Melanchthon, Philipp - Rede über den Ausspruch des Paulus: „Halte an mit Lesen, mit Trösten und mit Lehren.“ (1. Timoth. 4, 13.)

Melanchthon, Philipp - Rede über den Ausspruch des Paulus: „Halte an mit Lesen, mit Trösten und mit Lehren.“ (1. Timoth. 4, 13.)

Gehalten 1547.

„Die Güte des Herrn ist's, daß wir nicht gar aus sind; Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,“ spricht Jeremias, nicht bloß in Bezug auf den jammervollen Zustand seiner Zeit, sondern auch in Bezug auf andere Zerrüttungen der Kirche. Denn auch in diesem höchst traurigen Kriege, der vor einem Jahre in diesen vorher so blühenden Gegenden ausgebrochen ist, würden wir wegen unsrer Sünden, die eben so zahlreich als groß sind, gänzlich umgekommen sein, wofern nicht Gott selbst in Seinem gerechtesten Zorne zugleich auch Seiner Barmherzigkeit gedacht, und die wohlverdienten Strafen durch Seine unermeßliche Güte gemildert hatte. Wir danken daher vor Allem von ganzem Herzen Gott, dem ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi, dem Schöpfer des Himmels, der Erde und Seiner Kirche, nebst Seinem Sohne, unserm Herrn Jesus Christus, und Seinem heiligen Geist, daß Er die Strafen gelindert, und uns eine ruhige Frist geschenkt hat, und die Ueberreste Seiner Kirche erhalt. Auch flehen wir von ganzem Herzen, Er wolle ganz Deutschland einen gerechten, heilsamen Frieden wieder verleihen und unter uns das Licht Seines Evangelium nicht auslöschen, noch die wahre Anrufung vertilgen lassen. Diese Bitte laßt uns in unablässigem Flehen, in häuslicher Andacht sowohl, als in den öffentlichen Versammlungen wiederholen! Bevor ich aber jetzt im Vortrage weiter gehe, wollen wir zu diesen frommen Wünschen das Gebet des Herrn fügen, indem wir mit Glaubensinbrunst rufen: Abba! Unser Vater! u. s. w.

Da wir aber, verehrte Mitgeistliche! einer alten und höchst rühmlichen Gewohnheit gemäß, zur Berathung über unsre Verwaltung uns versammelt haben, und da unsre erste Angelegenheit die evangelische Lehre sein muß, so hielt ich mich gedrungen, wie ich früher oftmals gethan, Euch vor Allem zu eifriger Beschäftigung mit der evangelischen Lehre und zu anhaltendem Lesen zu ermahnen. Um nun dieß mit stärkerem Nachdruck thun zu können, beschloß ich, dasselbe Gebot, welches Paulus dem Timotheus stellt, Euch an dieser Stätte abermals zuzurufen und einzuschärfen. Denn Paulus hat dasselbe nicht sowohl wegen des Timotheus, dessen flammenden Eifer für das Evangelium er kannte, als vielmehr um der ganzen Nachwelt willen geschrieben. Es „sind aber die Worte diese: „Halte an mit Lesen, mit Trösten, mit Lehren!“

Wenn diesen Ausspruch irreligiöse Menschen lesen, halten sie ihn für eine kindische Ermahnung, die nicht viel zu bedeuten habe; gleich, als wenn ein Schulmeister seine Schüler zum Lesen in der Grammatik ermahne. Wiewohl nun auch dieser Unterricht die Amme wichtiger Kenntnisse ist, so ist doch hier von weit wichtigeren Sachen die Rede, und nicht nur eine Belehrung enthält dieses wichtige Wort des Paulus, sondern auch einen gar süßen Trost für Alle die, welche um ihrer gelehrten Beschäftigungen willen, angefeindet, und durch große Mühseligkeiten geprüft worden. Mich wenigstens hat in diesen unsern Gefahren und Nöthen gar oft gerade diese Mahnung aufgerichtet, wenn ich mich zweifelnd fragte, warum ich dem Studium des Evangelium mich widme, welches die Anfeindung der Menschen erregt, da man doch, wenn man alle Wissenschaft von sich weise, in Ruhe und Ansehen leben könne? Wenn ich nun dieser Bedenklichkeit das Gebot Gottes entgegen stelle, welche die Schriften des Evangelium zu lesen, zu hören, in ihr Verständniß zu dringen, sich mit ihnen zu befreunden fordert, dann beruhige ich mich wiederum, und finde nicht nur Freude an meinem Studium, sondern bin unerschütterlich überzeugt, daß man dem Lesen der himmlischen Bücher und der gelehrten Forschung in denselben alles Menschliche nachstellen müsse.

Und ich empfehle dieses Wort des Paulus: „Halte an mit Lesen,“ und Aehnliches fordernde Aussprüche auch mir selbst, z.B.: „Dieser ist Mein lieber Sohn, den sollt ihr hören!“ Ferner: „Wer aber nicht hören wird, von dem will Ich's fordern!“ Ueberhaupt ist das Gebot, das Evangelium zu lernen, bekanntlich oftmals wiederholt.

Indem ich dieses erwäge, fühl' ich mich zugleich von der Undankbarkeit und Hartnäckigkeit des menschlichen Geschlechts schmerzlich ergriffen, da es ja ein ganz außerordentlicher, ja der höchste Beweis der Güte Gottes ist, daß Er aus Seinem Geheimniß herausgetreten ist, und sich uns offenbaret hat, freundlich uns anredet, und eine, aller Creatur unbekannte Weisheit an's Licht bringt, die allein ein sicheres und kräftiges Mittel gegen die unzuberechnenden Uebel des Menschengeschlechts ist. Was ist hier unwürdiger, als den zu uns redenden Gott nicht hören wollen, und so große Güte verschmähen, die eben darin sichtbar ist, daß Er so oft und unter so glänzenden Zeugnissen Sich geoffenbart hat? Wer müßte solche Undankbarkeit nicht der härtesten Strafen würdig achten? Vielfach aber äußert sich diese Undankbarkeit. Viele Gottesverächter behaupten keck, die prophetischen und apostolischen Bücher seien fabelhaft, und hallen Andere ab, dieselben zu lesen. So hab' ich gehört, daß Politian auf die Frage, ob er die Heilige Schrift lese, geantwortet habe: Einmal habe er sie gelesen, habe aber bei keiner Lektüre seine Zeit schlechter angewendet. Und ein Anderer, der nach der heiligen Schrift gefragt wurde, sagte: „Ich bekümmere mich nicht um die fünf Bücher Mose; meine Sorge ist die, wie ich zu meinen Gütern noch fünf Dörfer schlagen kann.“ Eine solche Verachtung ist nicht nur Undank, sondern Tollheit und Lästerung, und die vornehmste Ursache der allgemeinen Noth in diesem Leben; sie wird aber einst mit ewigen Strafen vergolten werden.

Aber nicht jene Epikurischgesinnten nur laßt uns anklagen, sondern auch unsern eignen Kaltsinn anerkennen. Auch nicht einmal wir sind von einem solchen Eifer zum Lesen, und einer solchen Sorgfalt im Nachdenken entflammt, wie es sein müßte. Selten wenden wir einige Blätter um, und lesen ohne Aufmerksamkeit, ohne Nachdenken über den göttlichen Willen, gleich wie träge, stumpfe Menschen Gedichte lesen.

Damit nun unsere Herzen zu eifrigem Forschen angefeuert werden, wollen wir das Wort des Paulus: „Halt' an mit Lesen!“ uns tief einprägen, und um das Verständniß desselben zu erleichtern (denn es enthält eine sehr genaue Eintheilung), will ich eine Erklärung hinzufügen, die den Studirenden hoffentlich nicht unwillkommen sein wird.

Drei Glieder sind es; er empfiehlt zu lesen, zu lehren und zu trösten.

Warum beginnt er aber mit dem Lesen? Er unterscheidet hier die himmlische Lehre von der Philosophie, und erinnert zugleich, daß die Kirche an die prophetischen und apostolischen Schriften gebunden ist. Andere Wissenschaften, wie die Arithmetik und die Rechtswissenschaft, werden aus Grundsätzen, welche man auf natürlichem Wege findet, erbaut; sie gehen nicht vom Lesen aus. Aber die dem Evangelium eigenthümliche Verheißung war ein geheimer Rathschluß, weit über und außer dem Gesichtskreis aller Engel und Menschen gestellt. Diesen hat Gott den Vätern und Propheten durch Offenbarung mitgetheilt, und ihn schriftlich aufzeichnen lassen, und die Sorge für die Bewahrung der Schrift Seiner Kirche anvertraut. Ja Er erhält eben darum einige Staaten, daß sie gleichsam Bibliotheken der heiligen Bücher sein sollen. So ist die mosaische Verfassung aus diesem Grunde fünfzehnhundert Jahr beschützt, erhalten, und durch göttliche Zeugnisse verherrlicht worden, um die Bibliothek der prophetischen Schriften zu sein, uns zu bezeugen, daß diese Lehre von Gott verliehen worden. Da nun die Lehre der Kirche nicht aus dem Lichte des menschlichen Geistes hervorgeht, sondern aus dem aufgezeichneten Gottesworte erkannt werden muß, so leuchtet die Nothwendigkeit des Lesens ein, und weislich stellt Paulus die Ermahnung zum Lesen voran. Wenn dem nun also ist, so wollen wir auch uns und die Unsrigen gewöhnen, die göttlichen Bücher fleißig zu lesen. Und da es hoch nöthig ist, daß diese Bücher erhalten und gelesen werden, so wollen wir auch wissenschaftliche Beschäftigungen lieben und uns aneignen. Und wie gehässig man auch unsre Bemühungen beurtheilen mag, wissen wir doch, daß sie Gott wohlgefällig und Seiner Aussicht empfohlen sind. Diesen Trost muß man oft bedenken und wiederholen, weil in unserer Zeit, wo diese ehrenvollste Thätigkeit nicht nur aller äußern Aufmunterungen ermangelt, sondern auch durch die Urtheile Mächtiger und Weiser eingeengt und gehässig gemacht wird, indem sie die Wissenschaften als den Samen der Zwietracht verrufen, wissenschaftliche Bestrebungen immer mehr an Reiz verlieren. Gegen solche Urtheile wollen wir unsern Trost in den Geboten Gottes suchen, welche die heiligen Bücher zu lesen nicht nur, sondern auch in ihr Verständniß einzudringen, sehr ernstlich fordern.

Ich sagte oben, die Eintheilung sei mit besonderer Genauigkeit angeordnet, und habe kürzlich aus einander gesetzt, warum die Empfehlung des Lesens vorangestellt ist. Ich füge auch die übrigen Glieder hinzu. Es ist nicht genug, die heiligen Bücher zu lesen, sondern es soll auch „die Lehre“ dazu kommen; d.h. durch das Lesen schöpfe man die Lehre, in ein zusammen hangendes Ganzes gebracht, und weise die Zeugnisse in den Büchern nach; man zeige den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, und stelle die Glaubensartikel in bestimmter Ordnung dar, erläutere sie mit Hilfe der Wissenschaft, und achte vorsichtig auf ihre Quellen, in welchen Stellen der prophetischen und apostolischen Schriften eine jede derselben vorgetragen werde. Man unterscheide die der Kirche eigenthümliche Belehrung über Gott von heidnischen und andern Meinungen. Denn man muß nothwendig die Vorstellung von Gott haben, wie Er sich selbst geoffenbart hat, indem Er uns auf drei Personen, den ewigen Vater, den Sohn und den heiligen Geist hingewiesen. Man stelle den wunderbaren Rathschluß Gottes heraus, daß Er, als der Gerechte, welcher über die Sünde schrecklich zürnt, Seinen gerechtesten Zorn nur dadurch hat versöhnen lassen, daß Sein Sohn an unsrer Statt Seine Erbarmung angefleht, auf Sich den Zorn übergetragen hat, und das Sühnopfer für Uns geworden ist.

Auch sollen wir die Lehre von zwei Naturen in Christo nach jener Stelle festhalten: „Und das Wort ward Fleisch.“ Sodann müssen wir die Lehre von der freien Vergebung der Sünde wohl unterscheiden von dem heidnischen und pharisäischen Wahn, welcher dichtet, unsre guten Werke seien das Lösegeld oder die sühnende Genugthuung für unsre Sünden. Wir müssen unterscheiden die Gerechtigkeit des Glaubens von der äußerlichen Zucht, müssen lernen, was wahrer Gottesdienst sei; wir müssen die der Kirche eigenthümliche Anrufung Gottes von der heidnischen unterscheiden, und lernen, was die Kirche sei, und wie sie von politischem Gemeinwesen sich unterscheide. Dieß Alles muß im Symbol bei der Erklärung der Glaubenslehren in bestimmter Ordnung dargestellt werden.

Die Weisheit der Kirche ist nicht, wie viele Ununterrichtete wähnen, eine barbarische, unwissenschaftliche und grobe Lehre, vergleichen die Gesetze vieler Völker gewesen. Eben so wenig ist sie eine bloße Moralphilosophie, wie Viele meinen, und wie ich mich erinnere, von einem gewissen Doctor der Theologie gehört zu haben: „Wenn auch die Schriften der Propheten und Apostel verloren gingen, so liege doch in der Ethik des Aristoteles ein solcher Schatz von Weisheit, daß aus diesem einzigen Buche Hie Kirche hinlänglich belehrt werden könne.“ Ich könnte ähnliche Irrthümer vieler Anderer anführen, welche zu erwähnen immer den Nutzen hat, daß es uns eines Theils zu vorsichtiger Unterscheidung der verschiedenen Lehren auffordert, sodann aber auch zum Lernen uns ermahnt, damit das Licht des Evangelium nicht wiederum verlöscht, und die Wahrheit in neue Finsterniß gehüllt werde. Deßwegen fordert Paulus nicht nur im Lesen Fleiß und anhaltenden Eifer, sondern auch im Lernen. Denn es ist ein großes und schwieriges Werk, die Lehre der Kirche wahr, richtig, angemessen, genau und deutlich zu erklären, also, daß sowohl du selbst in deinem Gemüthe gleichsam die Idee eines vollständigen Gebäudes, eine Summa der Lehre, tragest, als auch den Gemüthern deiner Zuhörer eine ähnliche Idee einbilden könnest. Des Lehrenden Richtschnur aber sei das Lesen. Denn aus jenen Quellen, d. h. aus den prophetischen und apostolischen Büchern, muß die Erklärung entlehnt werden.

Es ist aber dieser Fleiß in rechter Lehre zuerst wesentlich erforderlich zu wahrer Erkenntniß Gottes, und zum Heil der Seelen. Sodann ist er auch zur Erhaltung der öffentlichen Eintracht nützlich. Denn gewöhnlich entspringen Uneinigkeiten daraus, wenn nachlässige Lehrer uneigentliche Ausdrücke einstreuen, welche widersprechende Meinungen, und so zu sagen, widersprechende Ideen in den Gemüthern der Hörer erzeugen. Es muß daher der Vortrag des Lehrers eigentlich, genau, bestimmt und klar, es muß Eine gleichlautende Stimme der Kirche sein, welche Gott recht und brünstig anruft.

Ich will nun von dem dritten Glied, nämlich von der Tröstung reden. Denn es ist nicht genug, die Heilige Schrift zu lesen, nicht genug, die Lehre zu wissen, wie dieselbe ja auch viele Feinde Gottes wissen, sondern zum Lesen und zur Erforschung der Lehre muß auch jenes letzte Werk, nämlich die Tröstung hinzu kommen, damit wir, von der Sünde und dem Tode niedergebeugt, nicht verzagen. „Du hast nicht Lust, o Gott, an unserm Verderben!“ stehet geschrieben, und Gott selbst spricht: „So wahr Ich lebe, Ich habe keinen Gefallen am Tode des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe!“ Gott hat sich also geoffenbart, Er hat die Stimme des Evangelium uns gegeben; Er hat den Sohn gesandt nicht zu dem einen Werke nur, unsre Sünden uns aufzudecken, sondern vornehmlich zu dem Zweck, um uns durch die Stimme des Evangelium, und durch Seinen heiligen Geist zu trösten, und unsre Herzen aufzurichten, um Licht und Gerechtigkeit in uns zu entzünden, und nach der Vernichtung der Sünde und des Todes uns zu Erben des Lebens und der ewigen Seligkeit zu machen.

Wenn nun Paulus an das Lesen die Tröstung schließt, so deutet er damit an, Gott sei eben durch diese Stimme der Verheißungen, die wir in den Schriften der Propheten und Apostel lesen, wirksam. Mag dieses auch irreligiösen Menschen lächerlich scheinen, so wissen doch wir in der Kirche gewiß, daß Gott darum das Amt der evangelischen Predigt angeordnet hat, damit wir lesen, lernen, und die Stimme des Evangelium vernehmen sollen, auf daß durch dieselbe himmlisches Licht von dem heiligen Geiste Gottes in uns angezündet werde. Daß dieses so erfolgt, ist zuverlässig, wenn wir durch die Stimme der Verheißungen uns kräftigen, und dem Zweifel und der Verzagtheit entgegen kämpfen. Daher sind zu verwerfen alle Enthusiasten und Wiedertäufer, und Aehnliche, welche bei Verachtung der Schrift und Unterlassung des Lesens neue Eingebungen erwarten, wie ich denn einen Anabaptisten sogar habe sagen gehört, er möge nicht um einen Groschen alle Bücher der himmlischen Lehre, auf einen Haufen zusammen gebracht, kaufen. Bei diesem war es nun zwar offenbarer Wahnsinn; der Anfang solches Wahnsinnes jedoch geht aus dem Wahn hervor, daß das Lesen und die Betrachtung der göttlichen Verheißungen unnütz sei, wie denn solche, welche die Uebungen des Glaubens nicht kennen, nicht wissen, daß man gerade in jenen Verheißungen seine Beruhigung finden, und im Vertrauen auf die in den Verheißungen sich aussprechende Erbarmung Gottes Milderung der Uebel erwarten müsse. So halten sie es auch, ganz nach heidnischer Denkart, für genug, wenn sie ihren sittlichen Zustand nur einer gelinden Zucht unterwerfen, während die Herzen ohne Glauben und voll Zweifels sind. Was ich sagen will, verstehen redliche Gemüther, die mit den Uebungen des Glaubens nicht ganz unbekannt sind, wohl. Es soll daher das Lesen und die Lehre auf den Zweck gerichtet werden, daß in uns, wenn wir durch die Tröstung aufgerichtet werden, in wahrer Buße und in allen Gefahren der Glaube angezündet, und neues Leben und ewige Gerechtigkeit angefangen werde, wie geschrieben steht: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, daß Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“

Ihr habt die Erklärung des paulinischen Ausspruchs vernommen. Nun ermahne und beschwör' ich Euch, um der Ehre Gottes und des Heils der Kirche willen, daß Ihr dieser Vorschrift nachkommt, daß Ihr in Euren Studien diese Mahnung befolgt, daß Ihr die heiligen Bücher leset, und daraus die vollkommene Lehre der Kirche nehmt, und dieselbe zu Eurer und Anderer Tröstung anwenden lernt.

Keine andere Sorge, keine Mühe ist in diesem ganzen Leben nützlicher oder nothwendiger, als die ernste Beschäftigung mit dieser himmlischen Lehre. Ja sie ist eine sichere Verwahrung des gegenwärtigen Lebens, und der Zugang zur ewigen Seligkeit, wie Paulus spricht: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben.“

Manche aber nehmen ihre Trägheit in Schutz und sagen, es sei genug, die heiligen Bücher ein Mal und zwei Mal zu lesen; öfter dieselben zu lesen, erscheine als leeres Geplapper. Wollte Gott, es wären Viele, welche ein Mal und zwei Mal alle prophetischen und apostolischen Bücher also läsen, daß sie den wahren, natürlichen und unverfälschten Sinn in den vorzüglichsten Stellen und Glaubenslehren faßten und behielten! Ich fordere nicht etwa ängstliche Genauigkeit in kleinlichen Dingen, ohne welche die Gewißheit der Glaubenssätze erkannt werden kann; es soll nur die Erklärung „dem Glauben gemäß sein,“ wie Paulus spricht,“ und diese Richtschnur vor Augen habend, sollen wir, mit Anwendung der nöthigen Geschicklichkeit, der Eigenthümlichkeit der Sprache folgen. Dabei muß Wahrheitsliebe und Lauterkeit sein, daß wir nicht darum ganze Vorträge der Propheten verwerfen, weil etwa hie und da die Grammatiker das eine oder das andere Wort nicht auf dieselbe Weise erklären, welcherlei Streitigkeiten für eine gewandte Urtheilskraft oft leicht zu entscheiden sind. Mag es immer einige wenige Worte in der alten Sprache geben, deren Bedeutung wir nicht genug kennen; in ihnen ist das Heil der Kirche nicht gefährdet, wie Demosthenes spricht: „Es werde das Heil Griechenlands dadurch nicht in Gefahr gesetzt, ob er die Hand hierhin oder dorthin gewendet habe.“ Allerdings aber ist die Anmaßung derer tadelnswerth, welche eine solche Einbildung von ihrem Geiste haben, daß sie die Weisheit der göttlichen Bücher erschöpft zu haben meinen, nachdem sie dieselben zwei oder drei Mal durchgelesen.

