Oetinger, Friedrich Christoph von - An J. A. Bengel, 8.10.1734.

Oetinger, Friedrich Christoph von - An J. A. Bengel, 8.10.1734.

Leipzig, 8. Okt. 1734.

So viel ich das Wort Gottes, das uns Jesus zur völligen Freude zurückgelassen, Joh. 17, höher achte, als alle besonderen niedriger graduirten Offenbarungen des Geistes, so viel mehr Gewicht hat ein Wort von Ihnen als von Andern, deren Geisteseröffnung nicht den siebenmal durchläuterten Worten der Apostel und Propheten angemessen ist. Es ist freilich wahr, man kann an seinem Plätzchen lernen, was man lernte zu Wasser und Land. Nun aber begnüge ich mich, daß Jesus mir entdeckt, was für Verlust in dem flüchtigen Umtreiben ist. Ich habe mir demüthigst ausgebeten, mich auf die Reise zu lassen, damit ich meine Scrupeln könnte in der Stille und im Licht besehen. Ich finde nun, Gott sei Lob, einen guten Theil derselben gelegt, ich habe aber noch einige Zeit von nöthen, auf die ich nun 8 Jahre gewartet, darin mich der Herr gewiß machen wird. Ein Kind zu werden in einer Function, dergleichen mein Herr Vetter meldet, das sollte mich gleich bewegen, den geringsten Schulmeistersdienst anzunehmen, wenn ich auf keine andere Weise könnte. Allein ich habe mich deßhalb von Herrenhut losgemacht. Ach nur recht demüthig möchte ich stets sein, wie ich in der Gnade Jesu sein kann, wenn der Geist Jesu mich über Gottes große und kleine Führungen belehrt. Aber zu etwas Bleibendem, fühle ich wohl, gehört, daß ich noch zerrieben, zerschmissen und zu nicht werde, und das Blut und die Gnade Jesu mein höchstes Denken bleiben. Behalten Sie mich, mein Theuerster, in Ihrem Gebet. Ich will gern alle Tage mich in diesem Wort erneuern. Nur dich, o Vater unseres Herrn Jesu! Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe. In diesem Sinne gehe ich diesen Winter nach Erfurt, mehr stille zu sein. Die Herrnhuter verlangen mich gar inständig wieder, allein, ich stelle es dem lieben Gott heim, ob er es haben will. Er wird mich ferner ohne seine Augenleitung nicht gehen lassen, Baumgarten will mich sehr bereden, als Mag. legens in Halle zu lesen; allein ich habe zu thun, daß mir Satan den armen Sünder nicht verdecke mit vielen Projekten, ehe ich Gottes Willen erkannt habe. Aber ich will nichts mehr, als das Leben meiner Vernunft verlieren, da wird Besonnenheit und Eifer können in mir zum Accord kommen. Ich schließe in Jesu, unsrem Leben. -

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/o/oetinger/brief1.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain