Luther, Martin - Vorrede auf das Alte Testament

Luther, Martin - Vorrede auf das Alte Testament

DAS ALTE TESTAMENT HALTEN ETLICHE GERING / Als eines, das dem Jüdischen Volk allein gegeben / und nun ganz vorbei sei / und nur von vergangenen Geschichten schreibe / Meinen / sie haben genug am Neuen Testament / und geben vor, nichts als geistlichen Sinn im Alten Testament zu suchen / Wie es auch Origenes / Hieronymus und viele hohe Leute mehr gehalten haben. Aber Christus spricht Joh. V. Forschet in der Schrift / denn dieselbige gibt Zeugnis von mir. Und S.Paulus gebietet Timotheo / Er solle anhalten mit lesen der Schrift. Und weist Röm. I. darauf hin, wie das Evangelium von Gott in der Schrift verheißen sei. Und I. Kor. XV. sagt er / Christus sei entsprechend der Schrift von Davids Geblüte gekommen / gestorben und vom Tod auferstanden. So weist uns auch S. Petrus mehr als einmal zurück in die Schrift.

Womit sie uns also lehren / die Schrift des Alten Testaments nicht zu verachten, sondern mit allem Fleiß zu lesen / weil sie selbst das Neue Testament so mächtiglich gründen und belegen / durchs Alte Testament / und sich drauf berufen. Wie auch S. Lucas Act. XVII. schreibt / Daß die zu Thessalonich täglich die Schrift erforschten / Ob sich's so verhielte / wie Paulus lehrte. So wenig nun des Neuen Testaments Grund und Lehre zu verachten ist / So teuer ist auch das Alte Testament zu achten. Und was ist das Neue Testament anderes / ale eine öffentliche Predigt und Verkündigung von Christo / durch die Sprüche im Alten Testament gesetzt / und durch Christum erfüllet.

Daß aber diejenigen / die es nicht besser wissen / eine Anleitung und Unterricht haben / nützlich darin zu lesen / Habe ich diese Vorrede nach meinem Vermögen / so viel mir Gott gegeben, gestellt. Bitte und warne aufrichtig einen jeglichen frommen Christen / Daß er sich nicht stoße an der einfältigen Rede und Geschicht / so ihm oft begegnen wird / Sondern zweifle nicht dran / wie schlecht es immer sich ansehen läßt / es seien nur Worte / Werke / Gericht und Geschichte der hohen göttlichen Majestät / Macht und Weisheit. Denn dies ist die Schrift / die alle Weisen und Klugen zu Narren macht / Und allein den Kleinen und Geringen offen steht / wie Christus sagt Matth. XI. Darum laß dein Dünkel und Gefühl fahren / und halte von dieser Schrift / als von dem allerhöchsten / edelsten Heiligtum / als von der allerreichsten Fundgrube / die nie mehr genug ergründet werden mag. Auf daß du die Göttliche Weisheit finden mögest / welche Gott hier so schlicht und einfach vorlegt / daß er allen Hochmut dämpfe. Hier wirst du die Windeln und die Krippe finden / darin Christus liegt / Dahin auch der Engel die Hirten weist. Schlechte und geringe Windeln sind es / Aber teuer ist der Schatz Christus / der drinnen liegt.

SO WISSE NUN / DAß DIES BUCH EIN GESETZBUCH IST / das da lehrt / was man tun und lassen soll. Und daneben anzeigt Exempel und Geschichte / wie solche Gesetze gehalten oder übertreten sind. Gleich wie das Neue Testament / ein Evangelium oder Gnadenbuch ist / und lehrt / wo man's nehmen soll / daß das Gesetz erfüllt werde. Aber gleich wie im Neuen Testament / neben der Gnadenlehre / auch viele andere Lehren gegeben werden / die da Gesetz und Gebot sind / das Fleisch zu regieren / sintemal in diesem Leben der Geist nicht vollkommen wird / noch allein Gnade regieren kann. Also sind auch im Alten Testament / neben den Gesetzen / etliche Verheißung und Gnadensprüche, womit die heiligen Väter und Propheten unter dem Gesetz im Glauben Christi / wie wir / erhalten sind. Doch wie des Neuen Testaments eigentliche Hauptlehre ist / Gnade und Friede durch Vergebung der Sünden in Christo verkündigen / Also ist des Alten Testaments eigentliche Hauptlehre / Gesetze lehren und Sünde anzeigen / und Gutes fordern. Solches wisse im Alten Testament zu erwarten.

UND DAß WIR ZUERST AUF MOSES' BÜCHER kommen / Der lehrt in seinem ersten Buch / wie alle Kreaturen geschaffen sind / Und (was seines Schreibens Hauptpunkt ist) Wo die Sünde und der Tod hergekommen sei / nämlich / durch Adams Fall / aus des Teufels Bosheit. Aber bald darauf / ehe denn Moses' Gesetz kommt / lehrt er / Woher die Hilfe wieder kommen sollte / die Sünde und Tod zu vertreiben. Nämlich / nicht durch Gesetz noch eigene Werke / weil noch kein Gesetz war / Sondern durch des Weibes Samen / Christum / Adam und Abraham verheißen. Auf daß also der Glaube von Anfang der Schrift durch und durch gepriesen werde / über alle Werke / Gesetz und Verdienst. Also hat das erste Buch Mose fast nur Exempel des Glaubens und Unglaubens / und was Glaube und Unglaube für Früchte tragen / und ist fast ein Evangeliums-Buch.

DANACH IM ZWEITEN BUCH / DA DIE WELT NUN voll und in der Blindheit versunken war / daß man schier nicht mehr wußte / was Sünde war / oder wo Tod hergekommen sei / bringt Gott Moses hervor mit dem Gesetz / Und nimmt ein besonderes Volk an / die Welt an ihnen wieder zu erleuchten / und durchs Gesetz die Sünde wieder zu eröffenen. Und verfaßt also das Volk mit allerlei Gesetzen / und sondert sie von allen andern Völkern ab. Läßt sie eine Hütte bauen / und richtet einen Gottesdienst an / Bestellt Fürsten und Amtleute / und versorgt also sein Volk sowohl mit Gesetzen wie mit Leuten auf's allerfeinste / wie sie / beiderlei leiblich vor der Welt / und geistlich vor Gott / regiert werden sollen.

IM DRITTEN BUCH / WIRD IN SONDERHEIT DAS Priestertum verordnet mit seinen Gesetzen und Rechten / danach die Priester tun / und das Volk lehren sollen. Da sieht man / wie ein Priesterliches Amt nur um der Sünde willen eingesetzt wird / daß es dieselbige dem Volk kundt machen und vor Gott versöhnen soll. Also / daß sein ganzes Werk ist / mit Sünden und Sündern umgehen. Derhalben auch den Priestern kein zeitlich Gut gegeben / noch leiblich zu regieren befohlen oder zugelassen wird / Sondern ihnen zugeeignet wird, sich allein des Volks anzunehmen in den Sünden.

IM VIERTEN / DA NUN DIE GESETZE GEGEBEN / PRIEster und Fürsten eingesetzt sind / die Hütten und Gottesdienst angerichtet sind / und alles bereit ist / was zum Volk Gottes gehört / Hebt sich das Werk und Übung an / und wird versucht / wie solche Ordnung gehen und sich schicken will. Darum schreibt das selbe Buch von so viel Ungehorsam und Plagen des Volks. Und es werden etliche Gesetze erklärt und gemehrt. Denn also findet sich's allezeit / daß Gesetze schnell zu geben sind / Aber wenn sie angehen und in Schwung kommen sollen / da begegnet nichts mehr als nur Hindernis / und will nirgends fort / wie das Gesetz fordert. Daß dieses Buch ein merkliches Exempel ist / wie es garnichts ist / mit Gesetzen die Leute fromm zu machen / Sondern wie S. Paulus sagt / Daß Gesetze nur Sünde und Zorn anrichten.

IM FÜNFTEN / DA NUN DAS VOLK UM SEINEN Ungehorsam gestraft ist / und Gott sie mit Gnaden ein wenig gelockt hatte / das sie aus Wohltat / da er ihnen die zwei Königreiche gab / bewegt wurden, sein Gesetz mit Lust und Liebe zu halten / widerholt Mose das ganze Gesetz mit allen Geschichten / so ihnen begegnet war (außer was das Priestertum betrifft) und erklärt also von neuem alles / was beiderlei zum leiblichen und geistlichen Regiment eines Volkes gehört. Daß also Mose / wie ein volkommener Gesetzeslehrer allenthalben seinem Amt genüge täte / und das Gesetz nicht alleine gebe / sondern auch dabei wäre / wo man es tun sollte / und dort, wo es mangelt / erklärt und wieder aufrichtet. Aber diese Erklärung im fünften Buch / enthält eigentlich nichts anders / als den Glauben zu Gott / und die Liebe zum Nächsten / Denn dahin zielen alle Gesetze Gottes. Darum wehrt Mose mit seinem Erklären / allem / das den Glauben an Gott verderben mag / bis hinan in das XX. Cap. Und allem / das die Liebe hindert / bis an des Buches Ende.

HIERBEI IST NUN ZU MERKEN AUFS ERSTE / DAß Mose das Volk so genau mit Gesetzen verfasset / das er keinen Raum läßt der Vernunft, irgend ein Werk zu erwählen oder eigenen Gottesdienst erfinden. Denn er lehrt nicht allein Gott fürchten / trauen und lieben / Sondern gibt auch so mancherlei Weise äußerlichen Gottesdienstes / mit opfern / geloben / fasten / kasteien etc. / Daß niemand not sei / etwas anders zu erwählen. Item er lehret auch pflanzen / bauen / freien / streiten / Kinder / Gesinde und Haus regieren / kaufen und verkaufen / borgen und lösen / und alles was äußerlich und innerlich zu tun sei / Sogar / daß etliche Satzungen gleich närrisch und vergeblich anzusehen sind.

Lieber / warum tut Gott das? Endlich darum / Er hat sich des Volks unterwunden / daß es sein eigen sein sollte / und er wollte ihr Gott sein / darum wollte er sie also regieren / daß all ihr Tun gewiß wäre / daß es vor ihm recht wäre. Denn wo jemand etwas tut / da Gottes Wort nicht zuvor aufgegeben ist / das gilt vor Gott nicht und ist verloren. Denn er verbietet auch am IIII. und XIII. Kap. im V. Buch / daß sie nichts sollen hinzutun zu seinen Gesetzen. Und im XII. spricht er / Sie sollen nicht tun was ihnen recht dünkt. Auch der Psalter und alle Propheten drob schreien / Daß das Volk gute Werke täte / die sie selbst erwählten / und von Gott nicht geboten waren. Denn er will und kann's nicht leiden / daß die seinen etwas vornehmen zu tun / das er nicht befohlen hat / es sei wie gut es immer sein kann / Denn Gehorsam ist aller Werke Adel und Vorzug / der an Gottes Worten hängt.

Weil denn nun dieses Leben nicht kann ohne äußerlichen Gottesdienst und Weise sein / hat er ihnen vorgelegt solch mancherlei Weise / und mit seinem Gebot verfaßt. Auf daß / ob sie ja müßten oder auch wollten Gott irgend einen äußerlichen Dienst tun / das sie dieser einen angriffen / und nicht ein eigen erdächten / Damit sie gewiß und sicher wären daß solches ihr Werk in Gottes Wort und Gehorsam ginge. Also ist ihnen allenthalben gewehrt / eigener Vernunft und freiem Willen zu folgen / Gutes zu tun und wohl zu leben / Und doch übrig genug / Raum / Stelle / Zeit / Person / Werk und Weise bestimmt und vorgelegt / daß sie nicht klagen dürfen / noch fremder Gottesdienste Beispiel nachfolgen müssen.

AUFS ANDERE IST ZU MERKEN / DAß DIE GESETZE dreierlei Art sind. Etliche die nur von zeitlichen Gütern sagen / Wie es bei uns die Kaiserlichen Gesetze tun. Diese sind von Gott allermeist um der Bösen willen gesetzt / daß sie nichts ärgeres täten. Darum sind solche Gesetze nur Wehrgesetz / mehr denn Lehrgesetz. Als da Mose gebietet ein Weib mit einem Scheidebrief von sich zu lassen. Item / daß ein Mann sein Weib mit einem Eiferopfer treiben / und andere Weiber mehr nehmen mag / Solches sind alles weltliche Gesetze.

Etliche aber sind / die von äußerlichem Gottesdienst lehren / wie droben gesagt ist.

Über diese beide gehen nun die Gesetze vom Glauben und von der Liebe / also / daß alle anderen Gesetz müssen und sollen ihr Maß haben vom Glauben und von der Liebe / daß sie gehen sollen / wo ihre Werke ebenso geraten / daß sie nicht gegen den Glauben und die Liebe gehen / Wo sie aber gegen den Glauben und Liebe geraten / sollen sie schlecht ab sein.

Daher lesen wir / daß David den Mörder Joab nicht tötete / so er doch zweimal den Tod verdient hatte. Und II. Reg. XIIII. gelobt er dem Weibe von Thekoa / ihr Sohn solle nicht sterben / obwohl er seinen Bruder erwürgt hatte. Item / Absalom tötete er auch nicht. Item / er selbst David aß von dem heiligen Brot der Priester I. Reg. XXI. Item Thamar meinte / der König möchte sie geben Amnon ihrem Stiefbruder zur Ehe. Aus dieser und der gleichen Geschichten / sieht man wohl / daß die Könige / Priester und Obersten haben oft frisch ins Gesetz gegriffen / wo es der Glaube und die Liebe haben gefordert. Daß also der Glaube und die Liebe soll aller Gesetze Meisterin sein / und sie alle in ihrer Macht haben. Denn sintemal alle Gesetze auf den Glauben und Liebe ausgerichtet sind / soll keines mehr gelten noch ein Gesetz sein / wo es dem Glauben oder der Liebe zuwider geraten will.

Derhalben irren die Juden noch heutigen Tages sehr / daß sie so streng und hart an etlichen Gesetzen Mose halten / und viel ehr Liebe und Friede ließen untergehen / ehe sie mit uns essen oder trinken / oder dergleichen täten / Und sehen des Gesetzes Meinung nicht recht an / Denn dieser Verstand ist von Nöten allen, die unter Gesetzen leben / nicht allein den Juden. Denn also sagt auch Christus Matth. XII. Daß man den Sabbath brechen möchte / wo ein Ochs in eine Grube gefallen war / und ihm heraushelfen / Welches doch nur eine zeitliche Not und Schaden war. Wieviel mehr soll man frisch allerlei Gesetze brechen / wo es Leibes Not fordert / so dabei dem Glauben und der Liebe nichts zuwider geschieht. Wie Christus sagt / Daß David getan hat / da er die heiligen Brote aß / Mar. III.

WAS IST ABER / DAß MOSE DIE GESETZE SO ungeordnet untereinander wirft? Warum setzt er nicht die Weltlichen zusammen / die Geistlichen auch / und den Glauben und Liebe ebenfalls? Dazu widerholt er zuweilen ein Gesetz so oft / und treibt einerlei Wort so vielmal / daß gleich verdrossen ist zu lesen und zu hören? Antwort: Mose schreibt / wie sichs treibt / Daß sein Buch ein Bild und Exempel ist des Regiments und Lebens. Denn also geht es zu / wenn es im schwang geht / daß jetzt dieses Werk / jetzt jenes getan sein muß. Und kein Mensch sein Leben also fassen mag (so es anders Göttlich sein soll) daß er diesen Tag nichts als geistliche / den andern nichts als weltliche Gesetze übe / Sondern Gott regiert also alle Gesetze untereinander / wie die Sterne am Himmel / und die Blumen auf dem Felde stehen / Daß der Mensch muß alle Stunde zu jeglichem bereit sein / und tun, welches ihm am ersten vor die Hand kommt / Also ist Mose Buch auch untereinander gemengt.

Daß er aber so sehr treibt und oft einerlei widerholt / Damit ist auch seines Amtes Art angezeigt. Denn wer ein Gesetzvolk regieren soll / der muß immer anhalten / immer treiben / und sich mit dem Volk / wie mit Eseln / herumplagen / Denn kein Gesetzeswerk geht mit Lust und Liebe ab / es ist alles erzwungen und abgenötigt. Weil nun Mose ein Gesetzeslehrer ist / muß er mit seinem Treiben anzeigen / wie Gesetzeswerke gezwungene Werke sind / und das Volk müde machen / Bis es durch solch Treiben erkenne seine Krankheit und Unlust zu Gottes Gesetz / und nach der Gnade trachte / wie folgt.

AUFS DRITTE / IST DAS DIE RECHTE MEINUNG Mose / Daß er durchs Gesetz die Sünde offenbare und alle Vermessenheit menschlichen Vermögens zuschanden mache. Denn daher nennt ihn S. Paulus Gal. II. einen Amtmann der Sünde und sein Amt ein Amt des Todes II. Kor. III. Und Röm. III. und VII. spricht er / Durchs Gesetze komme nicht mehr denn Erkenntnis der Sünde. Und Röm. III. Durchs Gesetzes Werke wird niemand fromm vor Gott. Denn Mose kann durchs Gesetz nicht mehr tun / weder anzeigen was man tun und lassen soll. Aber Kraft und Vermögen solches zu tun und zu lassen / gibt er nicht / und läßt uns also in der Sünde stecken.

Wenn wir denn in der Sünde stecken / so dringt der Tod also bald auf uns / als eine Rache und Strafe über die Sünde. Daher nennt S. Paulus die Sünde / des Todes Stachel / Daß der Tod durch die Sünde alle seine Rechte und Macht an uns hat. Aber wo das Gesetz nicht wäre / so wäre auch keine Sünde. Darum ist's alles Mose Amts Schuld / der regt und rügt die Sünde durchs Gesetz / so folgt der Tod auf die Sünde mit Gewalt. Daß Moses' Amt billig und recht ein Amt der Sünde und des Todes von S. Paulo genannt wird / Denn er bringt nichts auf uns durch seine Gesetzgebung / denn Sünde und Tod.

Aber doch ist solches Sündeamt und Todamt gut / und fast von nöten / Denn wo Gottes Gesetz nicht ist / da ist alle menschliche Vernunft so blind / daß sie die Sünde nicht erkennen mag. Denn keine menschliche Vernunft weiß / daß Unglaube und an Gott verzweifeln Sünde sei / Ja sie weiß nichts davon / daß man Gott glauben und trauen soll / Geht also dahin verstockt in ihrer Blindheit / und fühlt solche Sünde nimmermehr. Tut dieweil sonst etwa gute Werke / und führt ein äußerlich ehrbares Leben. Da meint sie denn / sie stehe wohl / und sei der Sachen genug geschehen. Wie wir sehen in den Heiden und Heuchlern / wenn sie auf ihr bestes leben. Item / so weiß sie auch nicht / daß böse Neigung des Fleischs / und Haß wider die Feinde / Sünde sei / sondern weil sie sieht und fühlt / daß alle Menschen so geschickt sind / achtet sie solches für natürlich und recht gutes Ding / Und meint / es sei genug / wenn man nur äußerlich den Werken wehrt. Also geht sie dahin / und achtet ihre Krankheit für Stärke / ihre Sünde für Recht / ihr böses für gut / und kann nicht weiter.

Siehe / diese Blindheit und verstockte Vermessenheit zu vertreiben / ist die Not Moses' Amtes. Nun kann er sie nicht vertreiben / er muß sie offenbaren und zu erkennen geben. Das tut er durchs Gesetz / da er lehrt / Man solle Gott fürchten / trauen / glauben und lieben. Dazu keine böse Lust noch Haß zu einigem Menschen tragen oder haben. Wenn nun die Natur solches recht hört / so muß sie erschrecken / Denn sie befindet gewiß / weder trauen noch glauben / weder Furcht noch Liebe zu Gott. Item weder Liebe noch Reinigkeit gegen dem Nächsten / Sondern nichts als Unglauben / Zweifel / Verachtung und Haß zu Gott / und nur bösen Willen und Lust zum nächsten. Wenn sie aber solches findet / so ist der Tod also bald vor Augen / der solchen Sünder fressen / und in die Hölle verschlingen will. SIehe / Das heißt den Tod durch die Sünde auf uns dringen / und durch die Sünde uns töten. Das heißt durch das Gesetz die Sünde regen / und vor die Augen setzen / und alle unser Vermessenheit in ein Verzagen / und Zittern und Verzweifeln treiben. Daß der Mensch nicht mehr kann tun / denn mit den Propheten schreien / Ich bin von Gott verworfen / Oder / wie man auf Deutsch sagt / Ich bin des Teufels / Ich kann nimmermehr selig werden. Das heißt recht in die Hölle gefahren. Das meint S. Paulus mit kurzen Worten. I. Korin. XV. Der Stachel des Todes ist die Sünde / Aber das Gesetz ist der Sünde Kraft. Als sollte er sagen / Daß der Tod sticht und uns erwürgt / macht die Sünde / die an uns gefunden wird / des Todes schuldig. Daß aber die Sünde an uns gefunden wird / und so mächtig uns dem Tod gibt / macht das Gesetz / welches uns die Sünde offenbart und erkennen lehrt / die wir zuvor nicht kannten / und sicher waren.

NUN SIEHE / MIT WELCHER GEWALT MOSE SOLCHES sein Amt treibt und ausrichtet / Denn daß er ja die Natur aufs allerhöchste schände / gibt er nicht allein solche Gesetze / die von natürlichen und warhaftigen Sünden sagen / als da sind die zehn Gebote / Sondern macht auch Sünde / da von Natur sonst keine Sünde ist / und dringt und drückt auf sie mit Haufen Sünden. Denn Unglaube und böse Lust ist von Art der Sünde und des Todes wert. Aber daß man nicht soll gesäuertes Brot essen zu Ostern / Und kein unreines Tier essen / kein Zeichen an dem Leib machen / und alles was das Levitische Priestertum mit Sünden schafft / das ist nicht von Art der Sünde und böse / sondern wird allein darum Sünde / das durchs Gesetz verboten ist / welchs Gesetz wohl abgetan sein kann. Aber die zehn Gebote mögen nicht also abgetan sein / Denn da ist Sünde / obschon die Gebote nicht wären / oder nicht erkannt wären. Gleich wie der Heiden Unglaube Sünde ist / ob sie es wohl nicht wissen noch achten / das Sünde sei.

Also sehen Wir / daß solche und so mancherlei Gesetze Mose / nicht allein darum gegeben sind / das niemand etwas eigenes erwählen dürfte Gutes zu tun / und wohl zu leben / wie droben gesagt ist. Sondern vielmehr darum / daß der Sünden nur viel würden / und sich über die Maßen häuften / das Gewissen zu beschweren. Auf daß die verstockte Blindheit sich erkennen müßte / und ihr eigen Unvermögen und Nichtigkeit zum Guten müßte fühlen / Und also durchs Gesetz genötigt und gedrungen würde etwas weiteres zu suchen / als das Gesetz und eigenes Vermögen / nämlich / Gottes Gnade im künftigen Christum verheißen. Denn es ist je alles Gesetz Gottes gut und recht / wenn er auch gleich aufgäbe nur Mist zu tragen / oder Strohhalme aufzuheben. So muß aber der ja nicht fromm noch guten Herzens sein / der solch gutes Gesetz nicht hält / oder ungerne hält. So vermag alle Natur nicht anders / denn ungerne halten / Darum muß sie hier am guten Gesetz Gottes / ihre Bosheit erkennen und fühlen / und nach der Hilfe göttlicher Gnade seufzen und trachten in Christo.

DARUM / WO NUN CHRISTUS KOMMT / DA HÖRT DAS Gesetz auf / sonderlich das Levitische / welches Sünde macht / da sonst ihrer Art keine Sünde ist / wie gesagt ist. So hören auch die zehn Gebote auf / Nicht also / daß man sie nicht halten noch erfüllen sollte / sondern Moses' Amt hört darin auf / daß es nicht mehr durch die zehn Gebote die Sünde stark macht / und die Sünde nicht mehr des Todes Stachel ist. Denn durch Christum ist die Sünde vergeben / Gott versöhnt / und das Herz hat angefangen dem Gesetz hold zu sein / daß es Moses' Amt nicht mehr kann strafen und zu Sünden machen / als hätte es die Gebote nicht gehalten / und wäre des Todes schuldig / Wie es täte vor der Gnade / und ehe denn Christus da war.

Das lehrt S. Paulus II. Korin. III. da er spricht / Daß die Klarheit im Angesicht Mose aufhört / um der Klarheit willen im Angesichte Jesu Christi. Das ist / das Amt Mose / das uns zu Sünde und Schande macht / mit dem Glanz der Erkenntnis unserer Bosheit und Nichtigkeit / Tut uns nicht mehr weh / schreckt uns auch nicht mehr mit dem Tod. Denn wir haben nun die Klarheit im Angesicht Christi. Das ist / das Amt der Gnade / dadurch wir Christum erkennen / mit welches Gerechtigkeit / Leben und Stärke / wir das Gesetz erfüllen / Tod und Hölle überwinden. Wie auch die drei Apostel auf dem Berg Tabor / Moses und Elias sahen / und doch nicht vor ihnen erschraken / um der lieblichen Klarheit willen im Angesichte Christi. Aber Exod. XXXIIII. da Christus nicht gegenwärtig war / konnten die Kinder Israel die Klarheit und den Glanz in Mose Angesicht nicht erleiden / darum mußte er eine Decke davor tun.

Denn es sind dreierlei Schüler des Gesetzes / Die ersten / die das Gesetz hören und verachten / führen ein ruchloses Leben ohne Furcht / Zu diesen kommt das Gesetz nicht. Und sind bezeichnet / durch die Kalbdiener in der Wüste / um welcher willen Mose die Tafeln entzwei warf / und das Gesetz nicht zu ihnen brachte.

Die anderen / die es angreifen mit eigener Kraft zu erfüllen ohne Gnade. Die sind bezeichnet durch die / welche Mose Antlitz nicht sehen konnten / da er zum zweiten mal die Tafeln brachte. Zu diesen kommt das Gesetz / aber sie leiden es nicht. Darum machen sie eine Decke drüber / und führen ein heuchlerisches Leben mit äußerlichen Werken des Gesetzes / welchs doch das Gesetz alles zu Sünden macht / wo die Decke abgetan wird / Denn das Gesetz erweist / daß unser Vermögen nichts sei / ohne Christi Gnade.

Die dritten sind / die Mosen klar ohne Decke sehen. Das sind sie / die des Gesetzes Meinung verstehen / wie es ummöglich Ding fordert. Da geht die Sünde in der Kraft / da ist der Tod mächtig / da ist des Goliaths Spies wie ein Weberbaum / und sein Stachel hat sechshundert Sekel Erz / daß alle Kinder Israel vor ihm fliehen / Außer, der einzige David Christus unser HErr erlöste uns von dem allen. Denn wo nicht Christi Klarheit neben solcher Klarheit Mose käme / könnte niemand solchen Glanz des Gesetzes der Sünde und des Todes Schrecken ertragen. Diese fallen ab von allen Werken und Vermessenheit / und lernen am Gesetz nicht mehr / denn allein Sünde erkennen / und nach Christo zu seufzen / Welches auch das eigentlich Amt Mose und des Gesetzes Art ist.

Also hat Mose auch selbst angezeigt / daß sein Amt und Lehre sollte währen bis auf Christum / und alsdann aufhören / da er spricht / Deut. XVIII. Einen Propheten wird dir der HERR dein Gott erwecken / aus deinen Brüdern / wie mich / Den sollst du hören etc. Dies ist der edelste Spruch und freilich der Kern im ganzen Mose / welchen auch die Apostel hoch geführt und stark gebraucht haben / das Evangelium zu bekräftigen / und das Gesetz abzutun / und alle Propheten / gar viel draus gezogen haben. Denn weil Gott hier einen anderen Mose verheißt / den sie hören sollen / zwingt sichs / daß er etwas anderes lehren würde / als Mose / und Mose ihm seine Macht übergibt und weicht / daß man jenen hören solle. So kann je der selbe Prophet nicht Gesetz lehren / denn das hat Mose aufs allerhöchste ausgerichtet / und wäre keine Not um Gesetzes willen einen anderen Propheten zu erwecken / Darum ist's gewiß von der Gnadenlehre und Christo gesagt.

Darum nennt auch S. Paulus Mose Gesetz / das Alte Testament / Christus auch / da er das Neue Testament einsetzt. Und ist darum ein Testament / daß Gott darinnen verhieß und beschied dem Volk Israel das Land Kanaan / wo sie es halten würden. Und gabs auch ihnen / und ward bestätigt durch Hammel und Bocks Tod und Blut. Aber weil solches Testament nicht auf Gottes Gnaden / sondern auf Menschen Werken stand / mußte es alt werden und aufhören / und das verheißene Land wider verloren werden / darum / daß durch Werke das Gesetze nicht erfüllt werden kann. Und mußte ein anderes Testament kommen / das nicht alt würde / auch nicht auf unserem Tun / sondern auf Gottes Wort und Werke stünde / auf daß es ewiglich währte. Darum ist's auch durch einer ewigen Person Tod und Blut bestätigt / und ein ewiges Land verheißen und gegeben. Das sei nun von Mose Bücher und Amt geredet.

WAS SIND ABER NUN DIE ANDEREN BÜCHER DER Propheten und der Geschichten? Antwort: nichts anderes / denn was Mose ist / Denn sie treiben allesamt Moses' Amt / und wehren den falschen Propheten / daß sie das Volk nicht auf die Werke führen / sondern in dem rechten Amt Mose und Erkenntnis des Gesetzes bleiben lassen. Und halten fest daran, daß sie durch des Gesetzes rechten Verstand / die Leute in ihrer eigen Untüchtigkeit behalten und auf Christum treiben / wie Mose tut. Darum streichen sie auch weiter aus / was Mose von Christo gesagt hat / Und zeigen an beiderlei Exempel / diejenigen / die Mose recht haben / und diejenigen / die ihn nicht recht haben / und aller beider Strafe und Lohn. Also / daß die Propheten nichts anderes sind / denn Handhaber und Zeugen Mose und seines Amtes / daß sie durchs Gesetze jedermann zu Christo bringen.

AUFS LETZTE / SOLLTE ICH AUCH WOHL DIE geistliche Deutung anzeigen / die durch das Levitische Gesetz und Priestertum Mose vorgelegt ist. Aber es ist dessen zu viel zu schreiben / es will Raum und Zeit haben / und mit lebendiger Stimme ausgelegt sein. Denn freilich Mose ein Brunn aller Weisheit und Verstandes ist / daraus gequollen ist alles / was alle Propheten gewußt und gesagt haben. Dazu auch das Neue Testament heraus fließt und darin gegründet ist / wie wir gehört haben. Aber doch einen kleinen kurzen Griff zu geben / denjenigen / die Gnade und Verstand haben / weiter danach zu trachten / sei das mein Dienst.

Wenn du willst wohl und sicher deuten / So nimm Christum für dich / Denn das ist der Mann / dem es alles und ganz und gar gilt. So mache nun aus dem Hohenpriester Aaron niemand denn Christum allein / wie die Epistel an die Hebräer tut / welche fast alleine ausreichend ist / alle Figuren Mose zu deuten. Also ist's auch gewiß / daß Christus selbst das Opfer ist / ja auch der Altar / der sich selbst mit seinem eigenen Blut geopfert hat / Wie auch die selbe Epistel meldet. Wie nun der Levitische Hohepriester / durch solches Opfer nur die gemachten Sünde wegnam / die von Natur nicht Sünde waren / Also hat unser Hohepriester Christus / durch sein eigenes Opfer und Blut / die rechte Sünde / die von Natur Sünde ist / weggenomen. Und ist einmal durch den Vorhang gegangen zu Gott / daß er uns versöhne. Also / daß du alles / was vom Hohenpriester geschrieben ist / auf Christum persönlich / und sonst auf niemand deutest.

Aber des Hohenpriesters Söhne / die mit dem täglichen Opfer umgehen / sollst du auf uns Christen deuten / die wir vor unserem Vater Christo im Himmel sitzend hier auf Erden mit dem Leibe wohnen / und nicht hindurch sind bei ihm / außer geistlich mit dem Glauben. Derselben Amt / wie sie schlachten und opfern / bedeutet nichts anderes / denn das Evangelium predigen / Durch welches der alte Mensch getötet und Gott geopfert / durchs Feuer der Liebe / im heiligen Geist verbrannt und verzehrt wird / Welches gar wohlriecht vor Gott / das ist / es macht ein gutes / reines / sicheres Gewissen vor Gott. Diese Deutung trifft S.Paulus Röm. XII. da er lehrt / wie wir unseren Leib sollen opfern Gott zum lebendigen / heiligen / angenehmen Opfer. Welches wir tun (wie gesagt) durch stetige Übung des Evangeliums beiderlei mit predigen und glauben. Das sei diesmal genug zur kurzen Anleitung / Christum und das Evangelium zu suchen im Alten Testament.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/v/vorrede_at.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain