Müller, Heinrich - Ich habe eine Speise zu essen, da wisset ihr nicht von.

Müller, Heinrich - Ich habe eine Speise zu essen, da wisset ihr nicht von.

Joh. 4, 32.

Solche Speise hatte der Herr Jesus nicht allem für sich selbst, sondern er theilt sie auch allen Denen mit, welche sie bei ihm suchen.

Die Frau eines reichen und angesehenen Pächters in England erkrankte. Sie hatte einen ehrbaren, unbescholtenen Wandel geführt, auch die Gottesdienste fleißig besucht und nie gedacht, daß ihr bei solcher Lebensweise Etwas zur Seligkeit fehlen könnte. Auf ihrem Krankenbette kam sie jedoch zu einer anderen Einsicht. Sie erkannte das natürliche Verderben ihres Herzens, sowie die vielen Versäumnisse und Verfehlungen gegen die Gebote Gottes, welche sie bei aller weltlichen Rechtschaffenheit sich hatte zu Schulden kommen lassen. Die Sorge um ihre Seele erwachte in ihr und eben damit das Gefühl von dem Elend ihrer Sünden. Sie begehrte deßhalb nach dem Pfarrer des Orts. Der Arzt erklärte jedoch dem Manne, ein Besuch des Geistlichen würde die Kranke nur aufregen und die Genesung hindern. „Wenn Sie nicht wollen, daß Ihre Frau stirbt,“ sagte er, „so lassen Sie den Pfarrer weg. Ich stehe für Nichts, wenn Sie ihn kommen lassen.“ So blieb der Pfarrer ungerufen und die Seele der kranken Frau ungetröstet, bis endlich der Geistliche von ihrer Krankheit hörte und ungeladen ins Haus kam. Der Mann empfieng ihn höflich, aber kalt, und sagte ihm offen, der Arzt habe verboten, ihn zu der Kranken zu lassen. Diese hatte jedoch gehört, daß der Pfarrer im Hause sey, und verlangte auf das Bestimmteste, daß er zu ihr geführt werde. So ließ es der Mann endlich geschehen, daß der Geistliche zu der Kranken gieng.

Als er in das Zimmer trat, versuchte es die Frau, sich auszurichten, war aber so schwach, daß sie gleich wieder zurücksank. Indessen erholte sie sich bald so weit, daß sie dem Pfarrer den Zustand ihrer Seele offenbaren konnte. Sie hatte keine besonderen Sünden zu beichten, aber sie fühlte die Sündhaftigkeit, die sich bei Allen findet, wie Augustin sagt: „Wehe auch dem besten Leben der Menschen, wenn es Gott anders als mit den Augen seiner Barmherzigkeit ansieht.“ Auf diese wies sie der Geistliche, und es ward ihm von Gott gegeben, von den Verheißungen des Evangeliums mit großer Freudigkeit zu zeugen. Die kranke Frau nahm das Wort von der Versöhnung, so geschehen ist durch Jesum Christum, in sich auf, wie das ausgetrocknete Erdreich einen sanft herabströmenden Regen. Und waren schon die Worte der Belehrung und des Trostes reich gesegnet an ihrem Herzen, so noch mehr das Gebet, zu welchem sie sich mit dem Geistlichen vereinigte. „Ach,“ sagte sie, „als der Pfarrer geendigt hatte, „ich bin nun ein ganz neuer Mensch im Vergleich mit dem, wie mir zuvor war. Ich fühle jetzt, daß die Liebe Christi Alles weit übersteigt, und bin mir selbst ein Wunder. Welch einer seligen und gnadenvollen Umwandlung hat mich der Herr gewürdigt! Welche Grausamkeit wäre es gewesen, Sie nicht zu mir zu lassen? Aber sie kannten freilich die Tröstungen des Evangeliums nicht.“

Als der Mann die erfreuliche Veränderung seiner Frau sah, dankte er dem Pfarrer und lud ihn ein, seine Besuche zu wiederholen. „Es thut mir sehr leid,“ bekannte er, „daß ich Sie nicht früher rufen ließ. Wie viel Leiden hätte ich meiner armen Frau ersparen können!“

Am Abende nach dem Besuche des Geistlichen kam der Arzt. Er fand die Kranke ruhig, in einem sanften Schlafe, fühlte den Puls und sagte mit selbstgefälligem Lächeln: „Es steht Alles gut. Ich dachte wohl, daß die neue Arznei heilsam seyn müßte. Die Anzeichen sind so günstig, daß ich die Kranke nun außer Gefahr denke.“ Die Krankenwärterin erwiederte darauf in Einfalt: „Ja, der Herr Pfarrer ist diesen Morgen bei der Frau gewesen und seitdem ist es besser mit ihr geworden.“

Die Frau erholte sich von ihrer Krankheit wieder völlig, und die gemachte Erfahrung wurde für sie und ihren Mann zum größten Segen. Beide bekannten sich von nun an öffentlich zu dem Herrn und das Beispiel ihres christlichen Glaubens und Wandels trug auch bei Andern Frucht. - Wie aber, wenn die Frau gestorben wäre? Ist es nicht besser, mit dem Trost der Versöhnung und der Gewißheit des ewigen Lebens abzuscheiden, als unbereitet, bewußtlos oder zagend und angstvoll dem Tod zu verfallen? Wie sie, so sind schon Viele dadurch leiblich genesen, daß ihnen geistlich geholfen wurde. Hat die Seele Friede in Jesu, so hat es auch der kranke Leib zu genießen. Noch Mehrere aber lernten durch die Tröstungen des göttlichen Worts ihre Leiden geduldiger tragen und mit ruhiger Ergebung erwarten, was Gott über sie beschlossen, ja mit dem Apostel sprechen: Ich habe Luft, abzuscheiden und bei Christo zu seyn.

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autoren/m/mueller_h/heinrich_mueller_andachten_ich_habe_eine_speise.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
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