Monod, Adolphe - Das Glück eines christlichen Lebens
Eine Predigt über Psalm 84,13.
Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt.
Man hat euch oft verkündigt, dass „Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift.“ Man hat euch mit Johannes dem Täufer gesagt: „wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem. Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ Man hat euch dringend ermahnt, den zukünftigen Zorn zu fliehen, zu glauben und euch zu bekehren. Woher kommt es, dass ihr bei solchen Reden gleichgültig bleibt und die Meisten unter euch diese feierlichen Ermahnungen gar nicht zu achten scheinen? Nicht daher, ich bin es fest überzeugt, dass ihr die schreckliche Absicht hegt, die Gnade Gottes zu verwerfen, und euch als Verzweifelte in die ewige Verdammnis zu stürzen. Nein, das Ziel, das man euch vorhält, scheint euch wünschenswert - aber der Weg, der dahin führt, missfällt euch. Die süßen Hoffnungen des christlichen Glaubens möchtet ihr wohl teilen, doch vor dem christlichen Leben ist euch bange, einem Leben, das nach eurer Meinung so gar nichts Lohnendes und Anziehendes hat, so voller Entbehrungen und Opfer ist.
Wenn das christliche Leben wirklich so traurig wäre, als ihr es euch vorstellet, so wüsstet ihr jedenfalls, dass man dadurch nur zum seligen Leben gelangen kann, und dies müsste euch genügen; ihr werdet auch zugeben, dass die Unschlüssigkeit, ob man „für ewige Glückseligkeit sich ein kurzes Leiden aufbürden solle“, höchst töricht erschiene doch Nichts ist unrichtiger als die Vorstellungen, die ihr euch vom christlichen Leben macht. Wenn ihr es kennen würdet, so wüsstet ihr, dass es das glücklichste, das allein glückliche Leben sogar schon hienieden ist, und, dass die „Gottseligkeit die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens hat.“ Das erklärt der heilige Geist in den Worten meines Textes, und das möchte ich euch heute gerne zeigen.
Aber im Augenblick, wo wir das Glück eines christlichen Lebens preisen, fürchte ich, ihr tretet mir mit einem Einwurf aus der Erfahrung entgegen. Wenn das christliche Leben ein so glückliches ist, warum sind dann die wahren Christen nicht zufrieden? Warum sieht man sogar solche, die gewöhnlich traurig und trübsinnig sind? Diese Schwierigkeit geht euch an, ihr Kinder Gottes in dieser Versammlung. Wenn es mir nur darum zu tun wäre, euch zu rechtfertigen, so wäre ich vielleicht nicht ganz ohne Antwort. Ich könnte denen, die so sprechen, vorstellen, dass im Ganzen doch weit mehr Zufriedenheit und Frieden bei den wahren Jüngern Jesu Christi als bei andern Menschen ist. Ich könnte ihnen vorstellen, dass das Glück eines christlichen Lebens ein ernstes Glück ist, das sich weniger im Äußeren zeigt als es nach Innen gefühlt wird, und dass im Gegensatz zu dem Weltmenschen, der selbst, wenn er lacht, ein trauriges Herz hat, der Christ oft einen inneren Frieden unter einem ernsten Gesicht verbirgt. Ich könnte ihnen vorstellen, dass, da wir hienieden von Schauspielen der Sünde und des Unglaubens umgeben sind, ach, noch in uns selbst schwer zu tilgende Überreste des eingewurzelten Verderbens tragen, und mit einem Propheten ausrufen gelernt haben: meine Augen fließen wie Wasserbäche, dass man dein Gesetz nicht hält, und mit einem Apostel: „wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?“ man sich nicht verwundern darf, wenn die Last des menschlichen Elends uns manchmal niederbeugt.
Jetzt könnte ich ihnen weiter vorstellen, dass man billigermaßen bei einigen der Neigung des Charakters oder einem körperlichen Zustand etwas zu gut halten muss, welche sie für die Schwermut ganz besonders zugänglich machte, und die vor ihrer Bekehrung sie zum Selbstmord, vielleicht gar zur Verzweiflung trieb. Ich könnte euch all das sagen, meine lieben Zuhörer; aber ich zweifle, ob diese Erklärungen euch gänzlich befriedigen würden, da sie mich selbst nicht gänzlich befriedigen; denn es liegt in dem christlichen Glauben ein Schatz der Freude und der Macht, der für alle Bedürfnisse ausreichen sollte. Übrigens bin ich nicht auf diese Kanzel getreten, um Christen, sondern um Christum zu predigen. Deswegen will ich lieber in aller Einfalt bekennen, vor Gott und vor Menschen, dass uns größten Teils nur deswegen die rechte Freude abgeht, weil wir kleingläubige Menschen sind. Wie es sich auch mit uns und unsern persönlichen Erfahrungen verhalten mag, es bleibt wahr, dass die Freude eine Frucht des Geistes ist, und dass Nichts Unausführbares in dem Gebot liegt, das Gott seinen Kindern gegeben hat: „Freut euch allewege.“ Es wird mir nicht schwer fallen, euch hievon zu überzeugen, wenn ihr mich ohne Vorurteil anhört. Diejenigen aber unter uns, die gläubig geworden sind, mögen durch diese Predigt sich mehr von der Größe ihrer Privilegien durchdringen lassen, um uns zugleich glücklicher und geschickter zu machen, den Herrn zu verherrlichen.
Das Glück, das wir auch bei einem christlichen Leben versprechen, ist, wie es sich wohl von selbst versteht, keine irdische, äußerliche, fleischliche Zufriedenheit, so wie die Welt es geben kann. Wie ein solches Glück kurz ist, so ist es auch nicht im Stande, ein Menschenherz auszufüllen; und diejenigen, die sich damit begnügen, haben nicht einmal den traurigen Trost, es mit in die Hölle nehmen zu können. Nein, ich spreche von einem inneren, geistlichen, himmlischen Glück, so wie es sich für einen Menschen schicken kann, der die Würde seiner Natur und die unermesslichen Bedürfnisse seines Herzens fühlt.
Erhebt also euren Sinn über eure Alltagsneigungen, und gebt edleren Gedanken Raum.
Es liegt in dem Glück des christlichen Lebens ein so glänzender Zug, dass es unfehlbar Jedermanns Augen auffallen muss: jener Zug, den David im Anfang des 32ten Psalmen preist: „wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.“ Sich versichert halten können, dass man Vergebung seiner Sünden erlangt hat, und mit dieser Gnade, der ersten, die Gott einem Sünder gewährt, die aber nie allein kommt, noch alle andern Gnaden erhalten, die im Verlauf dieses schönen Psalms aus einander gesetzt sind, Trost in den Leiden des Lebens und ein Licht Gottes in seinen Dunkelheiten, während man sich eines friedlichen Todes und einer glückseligen Ewigkeit getrösten darf, das ist nicht eine der Freuden des Christen, sondern die Freude der Christen, und eine solche Freude, dass ihr sogar, die ihr nicht das Glück habt, gläubig zu sein, nicht umhin könnt, euch zuweilen darnach zu sehnen, davon gedenke ich auch heute nicht mit euch zu reden. Ich will annehmen, ihr seid davon vollkommen überzeugt, und lieber diese Predigt in der Weise benutzen, euch Wahrheiten zu zeigen, die euch völlig fremd sind und die euch auf den ersten Anblick als seltsame Widersprüche erscheinen. Nicht von seiner herrlichsten Seite, nein von seinen düstersten Seiten will ich euch das christliche Leben als wünschenswert erscheinen lassen. Ich will euch zeigen, dass sogar diejenigen Züge, die euch am meisten im christlichen Leben zuwider sind, unter einem euch trügenden Schein geheime Reize verbergen, damit ihr erkennt, dass, wie „die göttliche Torheit weiser ist als die menschliche Weisheit und die göttliche Schwachheit stärker als die menschliche Stärke,“ die Bitterkeit des Lebens, das Er Seinen Kindern zuteilt, auch süßer ist als alle Süßigkeiten des Weltlebens.
