Müller, Heinrich - Von der Ungewißheit des Todes.

Müller, Heinrich - Von der Ungewißheit des Todes.

Heute roth, morgen todt.

Heute reich, morgen bleich; heute stark, morgen im Sarg. Gewiß ist der Tod, Anfang bringt ein Ende. Wie wir alle ins Leben einen Eingang, so haben wir auch alle aus dem Leben einen Ausgang. Wer an der Gewißheit des Todes zweifelt, erkennt nicht, daß er täglich sterbe. In dem Augenblick, da wir anfangen zu leben, fangen wir auch an zu sterben und sterben immerfort, indem wir leben. Gleichwie der Wein nicht plötzlich aus dem Faß läuft, sondern rinnt tropfenweise, nach und nach; so tröpfelt unser Leben täglich dahin, bis kein Tropfen mehr übrig ist. So gewiß aber der Tod, so ungewiß ist die Stunde des Todes. Du denkst auf einen alten Mann und verblühst in der Blüthe deiner Jahre. Nicht alle Schultern sind stark genug, den alten Mann zu tragen. Nicht alle Häupter sind würdig, daß ihnen die Ehrenkrone der grauen Haare aufgesetzt werde. Man trägt mehr Kälberhäute zu Markt als Kuhhäute. Der Tod sagt nicht voran, wann er kommen will; im Hui setzt er seine Sichel an und haut dich nieder. Du bist ihm nimmer zu unreif in seine Scheuern. Wenn Jesabel ihrem Angesicht falschen Purpur anlegt, muß sie plötzlich der Hunde Speise werden. Wenn Belsazar mit seinen Gästen fröhlich ist und die goldenen Weinschaalen ausschöpft, wird ihm der Tod an die Wand gemalt. Wenn jener reiche Bauer seiner Seele mit diesem Liedlein einen guten Muth macht: Sei nun zufrieden, liebe Seele, denn du hast einen Verrath auf viele Jahre, iß und trink; spielt ihm der Tod ein ander Liedlein auf: Du Narr, du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir nehmen. Drum, mein Herz, setz dein Datum nicht weit hinaus. Sorge nicht für morgen, vielleicht stirbst du heute noch. Der dir heute dein Leben gab, gab dir auch heute des Lebens Unterhalt; gibt dir Gott das Leben morgen, wird er dich auch mit Brod versorgen. Denk nicht, morgen will ich Buße thun; es kann zu spät sein, vielleicht ist heute der letzte Tag, wer weiß, wie bald man sterben mag? Wahrlich, so wahr der Herr lebt, spricht David zu Jonathan, und so wahr deine Seele lebt, es ist nur ein Schritt zwischen mir und dem Tode. 1. Sam. 20, 3. Das magst du auch wohl sagen, mein Christ, du sitzest oder gehest, liegest oder stehest, so hast du den Tod immer zu gewarten. Bist du zu Schiffe? Kaum bordsbreit vom Tode. Bist du zu Pferde? Es ist um einen Fall zu thun. Gehst du durch eine Gasse? Ein jeder Ziegel auf dem Dach dräuet dir den Tod. Unser Leben ist nur wie eine Hand breit, ja, wie nichts. Der Tod soll auf mich, ob Gott will, nicht lange warten, ich will sein warten alle Stunden. Die erste die liebste. Mein Jesu, komm nur bald!

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