Quandt, Carl Wilhelm Emil - Micha - Das vierte Kapitel,

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Micha - Das vierte Kapitel,

In Jesu Namen. Amen.

Mit einer Drohung, die der Tochter Zion das Herz durchbohren mußte, hatte der Prophet seine großartige Schilderung der an Israel sich offenbarenden richtenden Gerechtigkeit geschlossen. Der Prophet geht jetzt von der Drohung zur Verheißung über und schildert die erlösende Barmherzigkeit Gottes, die nach den Gerichten sich an den Geretteten aus Israel herrlich bekunden werde. Die Großen, die Priester, die Propheten, endlich das Volk selbst, weil sie gottlos sind und den Herrn verachten und sich gegen ihn verstocken, werden empfangen, was ihre Thaten werth sind. Der Prophet läßt sie fahren dahin und wendet sich nunmehr an die Kinder Gottes mitten im verderbten Israel, denn er hat ihnen herrliche Dinge in's Ohr und in's Herz zu sagen. Er hat ihnen zu sagen von der erlösenden Barmherzigkeit Gottes, wie sie sich von Zion aus offenbaren wird (Kap. 4), in Jesu Christo an den Uebrigen aus Jacob (Kap. 5), wenn sie nämlich Buße thun (Kap. 6.).

Die Schilderung der von Zion aus sich offenbarenden erlösenden Barmherzigkeit Gottes, wie sie Kap. 4 giebt, zerfällt in zwei Theile. 1) V. 1-8. Eine großartige Heilsverkündigung. 2) V. 9-14. Die Verwebung der Gerichte in die Heilsverkündigung.

V. 1. „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des Herrn Haus stehet, gewiß sein höher, als alle Berge und über alle Hügel erhaben sein.“ - Das letzte Glied der Drohung, der Tempelberg, wird das erste der Verheißung. Die Entheiligung und Verödung des Berges des Herrn war als Gipfel der Strafgerichte des Herrn verkündet; seine Verherrlichung und größere Weihe bildet den Ausgangspunkt der trostreichen Rede von Gottes erlösender Barmherzigkeit. Der Berg, auf dem das Haus des Herrn stehet - ist der Berg Zion. Eigentlich stand der Tempel auf dem Berge Morija, während auf dem Berge Zion die Burg Davids stand. Da aber beide Berge nur durch eine Schlucht von einander getrennt und durch eine Brücke verbunden waren, so wurden sie beide wie Einer angesehen, und Zion ward in der religiösen Sprache der Name auch für den Tempelberg, ja für die ganze heilige Stadt, als Wohnstätte Jehova's. Ja, noch mehr, da Zion, sofern es Jerusalem mitbedeutete, der Mittelpunkt des alttestamentlichen Reiches Gottes war, so schloß sich daran der weitere Sprachgebrauch bei den Propheten, wonach das ganze Reich Gottes von seinen alttestamentlichen Keimen an bis zu seiner neutestamentlichen irdischen und himmlischen Blüthe mit dem Namen Zion, des Berges Gottes, bezeichnet wurde. An diese letzte großartige Bedeutung des Namens Zion ist in unserem Verse vorzugsweise zu denken. Es sind rabbinische, jüdische Fabeleien, wenn der Sinn unseres Verses also gefaßt wird, als wenn der Herr in den letzten Tagen den Tempelberg durch Heranbringen anderer Berge erhöhen und Jerusalem oben darauf setzen werde. Vielmehr ist die zukünftige Erhöhung des Tempelberges eine geistige und geistliche. Zion wird in Zukunft alle Berge und Hügel überragen, d. h. Zion wird erhöht werden durch eine majestätische Gnadenoffenbarung Gottes, in Folge deren Zion der Mittelpunkt der Erde wird. Solches wird geschehen in den letzten Tagen, wörtlich: am Ende der Tage - eine Bezeichnung, die in der Schrift gang und gäbe ist für die messianische Zeit in ihrem ganzen Umfange von den Tagen des Menschensohnes in Niedrigkeit an bis zur Wiederkunft des Menschensohnes in den Wolken.

