Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war.

Denn auch Christus nicht an ihm selber Gefallen hatte. (Röm. 15,3)

Auf dem Herzen der Welt steht nur allzu deutlich die Inschrift: „Sie suchen Alle das Ihre!“ Eigennutz ist das Gesetz der gefallenen Menschheit. Als die Liebe gegen Gott aus der menschlichen Seele verbannt ward, nahm das eigene Ich den leeren Platz ein, und herrscht dort in irgend einer seiner mannigfachen Gestalten noch heute.

Jesus steht, als große, einzige Ausnahme, inmitten dieser eigennützigen Welt. Sein ganzes Leben war Eine Selbstverleugnung; eine herrliche, lebendige Darstellung jener Liebe, die nicht das Ihre sucht. Er, der um Anderer. willen das Wasser in Wein verwandelte, der Tausende schmachtender Menschen auf wunderbare Weise in der Wüste speiste, wandte Seine Wundermacht nie für Seine eigenen Bedürfnisse an. Während Seiner vierzigtägigen Versuchung bereitete Er Sich kein Mahl, verschaffte Er Sich kein Obdach für Sein müdes Haupt. Zweimal vergoss er Tränen, niemals für Sich Selbst. Anstatt Ihn zur Beschäftigung mit Sich Selbst zu verleiten, wie es leider bei uns geschieht, bewog Ihn das Herannahen Seines Kreuzes und Leidens nur zu neuen und gnädigeren Verheißungen für Sein Volk. Als Seine Feinde Ihn zu greifen kamen, war die Freilassung Seiner Jünger Seine einzige Sorge, „Lasst diese gehen.“ Als Er eben im Begriff stand zum Himmel aufzufahren und die unendliche Herrlichkeit der Ewigkeit sich vor Seinem Blicke entfaltete, waren sie noch der Gegenstand aller Seiner Gedanken und Worte.

Ach, wie anders ist der Geist der Welt! Bei wie Vielen ist jeder neue Tag ein neues Opfer, dargebracht dem Götzen des Eigennutzes. Den eigenen Lüsten gütlich tun; sich an des Nächsten Glück ärgern oder ihn beneiden; das Lob eines Gegners nicht ertragen; seinen eigenen Ruf auf die mühsam durchkreuzten Bemühungen eines andern aufbauen und Neid, Unzufriedenheit, Eifersucht, Empfindlichkeit und alle ähnlichen Leidenschaften in sich erwecken und pflegen, das ist der Welt Gebrauch. „Ihr aber habt Christum nicht also gelernt!“

Leser! hast du zu den Füßen dessen gesessen, der nicht an Ihm Selber Gefallen hatte? „Stirbst du täglich“ dir selbst sowohl als der Sünde? Betrachtest du es als den hohen Zweck deines Lebens, deine Zeit, deine Gaben, Alles was du hast, zur Ehre Gottes und zum Heil deiner Nebenmenschen anzulegen; nicht deinen eigenen Vorteil zu suchen, sondern diesen willig aufzugeben, wenn dadurch ein Anderer glücklicher und dein Heiland geehrt werden kann? Es liegt vielleicht nicht in deiner Gewalt, diesen Sinn Jesu durch das Darbringen großer Opfer kundzugeben; auch wird das nicht von dir verlangt. Du kannst den heiligen Einfluss der Selbstverleugnung Jesu durch unzählige kleine Dienste der Güte und Freundlichkeit dartun; durch uneigennütziges Interesse an dem Wohlergehen und den Beschäftigungen Anderer, oder durch Teilnahme an Unternehmungen zur Linderung des menschlichen Elends.

Meide vor Allem die widerlichste Form der Selbstsucht - die Prahlerei. Bleibe gerne im Schatten; lass keine Posaune vor dir her erschallen. Der Evangelist Matthäus veranstaltete ein großes Mahl, welches Jesus durch Seine Gegenwart beehrte; in seinem Evangelium sagt er kein Wort davon!

Trachte nach einem stillen und festen Gange unter dem leitenden Einfluss der Liebe Jesu. Dein Eigennutz aber welke und sterbe unter dem Kreuze auf Golgatha.

Christ! wenn Jesus an Ihm Selber Gefallen gehabt hätte, wo wärest du heute?