Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Lehre und Leben der Waldenser.

Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Lehre und Leben der Waldenser.

Die unwissenden Menschen, bevor sie die Gläubigen genau kennen, lästern diese in ihrer Unwissenheit; allein manche, die sie dann näher kennen lernen, werden nicht selten für die Wahrheit gewonnen, die sie früher nicht gekannt hatten, und geben Gott die Ehre. Wiederum andere, welche einer genaueren Bekanntschaft mit den Zeugen Jesu zufolge sie besser kennen lernen, bleiben doch Feinde, sind aber genötigt, ihnen ein gutes Zeugnis zu geben, oder wenigstens von ihnen in ein oder anderer Beziehung die Wahrheit zu sagen. Wieder andere lästern, wie die Pharisäer; sie lästern anfangs wissentlich, nachher glauben sie ihre Lüge, und fallen in das Gericht der Verstockung. Zu den Zeugen, die wider Willen die Waldenser gelobt haben, gehört unter anderen der Dominikaner Rainerius Sacchoni, der ohne Zweifel früher selbst ein Waldenser gewesen war. Er wurde Ketzerrichter, und in der Lombardei, und im mittäglichen Frankreich tat er sein Möglichstes, um die Gläubigen mit Feuer und Schwert oder auch durch Schriften zu verfolgen. In dem Katalog, den er (1250) herausgab, welcher die Irrtümer der Waldenser enthielt, liest man folgende Anklagen:

  1. Sie verachten die kirchliche Macht.
  2. Sie behaupten, sie seien die wahre Kirche Christi; sie haben die apostolische Vollmacht und die Schlüssel zu binden und zu lösen.
  3. Sie halten die römische Kirche für die Hure. Offenb. 17, 1. 4)
  4. Sie verwerfen die katholischen Feste, die (gesetzlichen) Fasten, die Mönchsorden, die Weihungen, die katholischen Gottesdienste usw. Sie reden wider die geweihten Kirchen, Kirchhöfe und andere Dinge der Art, und bezeichnen dieselben als Erfindungen geiziger Priester, die nur ihre Einkünfte vermehren, und dem Volk Gaben und Geld entwenden wollen.
  5. Sie sagen, die Bischöfe, der Klerus und andere religiöse Orden seien nicht besser, als die Pharisäer und andere Verfolger der Apostel.
  6. Sie leugnen, dass der Leib und das Blut Christi das wahre Sakrament seien (d. i. sie leugneten die Brotverwandlung). Sie feiern das heiligen Abendmahl in ihren Versammlungen, indem sie an ihrem (Abendmahls-) Tisch die (Einsetzungs-) Worte aus dem Evangelium wiederholen, und nehmen so allesamt an diesem Mahle Teil.
  7. Sie verwerfen die letzte Ölung1).
  8. Die Waldenser sagen, fährt Rainerius fort, es gibt kein Fegfeuer, die Verstorbenen gehen aus dieser Welt unmittelbar in die Hölle oder in den Himmel.
  9. Die Gebete der Kirche für die Toten sind ohne Wirkung. Diejenigen, welche im Himmel sind, bedürfen derselben nicht, die in der Hölle bekommen durch dieselben keine Erleichterung.
  10. Die Waldenser verachten die Heiligenfeste und jede Handlung, durch welche wir den Heiligen unsere Verehrung beweisen.
  11. Die Waldenser lassen diejenigen unter ihnen, welche Fähigkeit haben, Bibelsprüche auswendig lernen, und diese unterrichten dann wiederum Andere. Sogar Weiber unterrichten und verführen die (katholischen) Weiber, zu denen sie einen freieren Zutritt haben, und diese, wenn sie verführt worden sind, verführen dann wieder ihre (katholischen) Männer, gerade so, wie ehemals die Schlange die Eva, und diese den Adam verführt hat.

Rainerius sagt ferner von ihnen: „Unter allen Sekten, welche je existiert haben, und noch vorhanden sind, gibt es keine, welche der (römischen) Kirche gefährlicher ist, als die Waldensersekte, aus drei Gründen. 1) Sie ist die älteste Sekte, indem einige sie von der Zeit des Papstes Sylvester, andere von der Apostel Zeiten herleiten. 2) Sie ist die am weitesten verbreitete Sekte; denn kaum gibt es einen Ort in der Welt, wo sie sich nicht eingedrungen hat. 3) Endlich ist sie durchaus verschieden von den übrigen Sekten, welche bei denen, die ihre schändlichen Lehren hören, sogleich einen Abscheu erregen, durch die gräulichen Lästerungen, welche sie ausstoßen. Diese Sekte hingegen verführt die Leute durch einen gewissen Schein von Frömmigkeit. Die Waldenser führen einen rechtschaffenen Wandel vor den Menschen, und sie glauben in Bezug auf Gott alles, was man glauben soll. Sie nehmen alle Artikel des apostolischen Glaubens an; nur lästern sie die römische Kirche und ihre Geistlichkeit. Sie sind“, bemerkt derselbe ferner, „in ihren Sitten ordentlich und bescheiden, haben keine Kostbarkeiten in ihrer Kleidung; die meisten gehen ganz armselig. Schuster sind unter ihnen Lehrer; sie sind zufrieden mit dem Notdürftigen, sie besuchen keine Schenke, noch öffentliche Tänze; man bemerkt bei ihnen keinen Zorn; immer arbeiten sie, lernen und lehren und beten (d. h. in äußerlichem Formelgebet, nicht wie die Pharisäer vor den Leuten; sondern im Kämmerlein) deshalb wenig.“ Ein anderes Zeugnis sagt: „Ihre Frauen zeichnen sich durch Bescheidenheit aus; sie fliehen Klatschereien, leichtsinnige und närrische Reden und Flüche. Ihre Rede ist Ja oder Nein; nicht einmal gebrauchen sie die Beteurungsformel: wahrlich oder gewiss u. dgl.“

Jakob von Riberia, ein anderer Inquisitor, bezeugt, sie seien in der Schrift so gut bewandert, dass er Bauern unter ihnen gefunden habe, welche im Stande gewesen seien, das ganze Buch Hiob herzusagen, und andere, welche das ganze neue Testament auswendig gewusst hätten.

Was ihre religiösen Gebetsübungen anbetrifft, so geben uns hierüber die alten Akten der Inquisition folgenden Aufschluss: „Sie fallen auf die Knie und bleiben in dieser Stellung, ungefähr so lange, dass man dreißig oder vierzig Vaterunser beten könnte. Sie tun dies mit großer Andacht vor und nach dem Mittagsmahl, eben so vor und nach dem Abendessen, wenn sie zur Ruhe gehen wollen und des Morgens. Wenn sie sich zu Tische setzen, so betet der Älteste unter ihnen: „Gott, der du die fünf Gerstenbrote und die zwei Fische in Gegenwart deiner Jünger in der Wüste gesegnet hast, segne auch diesen Tisch, und was darauf ist, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“ Nach dem Essen betet derselbe: „Gott, der uns die zeitliche Nahrung gegeben hat, schenke uns das ewige Leben, er sei stets mit uns, und wir mit Ihm!“ Nach geendigter Mahlzeit unterrichten und ermahnen sie einander.“

Rainer erzählt: Ein Waldenser sei des Nachts mitten im Winter über einen Fluss geschwommen, nur, um eine Person vom römischen Glauben abwendig zu machen, und sie in der neuen Lehre, wie er sie nennt, zu unterrichten. Der katholische Geschichtsschreiber Thuanus, sonst ein billig denkender Mann, obgleich als Papist ein Feind der Waldenser, sagt von denen, welche im Tal Fraissiniere wohnten, also: „Zu ihrer Kleidung haben sie Schaffelle, Leinwand kennen sie nicht. Sie bewohnen sieben Dörfer. Ihre Häuser sind von Feuersteinen gebaut, mit flachem Dach von Lehm; darin wohnen sie mit ihrem Vieh, welches jedoch durch einen Zaun von ihnen getrennt ist. Außerdem haben sie noch zwei Höhlen; wenn sie vom Feinde überfallen werden, verbergen sie sich in der einen, in der anderen ihr Vieh. Sie leben von Milch und Wildpret; bei aller Armut sind sie zufrieden, und leben von anderen Menschen getrennt. Zum Erstaunen ist es, dass diese Leute, obgleich sie in so rohen, äußeren Umständen sich befinden, doch so viel moralische Bildung haben. Alle können lesen und schreiben; sie verstehen das Französische, um ihre Psalmen und ihre Bibel lesen zu können. Kaum findet man einen Knaben unter ihnen, der nicht im Stande wäre, mit Klarheit Rechenschaft von seinem Glauben zu geben. Hierin sind sie ihren Brüdern in den anderen Tälern vollkommen ähnlich. Sie entrichten ihre Abgaben gewissenhaft, und diese Pflicht ist in ihrem Glaubensbekenntnisse besonders bemerkt. Werden sie durch bürgerliche Kriege daran gehindert, so legen sie das Geld sorgsam beiseits, und bei der ersten Gelegenheit stellen sie es den königlichen Steuereinnehmern zu.“