V. 2. „Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden gehen und sagen: Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jacobs, daß er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln; denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen, und des Herrn Wort aus Jerusalem.“ - Wie der Magnet das Eisen anzieht, so zieht der verherrlichte Berg Zion die Völker an. Vor den Gerichten wallte nur Ein Volk nach Zion, um da den Herrn anzubeten; nach den Gerichten wird er lange verödet und vereinsamt sein; sobald aber die große Gnadenoffenbarung Gottes in Christo an ihm sich verherrlicht hat, werden die Völker zu ihm strömen, werden viele Heiden zu ihm wallen. Eine große Bewegung wird durch die Heidenwelt gehen, und eine Nation wird die andere reizen, das früher verachtete Zion aufzusuchen, um sich von Gott in seinen Wegen leiten zu lassen und auf seiner Straße zu wandeln. Die Weissagung läßt unentschieden, ob eine Wanderung nach Zion mit den Füßen oder mit den Herzen, ob das örtliche Zion oder das geistliche Zion gemeint ist. Die Erfüllung der messianischen Zeit hat gelehrt, „daß der Anfang des Wallens einer Zeit angehörte, in der Symbol und Sache noch bei einander waren, der leibliche Zion noch Sitz der Kirche war.“ Als der Herr Jesus auf Zion war, kamen auch Griechen zum Tempel, Gott anzubeten und Jesum zu sehen (Ev. Joh. 12, 19 ff.). Die neutestamentliche Predigt von der Buße und Vergebung der Sünden im Glauben an Jesum Christum unter allen Völkern hob an zu Jerusalem (Ev. Luc. 24, 47). Die erste Pfingstpredigt geschah auf Zion an Menschen aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist (Apostelgesch. 2). Bald aber schied sich das geistliche Zion von dem leiblichen und örtlichen; der Tempelberg fiel den Ungläubigen anheim, aber im Reiche Gottes wurden dem Herrn Kinder geboren, wie der Thau aus der Morgenröthe. Möglich, daß auch das örtliche Zion noch einmal der Mittelpunkt des geistlichen wieder werde. Die Wege und Straßen des Herrn sind die Wege, auf welchen er will, daß die Menschen wandeln sollen, der Wandel nach seinem Herzen. Der Grund, weshalb sich die Völker gen Zion drängen werden, wird von Micha in den Worten angegeben: Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen, und des Herrn Wort aus Jerusalem, das ist, die wahre Religion wird sich von Zion aus über alle Völker ausbreiten; früher eingeschlossen in die engen Grenzen Juda's, wird sie in der messianischen Zeit sich ausbreiten über die ganze Welt.

V. 3. „Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden strafen in fernen Ländern. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden nicht mehr kriegen lernen.“ - Israel hatte von den Heiden und ihren Schwertern und Spießen zu leiden, und bei den über Israel verhängten Strafgerichten Gottes waren kriegerische Heidenvölker die Geißeln Gottes. Im messianischen Reiche wird Israel Ruhe haben vor den Heiden, denn der Geist des Friedens wird unter ihnen einheimisch sein; die Streitigkeiten der Völker unter einander und gegen Israel wird der Herr selber richten und strafen, nämlich friedlich durch sein Wort, an das die Völker dann glauben. Dieses Friedensreich Gottes auf Erden, in dem all' Fehd' ein Ende hat, ist erst auf der neuen Erde unter dem neuen Himmel, als die ewige Blüthe des messianischen Reiches zu erwarten, wenn der böse Geist, der da ist ein Geist des Streites und Hasses, auf ewig gebunden ist. Doch bahnt sich dies Friedensreich schon unter diesen Zeitläuften an, sofern das christliche Völkerrecht schon manches Schwert zur Pflugschaar und manchen Spieß zur Sichel gemacht hat; diese unvollkommene Erfüllung ist ein Unterpfand für die vollkommene.

Diese ersten drei Verse des 4. Kapitels finden wir wörtlich auch bei dem Zeitgenossen Micha's, bei Jesaias (3, 3-4). Entweder haben beide Propheten diese Worte als Weissagung eines älteren Propheten schon vorgefunden und beide in ihrer Art eine besondere Predigt darüber gehalten, oder Jesaias hat den Gottesspruch von Zions Herrlichkeit aus dem Munde Micha's entlehnt und seiner Rede eingewebt.

V. 4. „Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen ohne Scheu; denn der Mund des Herrn Zebaoth hat es geredet.“ - Ein jeglicher - nämlich von den Uebrigen in Israel. Da die Heiden, von denen Störung für friedliches Leben etwa zu erwarten wäre, selbst voll Friedens geworden sein werden, so wird auch für Israel die Herrlichkeit des salomonischen Zeitalters zurückkehren, in welchem nach 1 Kön. 4, 25 „Juda und Israel sicher wohneten, ein jeglicher unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum von Dan bis gen Bersaba, so lange Salomo lebte.“ Unter dem freundlichen Regieren des himmlischen Salomo, Christi, wird ein ähnliches Zeitalter des Friedens sein - der Mund des Herrn der Heerschaaren verbürgt es -; aber auch diese salomonische Zeit hat unter den Zeitläuften der alten Erde wohl ihre Vorspiele und Vorbereitungen, so daß ganze Geschlechter unter dem Regiment christlicher Herrscher ein stilles und ruhiges Leben führen können in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit; ihre volle Erfüllung aber gehört der neuen Erde an.

