kommen wird, wenn du heimgesucht sollst werden, da werden sie dann nicht wissen, wo aus.“ - Die Dornen sind in der Schrift vielfach das Bild unnützer und verderblicher Menschen; so vergleicht Joas den frechen König Amazia mit einem Dornstrauch 2 Kön. 14; so nennt Jotham in seiner berühmten Fabel Richter 9 den Thronräuber Abimelech einen Dornbusch; so bezeichnet der Heiland Matth. 7 die falschen Propheten als Dornen. Die Hecke ist ein Dickicht von Dorngewächsen; wenn die treulosen Richter damit verglichen werden, so heißt das: Wer mit ihnen in Berührung kommt, wird von ihnen verletzt, wie von stechenden Dornen. Der Tag der Prediger Israels ist der Tag des Gerichts und Zornes Gottes, den die Prediger und Propheten dem Volk vorher verkündigt haben: derselbe wird ihrem Gebühren ein Ende mit Schrecken machen. Denn Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein; was mit Langmuth er sich säumet, holt mit Schärf' er wieder ein.

V. 5. „Niemand glaube seinem Nächsten, Niemand verlasse sich auf Fürsten (wörtlich: auf seinen Freund). bewahre die Thür deines Mundes vor der, die in deinen Armen schläft.“ - Nächst der Bestechlichkeit der Richter war die landläufige Untreue zwischen Verwandten und Freunden ein schwarzer Schandfleck in Juda. Nachbarschaft, Freundschaft und Liebe waren zerfressen von dem Wurme der Heuchelei und Verrätherei.

V. 6. „Denn der Sohn verachtet den Vater, die Tochter setzt sich wider dir Mutter, die Schnur ist wider die Schwieger, und des Menschen Feinde ist sein eigenes Hausgesinde.“ - Als ein drittes trübes Zeichen einer bösen Zeit nennt der Prophet die häusliche Zwietracht. Wenn es im ganzen Lande wallet und brauset als eine Fluth der Sünde und des Unfriedens, dann dringen die Wellen auch in das Heiligthum des Familienlebens ein. Unsere eigne Zeit bietet ja dazu traurige Seitenstücke. Der Herr bezieht sich auf diesen Vers zurück, wenn er Ev. Matth. 10, 35. 36 sagt: „Ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schnur wider ihre Schwieger, und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ Aus dieser Anwendung, die der Herr von der Stelle macht, erkennen wir, daß die häusliche Zwietracht besonders da stark war, wo die Familie in Fromme und Gottlose gespalten war.

Mit V. 6 schließt die noch mit dem vorigen Kapitel zusammenhängende Klage des Propheten über das Verderben des Volks, und der Prophet wirft nun im folgenden Abschnitt V. 7 - 17 tröstliche Blicke auf die Zukunft des messianischen Heils.

V. 7. „Ich aber will auf den Herrn schauen und des Gottes, meines Heils, erwarten; mein Gott wird mich hören.“ - Wer ist der Redende, der seine Augen aufhebt und durch die schweren, schwarzen Wolken hindurch doch das blaue Himmelszelt sieht? Es ist Micha, der Mann der Weissagung, der Mann voll Hoffnung. Er redet als Sprecher des Häufleins der Frommen, als Hirt der kleinen Heerde, als Vertreter der echten Zionsgemeinde. Als solcher spricht er das Vertrauen aus, daß unter allen Sünden der Gottlosen in der Gegenwart und unter allen Gerichten der Zukunft doch der Herr nun und nimmermehr von seinem Volk geschieden sein kann; Er wird und muß sich zu den Seufzern der Stillen im Lande neigen und sie mit Heil und Gnade krönen. Der Herr hilft seinen Knechten, seid fröhlich, ihr Gerechten.