Wir haben schon oben davon gesprochen, wie sie sich benahmen, wenn sie als Putzhändler in die Häuser kamen. Rainer erzählt ihr Verfahren umständlich: „Beim Eintritt fragen sie: Mein Herr, wünschen Sie einen Ring, einen Petschirrstock, eine Kleinigkeit zu kaufen. Madame, wollen Sie nicht ein Halstuch, eine Stickerei mir abnehmen? Ich gebe es wohlfeil. Hatte man nun einen oder etliche Artikel von ihnen gekauft, und man frug den Kaufmann: Habt ihr noch etwas anders zu verkaufen? so erwiderte dieser: Allerdings habe ich eine noch weit köstlichere Ware, und ich will sie Ihnen gerne mitteilen, wenn Sie mich gegen die Geistlichen schützen wollen. Jetzt fuhr der Handelsmann fort: „Das unschätzbare Kleinod, das ich meine, ist das Wort, durch das Gott seinen Willen den Menschen offenbart, und das ihr Herz zur Liebe für ihn entflammt. Und nach sechs Monaten ward der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, genannt Nazareth.“ So beginnt der Kaufmann, und liest das ganze Kapitel, oder er liest im Evangelium Johannes, oder die letzten Reden Jesu, und, wenn die Zuhörer an dem Lesen Freude haben, so sagt er das 23. Kap. Matthäus her, in welchem der Herr das Wehe über die Pharisäer und Schriftgelehrten ausruft. Jetzt fragt nun einer der Zuhörer: Gegen wen spricht wohl Jesus solches Wehe aus? und der Waldenser-Kaufmann antwortet: „Gegen die (römischen) Geistlichen und Mönche. Die Lehrer der römischen Kirche, prächtig in Kleidung und Lebensart, sitzen gern oben an bei den Gastmählern, in den Schulen; sie lassen sich Rabbi, Rabbi nennen; wir aber bekümmern uns nicht um solche Meister; sie sind unenthaltsam; wir leben in Keuschheit, jeder mit seinem eigenen Eheweib. Sie sind reich und geizig, und zu ihnen sagt der Herr: Wehe euch, ihr Reichen, ihr habt euren Trost dahin; wir aber lassen uns genügen, wenn wir Nahrung und Kleider haben. Sie sind Wollüstlinge und verzehren der Witwen Häuser; wir essen nur, um uns zu ernähren. Sie führen Krieg, und ermuntern dazu; sie befehlen, der Arme soll getötet, verbrannt werden, ganz im Gegensatz mit dem Worte, das da sagt: Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen. Sie arbeiten nichts; sie essen ihr Brot in Trägheit; wir arbeiten mit unseren Händen. Sie maßen sich allein das Lehramt an, und wehe dem, der den Schlüssel der Wissenschaft nimmt; aber bei uns unterrichten Weiber und Männer; sobald jemand unterrichtet ist, so unterrichtet er einen anderen. Kaum dürftet ihr unter ihnen einen Doktor finden, der im Stande wäre, drei Kapitel des neuen Testaments auswendig herzusagen; bei uns würdet ihr kaum einen Mann, eine Frau finden, die nicht das ganze neue Testament auswendig wüssten. Weil wir aufrichtig an Jesum Christum glauben, und weil wir ernstlich zu einem heiligen Leben ermahnen, so verfolgen uns diese Schriftgelehrten und Pharisäer bis auf den Tod, gerade so, wie einst ihre Vorgänger Jesum Christum verfolgt haben.“

Dies ist das Zeugnis, welches die Feinde von unseren Waldensern ablegen müssen, und jene Leute lebten lange vor der Reformation; dessen ungeachtet fragen uns die Katholiken: „Wo war eure Religion vor dem 16ten Jahrhundert? Wo war eure Kirche, ehe eure sogenannten Reformatoren aufgestanden sind?“ Antwortet ihnen: „Ehe Rom war, waren wir.“ Unsere Kirche ist erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist. Sie ist nie untergegangen; einzelne Zeugen in der römischen Kirche, die aber nicht römisch glaubten und nicht römisch lebten, und die friedlichen Waldenser gehörten ihr an; aber ihr Papisten habt eine neue Lehre aufgebracht, ihr seid die abgefallene Kirche, die der Herr bei seiner Zukunft zerstören wird. Die unsrige hat einen festen, ewigen Grund, der ist: Christus und seine Gerechtigkeit.

„Sie stehet fest und wanket nicht!
Wenn auch das All zusammenbricht.“

1)
Rainerius wirft ihnen auch Fleischeslust vor, als ob sie die Stelle des Apostels: Es ist besser heiraten, als Brunft leiden zur Beschönigung derselben falsch deuteten. Allein eine Stelle aus ihrer Verteidigungsschrift widerlegt gründlich jene Beschuldigung. Die Waldenser sagen in derselben: „Dieses schändliche Laster (der Fleischeslust) verführte den David, seinen treuen Diener zu töten, war Schuld, dass Ammon seine Schwester Thamar schwächte, und der verlorene Sohn sein Gut verprasste. Bileam machte durch Hurerei die Israeliten sündigen, so dass 24.000 Menschen sterben mussten; dieselbe Sünde verblendete Simson, verursachte Salomons Fall. Fasten, Gebet und Flucht sind die einzigen Mittel dieser Sünde zu widerstehen. Andere Sünden kann man bekämpfen, vor dieser muss man fliehen. Joseph gibt hierin ein Beispiel.“ Vielleicht meint Rainer mit seiner Beschuldigung die Verteidigung der Priesterehe bei den Waldensern.
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