Neff, Felix - Die Zusammengehörigkeit des Volkes Gottes

Neff, Felix - Die Zusammengehörigkeit des Volkes Gottes

1)

Lasset uns einer des anderen wahrnehmen zum Reizen der Liebe und guter Werke, und nicht verlassen unsere Versammlung.
Heb. 10,24.25

Es ist schwer, wo nicht unmöglich, Fortschritte zu machen oder auch nur zu beharren im Glauben, wenn man die Gelegenheiten vernachlässigt, sich mit Brüdern zu vereinigen, um gemeinschaftlich mit ihnen seine „Seligkeit zu schaffen“, und wer sich ohne Not von den Gläubigen entfernt hält, beweist damit, daß ihm die Verherrlichung Gottes und das Gebot Jesu Christi nicht am Herzen liegt.

In allen Ländern und unter allen Verhältnissen vereinigen sich die Menschen zu ihrem Vergnügen und zu ihrem Nutzen. Zu ihrem Vergnügen: Der Spieler spielt nicht allein; der Trunkenbold sucht die Gesellschaft des Trunkenbolds; der lustige Geselle, der Freund von Narrenteidingen, der junge Spötter, der alte Schwätzer, alle lieben die Gesellschaft von ihresgleichen. Die Liebhaber von Neuigkeiten vereinigen sich, um Zeitungsblätter zu lesen und sich über die politischen Ereignisse zu unterhalten. Selbst der Geizhals und der Wucherer gefallen sich in Unterhaltungen über Besitzungen, Erbschaften, Geldanwendungen, Reichtum usw. Wie sollte denn der Christ, der Himmelsbürger, der Erlöste Jesu, der Erbe eines herrlichen Reiches, nicht auch eine wahre, eine süße Freude daran finden, sich im Namen des Herrn mit Brüdern zu vereinigen, um von dem „allein Nötigen“, von dem guten Heiland mit ihnen sich zu unterhalten, „der uns geliebt und sich selbst für uns dargegeben hat“; um sich gemeinschaftlich ihres Glückes zu freuen und der Herrlichkeit, die ihrer wartet, und um sich die Gaben mitzuteilen, die sie aus der Hand ihres himmlischen Vaters empfangen? Wer bei solchen Unterhaltungen gleichgültig und kalt bliebe, der würde damit beweisen, daß er die Welt und die Dinge dieser Welt mehr liebt, als was droben ist. Zudem sollen die Jünger Jesu sich lieben, und ihre herzliche, aufrichtige und innige Bruderliebe soll sie von anderen Menschen unterscheiden und zu Jüngern Jesu stempeln; es ist dies das alte und das neue Gebot, das zweite Gebot im Gesetz, das zweite Gebot im Evangelium (Joh. 13, 34.35; 15,17; 1. Joh. 2,10; 3,14; 4,11.21); das Gebot, „von dem nicht not ist, euch zu schreiben, indem ihr von Gott selbst gelehrt seid, einander zu lieben“ (1. Thess. 4,9). Wie sollten wir aber uns aufrichtig lieben können, ohne die Gelegenheiten zu suchen, uns zu sehen und zu sprechen? Man würde nicht wissen, nicht glauben, daß die Kinder Gottes untereinander sich lieben, wenn sie vereinzelt oder mit der Welt vermengt lebten; wenn sie nicht, wie Schafe einer nämlichen Herde, gerne beieinander wären. Es ließe sich noch manches beifügen, um zu zeigen, daß Christen, die treu sind oder es werden möchten, sich aufsuchen und zusammenhalten.

Was hätten wir aber nicht alles zu sagen, wenn wir den Nutzen, den Vorteil dieses brüderlichen Umgangs ins Auge fassen? Wie die Weltkinder schon um des bloßen Vergnügens willen die Gesellschaft derer aufsuchen, die an den nämlichen Dingen, wie sie, Geschmack finden, so suchen sie auch zu ihrem Vorteil eine solche Gesellschaft auf. Sie vereinigen sich und bilden Heere, um sich gegen ihre Feinde zu verteidigen oder um sich gegen Räuber und wilde Tiere zu schützen. Jeder einzelne würde nichts ausrichten, vereinigt sind sie stark. So haben auch die Gelehrten, die Naturforscher, die Handelsleute zu allen Zeiten Gesellschaften gebildet, haben ihr Licht und ihre Hilfsmittel zusammengetan, um besser zu ihrem Ziele zu gelangen. Und was man auch immer tun oder lernen will, so sucht man diejenigen auf, die das nämliche tun oder lernen wollen, um ihre Erfahrung, ihren Rat und öfters auch ihre Unterstützung zu benutzen. Wie sollten denn die Gläubigen, die in der Erkenntnis Gottes wachsen wollen, welche die köstliche Perle suchen, und die so viele innere und äußere Feinde zu bekämpfen haben, nicht mehr als alle anderen das Bedürfnis fühlen, sich zu vereinigen, sich gegenseitig zu stärken, zu belehren und zu ermuntern?

Es ist uns dies übrigens durch den Herrn selber in der ganzen Heiligen Schrift ausdrücklich empfohlen, und es wäre nicht möglich, die Pflichten des Gläubigen gegen seine Brüder zu erfüllen, wenn man keinen oder nur wenig Umgang mit ihnen hätte sagt: „So ist es besser zwei, denn eins; … fällt ihrer einer, so hilft ihm sein Geselle auf. Wehe aber dem, der allein ist; wenn er fällt, so ist kein anderer da, der ihm aufhelfe. Einer mag überwältigt werden; aber zwei mögen widerstehen; denn eine dreifältige Schnur reißt nicht leicht entzwei“ (Pred. 4,9.10.12) „Ich halte mich zu denen,“ sagt David, „die dich fürchten und deine Befehle halten.“ (Ps. 119,63). Der Prophet Maleachi redet von Gottesfürchtigen, die unter den Gottlosen leben, aber sich „untereinander trösten“, und sagt, der Herr merke es und schreibe es auf einen Denkzettel für den Tag der Vergeltung. Der ganze 133. Psalm preiset die brüderliche Verbindung: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen … denn daselbst verheißt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich.“ Unser Herr spricht auch von dem besonderen Segen dieser Gemeinschaft in folgenden Worten: „Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, worum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel, denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mat. 18,19.20). Er empfiehlt den Gläubigen, sich gegenseitig zu erbauen, zu belehren, zu ermahnen und zu stärken (Heb. 3,13; Kol. 3,16; 1. Thess. 5,11.14, Röm. 15,14). Dies alles kann aber nicht geschehen, wenn man entweder gar nicht, oder nur wie die Welt für seine Geschäfte zusammenkommt; man muß sich sehen, muß in der Absicht, diese Gebote zu erfüllen, zusammenkommen.

Was kann denn denjenigen, der sich einen Jünger Christi nennt, abhalten, eine ebenso heilige als süße Pflicht zu erfüllen? Nur zwei Dinge: Die Liebe zur Welt und die Menschenfurcht. Viele werden durch die Liebe zu den Dingen dieser Welt und die große Wichtigkeit, die sie in ihren Augen haben, zurückgehalten. Wenn sie aufgefordert werden, sich mit ihren Brüdern zu erbauen, so antworten sie gewöhnlich, sie hätten nicht Zeit. Der wahre Gläubige würde sich jedoch schämen, so zu antworten, indem er wohl weiß, daß er zuerst trachten soll nach dem Reiche Gottes, und daß nur „Eines not tut“. Wie dürfte er sagen, er habe nicht Zeit, sich mit dem Heil seiner Seele zu beschäftigen, da er ja weiß, daß es dem Menschen nicht hülfe, die ganze Welt zu gewinnen, so er dabei Schaden nähme an seiner Seele! Nein, dem Gläubigen liegt nichts so sehr am Herzen als seine Heiligung und die Verherrlichung Gottes, dies ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Hiermit ist sein Geist allezeit beschäftigt, hiervon ist sein Herz voll; wer nicht so gesinnt ist, der verachtet Gottes Wort und tritt es mit Füßen. „Wie will er denn entfliehen, so er eine solche Seligkeit nicht achtet?“ Die Sorge dieser Welt und der betrügliche Reichtum und die Ehre bei den Menschen sind Dornen, die den guten Samen ersticken, daß er keine Frucht trägt. Wie nimmt Gott die Entschuldigungen derer auf, die mehr Eile haben, auf ihre Äcker und zu ihrer Hantierung, als zu dem Hochzeitsmahle seines Sohnes zu gehen? „Die Hochzeit ist zwar bereitet,“ sagt er, „aber die Gäste waren es nicht wert. Ich sage euch, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird.“ (Luk. 14,24)

Andere können nicht vorwenden, sie hätten keine Zeit; sie bekennen sogar, daß es sie freuen würde, sich mit den Gläubigen zu vereinigen; aber sie fürchten die Welt, den Spott, den Tadel, den Haß, vielleicht die Mißhandlungen der Feinde Jesu Christi; sie besorgen, sich Leiden zuzuziehen, ihren Verwandten, ihren Freunden, Nachbarn, Vorgesetzten zu mißfallen; kurz, sie schämen sich des Kreuzes Christi; sie dürfen ihn nicht vor der Welt bekennen. Diesen habe ich nichts zu sagen, sie haben die Bibel gelesen, sie wissen, was ihrer wartet und wie derjenige sie empfangen wird, der sich unser vor Kaiphas, vor Herodes, Pilatus und dem jüdischen Volk nicht geschämt hat, und der angesichts aller seiner Feinde ans Kreuz geheftet worden, um unsere Sünden zu büßen.

Es ist dem Feinde unserer Seele allzuviel daran gelegen, uns zu entzweien und uns zu trennen vom Volke Gottes, als daß er ein solches Mittel, zu seinem Zweck zu gelangen, unbenutzt ließe. Er weiß wohl, daß glühende Kohlen bald verlöschen, wenn sie einsam stehen; und eben die Erbitterung der Welt gegen christliche Versammlungen ist uns ein Beweis von ihrer Zweckmäßigkeit.

Wer da wünscht, den Glauben zu bewahren, der hüte sich, sich von den Versammlungen zurückzuziehen. Wenn die Welt, von dem Geiste der Finsternis beseelt, euren Erbauungsstunden den Krieg erklärt, so müßt ihr darinnen einen Grund sehen, euch noch enger mit einander zu verbinden und zusammen zu halten. Die Erfahrung lehrt es uns, daß an allen Orten, wo die Kinder Gottes sich vereinigen, sie verfolgt werden, und daß sie hingegen da, wo sie sich haben zerstreuen lassen, bald wieder leblos geworden sind wie die Welt.

Möge der Herr uns einen solchen Hunger nach seinem Wort und nach seiner Gnade geben, daß der Umgang mit seinen Kindern uns unentbehrlich werde. Möge er uns also erfüllen mit den Gaben seines Geistes, daß es uns Bedürfnis werde, von ihm zu zeugen und ihn in der Gemeinde zu loben (Psalm 22,23). Jesus spricht: „Wer an mich glaubt, von des Leibe werden ströme des lebendigen Wassers fließen.“ Möchten wir alle solche Brunnen des Lebens sein und durch Wort und Werk den guten Geruch Christi um uns her verbreiten, damit noch viele Seelen zu ihm gezogen werden!

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Der nachfolgende Artikel stammt aus dem Jahr 1823 ist geschrieben von Felix Neff, einem ehemaligen Feldwebel, der nach seiner Bekehrung als Kolporteur und Erweckungsprediger für den Herrn eifernd die Schweiz und Frankreich durchzog. Er gehörte zu dem Kreise jener lebendigen Geisteschristen wie Bost, A. Malan, Fr. Monod, Guers Pyt u.a., die in einer geistlich toten Zeit das Evangelium auf den Leuchter stellten, von der herrschenden Kirche aber verfolgt wurden und dadurch gezwungen waren, freie Gemeinden von Gläubigen zu bilden. Der Wellenschlag jener geistlichen Bewegung verpflanzte sich schließlich weiter und hat insbesondere in seinen Auswirkungen auch den Gründer unserer deutschen Freien evangelischen Gemeinden, H. H. Grafe, segensreich beeinflußt. Der Artikel Neffs hat auch unserer Zeit etwas zu sagen, obgleich heute der alte böse Feind weniger den Haß der Welt als vielmehr die Saat innerer Zerwürfnisse benutzt, um die Kinder Gottes des Segens der Gemeinschaft zu berauben.
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