V. 5. „Denn ein jeglich Volk wird wandeln im Namen seines Gottes; aber wir werden wandeln im Namen des Herrn, unsers Gottes, immer und ewiglich.“ - Diese Weissagung hat auf den ersten Blick etwas Befremdliches. - Da vorher geschildert ist, wie die Völker den Gott Zions anbeten und seines Friedens genießen, so scheint die Unterscheidung widersprechend, daß, während Israel im Namen des Herrn wandeln werde, ein jeglich Volk im Namen seines Gottes wandeln werde. Allein es ist auch weniger eine Weissagung, als eine Mahnung. Im Blick auf die zukünftige herrliche Erlösung des barmherzigen Gottes ruft der Prophet den Treuen im Lande Juda und sich selber zu: Mögen andere Volker daher wandeln, wie sie wollen, und ihre Götter verehren; wir rechten Israeliten wollen im Gedenken, daß unser Gott ein Gott vieler Gnade ist, ihm treu bleiben immer und ewiglich. „Wenn alle untreu werden, so bleib' ich dennoch treu, daß Dankbarkeit auf Erden nicht ausgestorben sei.“

V. 6. 7. „Zu derselbigen Zeit, spricht der Herr, will ich die Lahme versammeln und die Verstoßene Heim bringen und die ich geplaget habe. Und will die Lahme machen, daß sie Erben haben soll, und die Verstoßene zum großen Volk machen: und der Herr wird König über sie sein auf dem Berge Zion, von nun an bis in Ewigkeit.“ - Die Zeit, von der hier die Rede ist, ist die V. 4 angedeutete, die Zeit der Aufrichtung des göttlichen Friedensreiches. In der Zeit will Gott Alles, was lahm und verstoßen ist in Israel, wieder sammeln, wie ein guter Hirte nach den Verheerungen, die der Wolf in der Heerde angerichtet hat, die zurückgebliebenen kranken und zerstreuten Schafe wieder sucht; und gerade das Lahme, Kranke, Schwache und Gebundene soll ein großes, starkes Volk werden; Israel soll nach den Gerichten durch Gottes erlösende Barmherzigkeit nicht blos gesammelt, sondern auch gemehrt werden. Zu derselben Zeit („von nun an“) wird der Herr sein Reich in besonderer Herrlichkeit antreten; der gute Hirte wird der große Herrscher sein. Die Sammlung des Volkes Israel am Ende der babylonischen Gefangenschaft, seine Mehrung und sein Aufblühen unter Serubabel war nur ein Vorspiel der wahrhaftigen Sammlung und Mehrung Israels unter dem Regimente Jesu Christi.

V. 8. „Und du Thurm Eder, eine Veste der Tochter Zion, es wird deine goldene Rose kommen, die vorige Herrschaft, das Königreich der Tochter Jerusalem.“ - Die vorige Herrschaft, das davidisch-salomonische Regiment mit seinem Glanze, mit seinen Siegen und seinen Frieden, bildet den Typus der zukünftigen messianischen Herrlichkeit Israels. Die höchste Burgveste Zions, der Thurm Eder, d. i. der Heerdenthurm, wird die Residenz der großartigen Machtentfaltung Gottes in dem zukünftigen Reiche der Gnade sein. Ueber die königliche Burg auf dem Berge Zion ragte ein majestätischer Thurm weit hervor, Nehem. 3, 25. 26, Hohelied 4, 4; Heerdenthurm nennt ihn Micha, indem er das Bild der vorigen Verse fortführt, in welchem er Israel als Heerde dargestellt hatte. Es gab einen Thurm Eder oder Heerdenthurm in der Nähe von Bethlehem, wo Jacob 1 Mose 33, 19 seine Hütte aufschlug. Es wäre möglich, daß David schon, den der Herr vom Hirten der Schafe zum Hirten seines Volkes gemacht, den Namen jenes Heerdenthurms von Bethlehem auf den von ihm auf Zion erbauten Wartthurm übertragen hatte. Die höchste örtliche Höhe des früheren davidisch-salomonischen Regiments bildet die geistliche Höhe des messianischen Reiches der Zukunft ab; aus erhabenster Höhe wird Christus herrschen über das Israel rechter Art.

Von einer goldenen Rose steht nichts im Urtext. Weder dieser, noch irgend eine der alten Uebersetzungen gab Veranlassung, eine goldene Rose in die deutsche Verdollmetschung zu bringen. Der Vers lautet vielmehr, wörtlich übersetzt also: „Und du Thurm Eder, du Veste der Tochter Zion, zu dir wird nahen und wird kommen die vorige Herrschaft, das Königreich der Tochter Jerusalem.“ Luther selbst erklärt sich über die goldene Rose nicht, weder in seiner Auslegung des Propheten, noch in den Randglossen, noch in anderen Stellen, wo er Micha 4, 8 beiläufig anführt. Man ist also auf bloße Vermuthung gewiesen. Unzweifelhaft ist zunächst, daß Luther nach eigenem Urtheil in de Lesung eines Vokals von der Punktation des hebräischen Grundtextes abgewichen ist. Das Wort Adecha, d. i. zu dir, hat er genommen, als wenn da stände Adjecha, „dein Schmuck“, und für „dein Schmuck“ hat er dann in freierer Uebersetzung gesagt: „Deine güldene Rose“. Warum nun Luther zur Bezeichnung des vermeintlich erwähnten Schmucks die goldene Rose gewählt, darüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Die Einen denken an die mystische Auslegung des Wortes Rose und sagen: Rose bildet ab das Königreich Juda und weiter die christliche Kirche des neuen Testamentes; also wird das Königreich Israel ein Rosenspan und Spanrose genannt Psalm 60, 1; 80, 1; sie bildet ab Christum Hohelied 1, 1; 2, 2; den Herrn Christum und seine gläubigen Christen Psalm 45, 1. Das „gülden“ aber ist beigesetzt, um theils die Kostbarkeit, theils die Reinheit, das durchläuterte Wesen des Kleinods zu bezeichnen. Von anderen Meinungen merken wir uns nur noch die, die in den fünfziger Jahren das Volksblatt für Stadt und Land einmal brachte: Auch uns evangelischen Christen ist aus der Reformationsgeschichte die goldene Rose wohl bekannt, die der Papst durch seinen Gesandten Karl von Miltitz dem sächsischen Churfürsten Friedrich dem Weisen zu senden verheißen hatte. Diese geweihte Rose war sehr sinnvoll. Die Weihe geschah am 4. Sonntag der Passionszeit, am Sonntag Laetare, durch den Papst in der Basilica zum heiligen Kreuz in Jerusalem, die Eine von den sieben Hauptkirchen der Stadt Rom ist. Der Sonntag Laetare ist, wie sein Name, der aus dem Introitus der Messe genommen ist, sagt, der Freudensonntag in der Passionszeit, weil er insbesondere der Hoffnung der Erlösung gewidmet ist: die Epistel des Tages ist Gal. 4, 22-31, in welcher (V. 27) die Worte vorkommen: „Denn es steht geschrieben: Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierest, und brich hervor, und rufe, die du nicht schwanger bist; denn die Einsame hat viel mehr Kinder, denn die den Mann hat.“ Nach der Messe wird die Rose vom Papst mit folgendem Gebete geweiht: „Gott, durch dessen Wort und Macht Alles geschaffen ist und durch dessen Wink Alles regiert wird! du Freude und Wonne aller Gläubigen! in tiefer Beugung bitten wir deine Majestät, du wollest diese schöne, lieblich duftende Rose, die wir heute als Zeichen der geistlichen Freuden in unserer Hand tragen, mildiglich segnen und heiligen, auf daß dein Volk vom Joche der babylonischen Gefangenschaft erlöset, durch die Gnade deines eingebornen Sohnes, der die Freude und der Ruhm des Volkes Israel in jenem Jerusalem ist, das da droben und unsrer Aller Mutter ist, mit einfältigem Herzen seine Freude kund werden lasse; und weil zur Ehre deines Namens deine Gemeinde sich heute dieses Zeichens rühmet und freuet, so mögest du, Herr, ihr die wahre und vollkommene Freude verleihen, ihre Huldigung annehmen, ihre Sünden erlassen, sie mit Glauben erfüllen, mit Schonung pflegen, durch deine Barmherzigkeit behüten, alles Böse vernichten, alles Gute gewähren, indem durch die Frucht guter Werke in den Salbenduft dieser Blume eingehe der Sproß aus der Wurzel Isai's, der sich in geistlichem Sinne die Blume des Feldes, die Lilie des Thales, nennen läßt, mit welchem in der himmlischen Herrlichkeit dein Volk mit allen Heiligen ohne Ende sich freuen soll, gleichwie er mit dir lebet und herrschet in der Einigkeit des heiligen Geistes von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen.“ Nach diesem Gebet salbt der Papst mit Balsam die goldene Rose auf ihrem Stengel, streut Moschuspulver darauf, besprengt sie mit Weihwasser und räuchert sie mit Weihrauch; dann wird sie von einem Geistlichen des päpstlichen Hofs auf den Altar gelegt. Nach vollendeter Feierlichkeit nimmt der Papst die Rose vom Altar und trägt sie in sein Gemach, wo er sie einem gegenwärtigen mächtigen Fürsten schenkt, der dies Ehrengeschenk knieend mit folgender Anrede empfängt: „Nimm diese Rose aus meiner Hand, der ich, wiewohl ohne mein Verdienst, Gottes Stellvertreter auf Erden bin: sie bezeichnet die Freude des zwiefachen Jerusalems, der triumphirenden und der streitenden Kirche: in ihr stellt sich allen Gläubigen Christi als die schönste Blume Er selbst dar, der Aller Heiligen Freude und Krone ist. Nimm sie hin, vielgeliebter Sohn, der du in der Welt hochgestellt, mächtig und tugendreich bist, auf daß du je mehr und mehr durch allerlei Tugend in dem Herrn Christo erhöhet werdest, wie eine Rose, die gepflanzt ist an den Wasserbächen: und solche Gnade wolle dir aus seiner überschwänglichen Mildigkeit der verleihen, der da dreieiniger Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ Der Empfänger der Rose küßt Hand und Fuß des Papstes und, nachdem er sich dankend verabschiedet hat, wird er, mit der Rose in der Hand, unter Vortritt der Cardinäle, mitten zwischen zwei ältern Diakonen, umgeben von päpstlichen Läufern, in seine Wohnung geleitet. Diese Feier war auch in Deutschland bekannt, und der Sonntag Laetare wurde davon der Rosentag genannt. War aber in Rom nicht gerade ein der geweihten Rose würdiger Fürst gegenwärtig, so wurde nach des Papstes Wahl auch ein auswärtiger Fürst mit dieser Gunst beehrt, wie solches von Leo X. im September 1519 durch Karl von Miltitz geschah, der sich bereits im Jahre 1518 als Ueberbringer dieser sonderlichen Auszeichnung angekündigt hatte. Da die goldene Rose damals in den Unterhandlungen mit dem sächsischen Hofe, die um Luthers willen geführt wurden, eine nicht ganz geringe Bedeutung hatte, um das Herz des Churfürsten zu bestechen, welcher Zweck aber verfehlt wurde, so ist es um so weniger zu verwundern, wenn bei seiner Bibel-Uebersetzung an geeigneter Stelle er sich die Freiheit nahm, auf die rechte goldene Rose in Jesu Christo hinzuweisen.

Luther selbst in seiner Auslegung von Micha 4, 8 giebt, seine goldene Rose gänzlich übergehend, den Sinn des Verses also: „Es war vorhanden, daß das Volk sollte jämmerlich verwüstet und von ihm weggenommen werden aller Schmuck und Zier, so da war, beide, im weltlichen Regiment und im Priesterthum. - Aber (spricht der Prophet) darum bekümmert euch nicht so sehr. Es ist ein anderer geistlicher und ewiger Schmuck, der gehört zu dem Reich Christi, auf den sollt ihr Acht geben, und durch dessen Hoffen alles zeitlichen Verlustes und Unglücks vergessen. Als wollte er sagen: Bisher habt ihr kein recht Königreich gehabt; wenn aber Christus kommen wird, da wird endlich kommen der rechte Schmuck und die vornehmste Herrschaft, dergleichen man vorhin nie gehabt hat. Denn der Tod wird nicht mehr über euch herrschen, die Sünde wird euch nicht anklagen, der Teufel wird euch mit keiner Tyrannei nicht verdrießlich sein, sondern ihr werdet frei sein, als die der Sohn wird frei machen.“

Nachdem aber nun einmal die goldene Rose in unsere deutsche Bibel gekommen ist, ist es wohl gestattet, von Christo als der goldenen Rose zu singen und zu sagen: Goldene Rose, du makellose,
Die ich gefunden aus Bethlehems Feld,
Dich trag' ich fröhlich, dich trag' ich selig
Durch alle Wege der unteren Welt!

Krank vor Verlangen, trauerumfangen
Sucht' ich, der Aermste, nach Blumen im Land;
Blumen des Lebens sucht' ich vergebens,
Konnt' sie nicht finden in irdischem Sand.

Goldene Rose, du makellose,
Kamst aus dem Himmel auf Bethlehems Feld;
Nun ich dich habe, theuerste Gabe,
Hab' ich den Himmel inmitten der Welt!

Leuchtest so sonnig, duftest so wonnig,
Röslein, tief innen im heimlichen Grund;
Will dich da hegen, warten und pflegen,
Röslein: du blühst mir das Herz ja gesund.

Goldene Rose, du makellose,
Heilige Blume von Bethlehems Feld,
In süßen Weisen, lauten und leisen,
Will ich dich preisen der lauschenden Welt;

Daß nichts dir gleichet, nichts dich erreichet,
Himmlische Rose in goldiger Gluth;
Wo du gewonnen, bleichen die Sonnen;
Rose, ach Rose, wie bist du so gut!

Röslein, nun blühe, dufte und glühe
Bis in die große, die letzte Stund';
Da will ich grüßen dich noch und küssen,
Goldene Rose, mit sterbendem Mund.

Goldene Rose, du makellose,
Die ich gefunden auf Bethlehems Feld;
Dich trag' ich fröhlich, dich trag' ich selig
Noch durch die obere, ewige Welt!

V. 9. „Warum hängest du dich denn jetzt an andere Freunde? Ist der König nicht bei dir? Und sind deine Rathgeber alle hinweg, daß dich also das Weh angekommen ist, wie eine in Kindesnöthen?“ -

Wie der Prophet in die ernste Schilderung der richtenden Gerechtigkeit Gottes einige Schimmer der Hoffnung auf die nachfolgende erlösende Barmherzigkeit Gottes hatte folgen lassen, so webt er jetzt in die Weissagungen von der zukünftigen Gnade Mahnungen an die vorlaufenden Gerichte ein. Die Tochter Zion, der er eben eine so überschwenglich glorreiche Zukunft in Christo geweissagt hat, sieht er plötzlich an in ihrem Elende, das in Folge des Gerichts über ihre Sünden jener herrlichen Zukunft vorangeht. Das jetzt in unserm Verse ist die Zeit zwischen der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier und zwischen der Wegführung des Volks in die babylonische Gefangenschaft. Da schreit das Volk (denn statt: „Warum hängest du dich denn jetzt an andere Freunde?“ ist zu übersetzen: „Warum erhebst du jetzt ein Geschrei?“) in lauter Klage, weil sein König gefangen und sein Regiment dahin ist, weil die Rathgeber, die Großen, die Propheten, die Priester aus der Mitte des Volks dahin gerissen sind. Der Schmerz Israels über diese Drangsal ist so groß, daß er sein Gleichniß nur findet in der Angst einer Gebärerin.

V. 10. „Lieber, leide doch solches Wehe, und krächze, du Tochter Zion, wie eine in Kindesnöthen. Denn du mußt zwar zur Stadt hinaus und auf dem Felde wohnen und gen Babel kommen; aber doch wirst du von dannen wieder errettet werden, daselbst wird dich der Herr erlösen von deinen Feinden.“ -

Während die zweite Hälfte dieses Verses schon wieder den Ton des Trostes anschlägt, ist die erste Hälfte noch ganz traurigen Inhalts! Die Angst der Gebärerin ist auch hier noch Bild für einen Schmerz allerhöchsten Grades, dem sich zu unterwerfen der Prophet auffordert. Obwohl Gott in seiner Barmherzigkeit Israel nie ganz verlassen noch versäumen kann, denn er hat's versprochen und ist nicht ein Mensch, daß er lüge, so sollen die Gläubigen in Israel sich doch nicht phantastischen Träumereien hingeben, als ob sie von aller Drangsal ausgenommen sein würden; vielmehr ermahnt sie Micha, daß sie sich bei Zeiten schicken sollen in die kommenden Wehen des Gerichts, wo sie nicht blos aus der süßen Heimath vertrieben, ohne Haus und Heerd umherirren, sondern auch nach Babel in die Gefangenschaft geschleppt werden würden. Sobald er aber die Herzen der Gläubigen vorbereitet hat auf das Ertragen des zukünftigen Kreuzes, fügt er sofort tröstend die Hoffnung auf das Heil hinzu, nämlich daß der gnädige Gott sie nochmals befreien und aus der Hand der Feinde befreien würde. Diese Erlösung Israels aus der Hand der babylonischen Dränger wird von den großen Propheten Jesaias, Jeremias und Hesekiel mit besonderer Vorliebe und in den herrlichsten Farben geschildert; so ruft vor Allen nachdrücklich Jesaias im 52. Kapitel: „Mache dich auf, mache dich auf, Zion, ziehe deine Stärke an; schmücke dich herrlich, du heilige Stadt Jerusalem, denn es wird hinfort kein Unbeschnittener oder Unreiner in dir regieren. Mache dich aus dem Staube, stehe auf, du gefangene Jerusalem; mache dich los von den Banden deines Halses, du gefangene Tochter Zion!“ Diese Erlösung aus Babel war den Propheten zugleich ein Bild der ewigen Erlösung durch unsern Herrn Jesum Christum.

V. 11. „Denn es werden schier sich viele Heiden wider dich rotten und sprechen: Sie ist verbannet, wir wollen unsere Lust an Zion sehen.“ - Wörtlich übersetzt: „Und jetzt versammeln sich wider dich viele Völker, die da sprechen: Sie werde entweiht, und unsere Augen mögen auf Zion schauen.“ Der Prophet hatte eben von der Erlösung aus den babylonischen Drangsalen gesprochen; aber nicht sofort, fahrt er fort, werde die vorige Herrschaft dem Thurme Eder nahen; sondern zuvor würden benachbarte Völker sich sammeln wider Jerusalem mit dem bösen Willen, das Heiligthum des Tempels zu entweihen und Jerusalem zu einem Schauspiel ihrer Augen zu machen. Das geschah unter dem syrischen Könige Antiochus Epiphanes, 167 vor Christo, der das Heiligthum verwüstete und entheiligte und eine gewaltsame Einführung heidnischer Sitte und Religion in Juda anstrebte (1 Makk. 1).

V. 12. „Aber sie wissen des Herrn Gedanken nicht und merken seinen Rathschlag nicht, daß er sie zu Hauf gebracht hat, wie Garben auf der Tenne.“ - Die feindseligen Heiden, die den Versuch machen, die Gemeinde des Herrn zu vernichten und das Geschlecht Jacobs auszurotten, wissen nicht, daß der Herr nicht Zion, sondern ihnen selber Verderben bestimmt hat. Sie graben Israel eine Grube und fallen selbst hinein, eine Thatsache, die sich bei den Angriffen der Welt auf das Reich Gottes tausendfach wiederholt hat. Beutelustig erscheinen die Heiden im Lande Juda, um Ernte zu halten; aber sie selbst sind die Garben, die auf der Tenne Israels ausgedroschen werden.

V. 13. „Darum mache dich auf und dresche, du Tochter Zion. Denn ich will dir eiserne Hörner und eherne Klauen machen und sollst viele Völker zerschmeißen; so will ich ihr Gut dem Herrn verbannen und ihre Habe dem Herrscher der ganzen Welt.“ - Das Dreschen im Lande Juda unterschied sich von dem Dreschen unserer Landleute vielfach. Es erfolgte meist unmittelbar nach der Ernte auf der Tenne, einem festgestampftem ebenen Orte auf dem Felde, entweder mit Flegeln oder mit einem Dreschwagen oder durch Dreschochsen, deren man mehrere, neben einander gebunden, im Kreise über das Getreide hintrieb, die Körner mit ihren Hufen auszutreten. Solche Dreschochsen hat der Prophet bei seiner Vergleichung im Auge; er sieht dabei aber nicht nur auf die zermalmende Kraft ihrer Hufe, die für das Dreschen allein in Betracht kommt, sondern auch auf das, wodurch der Dreschochse außerhalb des Dreschens furchtbar ist, auf seine Hörner. In den Siegen der Makkabäer fand diese Weissagung vom Dreschen der Völker ihre vorläufige geschichtliche Erfüllung; ihre geistliche Erfüllung findet sie in jedem Siege der Gemeinde des Herrn über die Welt; ihre schließliche und vollkommene Erfüllung wird sie bei der zweiten Zukunft Christi erfahren, wenn alle Reiche der Welt Gottes und seines Christus werden. Das Ich in unserem Verse, von dem gesagt wird: „Ich will das Gut der Heiden dem Herrn verbannen u. s. w.“ ist Niemand anders, als der Herr selbst. Das alttestamentliche Verbannen war ein Absondern des Gott Verhafteten. Eine gebannte feindliche Stadt wurde mit Feuer verbrannt, alles Lebendige getödtet, das nicht durch Feuer Zerstörbare, Aecker, Gold, Silber u. s. w., dem Heiligthume anheimgegeben; doch wurde der Bann auf Gottes Befehl auch oft milder vollzogen, indem man blos die Einwohnerschaft, oft nur die männliche, der eroberten Stadt tödtete und das Uebrige als Beute behandelte. An ein solches milderes Verbannen ist hier zu denken. Der Herr, der den Sieg über die übermüthigen Dränger Israels giebt, will ihnen ihre Habe entreißen und für sich nehmen, dies für sich aber heißt hier so viel, als für sein Volk, das als Theilnehmer an seinem Erwerbe zu denken ist. Die Heiden gedachten Israel zu plündern, aber Israel wird das Gut der Heiden erbeuten.

V. 14. „Hör nun, du Kriegerin, rüste dich; denn man wird uns belagern und den Richter Israels mit der Ruthe auf den Backen schlagen.“ - In genauerer Uebertragung: Jetzt schaarst du dich, Schaarentochter! Belagerung richtet man wider uns; mit der Ruthe schlägt man auf den Backen den Richter Israels. Dies dritte „jetzt“ geht auf eine dritte Drangsal Israels. Eben hatte Micha das Volk des Herrn noch geschaut als erlöst aus den Unbilden der Feinde durch die mächtige Hand des Herrn Zebaoth. Jetzt aber schaut sein die Zeiten prophetisch durchspähender Blick die Tochter Zion auf's Neue ohnmächtig, in ihre Mauern eingeschlossen, von Feinden belagert und genommen und die Obersten des Volks den allerschimpflichsten Mißhandlungen bloßgegeben. Jetzt schaarst du dich, jetzt drängst du dich zusammen in Folge feindlicher Belagerung, du Schaarentochter, du tapfere, siegreiche Heldin, die du vorher Andere zu drängen gewohnt warst. Der Prophet steht in patriotischer Mitleidenschaft mit seinem Volke, daher der Ausdruck: „Man wird uns belagern, man richtet Belagerung wider uns.“ Die Beschimpfungen des Richters Israels deuten auf eine Zeit, wo einmal Israel keinen König mehr hatte und sodann wo die Feinde sich schon der Stadt und des Landes bemächtigt hatten. Die geschichtliche Erfüllung ist durch die Besitznahme des heiligen Landes Seitens der Römer gegeben, die im Jahre 40 vor Christo den Edomiter Herodes zum König von Judäa einsetzten und nach seinem Tode das Land zum Theil von seinen Nachkommen, zum Theil von römischen Landpflegern regieren ließen. Durch diese römische Besitznahme des Landes war die nationale Schmach und Noth auf's Höchste gestiegen. Aber wenn die Noth am größten, ist Gottes Hülfe am nächsten. Gott aber offenbarte seine Hülfe durch die Sendung seines eingeborenen Sohnes Jesu Christi, der in Bethlehem Ephrata von der heiligen Jungfrau geboren ward. Davon, als von dem höchsten Beweise der erlösenden Barmherzigkeit Gottes, zeugt Micha im nächsten Kapitel.

Uns aber möge die Schilderung des Wechsels zwischen Gerichten und Gnaden, die dies fünfte Kapitel erfüllt, die Weise unseres Gottes recht nahe legen, danach er seine Leute, auch wenn sie Buße gethan haben und seiner Barmherzigkeit sich getrosten, nicht anders zur ewigen Herrlichkeit führen kann, als durch Lieben und - Betrüben.

Liebe und ein Kreuz dazu
Schafft dem Christenherzen Ruh';
Ohne Schmerz täuscht Liebe sehr,
Kreuz ist ohne Liebe schwer.

Liebe ohne Kreuz macht blind
Und verführ! wohl gar zur Sünd',
Aber Kreuz treibt stets zu sehn,
Ob wir auch noch sicher stehn.

Ueberlassen wir es darum demüthig unserem Herrn, ob er den Stab Wehe, ob er den Stab Sanft über uns schwingen möge. Bitten wir ihn aber, daß sowohl seine Schläge, als seine Liebesgrüße uns immer enger mit dem verbinden mögen, der zu unserem Heile geboren ward in Bethlehem. Amen.

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