Luther, Martin - Die zweite Wittenberger Predigt.

Luther, Martin - Die zweite Wittenberger Predigt.

Am Montage nach dem Sonntage Invocavit.

Lieben Freunde! Ihr habt gestern gehört, was für Stücke ein Christenmensch an ihm haben soll, nämlich wie das ganze christliche Leben und Wesen sei glauben und lieben. Der Glaube ist gerecht gegen Gott; die Liebe aber gegen den Menschen und Nächsten: so daß wir uns gegen den Menschen erzeigen in der Liebe mit Wohlthun, mit Rathen, mit Helfen, wie wir Wohlthat und Hülfe von Gott empfangen haben, ohne unser Verdienst und Werk, umsonst, aus lauter Gnaden und Barmherzigkeit.

So sind nun zwei Dinge, darauf ein Christenmensch soll und muß Achtung haben. Das eine, das da nöthig ist, nämlich, daß es also geschehen muß und nicht anders: das andere, das da frei ist und unnöthig, das man halten mag oder nicht, ohne Gefahr des Glaubens und der Seelen Seligkeit. In diesen zweien Dingen muß die Liebe handeln mit dem Nächsten, wie uns von Gott geschehen ist, und also die rechte Straße wandeln, und nicht, weder zur Linken, noch zur Rechten, fallen.

In den Dingen, die da müssen sein, oder vonnöthen sind, als da ist, daß man an Christum glaube, handelt die Liebe dennoch also, daß sie nicht zwinget, noch allzustrenge fähret. Als. die Messe ist ein bös Ding, und Gott ist ihr feind, indem daß sie geschehen, als wäre sie ein Opfer und verdienstlich Werk; derwegen muß sie abgethan sein. Hie ist kein Fragen oder Zweifeln, so wenig du fragen sollst, ob Gott anzubeten sei. Wiewohl wir nun hierinne der Sachen ganz eins sind, daß die sonderlichen Messen müssen und sollten abgethan sein; wie ich auch davon geschrieben habe, und wollte, daß sie in der ganzen Welt abgethan wären, und allein die gemeine evangelische Messe1) gehalten würde: dennoch soll die Liebe in diesem Stück nicht gestrenge fahren und dieselbigen Messen mit Gewalt abreißen. Predigen soll mans, schreiben und verkündigen soll mans, daß die Messe, auf solche Weise gehalten, sündlich ist; aber niemand soll man mit den Haaren davon reißen, sondern man soll es Gott heimgeben und sein Wort allein wirken lassen, ohne unser Zuthun oder Werke. Warum? Darum, denn ich hab nicht in meiner Hand die Herzen der Menschen, als der Töpfer den Thon, mit ihnen zu schaffen nach meinem Gefallen; wie Gott aller Menschen Herzen hat in seiner Hand, sie zu bekehren oder zu verstecken, Zer. 18, 6. Röm. 9, 21. Ich kann mit dem Worte nicht weiter kommen, denn in die Ohren; ins Herz kann ich nicht kommen. Weil man den Glauben ins Herze nicht gießen kann, so kann noch soll auch niemand dazu gezwungen noch gedrungen werden: denn Gott thut Solches alleine, und macht, das Wort lebendig in der Menschen Herzen, wenn und wo er will, nach seinem göttlichen Erkenntniß und Wohlgefallen. Darum soll man das Wort frei gehen lassen, und nicht unsere Werke dazu thun. Wir haben Jus verbi, und nicht executionem, das ist, das Wort sollen wir predigen, aber die Folge soll Gott allein heimgestellt sein.

So ich nun drein falle, und will solchen Mißbrauch der Messen mit Gewalt ablegen, so sind ihrer Viele, die das müssen mit eingehen, und wissen doch nicht, wie sie daran sind, obs recht oder unrecht sei; sprechen denn: Ich weiß nicht, wie ich dran bin; ich habe der Gemeine, dem Haufen, und der Gewalt folgen müssen; haben davon denn ein irriges, unruhiges Gewissen, deß sie schwerlich darnach können los werden. Und wird aus dem Zwanggebot allein ein Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel, und eine menschliche Satzung; daraus denn scheinende Heiligen, Heuchler und Gleißner kommen. Denn da ist kein Herz, kein Glaube, noch keine Liebe. Wo diese drei Stücke nicht zu einem Werk kommen, es sei so recht und gut, als es immer wolle, so wird Nichts draus; ich wollte nicht einen Birnstiel drauf geben.

Man muß der Leute Herz zum ersten fahen, welches denn geschieht, wenn ich Gottes Wort treibe, predige das Evangelium, verkündige den Leuten ihren Irrthum, und sage: Liebe Herren, liebe Pfaffen, liebe Papisten, tretet ab von der Messe: es ist nicht recht euer Messehalten, ihr sündiget dran, und erzürnet Gott damit; das will ich euch gesagt haben. Wollt ihnen aber keine Satzungen machen, auch auf keine gemeine Ordnung dringen. Wer da folgen wollte, der folgete; wer nicht wollte, der bliebe außen.

Wenn man ihm also thäte, so fiele heute dem das Wort ins Herz, morgen einem Andern, und wirkte also viel, daß sich Einer müßte nun gefangen geben und schuldig achten, daß er hierinne geirret hätte, und ginge hin, und siele von ihm selbst von der Messe. Also wirkete Gott mit seinem Wort mehr, denn wenn du und ich und die ganze Welt alle Gewalt auf einen Haufen schmelzten. Denn mit dem Worte nimmet Gott das Herz ein; wenn das Herz eingenommen ist, so hast du den Menschen schon gewonnen. Alsdenn muß das Ding zuletzt von ihm selbst fallen und aufhören.

Wenn nun aber darnach aller Muth und Sinn zusammen stimmet, und der Sachen zugleich eins werden, so daß keine Schwachheit mehr vorhanden ist: da thue man denn ab, was nicht recht ist. Wo aber noch nicht Aller Gemüth und Herz dabei sind: da laß es Gott walten, da bitte ich dich um; denn du richtest nichts Gutes an.

Solches rede ich nicht darum, daß ich die Messe wolle wiederum aufrichten; sondern laß sie liegen in Gottes Namen: weil sie gefallen ist, so sei sie gefallen. Alleine darauf muß man Achtung haben, und Solches allezeit predigen, daß der Glaube nicht will gefangen noch gebunden, noch durch irgend eine Ordnung an ein Werk geortert sein. Da richte dich nach, deß und kein Anders. Mit solchem Stürmen und Gewalt werdet ihrs nicht hinausführen; das werdet ihr sehen. Und wo ihr also verharret und euch nicht wollet lenken lassen, so wisset, daß ich nicht will bei euch stehen; ich wills euch dürre abgesagt haben. Was kann dirs schaden, wenn du gleich eine Zeitlang mit solchen äußerlichen Dingen Geduld trügest. Hast du doch deinen Glauben rein und stark zu Gott, daß dir das Ding nicht schaden kann. Die Liebe erforderts, daß du Mitleiden habest mit den Schwachen, bis sie auch im Glauben zunehmen und stärker werden. Also haben alle Apostel gethan. Paulus, da er einmal gen Athen kam, in eine mächtige Stadt, fand er im Tempel gebaute Altäre: da ging er von einem zu dem andern, und besahe sie alle, und alle Abgötterei dazu; aber er rührete keinen mit einem Fuß an, sondern trat mitten auf den Platz, und sagete dem Volke, daß es eitel abgöttisch Ding wäre. Da das Wort ihre Herzen fassete, da fielen die Abgötter selbst ab, und zerging alle Abgötterei von ihr selbst, ohne alle Gewalt und ohne alles Stürmen. Apg. 17, 22-34.

Alfs sollte man hie auch gethan haben. Wenn ich hätte gesehen, daß die Pfaffen hätten Messe gehalten, wollt ich gepredigt und vermahnet haben, daß es Gotteslästerung wäre und Gott damit höchlich erzürnet würde. Hätten sie sich dran gekehret, so hätte ich sie gewonnen: wo aber nicht, wollt ich sie dennoch nicht mit den Haaren und mit Gewalt davon gerissen haben; sondern wollte das Wort haben lassen handeln, und für sie gebeten haben. Denn das Wort hat Himmel und Erden und alle Dinge geschaffen, 1 Mos. 1,1. Ps. 33, 6., dasselbige Wort muß es hie auch thun, und nicht wir arme Sünder.

Summa Summarum: Predigen will ichs, sagen will ichs, schreiben will ichs; aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand; denn der Glaube will willig und ungenöthiget sein, und ohne Zwang angenommen werden.

Nehmet ein Exempel an mir. Ich bin dem Pabst, dem Ablaß und allen Papisten entgegen gestanden; aber mit keiner Gewalt, mit keinem Frevel, mit keinem Stürmen; sondern Gottes Wort hab ich allein getrieben, geprediget und geschrieben: sonst hab ich gar Nichts dazu gethan. Dasselbige Wort, wenn ich geschlafen hab, oder bin guter Dinge gewesen, hat so viel zuwege gebracht, daß das Pabstthum so schwach und ohnmächtig worden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel hat können abbrechen. Ich habs nicht gethan; das einige Wort, von mir geprediget und geschrieben, hat Solches alles ausgerichtet und gehandelt. Wenn ich auch hätte mit Gewalt und Ungemach hierinne gefahren, ich sollte wohl ein solch Spiel angefangen haben, daß Deutschland wäre dadurch in groß Blutvergießen kommen. Aber was wäre es? Ein Narrenspiel wäre es gewesen, und ein Verderbniß an Leib und Seel. Ich bin stille gesessen, und habe das Wort lassen handeln.

Was meinet ihr wohl, daß der Teufel gedenke, wenn man solch Ding will mit Rumor ausrichten? Er sitzt hinter der Höllen und gedenkt also: O wie sollen mir die Narren so ein sein Spiel zurichten! also wollte ichs haben; mir wird mein Theil aus dieser Beute wohl werden; laß sie also fortfahren; das ist eben ein Spiel für mich, an dem ich meine Lust habe. Mit solchem Stürmen geschieht dem Teufel kein groß Leid; sondern denn macht man ihm bange, wenn wir das Wort treiben, und dasselbige allein wirken lassen: dasselbige ist allmächtig, und nimmer die Herzen gefangen. Wenn das Herz gefangen ist, so muß das Werk von ihm selbst abfallen und zu Trümmern gehen.

Es waren vorzeiten auch Secten unter den Juden und Heiden um das Gesetz Mosis, und sonderlich der Beschneidung halben: Etliche wollten das Gesetz halten. Etliche nicht. Da kam Paulus und predigte, man möchte das Gesetz Mosis halten, oder nicht halten; denn daran wäre keine Macht gelegen, und sollten kein Müssen draus machen; sondern frei lassen sein, und ohne Gefahr, man halte es oder nicht.

Solches währete bis zu Hieronymus Zeiten: der kam und wollte ein Müssen draus machen, wollts in eine Ordnung und Satzung fassen, und zwingen, man solle das Gesetz gar abthun. Da kam Augustinus, und war auch der Meinung, wie St.Paul, und sagets: man möcht es halten oder nicht halten. St. Hieronymus war wohl hundert Meilen von St. Paulus Meinung. Allda liefen die zween Doctores gar hart mit den Köpfen zusammen, und wollt keiner dem andern weichen. Aber da nun Augustinus starb, brachte es Hieronymus dahin, daß man es mußte abthun. Darnach kamen die Päbste, die wollten auch Etwas dazu thun, und machten Gesetze; da erwuchsen aus des einigen Gesetzes Abthun viel tausenderlei Gesetze, so daß sie uns mit Gesetzen nun haben überschüttet.

Also wird es hie auch zugehen, wenn man das Ding will mit Gesetz fassen. Denn ein Gesetz macht ihrer bald zwei, zwei machen ihrer drei, und so fortan, daß zuletzt der Gesetze kein Ende werden würde. Das sei auf dießmal davon genug. Laßt uns nur zusehen, lieben Freunde, daß wir die schwachen Gewissen mit unserm Freveln nicht verwirren noch verführen, um welcher willen Christus auch gestorben ist, gleich sowohl als um unser willen; wie St. Paul zun Römern C. 14, j. klärlich lehret; wollen Gott loben und danken.

Quelle: Luthers Volksbibliothek, Band 17 + 18

1)
so nennt Luther das heilige Abendmahl.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/w/wittenberg_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain