Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Der Glaube

Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Der Glaube

Hebr. 11,6.
Ohne Glauben ists unmöglich Gott gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.

Ich bin ein neuer Schüler der zehn Gebote Gottes worden, werde nun wieder zu einem Kind und lerne sie von Wort zu Wort und sehe, dass es wahr ist, dass seine Weisheit ohne Zahl ist; und habe angefangen also zu urteilen, dass in den zehn Geboten das Evangelium aufs Kürzeste und im Evangelium die zehn Gebote aufs Reichlichste herausgestrichen werden, auch dass Christus alles das hat, was in Mose stehet, aber Moses nicht alles hat was Christus hat.
Luther.

Der Nutzen des Gesetzes ist dreifach, 1) zeigt es Gottes Gerechtigkeit und überzeugt uns von unsrer Sünde; 2) sagt es, wie Gott straft und mit dem Tod und dem Gericht droht; 3) ermahnt es beständig diejenigen, in welchen Gottes Geist schon lebt, und zeigt ihnen was recht sei. Das Gesetz ist den Faulen gar nötig; dem Fleische ist es wie eine Geißel, womit sie gleich einem schlaffen und faulen Esel angetrieben werden. Die Rechtfertigung durch die guten Werke wird aber nicht gelingen; nicht dass keine guten Werke geschehen sollen, nur muss man nicht seine Zuversicht auf sie setzen. Unsere Zuversicht ist, dass Christus uns gegeben worden.
Calvin.

Wenn Jemand mich um eine recht kurze und bündige Erklärung bitten würde dessen, was der Glaube der Christen denn eigentlich in sich fasse, so würde ich ihm nicht anders antworten können als mit diesen Worten: Der Glaube ist eine lebendige Kraft Gottes in dem Herzen des Menschen, vermöge welcher er die Verheißungen der Schrift zu ergreifen und festzuhalten vermag. Mit dieser Erklärung meine ich den innersten Kern des Glaubens, seines Wesens Grund, bezeichnet zu haben, und bin überzeugt, dass Jeder, der sich daran hält, nicht irre gehen wird. Wie aber der Kern eines Apfels oder einer andern Frucht in sich einen ganzen großen Baum mit vielen Ästen, Zweigen, Blättern, Blüten und Früchten einschließt, ja wie aus dem Kern nicht allein der Stamm des Baumes nach oben strebt, um seine Krone zu bilden, sondern auch die Wurzel tief in den Boden dringt, um das ganze Gewächs zu ernähren und zu befestigen: so verhält es sich auch mit dem Glauben des Christen. Er hat zwei Richtungen: die eine, welche wir mit der Wurzel vergleichen, nennen wir die innige Richtung, weil sie den Menschen in Gott wurzeln lehrt, der sich inwendig in uns offenbart, wie Christus selbst spricht: das Reich Gottes ist inwendig in euch; die andere, welche wir mit dem Stamm des Baumes vergleichen, nennen wir die emporstrebende Richtung, weil sie den Menschen mit seinen Worten und Werken dem Blick jedes Beobachters darstellt als eine Pflanze, die sich dem irdischen Boden, auf dem sie zu stehen scheint, entwindet und der oberen Heimat zueilet, der ewigen Bestimmung entgegen, wo beide Richtungen in Eins zusammentreffen, wenn sich der Glaube in Schauen und die Hoffnung in reine Liebe aufgelöst haben werden. Weil aber der Glaube des Christen sich eben in zwei scheinbar so entgegengesetzten Richtungen darstellt, so ist es von großer Wichtigkeit, dass Jeder, der darüber spricht oder lehrt, sich deutlich erkläre, von welcher Richtung er denn eigentlich reden will. Hat es doch die Erfahrung genugsam bewiesen, dass das Versäumnis dieser Erklärung die größte Verwirrung in der Kirche angerichtet hat, so dass es endlich dahin gekommen ist, dass Ein unverständiger Eiferer die innige Richtung verdammt, ein zweiter die emporstrebende, und ein dritter sie beide mit einander verwirft, wähnend, das Christentum lehre uns nur unsre Lebenskeime recht breit über die Oberfläche des Erdbodens ausstrecken und, ohne in die Tiefe oder in die Höhe zu streben, nur jeden kahlen Stein und jeden dürren Fleck mit üppigem Grün bekleiden, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird. Also ist es geschehen, dass endlich aus der ganzen Lehre vom christlichen Glauben eine Pflanze ohne Wurzel und ohne Stamm geworden ist, und wir sehen uns jetzt genötigt, diesem abgestorbenen Gewächs den Leben wirkenden Keim des Wortes neu einzuimpfen, damit es zur Ehre Gottes sich regen und bewegen, grünen und ausschlagen, Blüten und Früchte des Geistes tragen könne. Das Wort Gottes aber, das wir in die erstorbene Kirche hineintragen, hat eben diese Eigentümlichkeit an sich, dass es nicht, wie das arme, magere Menschenwort, nur immer Ein Ding, mit Ausschließung und Absonderung jedes anderen, bezeichnet, sondern in Gottes allumfassender Macht und Weisheit alle Dinge in sich schließt, und es der durch den Geist, dem es zum Träger dient, erleuchteten Vernunft des Menschen überlässt, sich vor sich selbst und vor andern Menschen darüber zu verständigen, wie diese Dinge sich zu einander verhalten und welchen Einfluss sie gegenseitig auf einander ausüben.

Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, gedenken wir in einer Reihe von Vorträgen den christlichen Glauben in seiner wahren Gestalt zu betrachten; weil es aber dabei gar mancherlei zu besprechen geben wird, so sehen wir uns genötigt, eine gewisse menschliche Ordnung diesen Vorträgen zu geben, der wir übrigens keine andere Wichtigkeit beilegen, als ihr zukommt. Es ist dieselbe eine arme Stufenleiter, die wir dem endlichen Geist darbieten müssen, wenn er sich allmählig in Besitz der ewigen. Wahrheit sehen will. Einmal zu ihr gelangt, kann er der Leiter füglich entbehren, denn er überschaut von ihrer göttlichen Höhe alle anderen Höhen und Tiefen, und ordnet sich, mit der himmlischen Weisheit spielend, je nach Bedürfnis den Schatz der Erkenntnis, ohne darüber einem Andern Rechenschaft schuldig zu sein, als dem, der ihn gelehrt hat.

So möge denn diese Stunde zum ersten Anfangspunkt unserer Betrachtungen über den Glauben dienen, indem wir uns, nach Anleitung des apostolischen Wortes, über Bedeutung und Ziel des christlichen Glaubens unterhalten.

Die vorgelesenen Worte enthalten eine Behauptung des Apostels, die uns die Bedeutung des Glaubens zeigt: „Ohne Glauben ists unmöglich Gott gefallen“; und die Angabe des Grundes solcher kühnen Behauptung, die uns das Ziel des christlichen Glaubens ausführlich vor Augen stellt: „Denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Wir machen zunächst darauf aufmerksam, wie in diesen kurzen Sätzen schon der Glaube nach seinen eben bezeichneten zwei Richtungen aufgefasst wird.

Die erste, die innige Richtung, wurzelt in dem Dasein Gottes und zieht aus seinem Wohlgefallen Kräfte des ewigen Lebens; denn welcher Mensch könnte auch nur Eine Stunde auf Erben leben, wenn sein ganzes Dasein nicht erhalten würde von dem Wohlwollen dessen, der Himmel und Erde und Alles, was darinnen ist, geschaffen hat und alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Wort? Die zweite, die empor strebende Richtung aber finden wir in dem Teil unsres. Textes angedeutet, da von einem Kommen zu Gott die Rede ist. Obwohl der Mensch hienieden sein Dasein und seine Erhaltung geistig und leiblich Gott allein zu danken hat, so ist er doch fern von seinem Gott, denn seine Sünden trennen ihn und Gott von einander. Er fühlt es, er muss sich aus diesem Zustande der Gottentfremdung erheben; er hat das Bedürfnis, wiederzukehren zu seinem Vater; er muss sich aufmachen und kommen zu dem, der ihn lädt mit unendlicher Güte und ihm sein Wohlgefallen an dem verlorenen Sohn, der wiederkehrt in das Haus des Vaters, auf mannigfache Weise offenbart. Zu diesem Erheben, zu diesem Kommen gehört aber ein Losreißen von dem, was uns von Gott entfremdet, und ein Emporstreben zu dem, der vom Himmel herab mit uns redet, wie zu lieben Kindern. Beiden Richtungen nun finden wir den Glauben als Grund und Boden untergelegt, aus dem sie Nahrung und Kraft ziehen, darum tun wir wohl, denselben in seiner hohen Bedeutung zu betrachten.

I.

Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht. (Hebr. 11, 1.) Mit dieser vollwichtigen Erklärung begegnet unserem, die Bedeutung des Glaubens suchenden Geist das apostolische Wort. Die Hoffnung hält mir ein fernes Ziel vor, das dem Glanzmeer der untergehenden Sonne gleicht, die von mir getrennt ist durch die dunklen Wogen eines sturmbewegten Ozeans. Einsam stehe ich am kahlen Strande und sehe die Sonne sinken, und sehe das Glutmeer allmählig erblassen, bis finstere Wolken den Schleier der Nacht über jenes ferne Westen ziehen, dessen Lichtwogen mein Herz mit unwiderstehlicher Macht gefesselt halten, lange nachdem sie meinem forschenden Blick entflohen sind. Die Sehnsucht erwacht, und die Frage, ob diese liebliche Sonne mir je wieder erscheinen wird, stürmt durch meinen Busen, bis jeder Pulsschlag entgegeneilt der geschwundenen Sonne, bis jeder Odemzug ihre erquickende Wärme aus den feuchten Nebeln der Nacht zu saugen strebt. Das heißt hoffen mit gewisser Zuversicht, und wer so in der Nacht des irdischen Lebens steht, dem bricht der Morgen an, ehe er sich recht bewusst wird, dass der Abendstern der Sonne nachgeeilt ist ins dunkle Meer; denn der Morgen küsst den Abend in seiner Seele Tiefen, und jugendliche Lüfte des Frühlings umwehen seinen Geist, ehe die Nachtluft ihn töten konnte. Solche Helden des Hoffens mit gewisser Zuversicht zählt uns der Apostel der Reihe nach auf im Brief an die Hebräer. Da steht Abel mit seinem großen Opfer Gottes vor uns am kahlen Strand, und blickt mit gewisser Zuversicht hinaus zu dem, dessen Blut Besseres redet, denn Abels. Da steht Enoch und überkommt Zeugnis, dass er Gott wohlgefalle, während er selbst zeugt von der Zukunft des Herrn mit viel Tausend Heiligen. Da steht Noah und ererbt die Gerechtigkeit, die durch den Glauben kommt, in der er getrost über die Wogen der Sintflut hinschifft. Da pilgert Abraham als Gast im Land der Verheißung umher, und wartet mit Isaak und Jakob auf eine Stadt, die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Da empfängt Sarah und gebiert ein neues Opfer, über die Zeit ihres Alters, denn sie achtete ihn treu, der es verheißen hatte, und die Sterne des Himmels und der Sand am Rande des Meers werden Zeugen, dass die untergegangene Sonne wieder leuchten soll auf Erden.

Auf diese vom Glauben lebenden Väter des alten Bundes weist uns der Apostel hin, um uns in ihnen anschaulich machen, wie sich eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, im irdischen Leben offenbart und ausspricht: Diese Alle sind gestorben und haben die Verheißungen nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen und gegrüßt, und bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen. Das verlorene Vaterland, meine Freunde, erscheint zuerst als Ziel unsres Hoffens hienieden, die Gewissheit, nicht allein, dass es noch vorhanden ist, sondern auch, dass es für uns da ist, wirkt in uns der lebendige Glaube und hebet uns kraft desselben über alle Abgründe des Zweifels, über jeden finsteren Kampf des Erdenlebens, das wir mit einem sturmbewegten Ozean verglichen haben, zu einer Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.

Wer die Sonne sinken gesehen hat und nun, einsam auf einem Felsenabhang stehend, rings um sich her die Schöpfung in Nacht sich hüllen sieht, wird nicht leugnen, dass er im Finstern steht, und dass die Sonne seinen Blicken entschwunden ist; aber deshalb wird er weder leugnen, dass die Sonne, ehe die Nacht einbrach, am Himmel zu sehen war, noch, dass ein Morgen auf die Nacht folgen kann, an dem die Sonne wieder scheinen wird. Ja er sieht die ganze Schöpfung um sich her an und erkennt, dass sie ohne der Sonne Wärme und Licht bald verkümmern und absterben müsste, er forscht in den Gesehen der Natur und überzeugt sich, dass eine ewige Weisheit sie also geordnet hat, dass auf den Abend der Morgen, auf die Nacht der Tag, auf die Finsternis das Licht folgen muss, wenn die ganze Ordnung der irdischen Schöpfung nicht zerstört und aufgelöst werden soll, und nun verwandelt sich sein Glaube an den zu hoffenden Aufgang der Sonne in Gewissheit, in eine Überzeugung, dass die herrliche Sonne wieder aufgehen und ihre Strahlen senden wird über den Erdkreis, und er singt fröhlich mit dem christlichen Dichter sein Morgenlied, obgleich in Nacht und Nebel gehüllt: Ruhig pilgert er seiner Hütte zu und legt sich ohne Sorgen nieder, mit der vollkommenen Gewissheit, dass ihm die Nacht nicht schaden kann, und dass er bald das Morgenrot und dann die Sonne grüßen wird mit den Worten:

Mein Auge schauet,
Was Gott gebauet,
Zu seinen Ehren, Und uns zu lehren, Wie sein Vermögen sei mächtig und groß; Und wo die Frommen Dann sollen hinkommen, Wann sie in Frieden.
Von hinnen geschieden
Aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

Der vergängliche Schoß dieser Erde, meine Freunde, ist mit all seinem Wechsel ein Spiegel, in den die unvergängliche Ewigkeit ihr Bild geworfen hat für Alle, die zu verstehen geben, dass sie ein Vaterland suchen. In diesen Spiegel blickt mein Auge voll unaussprechlicher Sehnsucht hinein, und aus dem dunklen Hintergrunde steigt ein Rätsel nach dem andern auf, entfaltet sich vor meinem Glaubensauge und lehrt mich, in Rätseln immerhin und Stückweise, (1 Kor. 13,12.) die Wahrheit dieser Welt von mir abtun, denn sie gebärden sich, als ob das Sichtbare ewig wäre; ich aber werde nicht zaghaft, wenn ich mich mitten im Leben vom Tod umfangen sehe, sondern sage vielmehr mit dem Apostel: Ob unser äußerlicher Mensch verwest, so wird doch der innerliche von Tage zu Tage erneuert; denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maße, wichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich (und vorübergehend); was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2. Kor. 4,16-18.) Also lüftet uns der Glaube den Schleier, der wie ein Nebelflor uns die unsichtbare Welt verhüllt, und wir sehen uns durch unsere gewisse Zuversicht, durch unsere Überzeugung so mächtig weggehoben über alles Sichtbare und Gegenwärtige, dass wir, indem wir uns halten an den Unsichtbaren, als sähen wir ihn, Pilgrime und Fremdlinge werden hienieden, wie die Väter das alten Bundes. In dieser Gesinnung nun tritt uns ein Moses in seiner ganzen Bedeutung vor die Seele, wenn er uns vom Apostel zum Beispiel der Nachahmung vorgehalten wird mit den inhaltsreichen Worten: Durch den Glauben wollte Moses, da er groß ward, nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharao, und erwählte viel lieber mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben; und achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum, denn die Schätze Ägyptens; denn er sah an die Belohnung. Durch den Glauben verließ er Ägypten, und fürchtete nicht des Königs Grimm, denn er hielt sich an den Unsichtbaren, als sähe er ihn. Durch den Glauben hielt er die Ostern und das Blutgießen, auf dass, der die Erstgeburten würgte, sie nicht träfe. (Hebr. 11,24-28.) Und nun, meine Freunde, geht es im Glauben an ein Ausziehen aus dieser Welt, dem ewigen Vaterland zu. Da darf kein Opfer gescheut werden, da darf keine Anhänglichkeit an zeitliche Ergötzung, an Schätze und Reichtum, an Ehre und Reputation stehen bleiben, noch geduldet werden. Da darf keine Furcht vor dem Grimm des Fürsten dieser Welt, der die Fliehenden verfolgt: mit außerordentlichen Versuchungen, im Herzen geherbergt werden. Der Glaube schwingt sich über das Alles, denn der Bund, den Gott im Blutvergießen des rechten Osterlammes mit uns gemacht hat, bleibt fest stehen und schützt uns vor dem Engel des Todes, der mit ernsten, gewaltigen Fußtritten durch die Welt des Unglaubens schreitet und ihre Erstgeburten würgt. Tod und Verdammnis lasten schwer auf dieser dem Fluch anheimgefallenen Erde, darum flieht, flieht und rettet eure Seelen durch den Glauben für ein ewiges seliges Leben!

Seht da den christlichen Glauben in seiner vollen, kräftigen Bedeutung, wie er mächtig zieht an unsern Seelen, uns in Gott gründet und von dieser Erde entwöhnt. Wir fragen nach dem Ziel, dem dieser Glaube uns entgegen führt.

II.

Zwar haben wir dieses Ziel schon in bildlichen Ausdrücken bezeichnet, wir haben es genannt die untergegangene Sonne, das verlorene Vaterland; aber mit diesen Anspielungen wird die Seele nicht befriedigt, sie sucht, wenn sie die Sonne gefunden hat, das Licht der Sonne, und wenn sie das Licht von der Sonne unterscheiden gelernt, so forscht sie nach dem Quell des Lichtes, und wenn sie den Quell hat, so fragt sie nach dem ewigen Ursprung alles Lichtes und alles Lebens. Ebenso, wenn wir wissen, dass es ein Vaterland gibt, so ist es nicht mehr das Land, nach dem wir begehren, sondern nach dem, der dieses Land so teuer und lieb uns macht. Darum sagen wir: das Ziel unsres Glaubens kann nur Gott der Vater selbst sein.

Schon der rohe Naturmensch, der noch nie ein Wort gehört hat vom Christentum und seinen Forderungen, glaubt an Gottes Dasein, glaubt und nimmt für gewiss an, dass Gott sei; denn sein unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, wird von der Schöpfung der Welt her an den Werken verständlich ersehen. (Röm. 1,20.) Dieses spricht das christliche Gefühl mächtig und innig aus in den Worten:

Durch deinen Willen muss bestehen,
Was wir durch dich geschaffen sehen,
Dein Werk ist groß und wunderbar.
Von Allen Du gelobt musst werden
Im Himmel, Meer und auf der Erden;
Es stellt von deiner Pracht was dar.
Dein Lob ist eingeprägt
In allem, was sich regt.
Amen, Amen!
Auch wir sind dein und stimmen ein:
Du Gott bist unser Herr allein.

Darum erscheint ein Gottesleugner als ein Unmensch, der das religiöse Gefühl der wildesten und leichtsinnigsten Naturmenschen mit seiner Lästerung beleidigt, und den sie deshalb aus ihrer Gemeinschaft ausstoßen. Wie wenig eigentliches Christentum aber in diesem Glauben an Gottes Dasein enthalten ist, geht schon daraus hervor, dass er neben sich ganz wohl alle Laster eines Muhamedanischen Paradieses, alle Gräuel des heidnischen Götzendienstes, alle Wollüste einer üppigen Pariser Theaterwelt, und allen geistigen Tod eines äußerlichen Kirchentums nebst Irrlehren und Verführungen aller Art dulden kann. An dem bloßen, nackten Glauben also, dass Gott im Himmel wohnt und alle Dinge erhält und regiert, kann Niemand einen Christen erkennen. Der Apostel Paulus weist der Heiden Abfall zum Götzendienst daran nach, „dass sie, da sie wussten, dass ein Gott ist, ihn nicht gepriesen haben als einen Gott, noch ihm gedankt“, und führt uns eben mit diesem Ausdecken des Abfalls von dem Gott, an dessen Dasein wir glauben, auf den Scheideweg, der entweder zum ewigen Leben hinan, oder zur ewigen Verdammnis hinabführt. Darum müssen wir, sobald wir vom Standpunkt des christlichen Glaubens aus urteilen wollen, notwendig den Glauben an Gottes Dasein innig verbunden uns denken mit einem Verlangen, ihn zu preisen und ihm zu danken. Geben wir aber dieses zu, so schließen wir auch eben damit aus unserem Herzen und aus unserem Leben alles dasjenige aus, was in uns und um uns Gottes Lob und den Preis seines herrlichen Namens und das Gefühl der ihm schuldigen Dankbarkeit stört.

Das ist die Sünde, wird mir jeder unter euch ohne Bedenken antworten, und Mancher wird bereit sein hinzuzusetzen: Das versteht sich ja von selbst. Ich sage aber, wenn es sich ohne Weiteres von selbst versteht, wie mag es denn wohl zugehen, dass nicht allein die große Masse derer, die vom Christenglauben wenig oder gar nichts wissen, immerdar in ihren Sünden bleiben, und Gott weder in ihrem Herzen danken noch in ihrem Wandel preisen, sondern auch bei weitem die Mehrzahl derer unter euch, die Gott schon Jahrelang gesucht haben und im Allgemeinen wohl wissen, was der Christenglaube ist und nicht ist, dass solche noch Gott weder danken noch ihn preisen? Zwar weiß ich, dass eine gewisse matte, pietistische Richtung, die sich auch unter uns geltend zu machen strebt, gar bald bei solchen Fragen mit der Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit der menschlichen Natur bei der Hand ist, und mit manchem ekelhaften, schon tausend Mal im Leben wiederholten Bekenntnis die ernsteren Forderungen des Gewissens zu betäuben und die dringenderen Ermahnungen des Wortes Gottes zu beseitigen sucht; aber mit allen diesen Redensarten ist einer Seele nicht gedient, die wirklich mit Ernst nach dem christlichen Glauben fragt. Mit solchen Gewissenspflastern werden nur die tiefen Wunden der Seele zugeklebt, während sie doch heftig zu schmerzen fortfahren, und einst so unaufhaltsam bluten werden, dass Alle, die sich mit diesem falschen Trost haben beschwichtigen lassen, in Gefahr kommen werden zu verbluten.

Darum müssen wir, wenn wir die Sünde kennen lernen wollen, die wir aus Herz und Leben auszuschließen haben, eine zweite Frage zuerst sehen, und die wird lauten müssen: Was ist Sünde?

Darüber sind wir Alle hoffentlich einverstanden, dass jedes Laster eine Sünde ist, aber damit ist unserem Gewissen wenig Hilfe geleistet, dass wir das einsehen. Wollen wir die Sünde kennen lernen, so müssen wir zuvor ihren Gegensatz kennen lernen, so müssen wir etwas in dem Gott, den wir suchen, kennen lernen, das uns die Sünde zeigt, die ihm missfällig ist, und dieses Etwas ist sein Wille.

Die Übertretung des göttlichen Willens allein ist Sünde, weil sie uns in den Zustand des Ungehorsams versetzt gegen den, dessen Dasein wir erkennen, dessen Recht, von uns Gehorsam zu fordern, wir mit seinem Dasein zugeben. Diejenigen also, die an Gott glauben und ihn suchen, werden diesen ihren Glauben und ihr Suchen dadurch zu erkennen geben müssen, dass sie nach Gottes Willen fragen. Oder meint ihr, dass ein Vater es wird mit Gleichgültigkeit ansehen können, wenn die Kinder, welche er gezeugt hat, und die er täglich nährt und kleidet, ganz unbekümmert um seinen Willen, seine Forderungen an sie, in den Tag hinein leben? Zwar einige arme Klüglinge meinen, es sei unmöglich, dass der allmächtige, große Gott seinen Willen so deutlich aussprechen könne, dass der beschränkte, endliche Mensch ihn zu lesen und zu verstehen vermöge. Deren Begriffe aber von Allmacht scheinen eben so klein zu sein, wie ihr Verstand, und wir sehen ihnen getrost entgegen: Hat Gott sein Dasein den Menschen offenbart, so muss er ihnen auch seinen Willen offenbart haben, sonst wäre die Offenbarung seines Daseins ein grausames Spiel der Allmacht mit ewig unseligen Wesen, Und was Gott tun muss, weil es ein Teil ist seines Wesens, weil es notwendige Bedingung seiner Gottheit ist, die Menschen, welche er geschaffen hat, auch selig zu machen: das hat er herrlich, deutlich, unzweideutig und offenbar getan für Alle, die ihn suchen. Wie er sein Dasein in den Werken der Schöpfung verständlich hat ersehen lassen, also dass sich Niemand entschuldigen könne und sagen: ich habe nicht gewusst, dass ein Gott ist; so hat er auch seinen Willen in dem Werke der Erlösung kund getan, also dass Niemand wird sagen können; ich habe es nicht verstanden, was Gott von den Menschen will. Denn es ist erschienen die heilvolle Gnade Gottes allen Menschen. (Tit. 2,11.) Das Werk der Erlösung aber ist verkündigt, beschrieben und vorgemalt in dem Wort Gottes. Darum sagen wir mit Recht: der Wille Gottes ist zu lesen in seinem Wort, wie sein Dasein in der Natur. Somit treten Natur und Wort als die beiden großen Schöpfungen Gottes vor die Seele dessen, der Gott sucht, in denen er ihn kennen und ihm gehorchen lernen soll.

Aber es bleibt uns noch ein Gedanke zu erörtern übrig. Unser Text sagt uns, das der Glaube an Gottes Dasein auch noch den Glauben in sich schließe, dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde, und wir fragen zum Schluss noch wie billig: Worin besteht diese Vergeltung Gottes, an welche der Christ glaubt?

Immer näher rücken wir unserem Ziel, immer deutlicher tritt unserem fragenden, suchenden Herzen die Sonne entgegen, nach der wir verlangen, und wir fassen ihre Strahlen in den Brennspiegel des Wortes und lassen dieses Feuer mit seiner ganzen Kraft auf den dunklen Fleck unsrer Seele fallen, wenn wir mit dem Apostel ausrufen: Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. (Hebr. 12,29.) Diese Erkenntnis ist die erste Vergeltung, die er denen, die ihn suchen, zu Teil werden lässt.

Die Heiligkeit seines Willens tritt, sobald wir ihn im Wort kennen lernen, unsrer Unheiligkeit und Sündhaftigkeit als äußerster Gegensatz entgegen und brennt schmerzlich in der ihn suchenden Seele. Suchst du Gott, so wisse, dass es ein heiliger Gott ist, mit dem du es zu tun hast, ein Gott, dessen strahlendes Angesicht die tiefsten Falten deines unheiligen, unseligen Herzens sieht; ein Gott, dessen Wille deinem natürlichen, sündhaften, zum Ungehorsam geneigten Willen so entschieden entgegen steht, wie der Himmel der Hölle. Aber fürchte dich nicht, armer Mensch aus Staub und Asche, dieses verzehrende Feuer wird nicht deines Wesens Grund, das ihn suchende, nach ihm fragende Herz austilgen, es will nur die Sünde in dir, den Ungehorsam, der dich bisher so uns glücklich, so unselig gemacht, ausbrennen. Darum ist die Offenbarung seiner Heiligkeit, welche er dir als erste Vergeltung deines Suchens gibt, deine größte Wohltat, und es spricht der Prophet von dieser ersten Offenbarung des göttlichen Willens an die Menschenseele: Wer wird den Tag seiner Zukunft erleiden mögen? und wer wird bestehen, wann er wird erscheinen? Denn er ist wie das Feuer eines Goldschmieds und wie die Seife der Wäscher. Er wird sitzen und schmelzen, und das Silber reinigen; er wird die Kinder Levi reinigen und läutern, wie Gold und Silber. Dann werden sie dem Herrn Speisopfer bringen in Gerechtigkeit. (Mal. 3,2.3.)

Wenn einmal Gottes Heiligkeit und die darin enthaltene Forderung an das Menschenherz erkannt ist: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig (1 Petr. 1,16.), so tritt in dieser Erkenntnis der Wille Gottes, der bisher außer uns im Allgemeinen da stand, in unser Inneres ein als eine fordernde Kraft, die Alles, was sich ihr widersetzt, zerbricht und zermalmt. Also dürfen wir sagen, dass wir in der Erkenntnis des göttlichen Willens ihn selbst gefunden haben, und dass er sich selbst uns gegeben hat als Vergeltung unsres Suchens. Aber wir lernen auch, je vertrauter wir uns machen mit dem göttlichen Willen, desto deutlicher unterscheiden, dass unser Wille, wie er sich bisher in Gefühlen, Gedanken, Worten und Werken geäußert, ein verkehrter war, und dass eben in dieser Abkehr unsres Willens von Gottes Willen unsre Sünde bestand. Es fragt sich bei dieser Entdeckung nun einfach, ob wir geneigt sind, unsern Willen dem göttlichen zu unterwerfen oder nicht? Im Wort Gottes ist deutlich zu lesen, was Gott von uns fordert. Es fragt sich, ob wir dem Wort Gottes gehorsam sein wollen oder nicht? Alle unsere Pflichten, die kleinsten wie die größten, die innerlichen wie die äußerlichen, im bürgerlichen Leben wie in unsern kirchlichen Verbindungen und religiösen Überzeugungen: Alles, Alles ist deutlich und unzweideutig geschrieben im Wort Gottes. Es fragt sich, ob wir gehorsame Kinder des Wortes werden, oder ungehorsame Aufrührer bleiben wollen? Es fragt sich, ob wir im Gehorsam den Segen, oder im Ungehorsam den Fluch ererben wollen? Es fragt sich, ob wir den Willen Gottes als einzige Richtschnur unsers Lebens erwählen, oder unsern und andrer Menschen Willen auch mit bestimmen lassen wollen, was wahr ist und was unwahr? - Ich lass euch hier nicht los, meine teuren Freunde, haben wir Einen Schritt voran getan auf dem Lebensweg, so müssen wir auch den zweiten tun, oder wir wanken und schwanken wie die Trunkenen. Der Arm des allmächtigen Gottes kann uns auf diesem gefährlich wogenden finstern Meer des irdischen Lebens allein aufrecht erhalten und vor dem Versinken bewahren.

Der Wille Gottes und die feste, unerschütterliche Überzeugung, dass wir allein im Gehorsam gegen diesen Willen, im Kleinen wie im Großen, selig werden können, das ists, was uns tüchtig macht, an den Vergeltungen des Allmächtigen, der uns sucht, den wir suchen, ferneren Anteil zu nehmen, denn dadurch werfen wir uns dem Allmächtigen in die Arme. Und nun, fühlst du deine Ohnmacht, dein Unvermögen, deinen Tod, diesem dich mächtig drängenden Gotteswillen gegenüber, und beugst du dich still und innig dem entgegen, der so fordernd vor dir steht, so wirst du als letzte Vergeltung deines Suchens auch die Kraft erhalten, ihm gehorsam zu sein, denn Gott fordert nie von uns ohne Bereitwilligkeit, uns die Kraft mitzuteilen, seinen Forderungen zu genügen.

Wir sprechen heute nicht von der Erkenntnis der Weise, wie Gott der Seele diese Kraft zufließen lässt, sondern erwähnen nur einfach der Tatsache, dass diese Kraft uns zu Gebot steht, so wir aufrichtig Gott suchen, wie es Jeder erfahren muss, der nur Gott allein will. Wer diese Kraft hat, der ist zum Ziel gelangt und darf seinen Gott nicht mehr ferne suchen; dem ist die Sonne mitten in der Finsternis aufgegangen, und sein Leben ist das Leben im Glauben des Sohnes Gottes während seines ferneren Wandels im Fleisch. Lasst uns dieses und kein anderes Ziel suchen. Amen!

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