Was ist es denn eigentlich, das euch im christlichen Leben missfällt? Es ist zuerst der christliche Glaube; es ist jene Unterwerfung des Geistes, die Jesus Christus von den Seinigen verlangt. Es scheint euch, diese Unterwürfigkeit sei nicht ganz frei von Leichtgläubigkeit, und das ist hinreichend, dass ihr euch nicht dazu verstehen könnt, denn euer Verstand muss befriedigt werden, oder es gibt für euch kein mögliches Glück. Wir sagen mit euch: Kein mögliches Glück, wenn unser Verstand nicht befriedigt wird; aber weit entfernt, eine blinde Leichtgläubigkeit zu verlangen, ist der Glaube vielmehr der beste Gebrauch, den wir von unserer Vernunft machen können, und verschafft uns ein geistiges Glück, das wir nirgends anderswo gefunden haben.
Jede Unterwürfigkeit des Geistes ist nicht Leichtgläubigkeit. Man ist nur dann leichtgläubig, wenn man sich Jemand unterwirft, der nicht das Zutrauen verdient, das man ihm gewährt. Ein Kind zum Beispiel, das sich nach dem Gerede eines andern eben so unerfahrenen Kindes als es selbst ist, richtet, oder das alle Ammenmärchen glaubt, mit denen eine unverständige Magd seine Ohren erfüllt, ist ohne Zweifel leichtgläubig. Aber wird man diese Benennung auf ein Kind anwenden, welches, da es sich unfähig fühlt, sich selbst zu führen, sich der Leitung seines Vaters überlässt? Handelt es nicht vernünftiger, als wenn es sich auf seine Unabhängigkeit etwas zu gut täte, und nur von sich selbst Rat empfangen wollte? Diese Vergleichung möge euch belehren. Wir glauben auch einen trefflichen Gebrauch von unserem Verstand zu machen, wenn wir, indem wir uns als solche erkennen, die noch unwissender und noch abhängiger von Gott sind, als ein Kind von seinem Vater ist, den Entschluss fassen, und der Bibel zu unterwerfen, die in unsern Augen das Wort Gottes ist.
Schon recht, werdet ihr ganz leise sagen, wenn wir versichert wären, dass die Bibel das Wort Gottes ist; aber woher wisst ihr denn das, und kann man sie ohne Leichtgläubigkeit als solches erkennen? Ach, wenn ihr wähnt, man müsse die Augen schließen, um durch die Merkmale der Göttlichkeit, die in der Bibel sind, überzeugt zu werden, so lasst euch eines Bessern belehren; man darf sie ja im Gegenteil sich nur genau beschauen, denn diese Merkmale sind solcher Art, dass wer redlich forscht, ob die Bibel göttlichen Ursprungs ist, sich unwiderstehlich davon überzeugen wird, und dass der, welcher sie schon als Sein Wort aufgenommen hat, überall den Beweis findet, dass er richtig geurteilt hat. Er findet diesen Beweis nicht bloß in jenen Wundern und jenen Weissagungen, die eben so überzeugend erwiesen sind, als die glaubwürdigsten Geschichten der vergangenen Jahrhunderte, nicht bloß ferner in jener inneren Stimme, durch welche der heilige Geist ihm bezeugt, dass er in der Wahrheit ist; sondern er findet ihn um sich herum, in Taten, die jetzt unter seinen Augen geschehen; er sieht ihn auch überall geschrieben, am Himmel, auf Erden, im Menschenherzen und Menschenleben. Es kommt dies daher, dass die Welt voll Rätsel ist, welche die Bibel erklärt, und welche sie allein erklärt. Bringt uns eure philosophische Lehre, und versammelt alle eure Weisen, und ich will euch, die einfachsten unter meinen Brüdern vorführen, Bauern, Kinder; aber mit der Bibel in der Hand. Erklärt uns die Sünde, und wie unter der Regierung eines heiligen Gottes der Gedanke an den ersten Ungehorsam in dem Herzen des ersten Menschen auftauchte: und wir werden es euch durch jene einfache Erzählung vom Baum der Erkenntnis Böses und Gutes erklären, die vielleicht mehr als einmal euren Spott erregt hat, und durch welche nichts desto weniger mehr Licht über die dunkelste Frage, die es gibt, verbreitet wird, als durch alle eure Philosophen mit einander. Erklärt uns den Tod, und wie unter der Herrschaft eines weisen und guten Gottes jene furchtbare Unordnung entstanden ist; doch nicht bloß den Tod: erklärt uns den Schmerz, den kleinsten Schmerz, erklärt uns eine leichte Verwundung; und wir werden euch alle Schmerzen, große und kleine, und den Tod, der sie alle übertrifft, durch jenes Wort des Buches erklären, das wir in der Hand halten.
„Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und der Tod durch die Sünde.“ Erklärt uns die Natur, die Dornen und Disteln, die von selbst auf einem Boden wachsen, der aus der Hand Gottes hervorging, und warum der Mensch genötigt ist, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen: und wir werden euch all das durch jenes andere Wort des nämlichen Buches erklären: „verflucht sei der Acker um deinetwillen.“ Erklärt uns die Geschichte, und, wie man in jener schrecklichen Verwirrung von Verbrechen, die unser Geschlecht beflecken, und von Nöten die es heimsuchen, einen göttlichen Plan entdecken soll: und wir werden es auch durch jene Weissagungen erklären, die Jahrhunderte zuvor auf vier große Reiche hinweisen, die sich abwechselnd nach einander erheben, über einander zusammenstürzen, und endlich einem Königreich Platz machen, das kein Ende haben soll. Was soll ich weiter sagen? Alle jene großen Aufgaben der Menschheit, an denen die Philosophie zu aller Zeit verzweifelte, werden von der Bibel ins Licht gesetzt, ohne Zweifel nicht so, dass sie keine Fragen mehr zu stellen übrig lässt; aber doch so, dass sie Gott rechtfertigt, dass sie den Menschen befriedigt, und durch den Anfang von Licht, das sie ihm jetzt schon gewährt, ihn noch ein helleres Licht ahnen lässt, dem alle seine Dunkelheiten weichen werden. Durch diesen mit Tatsachen belegten und durch die Erfahrung bestätigten Beweis wird es uns stets augenscheinlichere Gewissheit, dass die Bibel wirklich ist, was sie zu sein behauptet, das Buch Gottes. Und wie ein Mensch, der lange in einem Haus umhergeirrt und vergebens alle sich vorfindenden Schlüssel versucht hätte, um in die Gemächer einzubringen, aus denen es besteht, dem es aber endlich gelänge, einen zu entdecken, der alle ihre Schlösser mit gleicher Leichtigkeit öffnet, an diesem Zeichen erkennen müsste, dass er den Hauptschlüssel gefunden hat, so haben wir geglaubt und erkannt, dass die Bibel der Hauptschlüssel zur Welt ist, weil wir erfahren haben, dass sie alle ihre Türen erschließt und alles unverhohlen darlegt.
Wie wollt ihr uns jetzt noch sagen, wir seien leichtgläubig, indem wir uns ihr unterwerfen? Ach, wir wären wirklich leichtgläubig, wenn wir glauben könnten, ein solches Buch sei aus Menschenhand hervorgegangen, oder wenn, von dessen göttlicher Herkunft überzeugt, wir uns andern Gesetzen als den seinigen unterwerfen könnten. Aber jetzt freuen wir uns, und sehen unsere Ehre darein, ihm unterworfen zu sein, als dem besten Gebrauch, den wir von unserer Vernunft machen können. Das geistige Glück, dessen sich die Welt fälschlich rühmt, finden wir in Wahrheit in dem Glauben. Wir sprechen es unumwunden aus: ungeachtet des oberflächlichen Anscheins, wird der innerste Verstand besser bei einem christlichen Landmann als bei einem ungläubigen, Philosophen befriedigt; und mit gutem Gewissen und ohne den Rechten der menschlichen Vernunft irgend wie zu nahe zu treten, im vollen Genuss aller unserer Seelenkräfte können wir das Glück unseres Glaubens genießen. Ja, das Glück unseres Glaubens: und es fehlen uns die Worte, um den Herrn dafür zu preisen, dass inmitten von widerstreitenden Meinungen, die um uns herum sich an einander reiben und befehden, wir ein Wort Gottes haben, und ein geschriebenes Wort, das armen Sündern den Weg zum ewigen Leben offenbart, „Jesum Christum, und Jesum Christum, den Gekreuzigten!“ (1 Kor. 2,2.) Ja, das Glück unseres Glaubens: und während alle Andere sich in vergeblichen Anstrengungen aufzehren, um endlich ihren irrenden Gedanken einen festen Anhaltspunkt zu geben, und kaum mehr als bloße Vermutungen statt jener Überzeugung erhalten, nach der sie seufzen, welches Friedens werden wir nicht teilhaftig, wir, die wir „von Gott gelehrt sind,“ wir, die wir das Recht haben, wie jener Weise des Altertums auszurufen, aber mit einer Freude, welche die seinige in dem Maß übersteigt, als die Aufgabe der Ewigkeit erhabener ist als die von Archimedes gelöste: „Ich habe gefunden, ich habe gefunden!“ Ja, das Glück unseres Glaubens; das Glück sagen zu können, nicht bloß vor Menschen; sondern selbst vor Gott und in seinem Innersten sagen zu können, die Gnade, in der wir stehen, ist wahrhaftig.“ Man macht uns ein Verbrechen aus dieser Zuversicht; man fordert von uns, wir sollen unsern Glauben nur als eine bestreitbare Meinung hinstellen; doch dies ist uns unmöglich. Der Zweifel mag die Sprache des Zweifels sprechen; der Glaube spricht also: „So hat der Herr gesagt.“ Herr Jesus, ist es nicht wahr, dass Du Christus, der Sohn des lebendigen Gottes bist? Ist es nicht wahr, dass Du die Versöhnung unserer Sünden durch Dein Blut gemacht hast, und dass nichts Verdammliches mehr an denjenigen ist, die an Deinen Namen glauben? Ist es nicht wahr, dass Du jetzt zur Rechten des Vaters sitzt, uns Deinen Geist mitteilst, dass Du in uns bleibst, und wir in Dir, und dass Du hingegangen bist, uns die Stätten zu bereiten, damit da, wo Du bist, wir auch bei Dir sein mögen? Herr, wir geben Dir Zeugnis vor den Menschen, gib uns all das Zeugnis in dem Herzen derer, die uns hören, bis jener große Tag erscheint, wo jedes Auge Dich sehen wird, wie Du auf den Wolken des Himmels kommst? Ach gib, dass sie das Wort, das wir ihnen verkündigen als das aufnehmen, was es wahrhaftig ist, Dein Wort, und nicht ein Menschenwort, nicht bloß damit dieser schreckliche Tag sie nicht in ihrem Unglauben überfalle, sondern dass sie von heute Anteil an jener gewissen Zuversicht, an jener seligen Gemütsverfassung haben, die diejenigen besitzen, die an Dich glauben: „Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verlässt!“
Was missfällt euch ferner in dem christlichen Leben? Es scheint euch einförmig, oder besser gesagt, langweilig. Sich beständig in dem engen Kreise zweier oder dreier Gedanken bewegen, die Bibel lesen und beten, beten und die Bibel lesen, ist eine eben so einförmige als freudenlose Lebensweise, zu der sich ein lebhafter Geist nimmermehr verstehen kann. Ihr werdet uns vielleicht sehr kühn finden, wenn wir zu behaupten wagen, dass das christliche Leben im Gegenteil reicher an Mannigfaltigkeit und anziehender als das eurige ist.
Zuerst lasst mich euch sagen, dass was ihr für Einförmigkeit haltet, Einheit ist. Wir geben euch gerne zu, dass das ganze Leben der Christen (wenigstens sollte es so sein,) nicht in zwei oder drei Gedanken, sondern in Einen, Gedanken, Jesum Christum zusammen gefasst wird., Christus ist des Christen Leben; an Jesum Christum glauben, Jesum Christum lieben, Jesu Christo dienen, Jesum Christum nachahmen, ist ihm das Eine was Not tut. Ihr kennt aber die menschliche Natur sehr schlecht, wenn ihr denkt, das christliche Leben, weil ganz und gar auf ein einziges Ziel hingelenkt, werde um so weniger Anziehendes haben. Das ist ja gerade, wie alle Philosophen beobachtet haben, das eigentümliche Gepräge unseres Geistes, dass er in allen Dingen ein Einiges Ziel, eine Einige Regel sucht, und dass er da nicht gerne ist, wo er die Einheit vermisst. Dieses Bedürfnis zu befriedigen, ist eine Grundregel wie in den Wissenschaften so in den Künsten. Was habt ihr, wenn es sich z. B. von der Beredsamkeit handelt, lieber, eine Rede die aus zusammen getragenen Gedanken ohne gemeinschaftliches Band gebildet ist, oder die wohlgeordnete Entwicklung eines einzigen Gedankens? oder, wenn es sich von der Baukunst handelt, woran verweilen eure Blicke am liebsten, einem unregelmäßigen Haufen von Häusern oder an einem Gebäude, dessen sämtlichen Teilen ein gemeinsamer Plan zum Grunde liegt? Wenn übrigens diese Regel für die Werke der Menschen aufgestellt worden ist, so kommt es daher, weil sie diese in Gottes Werken selbst befolgt sahen; aus der Natur ist die Einheit in die Künste übergegangen. In dem Körper eines Menschen, in einem Baum auf dem Feld, in den Strömen, im Meer, am Himmel, in der ganzen Schöpfung entdeckt man eine wunderbare Einheit des Planes. Herrscht aber die Einheit überall in der äußern und sichtbaren Welt, so muss es zweifellos eben so in der sittlichen Welt und im Leben des Menschen sein. Wenn euer Leben nicht ein Hauptinteresse hat, durch welches es vollkommen beherrscht wird, und um das es sich wie um einen Mittelpunkt dreht; wenn ihr euch heute diesen und morgen einen andern Zweck vorsetzt; wenn ihr bald den Beifall, der Welt, bald das Beispiel Anderer, bald die Neigungen eures Herzens, bald die göttlichen Gebote zu Rate zieht, so wird euer Leben, weil ohne Einheit, auch ohne Kraft, ohne Tiefe, ohne Beweggrund, oder viel mehr kein dieses Namens wertes Leben, sondern eine bloße Aufeinanderfolge von Begebenheiten sein. Ach, lasst euch sagen, dass wir eben so sehr das Gefühl unserer Menschenwürde wie das Bewusstsein unserer Christenpflicht verloren haben müssten, wenn wir einwilligten, so schnöde einen Geist zu vergeuden, den Gott zu seinem Bilde gemacht, und den Er einst in der Einheit vollenden will. Wisst, dass wir, wenn wir wählen müssten, lieber die Einheit ohne die Mannigfaltigkeit, durch welche ein einförmiges Leben wie das der Einsiedler herbei geführt würde, als die Mannigfaltigkeit ohne die Einheit wollten, die zu einem planlosen Leben führen würde, wie das ist, dessen ihr euch rühmt.
Doch diese Wahl ist nicht notwendig, weil das christliche Leben Alles vereinigt. Die unermessliche Einheit des Gedankens: Jesus Christus versammelt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Gegenständen unter sich, mit denen man sich im Namen des Herrn beschäftigen kann. Und wo ist denn, die Sünde ausgenommen, Etwas, das man nicht zu Seiner Ehre tun könnte? Die Arbeiten der sechs Wochentage und die Ruhe des siebten, die Mühseligkeiten und die Erholungen, die Lasten und die Vorrechte des bürgerlichen, die Pflichten und die Annehmlichkeiten des häuslichen Lebens, die Übungen der Seele; des Geistes und des Leibes, und sogar der Genuss der Speisen, welche der Christ durch das Gebet heiligt, Alles kann auf den Herrn bezogen werden; und wir könnten einen Tag, eine Woche, ein Jahr mit immer neuen Sorgen ausfüllen, ohne dass wir je aufhörten, Ihm zu dienen und Ihn zu verherrlichen. So verwirklicht das christliche Leben auf seine Weise die beste Erklärung, die die Philosophen vom Schönen gegeben haben. Die Schönheit, haben sie gesagt, ist die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Was ist es, zum Beispiel, das euch in dieser Landschaft so entzückt, dass ihr nicht aufhört, sie zu beschauen? Diese Erde, diese Felder, diese Bäume, diese Herden, diese Menschen, das ist die Mannigfaltigkeit; aber die einzelnen Teile dieses Gemäldes sind mit einander verbunden: der Ochse frisst das Gras der Wiese ab, die Hand des Menschen melkt die Milch der Kuh und pflückt die an den Bäumen hängende Frucht, während die Erde, diese gemeinsame Mutter, sie Alle trägt und ernährt; das ist die Einheit. Mannigfaltigkeit, Einheit. O, wie sind diese beiden Dinge so schön, in dem christlichen Leben vereinigt. Wie man kein schöneres Schauspiel in der physischen Welt finden könnte als das mit Sternen besäte Firmament, dessen unendliche Bewegungen Einem und demselben Gesetz gehorchen, eben so könnte man nichts Schöneres in der moralischen Welt entdecken als das christliche Leben, indem ein einziger Gedanke alle nützlichen Sorgen des menschlichen Lebens durchdringt und beherrscht.
Diese Erörterungen sind vielleicht ein wenig abstrakt und rühren Manchen nicht stark genug; erläutern wir sie durch ein Beispiel, das wir dem häuslichen Leben entnehmen wollen. Ein Mann und ein Weib, Eltern und Kinder, Herrn und Dienstboten sind in einem Haus, wo man es unterlässt, den Herrn Jesum zu lieben und Ihm zu dienen, eben so viele unter sich schwach verknüpfte und eines gemeinschaftlichen Ursprungs entbehrende Verbindungen. Ganz anders verhält es sich in einem christlichen Haus. Es wohnt Darin ein unsichtbarer Geist, den der Glaube gleichsam leibhaftig erscheinen lässt, und dessen Geist alle Verhältnisse des häuslichen Lebens beseelt. Die enge und heilige Verbindung des Mannes mit dem Weibe findet seinen Ursprung und seine Regel in Jesu: Er hat sich herabgelassen, wie ihr euch erinnert, sich den Bräutigam der Gemeine und die Gemeine Seine Braut zu heißen; „Der Mann soll sein Weib lieben wie Jesus die Gemeine geliebt hat, und das Weib soll ihrem Mann untertan sein, wie die Gemeine Christo untertan ist.“ Die zarte und liebliche Verbindung der Eltern mit den Kindern findet gleichfalls ihren Ursprung und ihre Regel in Jesu: Gott, der uns in Ihm erwählt hat, heißt unser Vater und nennt uns Seine Kinder; der Vater soll seine Kinder leiten wie Gott Seine Kinder in Jesu Christo führt, und der Sohn soll seinem Vater gehorchen, wie der Christ Seinem Vater gehorcht, der im Himmel ist. Sogar die unansehnliche, aber nützliche Verbindung des Herrn mit dem Dienstboten findet seinen Ursprung und seine Regel in Jesu: Er ist unser Herr, und wir seine Diener; der Herr soll seinen Dienern in demselben Geiste befehlen, in welchem Jesus Seinen Jüngern gebietet, und der Diener soll seinen Herrn ehren, in dem gleichen Geist, in dem die Jünger Jesu ihren göttlichen Meister ehren. (Eph. 5,19; 6,9.) So geordnet, verbindet das Familienleben die Einheit mit der Mannigfaltigkeit; die Mannigfaltigkeit in diesen verschiedenen Beziehungen; die Einheit in der Betrachtung Jesu, in welchem sie alle sich vereinigen, ihren Mittelpunkt finden. Wähnt ihr nun, das Innere eines solchen Hauses verliere dadurch, dass es dieses gemeinsame Band besitzt, und die Gegenwart dieses himmlischen Gastes trete darin dem Anziehenden oder der Freiheit der häuslichen Verhältnisse zu nahe? Ihr christlichen Familien, die ihr Etwas von dem, was wir eben aussprachen, erfahren habt, gebt der Wahrheit die Ehre. Sagt uns, ob Jesus, in dem sich die höchste Majestät mit der brüderlichsten Herablassung vereinigt, nicht, während Er der Gott der Familie, auch zugleich deren Freund ist? Ist es nicht wahr, dass wenn bei euch friedliche Heiterkeit, ein gelassener, fröhlicher Sinn, zarte Liebe, dauernde Freude, eine nachhaltige Erleichterung oder wirksamer Trost anzutreffen war, ihr es ihm verdankt? Ist es nicht auch wahr, dass das keine Zeiten des Schmerzes und des Seufzens sind, wenn Er sich herablässt, eure Unterhaltungen zu leiten, wenn Er sich mit euch zu Tische setzt, wenn Er auch Sein himmlisches und zugleich Sein irdisches Brot bricht, und wenn er zu euch wie ehemals zu Seinen Jüngern in jenem verschlossenen Zimmer sagt: „Friede sei mit euch!“ Dein Friede, Herr, und nicht Kälte und Gleichgültigkeit; Dein Friede und mit ihm die lebendigsten und tiefgehendsten Interessen!
Ja, meine lieben Zuhörer, die lebendigsten und tiefgehendsten Interessen. Ihr verwundert euch darüber. Das christliche Leben scheint euch einförmig, sagten wir; aber noch mehr es scheint euch kalt. Mitten unter so vielen Dingen und Ereignissen, die euch mit fortreißen, und euch durch die Hoffnung oder durch die Unruhe, durch die Freude oder durch den Schmerz aufregen, denkt ihr, bleibe der wahre Christ unempfindlich. Gewissermaßen vereinzelt inmitten der Welt dastehend, und nach seiner eigenen Sprache ein Fremdling hienieden, verschließe er, nur des Himmels lebend, sein Herz für die Interessen der Erde. Ihr könnt ihn nicht um diese Gleichgültigkeit beneiden; doch braucht ihr mehr Bewegung und Leben. Wir brauchen auch Bewegung und Leben. Die menschliche Natur bedarf ihrer, und dies ist ein Überrest ihrer ursprünglichen Größe; aber das christliche Leben befriedigt dieses Bedürfnis, und befriedigt es allein.
Ich werde mich durch ein Gleichnis verständlicher machen. Kleine Kinder überlassen sich den Spielen ihres Alters; sie geben sich ihnen gänzlich hin; sie laufen, sie rufen, ihre Augen funkeln vor Bewegung und vor Vergnügen. Nahe bei dem Schauplatz ihrer Belustigungen seid ihr, ruhig basierend oder langsam auf und abgehend, in tiefes Nachdenken versunken, oder mit einem Freund in eine ernsthafte Unterhaltung über eine Handelsunternehmung, eine politische Umwälzung oder eine Frage der Philosophie verflochten. Wer ist nun in einem solchen Augenblick beschäftigter, bewegter, diese Kinder oder ihr? der äußere Mensch ist beschäftigter bei ihnen, aber der innere Mensch ist beschäftigter bei euch: diese Kinder sind ohne Zweifel aufgeregter, aber ihr seid bewegter, denn nach dem Leben des Geistes und des Herzens, nicht nach dem physischen und tierischen Leben, muss man die Äußerungen unseres Daseins bemessen. Wendet diesen Satz auf den vorliegenden Gegenstand an, und ihr werdet begreifen, dass weit mehr Bewegung in dem christlichen Leben als in dem eurigen ist. Denn, wenn ihr näher herzutretet, so werdet ihr unter dem unruhigen Treiben eures Lebens Interessen ohne Größe, ohne Tiefe finden, die nicht wert sind, eine unsterbliche Seele zu fesseln, während unter der Ruhe des Christen ihr im Gegenteil allein großer allein tiefe, allein seiner und eurer Natur würdige Interessen finden werdet. Darüber werden wir alles in Einem Wort sagen können: eure Interessen sind irdisch und die seinigen sind himmlisch, man sieht also in euch einen unsterblichen Geist, der von Dingen dieser Zeit umher getrieben, und in ihm einen unsterblichen Geist, der von den Dingen der Erdigkeit bewegt wird.
Was sind denn in der Tat die Interessen, die euer leben ausfüllen? Soll ich von euren gewöhnlichen Interessen sprechen? was! eine Abendunterhaltung, eine Mahlzeit, ein Kleid, ein Lob, eine Kritik? doch kommen wir zu euren ernsteren Interessen. Es soll sich darum handeln, zu wissen, ob ihr reich oder arm sein, ob ihr eure Gesundheit verlieren, oder ob ihr sie werdet bewahren können, ob euer Leben sich seinem Ende nähere oder nicht. Nun, sollte denn Etwas von diesem Allem fähig sein, die unermessliche Leere eines unsterblichen Geistes auszufüllen? denn endlich, reich oder arm, „habt ihr Nichts in diese Welt gebracht, und könnt auch Nichts hinaus bringen.“ Krank oder geheilt, müsst ihr doch einmal endigen, und wenn ihr heute gerettet werdet, so ist es nur um morgen zu sterben, wie ein Soldat, der, beinahe von einem tödlichen Hieb in einer Schlacht getroffen, sich bückt, ihn vermeidet und ausruft: ich bin gerettet, einige Schritte weiter gehend einen andern Hieb erhält, der ihn tot zu Boden streckt. Man bringe euch die Nachricht, ein Kind sei in eurer Familie geboren, ein Mensch sei in derselben gestorben, eine Revolution habe in eurem Land statt gefunden. Nun, ein Kind, das geboren wurde, ist ein Einwohner mehr für diese Erde, das euch einige Jahre erfreuen, oder vielleicht betrüben, und dann in seine Ruhe eingehen wird. Ein Mensch, der gestorben ist, ist ein Mensch weniger in der Welt, wo die durch ihn entstandene Lücke bald wieder ausgefüllt werden wird, und dessen Hinscheiden euch wohl keine andere Teilnahme (ich will voraussetzen, dass ihr euch nicht mit dem elenden Gedanken an eine Erbschaft tragt) als die der flüchtigen Liebe einflößt, die ihr für ihn gehabt habt. Eine politische Umwälzung, wenn einmal die Gefahr vorüber ist, ist eine Umgestaltung der Sachen oder bloß der Menschen, und was euch am meisten berührt, ist der Einfluss den sie auf euer persönliches Glück ausüben soll. Alle eure Interessen sind kurz wie die Zeit, ungewiss wie das Leben, niedrig wie die Erde.
Der Christ hat ganz andere Gedanken. Da er in seinem Herzen Jesum Christum und den heiligen Geist trägt, da sein Herz und seine Augen für die unsichtbaren und geistlichen Dinge aufgeschlossen worden sind, so lässt er euch in der Zeit ein ärmliches Dasein fristen, und lebt allein in der Ewigkeit. Seine große Seele, die gelehrt worden ist, Himmel und Hölle zu messen, erkennt in sich selbst die Höhe der einen und die Tiefen der andern, und fühlt gewissermaßen den rückwirkenden Einfluss von Allem, was in der Welt der Geister vorgeht. Was er für sich und für andere sucht, ist Gott, ist Heiligkeit, ist Gnade, ist Gesellschaft der Engel, ist ewiges Leben. Was er für sich und für andere fürchtet, ist Satan, ist die Sünde, ist der Fluch, ist die böse Gesellschaft der Teufel, ist das ewige Feuer. Bin ich gerettet, bin ich zum Sterben bereit, bin ich reif für das Himmelreich? das ist seine Frage für sich wie für euch. Fühlt ihr, wie sehr ein solcher Geist die geringsten Einzelheiten des Lebens hervorhebt, indem er sie in dem Licht der Ewigkeit erscheinen lässt. Manches, was euch geringfügig vorkommt, ist für ihn ein Gegenstand des ernstesten Nachdenkens, des inbrünstigsten Gebetes. Denn er bricht nicht mit der Erde, sondern er verbindet die Erde mit dem Himmel. Er bekümmert sich nicht weniger als ihr um die Dinge dieser Welt, er bekümmert sich tiefer darum, obgleich ruhiger nach dem Beispiel Gottes, Der geduldig ist, weil Er ewig ist.“1) Und was soll ich von den großen Begebenheiten des Lebens sagen? für ihn ist ein Kind, das geboren wird, ein unsterbliches Wesen, das einem endlosen Glück oder Unglück entgegen geht, und das der Herr seiner Hut anvertraut, indem er zu ihm sagt, wie ehemals die Tochter Pharaos zu Mosis Mutter sprach: „nimm hin das Kindlein, und säuge mirs.“ Für ihn ist ein Mensch, der stirbt, eine Seele, für welche die Zeit der Prüfung unwiederbringlich verflossen ist, und die beim Austritt aus dieser Welt entweder ewige Herrlichkeit genießen oder in die Hände eines rächenden Gottes fallen wird; und wenn dieser Sterbende ein Freund, ein Bruder, ein Weib, ein Vater, ein Kind ist, o, wer kann ausdrücken, was dann in dem Herzen des Christen vorgeht? Für ihn ist eine politische Umwälzung ein Teil jenes unermesslichen Planes, den Gott von Anfang gefasst hat, und den Er von Jahrhundert zu Jahrhundert entfaltet, um alle Nationen dem Reiche Jesu Christi zu unterwerfen; und die ganze Geschichte ist ein großes Drama, das die menschliche Geschlechter nach einander in dieser Welt aufführen, und das zu jener herrlichen Entwicklung führen soll: „Die Erde wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser das Meer bedeckt.“ (Joh. 11,9.) Für ihn ist das Leben so ernst, so voll, bald von Hoffnungen, die ihn zum Himmel entzücken, bald von Ängsten, die ihn in die Hölle tauchen, dass er zuweilen sich verwundert, wie er einen solchen Kampf ertragen kann; er vorwundert sich darüber, aber es ist in den Tiefen seines Wesens ein gewisses Etwas, das seine Rechnung bei diesen Ängsten findet. Er will lieber die Bitterkeiten des Lebens empfinden, als sich denselben aus Gleichgültigkeit entziehen, wie ihr lieber einen Schmerz des Herzens fühlen, als in jugendlicher Sorglosigkeit demselben ausweichen wollt. Ja, in seinen traurigsten Augenblicken würde er seine Lage nicht gegen die eurige vertauschen, wie viel weniger in seinen Tagen der Freude, einer himmlischen Freude, von der ihr nicht einmal einen Begriff habt!
Nach allem diesem sage man uns noch, das christliche leben habe keine Bewegung und nichts Anziehendes! Man muss vielmehr sagen, dass nur im christlichen Leben man diese Merkmale findet; eine Bewegung, einen Reiz, die sich zu dem, was euch beschäftigt wie die ernsten Sorgen des Mannesalters zu den Kartenhäusern eines Kindes verhalten. Bei allem eurem unruhigen Treiben ist euer Leben freudlos und alles dessen bar, was das Herz rührt; und das seinige, obgleich so ruhig, ist nichts desto weniger mit den großartigsten Gedanken erfüllt. Ein Wasser ohne Tiefe, welches der unbedeutendste Wind bis auf den Grund trübt, weil er dem Spiegel so nahe ist, das ist das Bild eures Lebens; aber ein unergründliches Meer, dessen Oberfläche derselbe Wind kaum kräuseln kann, und das unter dieser friedlichen Oberfläche Abgründe und wieder Abgründe, Berge, Ebenen und eine ganze Welt lebendiger Kreaturen verbirgt, das ist das Bild des christlichen Lebens. Ein erstaunliches Leben in der Tat, ein unerklärliches Leben, wenn es nicht das Werk Gottes in dem Menschen wäre; ein Leben voll eines so süßen Friedens und zugleich einer so tiefen Bewegung; ein Leben reich an einer so starken Einheit und zugleich einer so unendlichen Mannigfaltigkeit; ein mit einem Wort so lebendiges Leben, allein fähig, ein Herz zu befriedigen, das fühlt, und einen Geist, der denkt, und neben dem jedes andere Leben auf Erden nur wie ein Leichnam neben einem Menschen ist: „Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verlässt.“
Was missfällt euch ferner in dem christlichen Leben? Das christliche Leben ist ein Leben der Opfer und der Entbehrungen, alle seine Neigungen überwinden, sich Erholungen versagen, auf, die man die rechtmäßigsten Ansprüche zu haben glaubt, einsam und allein leben, was ist doch das für ein trauriges und strenges Leben, ohne Genuss für sich selbst wie ohne Nutzen für die andern! - Hier gerade erwarte ich euch. Was euch, am meisten in dem christlichen Leben zurückschreckt, ist eben das worin sein Reiz und Triumph liegt. Täuschen wir uns nicht über das was zu einem christlichen Leben erforderlich ist. Es besteht nicht darin, dass man sich von der Welt zurückzieht. Wir lassen die Einsiedler in ihren Wüsten und die Mönche in ihren Klöstern; oder vielmehr wir beschwören sie; aus denselben hervor zu gehen, und ihr Pfund nicht zu vergraben, das Gott ihnen anvertraut hat. Die Christen, nach dem was wir unter ihnen verstehen, bleiben in der Welt, nach jenem Wort des Herrn. „Ich bitte nicht, dass du sie von der Welt nehmest;“ denn sie wissen, dass Gott sie dahin gestellt hat, um Ihm zu dienen. Sie leben in eurer Mitte, indem sie die Güter des Lebens genießen, und dessen Pflichten erfüllen.
Nachdem diese Erklärung voraus geschickt ist, geben wir euch zu, dass das christliche Leben ein Leben der Entsagung ist, denn es steht geschrieben: „ein Jeglicher unter euch, der nicht absagt Allem, dass er hat, kann nicht mein Jünger sein.“ (Luk. 14,33.) Man sagt nicht genug, wenn man sagt, es gebe Opfer im christlichen Leben, das ganze christliche Leben ist ein großes und langes Opfer, das Opfer seiner selbst, alle andern sind klein neben diesem - der Mensch wird lieber seinem Geld, seinem Vergnügen, seiner Ehre, seiner Ruhe, seiner Familie, seiner Gesundheit, seinem Leben als sich selbst, seinem Eigenwillen, seiner eigenen Gerechtigkeit, seinem Selbstruhm entsagen. Deshalb findet man Fakire, die sich verstümmeln, Büßende, die sich den Leib kasteien, Pilger die lange Wallfahrten unternehmen, man findet sie zu Hunderten, bis man Einen wahren Christen findet, der sich selbst entsagt.
Wir geben euch alles das zu; aber wir sagen, dass dieses Opfer, das den Eigenwillen so sauer dünkt, und unmöglich durch uns selbst erfüllt werden kann, für einen erneuerten Willen die Quelle der höchsten und reinsten Befriedigung wird, die auf Erden genossen werden kann. Ich sage für einen erneuerten Willen, und hierin fürchte ich nicht recht verstanden zu werden; und doch liegt gerade hierin eine Wahrheit, die dermaßen der menschlichen Natur entspricht, dass es für euch unmöglich ist, nichts davon zu fühlen. Ich berufe mich kühn auf euch, selbst. Ist es nicht wahr, dass ein Glück, etwas Seliges im Entsagen, in der Selbstaufopferung liegt? denn man fühlt sich glücklich, wenn man liebt, und die Hingebung seiner selbst ist nichts anderes als die so weit gebrachte Liebe, dass man sich um deswillen vergisst, den man liebt.
Ein junges Mädchen war ganz erfüllt mit der Eitelkeit der Welt und ihren Freuden: man warb um sie, man schmeichelte ihr, man bewunderte sie, sie war ein Götze für Andere und nicht minder für sich selbst. Sie heiratet endlich und wird Mutter. Jetzt verändert sich ihr Leben. Vorbei ist es mit den Freuden der Welt, der Kleiderpracht, der Gefallsucht. Sie weiht sich ihrem Kindlein bei Tag wie bei Nacht. Sie betrachtet, sie trägt, sie liebkost es, sie stillt sein Schreien, sie nährt es mit ihrer Milch. Von Morgen bis zum Abend sieht man sie mit ihm beschäftigt, und oft wacht sie vom Abend bis in den Morgen hinein, wenn es nicht schlafen kann. Wenn es krank ist, so erweist sie ihm alle erdenkliche Sorgfalt, und macht sich dadurch kränker als ihr Pflegling. Ich frage nun: ist diese Frau, seit sie ihre ehemalige Freuden, ohne die sie früher nicht leben zu können glaubte, gegen eine Hingebung vertauscht, die alle ihre Kräfte in Anspruch nimmt; ist sie, seit sie aufgehört hat, für sich, und gelernt hat, für einen andern zu leben, weniger glücklich geworden? Ach, wenn hier eine Mutter ist, die sich in diesem Bild erkennt, so ist es mir nicht um ihre Antwort bange. Nun, ich wende mich zu ihr und sage ihr: Warum schätzt du dich glücklich: und wie kommt es, dass wenn jemand es wagte dich zu beklagen, weil du dein vergangenes Glück gegen ein Leben der Entsagung vertauscht hättest, du deines Teils diesen armen Selbstsüchtigen als einen Menschen bedauern würdest, der nie Etwas von den wahren Freuden des Herzens gekannt habe? Woher kommt das? Es ist keine Erwiderung der Liebe, die du von diesem Kindlein erwartest. Die ersten Tage seines Lebens, wo es deiner Sorgfalt am Meisten bedarf, sind gerade diejenigen, wo es dieselben am Wenigsten erkennen kann; seine Augen sind kaum offen, um sie wahrzunehmen; ach, es wird vielleicht sterben, ohne Zeit gehabt zu haben, sie nur nach der Weise der Kindlein, mit einem Lächeln oder einem Liebkosen zu lohnen. Nun, wirst du sie dann bedauern, und wirst du denken, du wärst glücklicher gewesen, wenn du dich weniger für ein Wesen vergessen hättest, das jetzt Nichts mehr für dich tun kann? Worin besteht denn dein Glück, wenn nicht gerade darin, dass wir in uns ein Herz tragen, das nach Liebe hungert und dürstet, und seine volle Befriedigung nur dann findet, wenn es sich gänzlich hingibt?
Nun, was würde es doch sein, o zärtliche Mutter, wenn anstatt dich so einem armen, unmächtigen, sterblichen und sündigen Geschöpf aufzuopfern, du vom Glauben gelehrt würdest, dich Jesu, deinem Schöpfer, deinem Heiland und deinem Gott zu weihen? Wenn du dich für dein Kind aufopferst, so tust du das einem schwachen Geschöpf, dem deine Sorge und Pflege vielleicht für immer unbekannt bleiben, und das, wenn es sie auch erkennt; sie nur nach dem Maß seiner Kraft erwidern kann, welche die Gebrechlichkeit selbst ist; wenn du dich aber Jesu weihst, so gedenkt es dir der starke Gott, der mit seinen Händen Himmel und Erde geschaffen und verheißen hat, dass, wer um seinetwillen verlässt Haus, oder Bruder, oder Schwestern, oder Vater, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Äcker, es hundertfältig jetzt in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben empfängt.“ (Mark. 10,29.30.) Wenn du dich für dein Kind aufopferst, so tust du das einem hinfälligen Geschöpf, dem du heute dienen kannst, und für das du morgen vielleicht Nichts mehr vermagst, weil der Tod, ja nur einige Länder und Meere dich von ihm getrennt haben; wenn du dich Jesu weihst, so gedenkt es dir Der, der lebt in die Ewigkeiten der Ewigkeiten,“ und Der dermaßen“ alle Dinge erfüllt, dass, da dich Nichts von Ihm trennen kann, man eben so wenig in deinem Leben einen Augenblick findet, der nicht Seinem Dienst gewidmet wäre, als in der Tiefe des Meeres eine Höhlung, in die seine Gewässer nicht einbringen. Wenn du dich deinem Kinde weihst, so weihst du dich einem abgefallenen Wesen, in welchem das Bild Gottes, das es allein liebenswürdig machen kann, durch die Sünde verdunkelt ist, und dessen Liebe, wenn sie nicht durch die Liebe Gottes in die rechten Schranken geleitet wird, eine Verkehrtheit, ein Götzendienst wäre; weihst du dich aber Jesu, so weihst du dich dem Allheiligen, Dem, dessen Liebe kein Maß hat, weil sie selbst jeder andern Liebe zum Maßstab dient, und von dem geschrieben steht: „Du sollst ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und aus allen Kräften.“ Wenn du dich deinem Kind weihst, so weihst du dich einem Wesen, das, da es Alles von dir empfangen und dir Nichts gegeben hat, nur in so fern ein Anrecht an deine Liebe hat, als dir's höchste Lust ist, dich deinem Kind zu widmen, und den süßen Mutternamen zu hören; wenn du dich Jesu weihst, ach, hier besonders möchte ich recht verständlich sein, so weihst du dich dem, der sich zuerst für uns dahin gegeben hat, sich ganz und vollständig, sich am Kreuze, sich als der Schöpfer für uns Seine Geschöpfe, sich als der Heilige für uns, die Sünder, sich als der Fürst des Lebens für uns, die armen Sklaven des Todes dahingegeben, und sich das Recht erworben hat, uns zu sagen:“ Ihr seid teuer erkauft, ihr seid nicht mehr euer selbst,“ O, Jesus, o mein Gott, sich Dir rückhaltlos und ganz weihen, Dich über Alles lieben, und Andere nur nach Dir, in Dir und für Dich lieben, ist denn das die Traurigkeit des christlichen Lebens? O selige Traurigkeit! Herr, mach uns immer trauriger auf diese Weise! Denn Du weißt es, Du, der Du die Herzen prüfst, dass wir glücklich sind, wenn wir uns selbst um Deinetwillen verleugnen, und dass unserem Glück nur das fehlt, dass wir uns nicht genug verleugnen. Ja, wenn wir Alles verlassen könnten, um Dir nachzufolgen, nur lieben was Du liebst, Alles Dir zur Ehre tun könnten, und jede Regung, jeder Gedanke und jeder Pulsschlag auf Dich gerichtet wäre, dann wäre unsere Freude vollkommen! dann wäre unser Kreuz leicht, dann würden wir in Erwartung Deines Himmels, dieses Himmels, den Dein Blut uns eröffnete, schon in Deinem Dienst einen Himmel auf Erden gefunden haben.
Ist es nach dem Gesagten noch nötig, beizufügen, dass die Opfer des christlichen Lebens, wie sie nicht ohne Süßigkeit für den Christen selbst sind, auch für Andere nicht ohne Segen bleiben? Wie, die Hingabe an Jesum, den Heiland der Menschen, sollte nicht auch eine Hingabe an die Menschen wirken, die Er so sehr geliebt hat? Wenn jemand sich zu Jesu Christo bekehrt, so beklagt ihr euch, für die Gesellschaft verloren ist. Für die Gesellschaft verloren! Was für eine verkehrte Sprache! Wie wohl stünde es um die Gesellschaft, wenn sie uns alle auf diese Weise verlieren könnte! dadurch, dass der wahre Christ ein Glaubens- und Gebetsmensch geworden ist, ist er auch ein liebevoller und tätiger Mensch, und ein Nachfolger Dessen geworden, der „von Ort zu Ort zog und wohltat.“
Wenn es sich um die geistliche Wohlfahrt der Menschen handelt, so kann der Christ allein dazu beitragen, denn er allein arbeitet an jenem bewunderungswürdigen Werk, das die Beseligung der Welt zum Gegenstand hat; er allein handelt, betet, ermahnt, um die Menschen zu veranlassen, sich Gott zuzuwenden. Nun, ist das nicht die vortrefflichste Liebe? Begreifen wir vollkommen, was eine einzige Seele, eine unsterbliche Seele wert ist? Welche Freude, O, welche Freude für den, der sie vom Tod errettet! Wenn in diesem Augenblick, zum Beispiel, es mir geschenkt würde, nur einen von denen zu bekehren, die mich hören; wenn hier Jemand wäre, der durch diese Predigt überzeugt würde, wie er sein Glück nur in Jesu finden kann, und der nun hinginge, und sich rückhaltlos und ganz Ihm ergäbe; wenn sich zwischen ihm und mir jene geistliche Verbindung bildete, für die es keinen Namen auf Erden gibt, und welche den Bekehrten mit demjenigen verknüpft, der das Werkzeug seiner Bekehrung gewesen ist, wer kann sagen, wie wonnevoll schon die gegenseitige Erinnerung hienieden für uns wäre, ehe noch der Tag kommt, wo wir uns in den himmlischen Hütten begegnen und begrüßen sollen.
Aber wenn es sich darum handelt, zur zeitlichen Wohlfahrt unserer Mitmenschen beizutragen, dann meint ihr wohl, werde sich der Christ minder eifrig als ein anderer erzeigen, weil er ja gewohnt sei, das Zeitliche dem Himmlischen unterzuordnen. Doch auch hierin irrt ihr euch. Auch da wird er an Eifer Niemand nachstehen, und sich überall nach jenem schönen Wort des Apostels Paulus „an der Spitze guter Werke befinden.“2) Auf den eigenen Vorteil hat er verzichten gelernt, nicht auf den Vorteil Anderer. Er selbst „schlägt Nichts hoch an, und achtet sogar sein Leben gering;“ aber für Andere bringt er Alles wohl in Anschlag, und die geringste Erleichterung, die er ihnen verschaffen, die geringste Mühe, die er ihnen ersparen kann, scheint ihm ein aller seiner Anstrengungen würdiger Preis. Der Apostel Paulus hat ihm dieses Beispiel gelassen, der große Apostel, der unausgesetzt, in Wachen, in Hunger, in Durst, in Fasten, in Kälte, in Blöße lebte, und, der Tag und Nacht arbeitete, um Niemand beschwerlich zu fallen.“ Sein Herr besonders hat ihm dieses Beispiel gelassen; Er, der unausgesetzt das Kreuz erduldete, und, achtete der Schande nicht, und der während Seines Wandels auf Erden unausgesetzt nicht nur die Übel der Seele, sondern auch die Übel des Leibes heilte. Gerade dadurch, dass die Hauptaufmerksamkeit des Christen auf die himmlischen Güter gerichtet ist, darf er sich auch einen um so sichereren Erfolg in dem versprechen, was er für die Güter dieses Lebens tut, denn es steht geschrieben: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Übrige alles zufallen;“ ein tiefes Wort, das überall seine Erfüllung findet, sei es in den Werken der Privatwohltätigkeit, oder in den allgemeinen Unternehmungen der Christenheit zu Gunsten der heidnischen Nationen. Erst neulich hat in einem benachbarten Land eine große und edle Versammlung3) durch eine genaue Untersuchung uns dargetan, dass die Zivilisation nie anders als im Gefolge des Evangeliums zu den wilden Völkern gedrungen ist, und dass die Missionare die ersten Wohltäter der Heiden sind. Sucht in den Geschichten barmherziger Liebe, welche Menschen den größten Anteil an der Abschaffung der Sklaverei, der Verbesserung der Gefängnisse, an den nützlichsten Stiftungen gehabt haben, und ihr werdet überall nicht einfache Menschenfreunde; sondern wahre Jünger Jesu Christi finden. Nein, es gibt keine Wirksamkeit, es gibt keine Aufopferung, es gibt keine Wohltätigkeit, dessen Grund und Seele der Glaube nicht wäre, und hauptsächlich hier, in diesem Leben der Entsagung und der Opfer hat der Christ Grund, auszurufen: „Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verlässt.“
Und doch, bemerkt es wohl, haben wir euch das Glück des christlichen Lebens nur von der unscheinbarsten Seite gezeigt. Fragt einen Christen, warum er glücklich ist? er wird euch wahrscheinlich keinen der von mir hier entwickelten Gründe angeben. Er wird euch nicht sagen, dass das christliche Leben allen Bedürfnissen seiner Natur entspricht, weil es seinen Verstand im Glauben, seine Seele in frommen Rührungen und sein Herz in aufopferungsvoller Hingabe seine Befriedigung finden lässt. Nicht als ob dies Alles ihm nicht wahr erschiene, und nicht wirklich zu seinem Glück beitrüge, doch er kennt noch etwas Köstlicheres, er hat eine ganz einfache, eine allzeit fertige Antwort, und die lautet: Ich bin glücklich, weil ich einen Heiland habe, und meine Sünden mir vergeben sind. Aber dies habe ich bis jetzt nur wenig berührt, weil ich von der Voraussetzung ausging, ihr seid davon selbst genugsam überzeugt, so offenbar ist dies, so greifbar ist dieser Teil unserer Glückseligkeit. Doch erkennt ihr es wirklich? Wisst ihr wohl, was es heißt, wenn man sich sagen kann: Ich bin zu Gnaden angenommen, meine Übertretung ist vergeben, meine Sünde ist bedeckt, der Herr rechnet mir keine Missetat zu. (Psalm 32,1.2.) Wisst ihr, was es heißt, Gott zum Vater, Jesum Christum zum Bruder, den heiligen Geist zum Tröster zu haben, und zu jeder Stunde des Tages und der Nacht sich Gott mit dem Vertrauen nähern zu können, dass Er uns liebt, dass Er uns hört, dass Er uns erhört, dass Er uns befreit und in uns das Gnadenwerk vollbringt, das Er angefangen hat? Wisst ihr, was es heißt, alle Trübsale des Lebens als eine heilsame Zucht eines Vaters aufnehmen zu können, der uns liebt, eines Heilandes, der zuerst gelitten hat, was sage ich? als Beweise der Liebe, denen man sich nicht entziehen wollte, wenn man könnte, und deren man sich freut und rühmt, für die man dankt? Wisst ihr, was es heißt, in den Wechselfällen, an denen das Leben so reich ist, einen Führer zu haben, den man um Rat fragen darf, und der, nachdem Er die gläubige Seele gelehrt hat, Ihm zu sagen: „Tue mir kund den Weg, den ich gehen soll, denn Du bist mein Gott,“ ihr also antwortet: „Ich will dich unterweisen, und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst, will dich mit meinen Augen leiten.“ (Psalm 32,5.) Wisst ihr, was es heißt im Frieden sterben zu können, und den Heiland zu sehen, wie Er Seine Arme nach euch ausstreckt, und mit dem Apostel sprechen zu können: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort wird mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird?“ (2. Tim. 4,7.8.) Und endlich, wisst ihr, was es heißen wird, in den Besitz jener ewigen Seligkeit zu treten, von der uns alle Schilderungen, die biblischen nicht einmal ausgenommen, nur eine unvollkommene Vorstellung geben können, weil sie in einer Menschensprache geschrieben sind; in jene auserwählte Stätte aufgenommen zu werden, wo kein Leid, und kein Geschrei, und kein Schmerz. mehr sein,“ Gott aber alles in Allem erfüllen wird; so mit einem Abraham, einem Moses, Elias, Jesajas, einem Paulus, Petrus, Timotheus sich vereinigt zu sehen, in der Gesellschaft der heiligen Engel und in der Gegenwart des Herrn Jesu weilen zu dürfen, und das Lied der Erkauften anzustimmen:, Heil sei Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und unserem Gott und dem Lamm. Lob und Ehre, und Weisheit und Dank, und Preis, und, Kraft und Stärke sei unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Wisst ihr, was dies sein wird? wissen wir es selbst? „Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verlässt.“
Liebe Brüder, liebe Brüder, wollt ihr nicht diesen Weg einschlagen, der „die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens hat?“ Wollt ihr euch freiwillig des ewigen Lebens berauben, und warum? etwa um glücklicher hienieden zu sein? nein, sondern um euch sogar hienieden der einzigen Glückseligkeit zu berauben, die dieses Namens wert ist? Wenn wir euch zum Glauben aufforderten im Namen eurer Seligkeit, so hat die Natur vor einem Weg zurückbeben können, der zum ewigen Leben führt; aber so rau und schmal ist. Wenn wir euch dazu im Namen eurer Heiligung aufforderten, so hat das Fleisch vor einer Entsagung erschrecken können, die so bitter für unsern Eigenwillen ist. Aber wenn wir euch heute im Namen eurer Glückseligkeit, eurer gegenwärtigen wie eurer zukünftigen Glückseligkeit hierzu auffordern! O, wer sollte unsinnig genug, und dermaßen sein eigener Feind sein, dass er eine solche große Seligkeit nicht achtete?
Und ihr besonders, ihr Betrübte dieser Welt, die eine geliebte Familie umgab, und die ihr nun einsam dasteht, ihr, denen eine zerstörte Gesundheit nur ein Leben der Leiden und einen schmerzhaften Tod in Aussicht stellt; ihr, die, wenn es euch, auch nicht am Notwendigen fehlt, doch wenigstens von den Annehmlichkeiten des Lebens ausgeschlossen seid, euch, euch ganz besonders, scheint Gott zum Frieden Seines Sohnes Jesu Christi zu berufen, und ihr sollt auch, mehr als alle andern, zu dessen Aufnahme in euer Herz bereit sein. Wollt ihr der Einladung des Herrn kein Gehör Schenken: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken?“ Sollen lieber eure Tränen sich auf dieser Erde verlieren, als dass ihr sie in den Schoß eures Heilandes ausschüttet? Wollet ihr nicht kommen, selbst wenn alle Andern sich entfernten ihr, die das irdische Leben einzig deswegen scheint so stiefmütterlich behandelt zu haben, damit ihr um so gewisser dem himmlischen Leben in den Schoß eiltet? Und wenn die Erde Nichts mehr für euch hat als Tränen; wenn der Herr euch erklärt, dass ihr sie bloß darum vergießen müsst, weil ihr anders euer Angesicht ewig von Ihm abwenden würdet, der sie doch mit Seiner Hand einst trocknen will; wenn eure Trübsale für euch die Quelle eines ewigen Trostes werden, was sage ich? wenn sie schon heute in Freude verwandelt werden können, wollt ihr dann nicht kommen, um euer Kreuz zu den Füßen Dessen niederzulegen, der allein noch ein schwereres getragen hat? O, welchen Trost werdet ihr in Seiner Liebe finden! und mit welcher Innigkeit werdet ihr auf Erden sagen: „Es ist mir lieb, dass du mich gedemütigt hast,“ bis ihr im Himmel mit der aus großer Trübsal gekommenen Schar ausruft: „Wir haben unsere Kleider gewaschen und hell gemacht im Blut des Lammes.“
Ist hier Jemand, der bei sich selbst sagt: es steht bei mir fest, ich will mich auch bekehren. Du Seele, die du hungerst und dürstest nach dem Frieden Jesu, ich kenne dich nicht; aber Gott kennt dich; Er erkennt dich mitten in dieser Versammlung; und wer anders als Er kann diese Bewegungen in deinem Herzen erregen? Du armer Bartimäus (Mark. 10,46.), steh auf, fasse Mut, Er ruft dir. Fürchte dich nicht, glaube nur; glaube und zweifle nicht. Der, der dir ruft, ist auch Der, der dir die Augen öffnen wird: es ist Jesus, dessen Wort Himmel und Erde geschaffen hat; Jesus, der für dich gestorben ist; Jesus der zu deinem Herzen spricht; Jesus, der dich selbst fragt wie jenen armen Blinden: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Heute noch, hier noch, ehe du deinen Sitz verlässt, schließe einen Bund mit Ihm. Nimm Seine Vergebung, und gib Ihm dein Herz. Amen.