Die Lehre der Kirche predigt von vielen wichtigen Sachen, welche nicht mit Einem Male gänzlich gefaßt werden können. Sodann muß man sich auch geschickt machen, um falsche Lehrsätze widerlegen zu können. Damit man aber die Waffen stets in Bereitschaft habe, ist eine vertraute Bekanntschaft mit den heiligen Büchern nöthig. Außerdem bedarf Jeder für sich, zur Stärkung seines Glaubens, öfterer Wiederholung derjenigen Zeugnisse, welche vorzüglich klar und überzeugend sind. Zu diesem Allen ist anhaltendes Lesen erforderlich. Und da die menschlichen Gemüther fast täglich neue Kämpfe erfahren, so müssen auch die Herzen oft durch neue Ermahnungen verwahrt und befestigt werden. Auch gehen die geistigen Bestrebungen auf die Sitten über, daher auch die Gemüther derer, welche durch anhaltendes Lesen angeregt werden, weit mehr zum Nachdenken über Gott und zur treuen Uebung aller Tugenden sich neigen.

Zuletzt wollen wir auch das Wort des Paulus auf uns wirken lassen, daß er hier Aufmerksamkeit sowohl, als auch anhaltenden Eifer fordert, wenn er spricht: „Halt' an mit Lesen!“ Und in einer andern Stelle: „Lasset das Wort Gottes unter Euch reichlich wohnen;“ und macht Euch vertraut damit.

Auch die vielfache Noth dieses Jahres mög' uns erinnern, daß wir in der Führung des ganzen Lebens, und in unserm Berufe größeren Eifer bewähren. Oft haben wir in diesem Jahre am Altare mit Thränen und Gebet um Frieden gefleht, und Gott hat die Strafen gemildert! Aber der Friede wird dauernder sein, wenn unsere Sitten ehrbarer sein, und wenn wir durch fleißige Betrachtung des Evangelium unsere Herzen zu brünstigem Flehen erwecken werden. Denn ohne dieselbe ist alles Gebet matt und kraftlos. Werden wir hingegen im Rausche der Lust, oder vom Streben nach dem Irdischen eingenommen, das fleißige Forschen im Evangelium vernachlässigen, so wird an uns in Erfüllung gehen, was in jener traurigen Drohung in Hoseas verkündigt ist: „Du verwirfst Gottes Wort; drum will Ich dich auch verwerfen, daß du nicht Mein Priester sein sollst!“

Alle Kriege hindern die wissenschaftlichen Bestrebungen, und entstellen die Kirche, wie das Elend eines einzigen Jahres uns zeigt. Welche Verödung aber, welche Finsterniß würde in der Kirche eintreten, wenn, was Gott gnädig abwenden wolle, aufs Neue der Krieg in diesen Gegenden auflodern sollte?

Wir wollen aber nicht zweifeln, daß unsre Seufzer und Thränen, unsre Wünsche und andre fromme Uebungen für uns und die gemeinsame Kirche wirksam sein, und Frieden und andere Geschenke Gottes uns sichern werden. Denn so spricht Gott: „Bekehret euch zu Mir, so will Ich Mich zu euch kehren!“ d. h. Rufet Mich in wahrer Bekehrung an, - so will Ich euch erhören und eure Strafen mildern. Diese göttliche Verheißung erwecke uns denn, daß wir Ihn um Frieden anrufen, zugleich aber auch ehrbar wandeln und fleißiger und eifriger mit der himmlischen Lehre uns beschäftigen!

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