Otto, Wilhelm - Wie ehrwürdig unsere ersten Glaubensbrüder in der gegenseitigen Theilnahme an ihren Angelegenheiten erscheinen.

Otto, Wilhelm - Wie ehrwürdig unsere ersten Glaubensbrüder in der gegenseitigen Theilnahme an ihren Angelegenheiten erscheinen.

Am dreizehnten Sonntage nach Trinitatis 1829.
Ueber: Apostelg. 11, 20-30.

Bleibet in der Liebe! Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm! Amen.

Wenn wir auch wollten, wir können uns nicht einmal der Theilnahme an den Angelegenheiten unserer Mitmenschen entschlagen. Unsere Natur selbst drängt uns dazu. Unter Menschen zu leben, und sich auf sich selbst zu beschränken, das geht, nicht. Wir fragen auch nach dem, was um uns hervorgeht; was sich mit denen begibt, die in näherer oder weiterer Verbindung mit uns stehen. Schon die natürliche Verwandtschaft mit denen, die Menschen sind wie wir, drängt uns dazu. Und wäre es diese nicht, die Sorge für uns selbst läßt uns nicht gleichgültig bei dem Zustande, den Schicksalen, dem Verhalten unserer Lebensgenossen bleiben, von welchen in so vielen Beziehungen unser Wohl und Wehe, der Zustand und der Wechsel unserer Lebensverhältnisse abhängt. Und wie stände es um die Befriedigung unserer dringendsten Bedürfnisse, wie um das Fortschreiten unseres Geschlechts, wie um die edleres und erhebenden Freuden des Menschenlebens, wenn keine gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten die Menschen beseelte und einen beständigen Verkehr, eine nie ruhende Wechselwirkung unter ihnen erhielte?

Und nun tretet ein in den Verein, in welchem Christus die Menschen sammelt; betrachtet die Bande, welche der Sohn Gottes um die Menschen schlingt; betrachtet euch als Mitglieder des Reichs Gottes, als Glieder der christlichen Kirche, sagt, liegt es dann nicht in dem Zwecke des christlichen Vereins, nicht in dem Wesen der Gemeinde der Gläubigen, nicht in den Absichten ihres Stifters und Oberhauptes, daß die innigste, edelste gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten alle Glieder dieser Gemeinde Gottes auf Erden beseele und leite? Darum wurde er ja gestiftet, darum wird er ja erhalten, daß Keiner abgeschieden und vereinzelt dastehe in dem Streben nach dem Kleinode der himmlischen Berufung in Christo Jesu; sondern vereint mit Andern, die gleiche Sehnsucht nach dem Göttlichen fühlen, gleiche Theilnahme an den Gnadenschätzen Gottes in Christo, und einerlei heilige Verpflichtung und beseligende Hoffnung haben, sollen sie in gemeinsamer, eng verbundener Thätigkeit zum göttlichen Leben sich bilden; an ein Ganzes soll der Einzelne sich anschließen, sich daran festhalten und aus dem gemeinsamen Leben Aller die nöthige Kraft und die erforderliche Nahrung ziehen. Aber in dem Leben der Einzelnen besteht auch das Leben des Ganzen, und von ihren Gliedern aus muß wiederum die Gemeinde der Gläubigen erhalten/ belebt, gestärkt werden. Würden wir darum nicht das Wesen der kirchlichen Gemeinschaft verkennen, wenn wir ohne Theilnahme an den Angelegenheiten unserer Glaubensbrüder dahingehen, wenn wir unbekümmert bleiben wollten um ihre christliche Erkenntniß und ihr christliches Leben, unbekümmert um ihre Lage und ihre Schicksale? Könnten wir dann auf einen fortdauernden Bestand, ich will nicht einmal sagen, auf eine segenvolle Wirksamkeit, auf ein freudiges Leben dieses Vereins rechnen? Dürften wir uns Bekenner Dessen nennen, der ja in seinem ganzen Leben und Wirken, Handeln und Dulden nirgends das Seine, sondern immer und einzig nur das Heil seiner Brüder suchte? Wie weit stünden wir Kann den ersten Bekennern des Evangeliums nach, die so recht den Geist des Meisters erfaßt und die Absichten begriffen hatten, welche derselbe bei der Stiftung einer Gemeinde der Gläubigen gehabt hatte. An das erhebende Bild ihres gemeinsamen Lebens will ich heute euch führen; stärken, wollen wir uns an dem Anblick desselben zu einem christlichen Gemeingeiste, von dem so unsäglich viel für die Förderung des Reichs Gottes unter uns abhängt. Die Erzählung Apostelg. 11, 20 - 30. zeigt uns bei unsern ersten Glaubensbrüdern eine gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten, in welcher sie überaus ehrwürdig und nachahmungswerth erscheinen.

