Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Wesen und Stufen des Glaubens
Dein Glaube hat Dir geholfen - so tönt es durch das ganze Evangelium hindurch, wie auch Christus gleich am Anfang der Aufforderung zur Buße die andere beigefügt hat: „Glaubt an das Evangelium.“ Es ist der Glaube an die gute Botschaft, dass Gott die Menschen retten will durch einen Mittler. Nicht im Glauben an und für sich liegt das Heil, sondern im Glauben an den rettenden Gott.
Rettung und Hilfe kommt auf dem entgegengesetzten Wege, als der Fall des Menschen kam. Zweifel und Ungehorsam, Nichtfeststehen in der Wahrheit leiteten das Verberben ein; das Heil kommt durch Glauben und Glaubensgehorsam. Vom Zweifel sagt der mittelalterliche Dichter Reüseaud von Zwethau:
Zweifel ist ein arger Zimmerer,
War auf Erden nie ein schlimmerer,
Hat den Hof voll Steinen liegen,
Kommt doch nie zum Bau'n und Fügen;
Immer hat er was vergessen,
Immer noch was nachzumessen;
Rückt beständig an den Säulen,
Hat noch immer was zu feilen;
Immer wanken seine Hände,
Immer schwanken seine Wände,
Und zerrissen ist das Dach,
Niemand drunter wohnen mag.
Wird der Zweifel dich nicht lassen,
Wirst du Gott nicht gläubig fassen,
Wird das Wort aus Seinem Mund
Nicht dein Eckstein, nicht dein Grund,
Bau'st du nie auch nur so fest
Wie das kleinste Vogelnest.
Gegen den Zweifel wollen sich viele, in Ablehnung des Glaubens, an die Wissenschaft halten und da Ruhe, Trost und Gewissheit suchen. Aber die Wissenschaft stillt den Schrei des Herzens nach Gott nicht, reicht nicht an den Thron des Höchsten, gibt keinen Aufschluss über Gott den himmlischen Vater und sein Verhältnis zu uns, bricht den Bann der Sünde in uns nicht. Schon von den durch die Wissenschaft schließlich noch Erreichbaren kann sich der Einzelne nur ein Weniges aneignen. Newton kam sich vor wie ein Knabe, der am Meeresufer einzelne schöne Muscheln und Kieseln aufgelesen hat, während der weite, große Ozean unerforscht vor ihm liegt. Noch viel weniger gibt die Wissenschaft Gewissheit und Trost über das, was dem sündigen Menschen ein jenseitiges geworden ist, über Gemeinschaft mit Gott, Vergebung der Sünden, Wiederherstellung, ewiges Leben. „Beweisen lässt sich nur der Tod, das Leben musst du glauben“, - sagt Suttermeister. Das Wichtigste vollzieht sich überhaupt nicht auf dem Weg des Wissens. Mit Recht sagte Ph. M. Hahn: „Es geht in der Welt alles durch Lieben und Abneigung und wenig durch bloßen Verstand,“ und nach Hamann geht allen menschlichen Systemen ihrer Aufstellung oder Ablehnung Glauben voraus oder Zweifel.
Wer den Sinn für das in allem Wechsel Bleibende wer den Glauben verliert, gerät in eine gewisse geistige Heimatlosigkeit. Diese macht unstet, unruhig, unfähig, für etwas Dauerndes tätig zu sein. Daher sind die Glaubenichtse gewöhnlich auch Habenichtse und Taugenichtse. Lange Zeit kann der Mensch darüber sich freilich täuschen, so lange Glück und Zerstreuung oder die Aussicht darauf ihm die innere Not verhüllt, wie die ersten Menschen nach dem Fall der Feigenblätter sich bedienten. Immer was Neues“ ist die Losung der Kulturmenschen, die man wegen ihres unermüdlichen Bemühens, Langeweile und Traurigkeit, Sünde und Tod in Vergessenheit zu bringen, geistige Schürzenfabrikanten nennen könnte. Endlich gehen den Sterblichen die Augen doch auf. Wohl dem, der sich bei Zeiten um das rechte Kleid bemüht, mit welchem Gott selbst unsere Blöße decken will, die Gerechtigkeit und das Leben des Glaubens. - Und um dazu zu gelangen, darf man nicht den Weg ewiger Selbstvergessenheit und Veräußerlichung gehen, wie jene kunstliebenden Athener, die allezeit nur dazu aufgelegt waren, etwas neues zu sehen, oder zu hören, sondern jenen Weg, welchen die selige Helene von Orleans mit der Antwort auf folgende drei Fragen aus Echo bezeichnet hat:
In Tränen will der Lebensmut zerrinnen;
Wo kann ich Kraft und Halt für ihn gewinnen?
Innen!
Wie Laub in Wind ist all' mein Glück zerstoben:
Wo sind ich Trost in solcher Stürme Toben?
Oben!
Wer hat ein Glück, wie meines war, beschrieben?
Und was ist nun von allem mir geblieben?
Lieben!
Von welcher Seite her tönt die Stimme des beseligten und befriedigten „Heureka“ (Ich habe es gefunden), von der Seite der Glaubenden oder von Seite derer, welche die Welt des Glaubens verwerfen? - Ein Exempel statt Tausenden steht hier. Der reiche Bauer Mathias, der eine fromme Christin zur Frau hatte, sagte immer: „Kinder, werdet nur nicht wie eure Mutter!“ Johann, sein Sohn, kam aufs Sterbebett. „Auf was soll ich sterben, Vater? Auf das, was die Mutter glaubt, oder auf das, was Du glaubst?“ - fragte er den Vater. Zusammenbrechend antwortete dieser: „Auf das, was die Mutter glaubt.“
Dem Reformator Zwingli ist der Glaube die in Form des Vertrauens angeeignete innere Selbstbezeugung Gottes, als des Gnädigen durch den Heiligen Geist. Und in der Tat ist nach der heiligen Schrift der Glaube eine Wirkung des lebendigen schöpferischen Kraftwortes Gottes selbst (Röm. 1,17), und die Hingabe an den verheißenden, gebietenden und allezeit wirkenden Gott ist des Christen ganze Sittlichkeit. Der Wirkung Gottes kann nichts widerstehen, und so ist dem wahren Glauben nichts unmöglich (Mat. 17,20). Im Evangelium Christi kommt Gott zu uns, als der Gnädige, der Sünden vergibt und schont und wiederherstellt; so ist denn der wahre, christliche Glaube ein persönliches Vertrauen auf Gottes Gnade, wobei der Heilige Geist allein es uns gewiss machen kann, was uns von Gott geschenkt ist (1. Kor. 1,12). Wenn ich gewiss und getrost glaube, dass Gott mir gnädig ist, meine Sünden mir nicht anrechnet, dass Er gut ist, gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte und Treue, dass Er weiß, was wir für ein Gemächte sind, und daran denkt, dass wir Staub sind, dass Er heilt alle meine Gebrechen und mein Leben vom Verderben erlöst, dass Er mein Gott ist und nichts mich von Seiner Liebe scheiden darf, wenn ich dessen gewiss bin, dann habe ich den christlichen Glauben; kein Mensch kann ihn uns geben; es muss von Gott gelehrt und gegeben sein. - Solcher Glaube ist eine Seltenheit.
Wohl lebt in Tausenden und Millionen ein gewisses Vertrauen. Aber es besteht oft nur im Glücke und fällt mit diesem dahin, weil es auf das Sichtbare gestellt und nicht in Wahrheit ein Stehen in dem lebendigen Gott war. Ob der Mensch Gott die Ehre gibt, zeigt sich darin, dass er, wo von Erfüllung Seiner Verheißung auch gar nichts, eher das Gegenteil zu sehen ist, dieser Verheißung doch traut, wie Abraham, der nicht ansah der erstorbenen Leib der Sarah, sondern dem glaubte, der gesprochen: Zahllos wie die Sterne des Himmels soll dein Same sein. Wo alle menschliche und weltliche Stütze der Hoffnung verloren ist, da hält der Glaube an Gott, den Schöpfer und Erlöser, aus; denn dieser kann auch das ins Dasein rufen, was noch gar nicht existiert, und das lebendig machen, was tot ist (Röm. 4,17-21). Solcher Glaube, den Gott wirkt und der Gott ehrt, wird nicht zu Schanden und wird dem Gläubigen zur Gerechtigkeit gerechnet. Zu Seinen Werken bedient sich der große Gott auch der Menschen, und indem sie sich als Werkzeuge der göttlichen Vorsehung und dem Wort Gottes hingeben, stehen sie an einem Werk, das vorwärts geht und zu Ende kommt, wiewohl sie die künftigen Wege nicht in der Hand, nicht einmal im Bewusstsein haben, sondern im blinden Glauben folgen. „Wer ist so blind wie mein Knecht?“ - heißt es bedeutungsvoll im Propheten. Wo menschliche Weisheit auch gar alles zuvor ausklügelt und Garantien sucht für den Erfolg, da geht's menschlich zu und entstehen Pflanzungen, die wieder ausgerottet werden, weil sie nicht der himmlische Vater gepflanzt hat. Im Glaubensleben geht's durch tiefes Dunkel. hindurch, wobei die Losung ist: Dennoch!
Sich in Diskussion mit dem Zweifel des widerstrebenden Herzens und Volkes einzulassen, statt durch Fortmachen im Glauben den Herrn zu heiligen, ist eine gefährliche, Gott missfällige Sache und besonders für Boten Gottes eine schwere Sünde, wie das Beispiel am Haderwasser und die den Moses treffende Strafe zeigt (4. Mose 20). Sache der Boten Gottes ist es, einfach im Glauben nach dem Auftrag zu handeln und den Widerstrebern durch das positive Zeugnis zu widersprechen. -
Wenn ein Religionsphilosoph sagt: „Die jetzige Kultur schafft in dem Menschen das Bewusstsein, dass jeder sich auf sich selbst stellen muss und allein eigenes Streben dem Menschen das Heil bringen kann,“ - so ist solcher Selbstverlass das gerade Gegenteil des Glaubens; denn dieser ist ein Verlass auf die Gnade. - Bengel sagt (aus Anlass des auf den Wassern sinkenden Petrus): Qui gratia niti coepernut, natura minus uti possunt, d. h.: Wer angefangen hat, auf die übernatürliche Gnade und Macht Gottes sich zu verlassen, kann und darf nicht mehr auf die Natur sich stützen. Es würde dies dem Wesen des Glaubens widersprechen und die bloß natürlich gebotenen Mittel reichen überhaupt für den Gläubigen nicht mehr aus. Er muss glauben, muss sich je länger, je mehr durchglauben.
Der Glaube, nicht die moderne Weltanschauung, ist eigentlich die „neue Weltanschauung.“ Was man so nennt, ist im Grunde die alte, heidnische, philisterhafte Weltanschauung, die noch im Bann der Sinne und der eitlen, dem Tode verfallenen Welt, hoffnungslos gefangen ist. „Der Glaube ist ein gar neuer Sinn, weit über die fünf Sinne hin.“
„In jedem Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist Ihm angenehm“ (Apost. 10,35). So spricht der Apostel Petrus und anerkennt damit, wie überhaupt die neutestamentlichen Schriften, eine gewisse außerchristliche Frömmigkeit, die Gott gnädig ansieht. Hiervon sind ein Beispiel jener Hauptmann zu Cäsarea und der von Kapernaum und viele andere Personen, namentlich aus den Heiden, welchen eine gewisse Philanthropie, Menschenfreundlichkeit und Gerechtigkeit zugeschrieben wird. Im Gegensatz zum Fanatismus der Juden erfuhr St. Paulus von den Römern eine wohlwollende Behandlung, wie der Herr selbst von den Samaritern. Hieraus erhellt zweierlei: Erstens, dass auch in der Finsternis der Heidenwelt hinein das ewige Wort geleuchtet hat; dass an Vernunft und Gewissen aller Menschen und Völker sich Gott in Seiner Wahrheit und Gerechtigkeit bezeugt; sodann, dass der Mensch mit der höheren ihm geschenkten Offenbarung nicht immer Schritt hält, sondern wegen seines Stolzes und seines Unglaubens von solchen überholt und beschämt werden kann, die auf einer tieferen Stufe der Gotteserkenntnis stehen. „Wahrlich, solchen Glauben habe ich selbst in Israel nicht gefunden“ heißt es von dem römischheidnischen Offizier in Kapernaum.
Wahr und schön redet Rückert von dem Ahnen und Suchen der Gottheit, das unter allen Völkern sich findet:
In allen Zonen liegt die Menschheit auf den Knieen.
Vor einem Göttlichen, das sie empor soll ziehen.
Verachte keinen Brauch und keine Flehgebärde,
Womit ein armes Herz emporringt von der Erde.
Ein Kind mit Lächeln kämpft, ein andres mit Geschrei,
Dass von der Mutter Arm es aufgenommen sei.
Bei aller Anerkennung der natürlichen und alttestamentlichen Religiosität dürfen wir uns nicht dahin verirren, zu meinen, es sei gleichgültig, auf welcher Stufe man stehe, welchen Glauben man habe. Gerade Kap. 10 der Apostelgeschichte ist ein Beispiel von dem großen Unterschied jener natürlichen, vorchristlichen Frömmigkeit und der großen Gabe des Christentums. Weil die Gebete und Almosen des Heiden Cornelius in's Gedächtnis vor Gott kommen, darum wurde er eines Besseren gewürdigt und Petrus zu ihm gesandt, ihm zu sagen, was er zu tun habe. - Es ist doch so, dass das Christentum gleich ist dem hellen Tag, der Glaube der Israeliten der Dämmerung und das Heidentum der Nacht, der freilich ihre leuchtenden Sterne und Weisen nicht fehlen. Im Sensus communis, im allgemeinen Wahrheitssinn hatten schon die Heiden ein merkwürdiges Licht und können deshalb die Schriften der Alten in mancher Beziehung unsere Lehrer sein. Es ist eine steigende Offenbarung Gottes, die sich immer mehr mitteilte und immer intensiver in die Menschheit einging, bis sie durch die Inwohnung des Heiligen Geistes ein neues Leben im Innersten des Menschen begründen konnte. Daher ist eine Wahrheit in dem, wie die Mystiker unterscheiden, zwischen den drei Stufen der Durchwohnung, der Beiwohnung und der Inwohnung, der Offenbarung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, den Stufen des Sensus communis, der Bekehrung und der Heiligung.
Auf dem Konzil zu Nicäa 325 hat die Kirche, damals noch ungespalten, ihren Glauben gegen die Irrlehren des Arius in dem sogenannten Nicänischen Glaubensbekenntnis ausgesprochen, in welchem das ältere „apostolische“ Symbolum durch einige Zusätze erweitert wurde, welche namentlich die ewige Gottheit und Menschwerdung des Sohnes noch deutlicher aussprachen.
„Und ich glaube an Einen Herrn, Jesum Christum, den eingeborenen Sohn Gottes, gezeugt von dem Vater vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftigen Gott vom wahrhaftigen Gott, gezeugt, nicht geschaffen, Eines Wesens mit dem Vater, der um uns Menschen und um unserer Seligkeit willen vom Himmel herabgestiegen und Fleisch geworden ist durch den Heiligen Geist aus Maria der Jungfrau und ist Mensch geworden.“ Nach der Erwähnung der Himmelfahrt und Wiederkunft des Herrn Jesu heißt es: „Seines Reiches wird kein Ende sein.“ - „Beim Heiligen Geist“ ist beigefügt: „Der da ist Herr und macht lebendig, der von dem Vater und dem Sohn ausgeht und mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und verherrlicht wird, der durch die Propheten geredet hat.“ Die Kirche wird genannt: Eine heilige, katholische, d. h. allgemeine und apostolische Kirche. (Siehe weiter unten die „Lehre von der Kirche“.) Am Ende heißt es nicht bloß: „Ich glaube,“ sondern „ich warte auf die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt.“
Noch im gleichen vierten Jahrhundert kam zu diesem zweiten Bekenntnis der Kirche noch ein drittes, abermals erweitertes hinzu, das nach dem Kirchenvater Athanasius genannte.
Alle drei Bekenntnisse haben auch die Reformatoren anerkannt; sie bilden ein Band, das alle Teile der Kirche verbindet, die Einen Herrn, Einen Glauben und Eine Taufe hat (Eph. 4,5). - Aus der Formel der Glaubensbekenntnisse der Täuflinge hervorgegangen (vgl. Apg. 8,36.37), wurden diese Bekenntnisse später auch Teile des Gottesdienstes und von der Gemeinde laut bekannt, wie auch Calvin noch das apostolische Symbolum alle Sonntage von der Gemeinde sprechen ließ.
Die Kirche kann keinen neuen Glauben aufstellen, aber sie hat nach der Schrift die Pflicht, den einmal ihr übergebenen Glauben zu bekennen, in immer neuen Zungen, nach dem Bedürfnis und in der Sprache der Zeit. Dadurch, dass die Kirche die heiligen Schriften überliefert, das Wort Gottes verkündet und glaubt, die heiligen Sakramente und alle apostolischen Anordnungen und Überlieferungen (wie z. B. den sonntäglichen Gottesdienst, die Kindertaufe und alle heiligen Gebräuche) treu bewahrt und den Christenglauben, im Anschluss und auf Grund der drei ursprünglichen Glaubensbekenntnisse immer aufs Neue bekennt, - dadurch ist die Kirche ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit (vgl. 1. Tim. 3.15.16; 2. Thess. 2,15; 1. Kor. 11.34).
Bei der Kirche, welche der Heilige Geist als Eine und heilige, allgemeine und apostolische in alle Wahrheit leiten will (Joh. 16,13), soll das große Geheimnis der Gottseligkeit gefunden werden.