Müller, Heinrich - Ich sage euch, es wird Freude seyn vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut.

Müller, Heinrich - Ich sage euch, es wird Freude seyn vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut.

Luk. 15, 10.

Der Geistliche einer Stadt wurde eines Abends zu einem Kranken gerufen; doch solle er, wurde gebeten, mit dem Kranken ja nicht vom Sterben reden, denn derselbe hänge ungemein am Leben und wolle durchaus nichts vom Tode hören. Er klage in Ungeduld über die lange Dauer seiner Krankheit, und jede Andeutung, daß er wohl nicht mehr genesen werde, bringe ihn zu den bittersten Klagen. Auch habe er den Geistlichen nicht begehrt. Der Kranke war ein Mann in den besten Jahren, erst etlich und vierzig Jahre alt, und gehörte den gebildeten Ständen an. Von seinen Eltern in Gottesfurcht erzogen, war er später als junger Kaufmann in schlechte Gesellschaft gerathen und von Gott abgefallen, so daß er keine Kirche besuchte, noch weniger in der Bibel las, vielmehr sich oft in Spott und ärgerlichen Reden über das Heilige ergoß und allen Lüsten des Fleisches stöhnte. Des Gelds wegen hatte er eine Frau geheirathet, zu welcher er keine Neigung hatte, und es war durch beider Schuld bis zur Scheidung gekommen. Bach Jahre langer Abwesenheit war er vor Kurzem an der Auszehrung leidend heimgekommen und hatte Aufnahme bei braven Leuten gefunden, denen er früher in Verlegenheiten geholfen, wie er denn, von Natur gutmüthig, Andern stets bereitwillig zu dienen pflegte.

Mit all dem bekannt, machte sich der Geistliche schweren Herzens auf den Weg, betete aber ebendarum desto inbrünstiger, daß ihm der Herr das rechte Wort verleihen und diesem den Eingang in das Herz des Kranken öffnen wolle. Dieses Gebet blieb nicht unerhört. Der Kranke nahm den Pfarrer freundlicher auf, als er vermuthet hatte, und dieser konnte das Gespräch bald auf Religiöses lenken. Hier nun äußerte der Kranke: Ich muß gestehen, ich habe mich in der Religion über den Glauben des Volks erhoben. Ich war zum Studiren bestimmt und habe das obere Gymnasium in Stuttgart besucht, daher wird es mir nicht verargt werden, wenn ich einen höheren Schwung in der Religion nahm, aber - es war vielleicht doch gefehlt.

Der Geistliche: Das wäre gar wohl möglich. Was man einen höheren Schwung in der Religion nennt, ist oft ein tiefer, tiefer Fall. Doch wir wollen sehen, was es bei Ihnen war. Das Evangelium ist besonders dazu gegeben, daß es Friede und Freude in unser Inneres bringe; je höher wir in der Erkenntniß desselben steigen, desto froher werden wir in Gott, desto mehr Ruhe und Heiterkeit kommt in unsere Seele. War es so bei Ihnen? Fühlten Sie bei Ihren neuen Ansichten sich froher, zufriedener, glücklicher, als bei Dem, was Sie im Elternhause gelernt hatten? War es Ihnen dabei wohler ums Herz, als bei Ihrer Confirmation?

Der Kranke nach einigem Bedenken: Das freilich nicht.

Der Geistliche: Das ist kein gutes Zeichen. Doch wir wollen weiter sehen. Je höher man in der Religion gehoben wird, desto mehr bekommt man Lust zu Gottes Wort; man hört und liest es mit Begierde, weil man immer neuen Segen darin findet; es wird uns so unentbehrlich, als das tägliche Brod. Deßgleichen wird uns das Gebet immer lieber; man kann nicht leben, ohne zu beten. Bewirkte das bei Ihnen, was Sie einen höheren Schwung in der Religion nannten?

Der Kranke: Das kann ich nicht sagen. Doch gieng ich alle Jahre am Charfreitage zum heiligen Abendmahl. Ich war es vom Hause meiner Eltern her so gewohnt und versäumte es nie.

Der Geistliche: Das wußte ich nicht, doch ich bin noch nicht lange hier und Sie waren in der Zeit meist abwesend.

Der Kranke: Ich gieng am Charfreitag immer nach D-ld, wo ich mit dem Herrn Pfarrer wohl bekannt war, und begieng daselbst das heilige Abendmahl.

Der Geistliche: Warum nicht hier? Hatten Sie gegen meinen Vorgänger oder mich Etwas im Herzen?

Der Kranke: Nein, aber ich muß sagen: Es genirte mich, das Abendmahl hier zu empfangen. Ich dachte, meine Freunde würden darüber spotten.

Der Geistliche: Das war übel, sehr übel gethan. Der Herr sagt: Wer sich mein und meiner Worte schämet unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, deß wird sich des Menschen Sohn auch schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. Mark. 8, 38.

Der Kranke schwieg betroffen, und der Geistliche fuhr fort: Prüfen wir weiter. Je höher ein Mensch in der Religion kommt, desto treuer wird er in Erfüllung seiner Pflichten, desto vorsichtiger in seinem Reden, daß er nicht Aergerniß gebe, desto friedfertiger und geduldiger gegen Andere, desto sittsamer und keuscher, desto reiner an Seele und Leib. Was finden Sie in dieser Hinsicht bei sich? Hat Das, was Sie einen höheren Schwung nannten, Sie zu einem besseren Menschen gemacht?

Der Kranke: Sie dürfen mir glauben: Ich bin nie ein böser Mensch gewesen. Ich habe vielen Leuten gedient.

Der Geistliche: Das Letztere weiß ich, allein war es eine Folge Ihrer späteren Meinungen über die Religion, oder, wie Ihr Abendmahlsgehen, eine Bachwirkung von Dem, was Sie im Elternhause Gutes gehört und gesehen haben?

Der Kranke: Ich glaube selbst, es kam von dem Beispiel und den Lehren meiner Eltern her; doch hatte ich von jeher ein gutes Herz und theilte den Armen gerne mit. ,

Der Geistliche: Die natürliche Gutmüthigkeit ist eine schöne Anlage des Herzens, doch es findet sich neben ihr meistens ein gefährlicher Leichtsinn, und was thut ein Mensch oft im Leichtsinn? Was spricht man nicht in lustiger Gesellschaft, zumal in trunkenem Muthe? Erst selbst verführt, verführt man Andere durch ärgerliche Reden, kommt von Sünde in Sünde. Wir müssen Alle beten: Herr, gedenke nicht der Sünden meiner Jugend! Und blieb es auch nur bei unnützem Gerede, faulem Geschwätz und Narrentheiding, wir dürfen es nicht leicht nehmen; der Herr sagt: Aus deinen Worten wirst du gerichtet werden. Der Mensch muß Rechenschaft geben von jedem unnützen Worte, das aus seinem Munde geht. Zudem, Sie haben in einer unglücklichen Ehe gelebt; Ihre Frau war freilich nicht, wie sie seyn sollte, aber es wäre ein Wunder ohne Gleichen, wenn nicht auch Sie viel gefehlt hätten. Es geht da nie ohne Sünde von beiden Theilen ab. Man erzürnt sich, und des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. Ach, wir Menschen fehlen und sündigen alle manichfaltig. Alle, auch ich muß beten: Herr, gehe nicht ins Gericht mit mir! Und Sie -?

Der Kranke war unter diesen Worten immer ernster geworden und schwieg eine Zeit lang; als der Geistliche schwieg, brachen Thronen aus seinen Augen und er klagte: Ja wohl, was thut und redet man nicht im Leichtsinn! Ach Gott, ich bin ein arger Mensch gewesen, ein großer Sünder!

Der Geistliche: Gott sey es gedankt, daß er Sie zu dieser Erkenntniß brachte! Jetzt stehen Sie dem Himmelreich näher, als da Sie sagten: Ich bin nie ein böser Mensch gewesen. Wer seine Missethat läugnet, dem wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennet und lässet, der wird Barmherzigkeit erlangen.

Der Kranke: Ja, wenn ich wieder aufkomme, will ich ein anderes Leben anfangen.

Der Geistliche: Warum nicht jetzt schon, warum nicht heute noch?

Der Kranke: Was kann ich thun, schwach und siech, wie ich bin?

Der Geistliche: Beten, wie der Zöllner betete: Gott, sey mir Sünder gnädig!

Der Kranke: Ach ja, beten Sie mit mir!

Der Geistliche: Von Herzen gerne, nur lassen Sie mich erst noch auf Eines weisen, damit unser Gebet erhörlich sey. Es schien mir, als ob Sie auf die Almosen, welche Sie den Armen gaben, und die Liebesdienste, welche Sie Andern erwiesen, Vertrauen setzten.

Der Kranke: Ich hoffe, Gott werde sie doch auch ansehen.

Der Geistliche: Gewiß! Ja, der Herr sagt, wer einen dieser Geringsten auch nur mit einem Becher kalten Wassers tränke, dem solle es nicht unvergolten bleiben. Aber zu dem reichen Manne wird dort gesagt: Du hast dein Gutes empfangen in deinem Leben. Zählen Sie alles Gute auf, was Sie Andern gethan haben, wie viel ist es am Ende?

Der Kranke: Es ist freilich beim Licht besehen nicht viel.

Der Geistliche: Versuchen Sie es dagegen, die Wohlthaten, die sie von Gott empfiengen, zu zählen, meinen Sie nicht: Alles, was Sie Andern erwiesen haben. sey dadurch mehr als hundert- und tausendfach vergolten? Daß ich Sie nur an Eines erinnere. Gott gab Ihnen nun über vierzig Jahre täglich Ihr Brod und erhielt Sie dabei bis auf die letzte Zeit in guter Gesundheit und Kraft. Was haben Sie also, wenn Sie Gott um Gnade bitten, aufzuweisen vor ihm, daß er Ihnen Ihre Sünden vergebe?

Der Kranke: Ich weiß nichts.

Der Geistliche: Aber ich weiß Eines für Sie und mich. Christus hat uns geliebet und sich selbst gegeben für uns Alle zur Erlösung. Er ist die Versöhnung für aller Welt Sünde, auch für die Ihrige. Jener Pharao in Egypten that an Jakob und seinen Söhnen Gutes um Josephs willen. Sie hatten sich keine Verdienste um ihn erworben, aber: Es sind deine Brüder, sagte er zu Joseph, und um dieses ihres Bruders willen gab er ihnen das beste Land. So thut Gott an uns. Um Jesu Christi willen, weil Er, sein eingeborener Sohn, unser Bruder worden ist und für uns Leiden und Tod erduldet hat, darum vergiebt er uns, und mehr, als nur das, um Jesu willen macht er uns ewig selig. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde. Das ist es, was wir vor Gott aufzuweisen haben, auf das wir vertrauen können und sollen. Das ist der Glaube, durch den wir gerecht und selig werden. Glauben Sie es?

Der Kranke: Ich möchte es glauben.

Der Geistliche: Schon dieses: Ich möchte es glauben! hilft Ihnen mehr, als alle Ihre guten Werke. Ja, ich bin deß in guter Zuversicht, daß, der in Ihnen angefangen hat das gute Werk, werde es auch vollführen. Sie sollen nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Wir wollen beten, daß Gott mir und Ihnen alle unsere Sünden vergebe um Jesu Christi willen. und uns zu einem vollen, zuversichtlichen Glauben helfe.

„Herr Gott, gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, der du den Bußfertigen die Sünde vergiebst und die Missethat nicht zurechnest; thue also auch uns; sey uns gnädig, vergieb uns alle unsere Schulden! Wir liegen vor dir nicht auf unsere Gerechtigkeit; ach, wir sind arme, arme Sünder, nicht werth all der Barmherzigkeit und Treue, die du an uns gethan Hast! Wir haben deiner Wohlthaten oft in Undank vergessen und wider deine Gebote gesündigt; wir sind verloren, wenn du mit uns nach deiner Gerechtigkeit thust; aber du erbarmest dich der reuigen Sünder, wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, und Hast uns deinen lieben Sohn, Jesum Christum, zum Heiland geschenkt. Der hat alle Gerechtigkeit erfüllt und sich aus Liebe für uns arme Sünder in Marter und Tod dahingegeben. Um seinetwillen vergieb uns und versiegle uns deine Gnade durch das Zeugniß deines Geistes. Hilf, daß wir können festiglich glauben, Jesus sey die Versöhnung für unsere Sünde, und in solchem Glauben Gerechtigkeit haben und Friede und Freude in dem heiligen Geist! Erbarme dich unser, wie du dich schon so vieler armen Sünder erbarmt Hast! Deine Gnade, Herr Jesu, deine Liebe, Gott Vater, und deine Gemeinschaft, Gott, heiliger Geist, sey mit uns und vollbereite uns zum ewigen Leben! Amen.“

Der Kranke betete unter Thränen mit. Der Geistliche ließ ihm ein Neues Testament zurück und empfahl ihm besonders, das dritte Kapitel im Evangelium Johannis zu lesen. Darnach schied er von ihm froher im Herzen, als noch kaum von einem andern Kranken. Den Tag darauf besuchte er ihn wieder und fand ihn über dem Lesen des Neuen Testaments. Er hatte über das genannte Kapitel Manches zu fragen, das ihm der Geistliche mit Freuden beantwortete, denn es waren Fragen einer heilsbegierigen Seele. Der Herr aber führte sein Werk an ihm von Tag zu Tag fort. Die Bibel, die er Jahre lang verachtet hatte, wurde ihm über Alles theuer. er las und forschte täglich in ihr, und der Geist Gottes versigelte das Wort also an seinem Herzen, daß das Alte in ihm vergieng und Alles neu wurde. Zwar gieng es noch durch manche Dunkelheiten. Namentlich regten sich zu Zeiten noch ungläubige Zweifel, wie er sie lange gehegt hatte. Hatte er sie früher im Wahn, dadurch aufgeklärter zu seyn, als Andere, geliebt, so bekümmerten sie ihn jetzt. Er hatte Anfangs nicht den Muth, sie dem Geistlichen zu nennen. Dieser aber vermuthete diese Scheu des Kranken und forderte ihn auf, ihm getrost Alles zu sagen, was sein Inneres bewege. „Ein Zweifel,“ sagte er, „ist ein Schreckbild, das, wenn man sich vor ihm fürchtet, uns schweren Schaden bringt; wenn man ihm aber frei und offen ins Angesicht sieht, löst es sich in sein Nichts auf.“ Mit Gottes Hülfe kam der Kranke dahin, daß er freudig rühmen konnte: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren. An Christo Jesu habe ich die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Das gab seiner Seele Friede. Hatte er früher in Ungeduld über seine Krankheit geklagt, so rühmte er nun die Barmherzigkeit Gottes, trug die zunehmenden Leiden in Ergebung und Geduld, und der Tod, -vor dem er sich zuvor entsetzt hatte, hatte keine Schrecken mehr für ihn, sondern er sprach: „Wie Gott will, so geschehe mir! Lebe ich, so lebe ich dem Herrn, sterbe ich, so sterbe ich dem Herrn; darum ich lebe oder ich sterbe, so bin ich des Herrn!“ Er hatte noch ein halbes Jahr zu leiden, aber sein Leiden wurde für ihn und Andere gesegnet, denn er wurde im Tiegel der Trübsal immer mehr geläutert und Andere giengen erbaut von seinem Krankenbette. Das Evangelium Jesu Christi und das Gebet waren sein Labsal, bis er endlich froh und selig im Herrn verschied.

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