V. 8. „Freue dich nicht, meine Feindin, daß ich darniederliege; ich werde wieder aufkommen. Und so ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht.“ - Wer ist die Feindin, wider die Micha redet? Gewiß hier nicht Assur, das übermüthige, zerstörungssüchtige Heidenthum, sondern die große, gottlose Majorität des jüdischen Volkes selber. Dieselbe freute sich, daß die kleine Zionsgemeinde der Gottesfürchtigen äußerlich darniederlag und es innerlich oft finster um sie war. Aber Micha, der im Geiste die große Heimsuchung der zukünftigen Tage geschaut, hatte sich im Geiste sagen lassen, daß die Gottlosen umkommen, das Uebrige Israels aber gerettet werden würde in das Reich des Messias. Darauf gründet er seine tröstlichen Hoffnungen und spricht: Ich werde wieder aufkommen, und so ich im Finstern sitze, ist doch der Herr mein Licht! Konnte aber die Zionsgemeinde des alten Bundes solches Wort der Hoffnung von sich aussagen, wie vielmehr wird die Gemeinde der Gläubigen im neuen Bunde solches Vertrauen haben dürfen, die da lebt unter dem Schatten des allmächtigen Erzhirten, der da sprach: Fürchte dich nicht, du kleine Heerde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben! Wahrlich, wie weit uns auch der Sturm verschlägt, zum heimathlichen Ufer trägt uns doch die letzte Welle. Als ein vornehmes Weib den nachmaligen Methodistenprediger John Nelson, der um seines Glaubens willen unter die Soldaten gesteckt worden war, auf der Gasse zu Leeds Wache stehen sah, verhöhnte sie ihn und sprach: „Ei, Nelson, wo ist denn nun dein Gott?“ Du sagtest ja, als du vor jener Thür predigtest, du fürchtetest ebenso wenig, daß Gottes Verheißungen ausbleiben würden, als daß du jetzt durch die Erde hindurchfielest!„ Nelson aber antwortete dem Weibe nichts weiter, als: „Nimm deine Bibel und schlage auf Micha 7, 8!“

V. 9. „Ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündiget, bis er meine Sache ausführe und mir Recht schaffe; er wird mich an das Licht bringen, daß ich meine Lust an seiner Gnade sehe.“ - Der Druck, unter dem das Häuflein der Frommen bei dem Regimente der Gottlosen lebt, sowie die Trübsal, die unter dem Regimente Assurs und der Heiden hereinbrechen wird, sind für den Propheten Zornesplagen Gottes, die die Frommen mit ihren Sünden wohl verdienet haben. Er weiß aber auch, daß demüthige Beugung unter Gottes Gerichte das Herz Gottes zur Gnade neigt; darum blickt er voll Zuversicht auf zukünftige gnadenvolle Erlösung.

V. 10. „Meine Feindin wird es sehen müssen und mit aller Schande bestehen, die jetzt zu mir sagt: Wo ist der Herr, dein Gott? Meine Augen werden's sehen, daß sie dann wie ein Koth auf der Gasse zertreten wird.“ - Wo ist der Herr, dein Gott? Diese höhnende Frage muß die Zionsgemeinde, müssen ihre einzelnen Glieder im Elende gar oft von den Feinden hören. So klagen die Kinder Korah im 42. Psalm; Meine Thränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott? So ruft im 79. Psalm Assaph den Herrn an und spricht: Warum lässest du die Heiden sagen: Wo ist nun ihr Gott? Aber Micha und die Zionsgemeinde, in deren Namen er redet, wissen, daß Gott der Spötter einst spotten und seine geschmähten Heiligen zu Recht und Ehren bringen wird. Laß sie spotten, laß sie lachen, Gott, mein Heil, wird in Eil' sie zu Schanden machen! Das zu Schanden werden der gottlosen Spötter wird verglichen mit dem Zertreten des Straßenkothes, ein Bild, das uns häufig in der Schrift begegnet; den Vergleichungspunkt bildet die rechtliche Behandlung: es wird nicht viel Federlesens gemacht mit dein Schmutz der Gasse, so wird auch völlig rücksichtslos mit denen verfahren werden, die alle Rücksichten gegen Gott und seine Heiligen bei Seite gesetzt haben. Das Häuflein der Gerechten getröstet sich der Gnade des Herrn, der sie erhöht und die Feinde erniedrigt.

V. 11. „Zu der Zeit werden deine Mauern gebauet werden und Gottes Wort weit auskommen.“ - Wörtlich: „Ein Tag kommt, zu bauen deine Umzäunungen, an diesem Tage wird fern sein Gesetz.“ Der Prophet spricht jetzt nicht mehr im Namen der Zionsgemeinde, sondern im Namen des Herrn zur Gemeinde und zwar zu der Gemeinde, wie sie ist nach den Tagen der Heimsuchung, da die Rotte der Bösen den Gerichten verfallen ist. Da wird dann die Zeit kommen, wo die Umzäunungen, die den Weinberg Israel umfriedigen, neugebaut werden, daß kein Feind ferner schaden kann; da wird Gesetz, nicht göttliches, sondern Gesetz und Satzung, die feindliche Unterdrücker dem Volke Gottes auflegen, fern sein, also daß Israel seinem Gotte dienen kann ohne Belästigung von bösen Menschen.

V. 12. „Und zu derselbigen Zeit werden sie von Assur und von festen Städten zu dir kommen; von den festen Städten bis an das Wasser, von einem Meer zum andern, von einem Gebirge zum andern.“ - Das Volk des Herrn wird in der gewünschten messianischen Zeit nicht nur erlöst sein von der Knechtschaft der Welt, sondern es wird auch der Magnet sein, der die Heiden anzieht, daß dem Herrn Kinder geboren werden wie der Thau aus der Morgenröthe und die Grenzen des Landes sich erweitern. Die festen Städte im Luther'schen Text sind die Städte Egyptens. Assur und Egypten waren zur Zeit des Propheten die beiden bedeutendsten Reiche dieser Welt, so repräsentieren sie am kräftigsten die heidnischen Feinde des Reiches Gottes; wenn Israel das Ziel der Sehnsucht Assurs und Egyptens wird, dann ist es selbstverständlich, daß die Fülle aller Heiden eingehen wird in Zions Thore. Und wenn sie kommen von jedem Meer und Berg, dann fallen alle Schranken Israels fort, dann wird Israel herrlich werden, so weit die Welt ist. Aber freilich, ehe solche Herrlichkeit dem Volke des Herrn zu Theil wird, müssen die unwiderruflichen Gerichte Gottes ihren ernsten, unaufhaltsamen Gang vollenden:

V. 13. „Denn das Land wird wüste sein seiner Einwohner halben, um der Frucht willen ihrer Werke.“ - Es ist der letzte Zwischenblick des Propheten auf die richtende Gerechtigkeit Gottes, der letzte dunkle Einschlag in das lichte Gewebe. Das gegenwärtige Israel ist ja nicht das wahre Israel, vielmehr die Feindin des wahren, welches nur in den wenigen Stillen im Lande zu kümmerlicher Erscheinung kommt. Darum erst muß aufgeräumt sein unter dem unschlachtigen Geschlechte der Gegenwart und aus der Asche des Alten ein Neues erstanden sein, ehe erscheinen kann, was Israel sein wird. Wenn das sündenvolle Volk, das Gottes Zucht verachtete und den Thau verschmähte, mit Feuer gesalzen und mit Flammen übersät ist: wird Israel wie ein Phönix aus der Asche neu erstehen und die Ströme der Liebe seines Gottes entgegennehmen, die er verheißen hat dem Israel rechter Art. Es bildet somit V. 13 eine ernste Einschaltung; sofort in V. 14 nimmt die Heilsverkündung einen neuen Ansatz, zunächst in einem lieblichen und gesalbten Gebete.

V. 14. „Du aber weide dein Volk mit deinem Stabe, die Heerde deines Erbtheils, die da wohnen beides im Walde allein und auf dem Felde (wörtlich: die da einsam wohnt im Walde, mitten auf Karmel); laß sie zu Basan und Gilead weiden, wie vor Alters.“ - Ein Gebet um Erlösung, aus der Tiefe der gegenwärtigen Noth im Glauben an die verheißene selige Zukunft an den gerichtet, der der Hüter und Hirt Israels ist. Als seine Heerde ward Israel im alten Bunde noch häufiger bezeichnet, denn als sein Weinberg, z. B. Jerem. 13, 17: Meine Augen müssen mit Thränen fließen, daß des Herrn Heerde gefangen wird; Psalm 77,21: Du führetest dein Volk, wie eine Heerde Schafe. Die Heerde des Herrn wird Heerde seines Erbtheils genannt als Volk, das ihm von Rechtswegen gehört, in Beziehung auf welches er nun aber auch die Pflicht des Schützens hat; schon Mose flehte 2 Mose 34, 9: Herr, laß uns dein Erbe sein. Es ist ein Vorzug des Volkes des Herrn, einsam zu wohnen, d. h. so, wie es Bileam im Geiste geschaut hatte, da er sprach: „Siehe, das Volk wird besonders wohnen und nicht unter die Heiden gerechnet werden.“ Der Karmel, sein Name bedeutet Fruchtgefilde, ist jener berühmte Berg im Nordwesten des heiligen Landes, auf dessen Spitze einst der Prophet Elias Heldenthaten des Glaubens verrichtete; er kommt hier in Betracht, weil seine Terrassen mit üppigen Getreidefluren und Weidetriften bedeckt sind. Basan im Nordosten und Gilead im Süden des Ostjordanlandes waren Landschaften durch üppigen Graswuchs und fette Triften berühmt. Der Prophet bittet den Herrn, er wolle die Heerde seines Volks auf den besten Weideplätzen weiden, die es in Canaan giebt, also ohne Bild, er möge es wohnen lassen auf gesegneten Wohnplätzen. Die Erhörung dieser Bitte weissagt Jeremias 50, 19, wo er im Auftrage Gottes verkündet: „Ich will Israel wieder heim zu seiner Wohnung bringen, daß sie auf Karmel und Basan weiden, und ihre Seele auf dem Gebirge Ephraim und Gilead gesättigt werden soll.“ Aber auch schon Micha kann Zion die gute Botschaft bringen, daß Gott sein Volk seiner Bitte gewähren wird; eine vorläufige Antwort Gottes auf das Gebet des 14. Verses giebt er in

V. 15-17. „Ich will sie Wunder sehen lassen gleichwie zu der Zeit, da sie aus Egyptenland zogen, daß die Heiden sehen und alle ihre Gewaltigen sich schämen sollen, und die Hand auf ihren Mund legen und ihre Ohren zuhalten. Sie sollen Staub lecken wie die Schlangen und wie das Gewürm auf Erden erzittern in ihren Löchern; sie werden sich fürchten vor dem Herrn, unserm Gott, und vor dir sich entsetzen.“ - Die Wunder, die der Herr die Zionsgemeinde sehen lassen will, sind neue Wunder seiner alten Hirtentreue; wie Gott vormals seinem Volke gnädig gewesen bei der Ausführung aus Egypten und es damals mit Mutterhänden stetig hin und her geleitet hat: also verspricht er auch an dem Volke zu handeln in der Zukunft der messianischen Erlösung. Und wie damals die Völker erbebten und die Fürsten Edoms erschraken und alle Einwohner Canaans feige wurden, da der Herr seine rechte Hand ausstreckte und sein Volk erlöste: gleich also sollen bei der zukünftigen Offenbarung der Erlösung Israels durch den Herrn die Feinde vor Scham verstummen und vor Angst taub werden - eine Weissagung, die ihre vollste und letzte Erfüllung erst bei der zweiten Zukunft des Herrn erhalten wird, wo die Erlöseten des Herrn sein werden wie die Träumenden, alle Abtrünnigen aber rufen werden: Ihr Berge fallet über uns und ihr Hügel decket uns! Doch erfüllt sich diese Weissagung stückweise auch schon in der Zeit des neuen Bundes auf Erden und erfüllt sich da in der gnadenreichen Weise, daß die Heiden, von der Erhörung Israels durch Jesum Christum hörend und an sie glaubend. Staub lecken, d. h. sich in den Staub beugen, um anzubeten vor dem Herrn und zittern, d. h. mit geängstetem Geiste und zerschlagenem Herzen selber das Heil der Erlösung suchen. Durch solche vom Herrn gewährte Aussicht wird dem Propheten das Herz so groß, daß er zu der Weissagung des Herrn seinerseits, an Zion gewendet, den Zusatz macht: „Ja, sie werden sich fürchten vor dem Herrn und sich entsetzen vor dir“, nämlich vor dir, o Heerde des Herrn, die du jetzt ihr Spott und Saitenlied bist. So klingt Micha's Rede aus in den Vers:

Von der ganzen Welt auf Erden
Sollen die noch schamroth werden,
Zittern auch vor Gott und mir,
Die mich hassen für und für.
Weichen müssen sie zurücke
Plötzlich und im Augenblicke
Und doch sehen auch dabei,
Daß der Herr mein Heiland sei.

So hat denn der Prophet im letzten Kapitel seines Buches dargethan, daß, so schwer auch die Gerichte sein werden, die die strafende Gerechtigkeit Gottes über das abtrünnige Israel heraufführen muß, doch die Barmherzigkeit, die sich an den Uebrigen aus Israel verherrlichen wird, sich rühmet wider das Gericht. Es bleibt ihm nun nur noch übrig, diese Barmherzigkeit zu preisen, und das thut er in dem erhabenen Schluß des Buches, in den drei letzten Versen des letzten Kapitels:

V. 18. „Wo ist ein solcher Gott, wie du bist, der die Sünden vergiebt, und erlässet die Missethat den Uebrigen seines Erbtheils, der seinen Zorn nicht ewiglich behält; denn er ist barmherzig.“ - Wo ist ein solcher Gott, wie du bist? So hieß es schon damals, als Gott sein Volk erlöst hatte aus dem Diensthause Egyptens -, da sang Mose und die Kinder Israel tönten dazu 2 Mose 15, 11: Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wunderthätig sei? - Wer ist wohl wie du? So ertönt es noch lauter Angesichts der vollen Erlösung Israels, die durch jene nur vorbedeutet war, der Erlösung von Sünde, Tod und Teufel durch den, der da kommen soll, welcher ist Jesus Christus. Dieser Erlösung gegenüber wird der Name des Sehers von Moreseth, der an der Spitze seiner Weissagungen steht, zur vollen Wahrheit. Wir sahen oben in der Einleitung, daß Micha heißt: Wer ist wohl wie du! Dieser 18. Vers zeigt auf's Herrlichste die Einheit der Gotteslehre im alten und neuen Testamente. Ein Kandidat hielt einmal in einer leeren Kirche vor einem evangelischen Bischof eine Probepredigt. Er las als Text vor Ev. Joh. 3, 16 und begann: „Wie glücklich können wir sein, daß wir zu den Zeiten des neuen Testamentes leben, das einen Gott der Liebe lehrt, während das alte Testament nur einen Gott des Zornes kennt.“ Der Bischof rief den Kandidaten sofort nach diesem Eingangssatz von der Kanzel und bedeutete ihn, er solle nicht eher in der evangelischen Kirche predigen, bis er das alte Testament gelesen und den Gott der Liebe darin gefunden hätte. Ob der Kandidat den Gott der Liebe im alten Testamente gefunden, weiß ich nicht; aber daß er darin gefunden werden kann, weiß ich, und hier Micha 7, 18 ist er zu finden; hier haben wir wahrlich das neue Testament im alten.

V. 19. „Er wird sich unserer wieder erbarmen, unsere Missethat dämpfen und alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen.“ - Die Grundstelle, auf welcher diese Verheißung von der Wiederkehr des göttlichen Erbarmens ruht, ist 5 Mose 30, 2. 3, wo als für alle Zeiten gültig geschrieben steht, daß das bußfertige Israel Gnade erlangt. Statt: Er wird unsere Missethaten „dämpfen“ heißt es wörtlich: Er wird unsere Missethaten überwältigen; die Missethaten werden angeschaut als Tyrannen, die wie weiland König Pharao Israel in ihre knechtende Gewalt gebracht haben. Dazu sollen die Sünden in die Tiefen des Meeres geworfen werden, gleichwie einst die übermüthigen Egypter, von denen geschrieben steht 2 Mose 15, 4. 5: Die Wagen Pharao und seine Macht warf er in's Meer, seine auserwählten Hauptleute versanken im Schilfmeer; die Tiefe hat sie bedeckt, sie fielen zu Grunde, wie die Steine.“ Gleich also bedeckt der Herr die Sünde und begräbt sie in der Tiefe allen denen, die des messianischen Heils in Jesu Christo theilhaftig werden.

V. 20. „Du wirst dem Jacob die Treue und Abraham die Gnade halten, wie du unsern Vätern vorlängst geschworen hast.“ - Der Gottesschwur, an den Micha sich hier am Ende als an einen Felsen anlehnt, ist der von 1 Mose 23, 16 - 18. Daß Gott diesen größten und heiligsten aller Gelobungseide gehalten hat, steht Ev. Luc. 1, 72-75, wo Zacharias angesichts des Aufgangs aus der Höhe jauchzt: „Gott gedenket an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, daß wir, erlöset aus der Hand unserer Feinde, ihm dieneten ohne Furcht unser Lebenlang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist.“

So haben wir denn das Buch der Weissagungen Micha's bis an sein Ende betrachtet und bedacht. Wir werden am Ende aus vollem Urtheil einstimmen in das Urtheil Dr. Luthers, der da sagt: „Micha ist der feinen Propheten einer, der das Volk um ihrer Abgötterei willen heftiglich strafet und den künftigen Christum und sein Reich immerdar anzeucht. Er schilt, er weissaget, er prediget u.s.w. Aber endlich ist das seine Meinung, wenn es gleich Alles muß zu Trümmern gehn, Israel und Juda, so wird doch Christus kommen, der es Alles gut machen wird.“

Wir aber leben in der Zeit, da der von Micha nur in Umrissen geschaute Aufgang aus der Höhe längst sein Volk besucht hat durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes. Wir sehen mit unseren Augen das abtrünnige Israel den Gerichten der strafenden Gerechtigkeit Gottes verfallen, den heiligen Samen aber im Glauben an die erschienene Gnade Gottes in Jesu Christo errettet und herrlich gemacht und in die Millionen und aber Millionen gewachsen. Lasset uns den Ernst und die Güte Gottes wohl beherzigen, den Ernst an denen, die gefallen sind, und die Güte an den Erretteten, zu denen wir selber gehören, die wir weiland ferne waren, nun aber nahe geworden sind durch das Blut Jesu Christi. Möge uns Gottes Güte zur täglichen Buße reizen und zur täglichen Anbetung vor dem Gotte, der die Sünden vergiebt und erlasset, die Missethat den Uebrigen seines Erbtheils, daß wir im Staube vor Ihm rufen: Wer ist wohl wie du! Amen.

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