Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Jesus Christus unser Vorbild im Leiden.

Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Jesus Christus unser Vorbild im Leiden.

(Den 9. Dezember 1855.)

Vor dem Angesicht Jesu Christi, der uns mit seinem Fleisch speist, mit seinem Blut tränkt, und uns beständig durch den Glauben nährt, liegt es mir am Herzen, denen, die leiden, ein Wort zu sagen. Ich bin dessen gewiss, dass, so klein auch der Kreis meiner Zuhörer ist, meine Worte auf einen empfänglichen Boden fallen werden. Wir leiden Alle. Die, welche am meisten leiden, sind nicht immer die, welche am meisten zu leiden scheinen. Es gibt Schmerzen, die Gott bekannt und den Menschen unbekannt sind, und Alles was fühlt, was denkt, was glaubt, kennt sicherlich von Grund aus, was Schmerz ist.

Es liegt etwas im Schmerz, was unserer Natur völlig zuwider ist und woran wir uns sehr schwer gewöhnen, denn es kommt uns vor, als müssten wir immer glücklich sein. Dieses Gefühl ist durchaus natürlich; es ehrt die Güte unseres Schöpfers. Es ist vollkommen wahr, dass wir von Schmerzen frei und immer voll Freude sein müssten; aber die Sünde hat das alles gestört, und so ist der Gegensatz unserer Natur das Natürliche geworden, und in den Absichten Gottes, in unseren beständigen Gewohnheiten und in unserem ewigen Interesse liegt es, dass wir mannigfach leiden müssen. Ihr wisst, wie Hiob die hauptsächlichen Schmerzen des Lebens zusammenfasst und einteilt: Verlust der Güter, Verlust unserer Lieben und Verlust der Gesundheit, welchen er bis zuletzt gelassen hat; oder vielmehr diese Ordnung ist vom Satan, der sich auf Versuchungen wohl versteht. Wenn in diesem Augenblick unser Aller Herzen sich öffneten, o welche Schmerzen hätten wir vor Gott auszuschütten!

Nun, meine teuren Freunde, ich hätte kein, auch nicht ein Wort des Trostes für Euch, wenn ich es nicht aus dem Wort Gottes nähme. Es gibt keinen Trost in der Natur; sie erklärt nichts, sie versteht nichts, sie hofft nichts, sie erwartet nichts, und selbst ihre Hoffnungen und ihre Erwartungen sind eitel.

Aber ich bin voll von Tröstungen für Euch im Blick auf das Kreuz Jesu Christi, um welche wir versammelt sind, um das Gedächtnis seines Opfertodes zu feiern. Wir sind gereinigt von unseren Sünden durch sein Blut. Ihr versteht wohl - gereinigt von unseren Sünden durch sein Blut, wir sind erkauft durch sein bitteres Opfer, entsündigt durch sein Kreuz, und im einfachsten, alltäglichsten und zugleich tiefsten Sinn des Wortes durch das sühnende Todesopfer Jesu Christi mit Gott versöhnt. Das ist der Grund des Evangeliums, das ist sein Herz, und ohne dies gibt es nur ein verblasstes und kraftloses Evangelium. Aber unter dem Kreuz wird der Anblick des Schmerzes ein völlig anderer und um so mehr, je mehr unser Glaube wächst. Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist in der Welt erschienen. Wie erscheint er darin? Als ein Mann der Freude? Nein, alle Schmerzensmann. Das ist ein Wunder, ein erstaunliches, aller Ordnung widersprechendes. Der Sohn Gottes erscheint auf Erden, und nicht nur leidend, sondern Tiefen der Leiden durchduldend, die kein Mensch auch nur ausdenken kann. Das Kreuz Jesu Christi ist der Mittelpunkt aller Schmerzen; es umfasst alle Schmerzen; es gibt keinen Schmerz, dessen Quell nicht in ihm wäre; es gibt keinen, den das Kreuz Jesu Christi uns nicht deutete. Meine lieben Freunde, wenn wir dessen gedenken, dass der Herr für uns gelitten hat, wenn wir erwägen, dass in all unseren Leiden ein Zug der Ähnlichkeit mit dem unseres Heilandes ist, wenn wir es fassen, dass sein Leiden ein unendliches ist, und wir darum ihm um so ähnlicher werden, je mehr wir leiden: ist es dann nicht wahr, dass es nun um den Schmerz anders steht? Der Gedanke, dass Jesus Christus vor uns gelitten, dass ihm das Leiden nicht hat erspart werden können, ist er nicht lichtvoll und süß? Und wer sollte nicht, so niedergeschlagen er auch sein mag, durch den Gedanken aufrecht gehalten werden: So war's bei meinem Heiland; das gleicht ihm; jetzt erkenne ich, dass ich sein bin, dass er mich ruft; jetzt fange ich an, Gottes Gedanken zu verstehen und seine Wege zu begreifen; ich vereinige mein Kreuz mit dein seinigen, meine Leiden mit seinen Leiden. Das ist der Grund, weshalb Paulus sagt: „Welche er zuvor versehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohnes, auf dass derselbige der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch herrlich gemacht.“1) Er hat gewollt, dass wir dem Ebenbilde seines Sohnes gleich wären, und der Zusammenhang zeigt uns, dass 68 sich an dieser Stelle wesentlich um eine Gleichförmigkeit der Schmerzen handelt. Das ist also ein erster Gedanke, der mächtig ist uns aufrecht zu halten: das Leiden ist ein wesentlicher Teil des Lebens Jesu Christi, und ist also ein Zug der Ähnlichkeit mit ihm.

Und nun ein zweiter: Warum hat Jesus Christus gelitten? Um die Sünde zu sühnen. Dann erscheint der Schmerz als eine gerechte Folge der Sünde. Wir können die Leiden, die Jesus getragen bat, nicht tragen; aber wir werden in einem Gefühl der Gerechtigkeit und der Strafwürdigkeit glücklich sein, unseren Teil daran zu tragen: „Wie murren denn die Leute im Leben also? Ein Jeglicher murre wider seine Sünde.“2) Die Stelle des Petrusbriefee: „Weil nun Christus im Fleisch für uns gelitten hat, so wappnet euch auch mit demselbigen Sinn: Denn wer am Fleisch leidet, der hört auf von Sünden,“3) - sie zeigt uns, dass wir leiden müssen, damit wir mit der Sünde brechen können; es ist notwendig, dass an unserem Teil und an unserer Person Sünde und Schmerz konfrontiert werden, und dass der Schmerz dazu diene, die Sünde in uns zu vernichten, nicht etwa als Sühne der Sünde - die findet sich nur in Christo - sondern damit wir lernen, den Schmerz an die Sünde knüpfen und die Freude an die Heiligung und die Befreiung. Ja, dieser Gedanke: der Schmerz ist die Frucht der Sünde - muss unsere Stütze sein, weil er uns den Schmerz als einen einfachen und natürlichen Vorgang zeigt, der uns weder erspart werden konnte noch durfte.

Und endlich: warum hat Jesus Christus als Sühnopfer für die Sünde gelitten? Um uns zu erlösen und uns der ewigen Herrlichkeit teilhaftig zu machen - aus Liebe: Das ist der Gedanke, der durch das ganze Leiden des Heilandes geht. Unser Schmerz muss also auch ein Schmerz der Liebe und nicht der Selbstsucht sein, er muss unsere Aufmerksamkeit nicht auf uns selbst richten, sondern zuerst auf Gott, um ihn zu verherrlichen, und dann auf unseren Nächsten, um ihm Gutes zu tun. Das Beispiel, das ein Christ im Leiden geben kann, die Geduld, mit der er seine Leiden durch Gottes Gnade erträgt, sind Schätze von Liebe und von Macht der Liebe in dem Schmerz eines Christen. Welch ein süßer und himmlischer Gedanke ist es, dass wir durch unser Leiden unseren Nächsten, vor Allem unseren Brüdern nützlich sein können! Was kann unsere Leiden denen Jesu Christi ähnlicher machen? Das ist der Gedanke, den Paulus in einer Stelle ausdrückt, welche ich so gern anführe: „Ich erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo, für seinen Leib, welcher ist die Gemeine.“ Ich will nicht in die Erklärung dieses Verses eingehen, welcher Schwierigkeiten darbietet: sicherlich dachte der heilige Paulus an Nichts weniger, als zur Versöhnung der Sünde zu leiden; aber er vereint seine Leiden mit denen seines Heilandes, und, weil der Heiland gelitten hat, um uns zu erlösen, so leidet Paulus zum Wohl der Menschheit, wie er selbst an Timotheus schreibt: „Denn wo du solches tust, wirst du dich selbst selig machen, und die dich hören.“

Das ist es also, was den Christen im Schmerz aufrecht hält. Jesus Christus hat gelitten: je mehr ich leide, desto ähnlicher werde ich ihm, der Schmerz ist ein Vorrecht. Jesus Christus hat für die Sünde gelitten: der Schmerz ist eine notwendige, heilsame Frucht der Sünde. Jesus Christus hat endlich gelitten, um uns zu erlösen: und ich, ich soll leiden zum Wohl der Menschen und um die Seelen gefangen zu führen unter den Gehorsam des Kreuzes. Möchten doch alle Leidenden sich bestreben, aus sich herauszugehen, einen selbstsüchtigen Schmerz ohne Glauben, ohne Liebe und auch ohne Trost von sich zu werfen, und ganz und gar in die Liebe Christi einzugehen, damit ihr Schmerz auch wie ein auf der Erde errichtetes Kreuz sei, unter dessen Schatten sich alle Personen, die sie umgeben, flüchten; mögen alle Leidenden sich beeifern, dies zu tun, nicht etwa im ihren Brüdern dadurch das ewige Leben zu verschaffen, sondern um ihnen den Weg zu zeigen, der dahin führt, zur Ehre Gottes! Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! In ihm sei unsere Freude; wir wollen es uns selbst recht sagen, dass in der Kraft des Glaubens und der Liebe kein Leiden ist, welches nicht friedlich und selig ertragen werden könnte, welches nicht zur Ehre Gottes, zum Wohl der Menschen und uns selbst dergestalt zum ewigen Trost gereichen könnte, dass wir es im Himmel als ein großes Vorrecht betrachten werden, viel gelitten zu haben unter dem Kreuze Jesu! Amen.

Ewig soll Er mir vor Augen stehen
wie er als ein stilles Lamm
dort so blutig und so bleich zu sehen,
hängend an des Kreuzes Stamm,
wie Er dürstend rang um meine Seele,
dass sie Ihm zu Seinem Lohn nicht fehle,
und dann auch an mich gedacht,
als Er rief: Es ist vollbracht!

Ich bin Dein! - sprich Du darauf ein Amen.
Treuster Jesu, Du bist mein!
Drücke Deinen süßen Jesusnamen
brennend in mein Herz hinein.
Mit Dir alles tun und alles lassen,
in Dir leben und in Dir erblassen:
das sei bis zur letzten Stund'
unser Wandel, unser Bund.

Albert Knapp, 1798-1864

1)
Röm. 8,29
2)
Klgl. 3,39
3)
1. Pet. 4,1
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