Es wird daselbst erzählt:

„Es waren aber etliche - durch die Hand Barnabas und Sauli.“

Was für ein schönes, herzerhebendes und überaus herrliches Gemälde, das uns Lucas hier von unsern ersten Glaubensbrüdern entwirft! Wie erweitert sich unser Herz, wie fühlt man sich so wohl, wie innig wünscht man, diesem Vereine der ersten Bekenner des Evangeliums angehört zu, haben! Wo hat die West einen andern, eben so schönen Bund aufzuweisen, wie diesen, den ein so herrlicher Gemeingeist belebte? Wo ist der Verein, in welchem die gegenseitige Theilnahme der Verbundenen auf so würdige Gegenstände gerichtet war, aus so edlen Quellen hervorging, in so schönen Aeußerungen sich kund gab, von einer so weisen Umsicht geleitet und von so wohlthätigen Folgen begleitet war? Das sind eben die Eigenthümlichkeiten, durch welche die gegenseitige Theilnahme unserer ersten Glaubensbrüder an ihren Angelegenheiten sich auszeichnete, und was uns dieselbe so ehrwürdig und nachahmungswerth macht. Betrachtet sie genauer, m. Z., und urtheilet selbst,

I.

sind es nicht die würdigsten Gegenstände, auf welche sich ihre Theilnahme richtet? Vor die Ohren der Gemeinde zu Jerusalem war es gekommen, daß auch in Antiochien das Evangelium des Herrn Jesu gepredigt, und auch den Heiden daselbst mitgetheilt wurde; vernommen hatte man, daß von denen, die nach dem Märtyrertode des Stephanus sich zerstreut hatten, Etliche dorthin gekommen waren und auch zu den Griechen redeten, daß die Hand des Herrn ihr Vornehmen forderte, und eine große Zahl gläubig wurde und sich zu dem Herrn bekehrte. Diese Nachricht erregte allgemeine Theilnahme in der Gemeinde zu Jerusalem, also daß man Barnabam nach Antiochien sandte. Und so waren es denn die geistigen, die heiligsten Angelegenheiten ihrer fern wohnenden Brüder, auf welche sich ihre Theilnahme richtete; es war die Sache des Evangeliums und dessen Fortgang unter der fernen Schwestergemeinde; es war der Umschwung des geistigen Lebens ihrer Brüder, welche die Predigt von Christo gehört und aufgenommen hatten, welche gläubig und bekehrt worden waren zu dem Herrn. Wenn es ja überhaupt nichts Größeres und Wichtigeres für den Menschen gibt, als seine Bildung zur Wahrheit und Gottseligkeit, nichts Wichtigeres, als das Heil seiner unsterblichen Seele, wo ist dann der Gegenstand, welcher unserer Theilnahme würdiger wäre? Wodurch legten wir ein sprechenderes Zeugniß davon ab, daß wir selbst die höchsten Güter unseres Lebens und die göttliche Gnade, welcher wir dieselben verdanken, anerkennen und schätzen? Was gibt einen sprechenderen Beweis, daß uns das Wohl unserer Brüder wahrhaft am Herzen liegt und unsere Liebe eine edle und acht christliche ist? Aber wie eng ist mit der geistigen Wohlfahrt die leibliche verbunden; wie viel hängt für unsere Entwicklung und Bildung zum christlichen Leben von der äußeren Lage ab, die entweder fördernd dieselbe begünstigt oder feindselig aufhält. Mit welchen Gefahren für seine Tugend, seinen Glauben, sein inneres Glück hat namentlich der Arme zu kämpfen, dem der Mangel am Nöthigsten zu Boden drückt; wie hemmend treten der Entwickelung des christlichen Lebens die Schicksale entgegen, wenn sie freudestörend und leidbringend in den ruhigen Gang des äußeren Lebens eingreifen; wie ist sogar der ungestörte Gang eines barmlosen Daseyns, wie ist der ungetrübte Vollgenuß irdischer Freuden und äußeren Wohlseyns oft ein noch schädlicherer Feind des frommen Lebens in Gott und Christo! Und wie kann überhaupt und auch abgesehen davon, das christliche Gemüth ohne Theilnahme bleiben, wo es das Ergehen Anderer betrifft, und es ihre Freude oder ihren Schmerz .wahrnimmt. Auch die äußere Lage ihrer Brüder ist Gegenstand der liebevollen Theilnahme der ersten Christen. Von Jerusalem kommen Jünger des Herrn nach Antiochien, und sie schweigen nicht von der drohenden Gefahr, welche ihren Glaubensgenossen im jüdischen Lande bevorsteht, einer unter ihnen, Agabus, deutete durch den Geist eine große Theuerung, welche kommen werde über das ganze jüdische Land.

Mit welcher Theilnahme die Christen zu Antiochien die bevorstehende Noch ihrer fernen Glaubensbrüder vernehmen, das beweist der rege Eifer und die freudige Bereitwilligkeit, mit welcher sie deren Unterstützung beschließen und ausführen. So ist es ihre christliche Bildung und die so genau damit zusammenhängende äußere Wohlfahrt, auf welche sich die gegenseitige Theilnahme unserer ersten Glaubensbrüder richtet; wahrlich die würdigsten Gegenstände, mit denen sie sich befassen konnte.

Ist's auch unter unsern christlichen Vereinen so? Gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten kann den Christen unserer Zeit gewiß nicht abgesprochen werden, und wohl gibt es der Edlen allenthalben, denen das geistige und leibliche Wohl ihrer Glaubensgenossen am Herzen liegt. Aber gestehen müssen wir auch, daß es ungleich mehr gibt, deren Theilnahme auf minder wichtige Angelegenheiten Anderer sich richtet. Es spricht sie nicht an, von dem Glauben, der Liebe, der Tugend, dem Frieden, dem Eifer in der Gottseligkeit zu hören, und wo die äußere Noth und Drangsal derselben zur Sprache kommt, da mochten sie lieber nichts vernommen haben, als das. Aber desto reger ist ihre Theilnahme, wo es deren Fehler und Verirrungen betrifft, welche sie recht geflissentlich aufsuchen und sie mittheilen; desto sorgfältiger sind ihre Erkundigungen nach der Beschaffenheit und Größe ihres Vermögens, das ihnen nicht selten den Maasstab giebt, um ihren Werth zu beurtheilen; desto mehr sagt es ihnen zu, von ihren irdischen Genüssen und Freuden zu vernehmen, das Gewand sich beschreiben zu lassen, in welches sie sich kleiden, oder in das Heiligthum ihrer Familien einzudringen und Geheimnisse zu erforschen, welche der Welt verborgen bleiben sollten. Fraget nur euch selbst, was so oft den Gegenstand eurer Erkundigungen ausmacht und eure Theilnahme in Anspruch nimmt. Wie oft sind es unwichtige und gleichgültige Dinge, während die würdigsten Gegenstände unbeachtet bleiben, ja ihr müßt gestehen, daß unsere ersten Glaubensbrüder in der gegenseitigen Theilnahme an ihren Angelegenheiten überaus ehrwürdig erscheinen und als Muster der Nachahmung betrachtet zu werden verdienen. Noch mehr.

II.

Wie die Gegenstände ihrer Theilnahme die würdigsten waren, so waren auch die Quellen derselben die edelsten. Wie oft ist es nur müßige Neugierde, welche das Verlangen erweckt, von den Angelegenheiten Anderer Kunde zu erhalten; wie oft ist es der geheime Wunsch, einen stillen oder lauten Triumph über sie zu feiern, wenn man Schwächen und Unvollkommenheiten entdeckt. Hier ist es die Tadelsucht, welche nach Befriedigung verlangt, dort ist's die Schadenfreude, die sich ihre teuflischen Genüsse verschaffen will; Neid und Mißgunst sind es hier, welche Gelegenheit suchen, das Glück der Beneideten zu trüben, dort die Rachsucht, welche ihren glühenden Durst löschen will; und hättet ihr noch nichts gehört von der unbeschreiblichen Lieblosigkeit jener gefährlichen Klasse von Menschen, die in die Angelegenheiten Anderer sich eindrängen, um Samen der Zwietracht auszustreuen und Unfrieden stiften zu können zwischen einzelnen Menschen und ganzen Familien? Gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten wird freilich unter den Menschen nie aufhören, so lange die Macht des Bösen ihre verderbliche Herrschaft ausübt; aber kann denn eine aus solchen Quellen entspringende Theilnahme die rechte, kann sie diejenige seyn, welche im christlichen Vereine die Angelegenheiten der Einzelnen zu dem Gegenstande der Theilnahme Aller machen soll? So finden wir es wahrlich nicht bei unsern ersten Glaubensbrüdern, welche die Absichten des göttlichen Stifters ihres Vereins besser erkannten und ihnen würdiger entsprachen. Wie ehrwürdig erscheinen sie in dem edeln Eifer für die Sache des Reichs Gottes und in der ungeheuchelten Liebe zu ihren Brüdern, aus welchen die gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten hervorging.

Beseelt von glühendem Eifer, dem Werke des Gekreuzigten und Auferstandenen, den sie erkannt hatten als den Sohn des lebendigen Gottes, eine immer weitere Ausdehnung zu geben; bemüht, allenthalben dem Reiche Gottes Anhänger und Bürger zu gewinnen, und nicht untergehen zu lassen, was für die ganze Welt und alle Zeiten bestimmt war, konnten die Christen in Jerusalem nicht gleichgültig bleiben, als ihnen die Rede zu Ohren kam, daß die Hand des Herrn mit den Glaubensboten war, die in Antiochien das Evangelium predigten und eine große Zahl daselbst gläubig ward; sie kannten ja keine wichtigere Angelegenheit, als die des Reichs Jesu, und Alles, was diese betraf, erregte ihre Theilnahme im höchsten Grade. Nähere Kunde mußten sie deßwegen von diesem Fortgange des Evangeliums haben. Aber auch nicht gleichgültig konnten sie bleiben gegen die durch Annahme des Christenthums bei ihren neuen Glaubensgenossen bewirkte Erleuchtung und Heiligung; war es ihnen bei der ungeheuchelten Liebe gegen alle Menschen doch darum zu thun, daß sie der Segnungen und Seligkeiten des Christenthums theilhaftig würden, und um diese wohlthätigen Absichten zu erreichen, um die Erkenntniß ihrer neuen Brüder zu erweitern, zu berichtigen, um ihren Glauben zu stärken, sie zum göttlichen Leben zu führen, ihre Kraft und Freudigkeit zu erhöhen, ihre Hoffnung auf die Gnade Gottes in Christo zu befestigen, darum senden sie Barnabam hin. Und wenn Agabus den, Christen in Antiochien Nachricht gab von der bevorstehenden Noch der Christen in Palästina, war es nicht die Liebe, welche ihn trieb, war es nicht der Wunsch, den Bedrängten zu helfen, welcher in den Jüngern den Entschluß erzeugte, ihnen eine Handreichung zu senden? Geht es nicht aus dem ganzen Benehmen des Barnabas, aus seiner Freude über, die Gnade Gottes, die er sah, aus seinen Ermahnungen, aus seinen Bemühungen um einen Gehülfen bei dem großen Werke, geht es nicht aus der Bereitwilligkeit des Paulus, ihm nach Antiochien zu folgen, und seiner Thätigkeit bei dieser Gemeinde hervor, daß allenthalben nur der Eifer für die Sache des Evangeliums und die Liebe zu den Brüdern die Quellen ihrer gegenseitigen Theilnahme waren? Und so gerade muß es, und anders darf es bei Christen nicht seyn. Wie ihr ganzes Verhalten aus der heiligen Duelle der innigen Anhänglichkeit an und des freudigsten Eifers für die Sache Christi einerseits und der Liebe zu den Brüdern und dem Verlangen, ihr Wohl zu befördern, anderseits hervorgeht, so insbesondere auch ihre gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten. Nur aus dieser Quelle entspringend ist dieselbe edel und würdig. Mit Wohlgefallen ruht darum unser Auge auf derjenigen, die unsere ersten Glaubensbrüder sich bewiesen, und wir müssen gestehen, so und nicht anders darf die unsrige seyn.

III.

Aber auch die Aeußerungen ihrer Theilnahme, von denen wir auf die Quellen derselben schließen, diese Aeußerungen selbst, in denen sich ihre Theilnahme kund gibt, sind sie nicht die schönsten? Auch sie verdienen unsere Aufmerksamkeit, weil auch um ihretwillen unsere ersten Glaubensbrüder so ehrwürdig und nachahmungswerth erscheinen. Ihr fühlet's ja selbst, daß eine Theilnahme an den Angelegenheiten unserer Brüder keinen Werth haben kann, wenn sie nur still und thatlos in unserem Herzen ruht. Da regt sie sich freilich am ersten, da muß sie zuerst leben in den Gefühlen der Freude oder des Schmerzes, mit denen die Beschaffenheit ihrer Angelegenheiten uns erfüllt, wie denn auch Barnabas froh ward, als er, da er hingekommen war, die Gnade Gottes sah. Aber sie muß auch aus der Verborgenheit des Herzens heraustreten, zum Worte, zur That muß sie werden: die Gefühle müssen den Willen bestimmen, die Kraft anregen und dadurch was unsichtbar im Innern lebt, in's sichtbare Leben hervorgehen. Und so sehen wir's bei unsern ersten Glaubensbrüdern. Ihre Theilnahme ist nicht blos eine stille, innere Freude über den Wachsthum der Gemeinde Gottes auf Erden, nicht ein thatloses Mitleiden mit der bedrängten Lage ihrer Glaubensgenossen; nein, aus ihrer Mitte senden die Apostel den Barnabas zur neuen Gemeinde, es beschlossen nicht allein die Jünger in Antiochien den Brüdern in Judäa eine Handreichung zu senden, sie thaten es auch wirklich und schickten's zu den Altesten durch die Hand Pauli und Barnabä. Konnten sie schöner ihre Theilnahme beweisen? Sich selbst entziehet die Gemeinde zu Jerusalem ein würdiges Glied, einen tüchtigen Arbeiter; und doch bedurfte sie dessen bei der kaum gegründeten Gemeinde so sehr; doch war es nichts weniger als gleichgültig für sie, bei ihrer gefahrvollen Stellung, von äußeren Feinden bedroht, die Zahl ihrer Glieder um einen so wichtigen Mann, und der in den Stunden der Gefahr als wackerer Kämpfer auftreten konnte, zu vermindern. Die Brüder in Judäa sind den Christen in Antiochien Menschen, die sie nicht kennen; aber sie geben auch den Fremdlingen freudig, was sie vermögen. Und seht insbesondere auf Barnabas. Wie freut sich der Gottesmann, als er in Antiochien bestätigt findet, was das Gerücht nach Jerusalem gebracht hatte; aber wie ist es ihm nun auch eine heilige Angelegenheit, dem begonnenen Werke Festigkeit und Segen zu geben, Er redet zu den Herzen der Christen Worte der Ermunterung und Stärkung, er ermahnt sie Alle, daß sie mit festem Herzen an dem Herrn bleiben wollten; ein Mann voll heiligen Geistes und Glaubens, arbeitet er an der Erweiterung der Gemeinde, so daß ein großes Volk dem Herrn zugethan ward; er sieht, welche große Ernte hier winkt, er allein fühlt sich der Arbeit nicht gewachsen, und siehe, er scheut die Beschwerlichkeiten der Reise nicht und nicht eitle Ruhmsucht, die allein ein großes Verdienst haben will, hält ihn zurück; sondern er zog aus gen Tarsus, um Paulum zu suchen, und führte ihn gen Antiochien, wo beide nun gemeinschaftlich an der Erbauung und Befestigung der Gemeinde arbeiten. Schöner kann sich doch wahrlich die Wahrheit und Innigkeit einer edlen Theilnahme an den wichtigsten Angelegenheiten Anderer nicht äußern: worin sie eigentlich besteht, worum es ihr eigentlich zu thun ist und was sie erreichen will, kann sich ja schöner und herrlicher nicht aussprechen. Bedarf es noch mehr, um uns zu zeigen, wie auch wir unsere Theilnahme an den Angelegenheiten unserer Brüder beweisen sollen? Hier liegt es ja anschaulich vor, daß sie nicht würdiger sich bewähren kann, als in der gegenseitigen Belehrung und Ermunterung zum christlichen Leben, in der thätigen Sorge, alles Gute und Edle um uns her zu fördern, das Licht und den Segen des Evangeliums nach Kräften zu verbreiten, mit Werken der helfenden Menschenliebe die Noch unserer ärmeren und unglücklichen Brüder zu mildern und die Geber und Schöpfer der Freude in ihrem inneren und äußeren Leben zu seinem Bedarf es einer besonderen Aufforderung an euch, m. Z., dem herrlichen Beispiele zu folgen, das hier euch gegeben wird? Spricht es nicht eindringlich genug von selbst an eure Herzen? Laßt jene frommen Schwätzer, die uns mit unermüdlicher Redseligkeit von ihrer Theilnahme an den Angelegenheiten ihrer Brüder unterhalten, aber nie zu einer entscheidenden That der Liebe und der Hülfe es kommen lassen, laßt sie noch so bewegt von den Rührungen ihres Herzens sprechen; laßt jene leichtbeweglichen Gemüther, die in plötzlichen Rührungen aufwallen, von den heftigen, aber schnell vorübereilenden Gefühlen der Mitfreude und des Mitleidens ergriffen werden; nicht darin, sondern in Thaten der Liebe und des Segens lebt und bewährt sich die acht christliche Theilnahme.

Aber bemerket auch die weise Umsicht, welche die ersten Christen bei der gegenseitigen Theilnahme an ihren Angelegenheiten leitete und ihr findet einen neuen Zug in dem schönen Bilde ihres gemeinsamen Lebens, der sie ehrwürdig und nachahmungswerth macht. Ist's nicht genug mit blos theilnehmenden Gefühlen, mit der Regung des Mitleidens und der Mitfreude an dem Zustande unserer Brüder, so ist's aber auch mit dem guten Willen, mit der bloßen That, mit aller Anstrengung, Bemühung und Aufopferung noch nicht gethan. Sollen diese nicht umsonst aufgewendete Anstrengungen seyn, so muß eine weise Umsicht dabei uns leiten, und nicht blos die Wahl der Mittel, sondern auch die Anwendung derselben zur Beförderung der äußeren und inneren Wohlfahrt unserer Brüder bestimmen. Lehrt es doch ja nicht selten die Erfahrung, daß edle Menschenfreunde ihre wohlwollenden Absichten nicht erreichen, weil sie nicht mit derjenigen Besonnenheit und Ruhe, mit der Rücksicht auf Zeit und Umstände dabei zu Werke gehen, ohne welche ihre edeln Bemühungen zwar immer rühmliche Beweise ihrer wohlwollenden Gesinnungen bleiben, aber den erwünschten Erfolg nicht haben können. Es ist nicht immer Mangel an Einsicht, dem dieses zugeschrieben werden muß; hier ist es die Ueberzeugung von der Güte seiner Sache, von der man glaubt, daß sie schon durch sich selbst gelingen müsse und gar nicht fehl schlagen könne; dort ist es die drängende Eilfertigkeit, die jede Stunde verloren glaubt, die dem ruhigen Nachdenken gewidmet wird; oder es ist Mangel an genauer Kenntniß Derer, deren Wohl durch unsere Bemühungen gefördert werden soll. Aber wir leben nun einmal in einer göttlichen Weltordnung, an deren Gesetze und Einrichtungen wir uns halten müssen, an deren Ordnungen wir von dem Schöpfet selbst hingewiesen sind bei unserem Wirken und Arbeiten: nur eine weise Umsicht läßt uns die rechten Mittel zur Ausführung unserer Pläne finden, und unsere wohlthätigen Absichten werden nur durch sie zur beglückenden und segnenden That.

Von dieser weisen Umsicht, welche gerade die zweckdienlichsten Mittel anwendet, sehen wir die Theilnahme unserer ersten Glaubensbrüder geleitet, denen die Ausbreitung des Evangeliums und die erleuchtende, heiligende und beseligende Wirksamkeit desselben bei seinen Bekennern eine so wichtige Angelegenheit war. Den Barnabas sendet die Gemeine zu Jerusalem nach Antiochien, einen Mann, der selbst mit ihnen Zeuge des Lebens und der Reden und der Auferstehung gewesen war (Apostelg. 1, 21); einen Mann, der seinen Eifer für die Sache des Evangeliums und die Gemeinde der Christen durch die Aufopferung seines Vermögens bereits aufs unzweideutigste bewiesen hatte (Apostelg. 4, 26, 37), einen Mann, ganz geeignet mit Wort und That das Werk Christi zu fördern, denn er war fromm, voll heiligen Geistes und Glaubens. Einen Lehrer sandten sie sonach zur neu entstandenen Gemeinde, welcher nicht allein ihren Zustand richtig beurtheilen, sondern auch zu höherer Vollendung denselben erheben konnte und wollte. Und wenn sich dieser den in der Wissenschaft mehr gebildeten Und in der Kunst der Rede vielgewandten Paulus zum Gehülfen erlas, mit welcher Umsicht, mit welcher weisen Berücksichtigung der Umstände verfuhr er dabei. War ja doch Antiochien der berühmte Sammelplatz vieler wißbegierigen und gelehrten Männer, blühte ja doch daselbst eine ausgezeichnete Schule der Juden; mit Recht erwartete darum Barnabas, daß ein mit der höheren Bildung seiner Zeit vertrauter Mann, wie Paulus, mehr und erfolgreicher für die Sache des Evangeliums wirken könne, als er. Und war es nicht weise berechnet, daß sie gerade hier längere Zeit verweilten, als sie sonst es zu thun pflegten, sie blieben bei der Gemeinde ein ganzes Jahr; hier, wo menschliche Weisheit, wo der Glanz und das üppige Leben einer reichen und angesehenen Stadt die aufkeimende Blüthe des Evangeliums bedrohte, bedurfte einer längeren, Arbeit, um die Gemeinde fest zu gründen und gegen diese Gefahren zu schützen. Erst nachdem sie dieses gethan und tüchtige Lehrer gebildet hatten, verließen sie Antiochien auf Befehl des heiligen Geistes und überließen die Gemeinde der Leitung anderer Lehrer.

Wie oft fehlt, auch bei dem besten Willen, diese Umsicht Denen, welchen es ein wirkliches Anliegen ist, zum Besten einzelner Menschen und ganzer Gemeinden zu wirken. Anstatt ihre Kräfte zu prüfen, vertrauen sie ihren guten Absichten; anstatt des Raths und der Beihülfe einsichtsvoller und erfahrener Freunde sich zu bedienen, wollen sie, von eitler Ruhmsucht beherrscht, die Ehre allein haben, oder fürchten, durch die Verbindung mit Andern Mißtrauen in ihre Kraft und Tüchtigkeit zu erregen, das zu tragen, sie zu viel Eigenliebe besitzen; anstatt langsam, aber sicher, unbemerkt, aber entscheidend vorzuschreiten, wollen sie es mit raschen Entschließungen und augenblicklich kräftigem Einschreiten erzwingen und Aufsehen erregen; darum müssen sie es nicht selten erleben, daß auf diese Art ausgeführt, segensvolle Plane mißlingen, die sonst mit erfreulichem Gelingen bekrönt worden wären. Darum vergesset es nie, daß dem guten Willen und dem wohlwollenden Herzen die weise Umsicht sich verbinden muß, wenn das Gute gefördert werden soll.

IV.

Erzählte auch unser Text nichts von den wohlthätigen Folgen, welche eine solche gegenseitige Theilnahme an ihren Angelegenheiten für unsere ersten Glaubensbrüder hatte, schon aus dem ganzen Wesen derselben ließe sich schließen, daß sie von beglückenden Segnungen begleitet gewesen seyn müsse. Aber auf Vermuthungen brauchen wir uns nicht zu beschränken; es liegt ja augenscheinlich vor uns, welchen Segen ihre gegenseitige Theilnahme ihnen brachte, und überaus erfreulich und ermunternd treten uns die Züge aus dem Gemälde unseres Textes entgegen, welche diese Segnungen zeichnen.

Barnabas, da er hingekommen war und sahe die Gnade Gottes, ward er froh. Seht da an der Freude des Barnabas, als er die Gnade Gottes sah, seht daran, welch' eine schöne Quelle froher Erfahrungen die Theilnahme an den Angelegenheiten unserer Brüder für uns ist. O versucht es nur, euch loszusagen von dem engherzigen Sinne, in welchem ihr nur an euch und euere Angelegenheiten denkt, nur für euer Wohl sorget und gleichgültig an dem eurer Mitmenschen vorübergeht: seht einmal weg von den unwichtigen Nebendingen und dem Kleinlichen und Unbedeutenden in den Angelegenheiten anderer Menschen, fragt nach ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß, ihrer Gottseligkeit, ihrem Frieden; fanget einmal an, mit Weisheit uno Liebe Einer für des Andern Erbauung zu sorgen, seine Einsichten zu erweitern, seine Thatkraft zu beleben und zu erhöhen, seinen Glauben und seine Hoffnung zu befestigen, daß ihr einander gefallet zur Besserung und zum Guten; welche frohe, beglückende Erfahrungen werdet ihr machen! Wie werdet auch ihr die Gnade Gottes sehen, die durch das Evangelium sich immerfort wirksam erweiset an den Seelen vieler Tausenden, und deren Wirkungen nur darum so wenig gekannt werden, weil überhaupt zu wenig Theilnahme dafür herrscht. Und doch würden sich eben da die herrlichsten Denkmale der göttlichen Liebe und die preiswürdigsten Wunder seiner gnadenreichen Waltung und Wirksamkeit offenbaren. Welche edelen Genüsse ständen uns da bevor, und welche beseligenden Erfahrungen würden unsere Kenntniß des göttlichen Wesens erweitern, von der heiligen Waltung Gottes uns die sprechendsten Denkmale erblicken lassen und unser Herz mit hoher Freude erfüllen.

Aber außer den frohen Erfahrungen, die wir selbst bei der Theilnahme an den wichtigsten Angelegenheiten Anderer machen, welchen Segen können wir dadurch über unsere Brüder ausbreiten! O es war nicht umsonst, daß Barnabas die Christen in Antiochien ermahnte, mit festem Herzen an dem Herrn zu bleiben; seine Ermahnungen, sein Beispiel, sein Eifer hatten die Folge, daß ein großes Volk dem Herrn zugethan wurde; immer mehr wurden beseligt durch das Evangelium und lernten Den kennen, von dem sie das ewige Leben haben sollten. Und war es nicht eine wohlthätige Folge der unter unsern ersten Glaubensbrüdern herrschenden Theilnahme an ihren Angelegenheiten, daß die Christen in Judäa durch die Gaben ihrer beglückteren Brüder in Antiochien vor dem drohenden Mangel geschützt wurden, der bei der bevorstehenden Theuerung sie würde getroffen haben? Das sagt die Erzählung; aber wer zählt und beschreibt die Segnungen, welche in dem unsichtbaren Leben der Tausenden aufblühen, die durch die Theilnahme ihrer Glaubensbrüder Ermunterung, Belehrung, Warnung, Trost, Hülfe gefunden haben; wer zahlt sie Alle, die dadurch vor dem Verderben bewahrt und für die Ewigkeit gerettet worden sind; wer berechnet die Folgen, welche diese Theilnahme der Gemeinde in Jerusalem an den Angelegenheiten der entstehenden Christengemeinde in Antiochien für die ganze christliche Welt hatte, da gerade in Antiochien späterhin eine christliche Schule blühte, aus welcher ausgezeichnete Lehrer der Kirche hervorgingen! Christen, ist so herrlicher Lohn auf unsere christliche Theilnahme an den theuersten Angelegenheiten unserer Brüder gesetzt, o so laßt uns mit heiliger Liebe einander wahrnehmen und durch Rath und Beispiel, durch Ermunterung und Hülfe das Reich Gottes fördern. Was können wir Besseres unsern Brüdern geben, als wenn wir die Gehülfen ihrer Seligkeit werden, was können wir Kostbareres der Nachwelt hinterlassen, als wenn sie Glaube und Gottseligkeit von uns erbt!

Ja, so gib Du, der Du uns berufen hast zu einer heiligen Gemeinde, daß uns das Band heiliger Liebe umschlinge und wir von Deinem Geist geleitet einander helfen zum Erbe, das uns im Himmel bewahrt ist. Amen.

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