Luther, Martin - Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde

Luther, Martin - Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde

Der Gottesdienst, der jetzt allenthalben im Gang ist, hat eine feine christliche Herkunft, wie auch das Predigtamt. Aber wie das Predigtamt verderbt ist durch die geistlichen Tyrannen, so ist auch der Gottesdienst verderbt durch die Heuchler. Wie wir nun das Predigtamt nicht abtun, sondern wieder in seinen rechten Stand zu bringen begehren, so ist es auch nicht unsere Absicht, den Gottesdienst aufzuheben, sondern ihn wieder recht in Übung zu bringen.

Drei große Mißbräuche sind in den Gottesdienst hineingeraten: Der erste, daß man Gottes Wort zum Schweigen gebracht und es lediglich gelesen und gesungen hat in der Kirche; das ist der schlimmste Mißbrauch. Der zweite: Da Gottes Wort zum Schweigen gebracht worden ist, sind so viele unchristliche Fabeln und Lügen in Legenden, Gesängen und Predigten nebenein gekommen, daß es greulich anzusehen ist. Der dritte: Daß man solche Gottesdienste als ein Werk getan hat, um damit Gottes Gnade und Seligkeit zu erwerben; da ist der Glaube untergegangen, und jedermann hat etwas für Kirchen geben und stiften, Pfaffe, Mönch und Nonne werden wollen.

Um nun diese Mißbräuche abzutun, ist zuerst zu wissen, daß die christliche Gemeinde niemals zusammenkommen soll, wenn nicht daselbst Gottes Wort gepredigt und gebetet wird, sei es auch aufs kürzeste; wie Psalm 102: „Wenn die Könige und das Volk zusammenkommt, Gott zu dienen, sollen sie Gottes Namen und Lob verkündigen.“ und Paulus 1. Kor. spricht, daß in der Gemeinde soll geweissagt, gelehrt und ermahnt werden. Darum, wenn nicht Gottes Wort gepredigt wird, ist’s besser, daß man weder singe noch lese noch zusammenkomme.

So ist’s aber zugegangen unter den Christen zur Zeit der Apostel und sollte auch noch so zugehen, daß man täglich des Morgens eine Stunde, früh um vier oder fünf, zusammenkäme und daselbst lesen ließe, seien es Schüler oder Priester oder wer es sei, gleichwie man jetzt noch die Lektion in der Mette liest. Das sollen einer oder zwei tun oder einer um den anderen oder ein Chor um den anderen, wie sich das am besten ergibt.

Danch soll der Prediger, oder wem es aufgetragen ist, vortreten und dieselbe Lektion ein Stück weit auslegen, daß es die anderen alle verstehen, lernen und ermahnt werden. Das erste Werk nennt Paulus 1. Kor. 14 mit Zungen reden, das andere auslegen oder weissagen und mit dem Sinn oder Verstand reden. Und wenn dies nicht geschieht, so ist die Gemeinde durch die Lektion in nichts gebessert, wie bisher in Klöstern und Stiften geschehen ist, wo sie nur die Wände angeblökt haben.

Diese Lektion soll aber aus dem Alten Testament sein, nämlich so, daß man sich ein Buch vornehme und ein oder zwei Kapitel oder ein halbes lese, bis es zu Ende ist; danach ein anderes vornehme und so weiter, bis die ganze Bibel zu Ende gelesen ist. Und wenn man sie nicht versteht, soll man darüber hinweggehen und Gott die Ehre geben. So sollen durch tägliche Beschäftigung mit der Schrift die Christen in der Schrift verständig, bewandert und kundig werden; denn dadurch entstanden vorzeiten sehr feine Christen, Jungfrauen und Märtyrer, und sollten wohl auch noch entstehen.

Wenn nun die Lektion und die Auslegung eine halbe Stunde oder länger gedauert haben, soll man danach miteinander Gott danken, loben und bitten um Frucht des Wortes usw. Dazu soll man Psalmen, etliche gute Responsorien, Antiphonen verwenden - kurz, derart, daß es alles in einer Stunde ausgerichtet werde, oder wie lange sie wollen. Denn man darf die Seelen nicht überhäufen, damit sie nicht müde und überdrüssig werden, wie sie sich bisher in Klöstern und Stiften mit Eselsarbeit beladen hatten.

Desselbengleichen soll man am Abend um sechs oder fünf wieder ebenso zusammenkommen. Und hier sollte abermals aus dem Alten Testament ein Buch nach dem anderen vorgenommen werden, nämlich die Propheten, so wie am Morgen Mose und die Geschichtsbücher. Aber weil nun das Neue Testament auch ein Buch ist, lasse ich das Alte Testament dem Morgen und das Neue dem Abend oder umgekehrt und ebenso lesen, auslegen, loben, singen und beten wie am Morgen, auch eine Stunde lang. Denn es ist alles um Gottes Wort zu tun, daß es in Übung bleibe und die Seelen wieder aufrichte und erquicke, daß sie nicht müde werden.

Will man nun eine solche Versammlung am Tag noch einmal nach dem Essen halten, so soll das in freiem Ermessen stehen.

Auch wenn bei solchem täglichen Gottesdienst vielleicht nicht die ganze Gemeinde anwesend sein kann, sollen doch die Priester und Schüler und vor allem diejenigen, von denen man hofft, daß gute Prediger und Seelsorger aus ihnen werden, solches tun, und man soll sie ermahnen, es freiwillig, nicht aus Zwang oder mit Unlust, nicht um zeitlichen und ewigen Lohn zu tun, sondern allein Gott zur Erhe und den Nächsten zum Nutzen.

Sonntags aber soll eine solche Versammlung für die ganze Gemeinde stattfinden, über das tägliche Versammeln des kleineren Haufens hinaus, und daselbst sollen, wie bisher geschehen, Messe und Vesper gehalten werden, so daß man zu beiden Seiten der ganzen Gemeinde predige, morgens das übliche Evangelium, abends die Epistel; oder es stehe bei dem Priester, ob er sich ein Buch oder zwei vornehme, wie es ihm das Nützlichste zu sein dünkt. Will nun jemand danach das Sakrament empfangen, dem lasse man es geben, so wie man das alles miteinander entsprechend der Zeit und der Person ausrichten kann.

Die täglichen Messen sollen auf jeden Fall abgetan sein, weil am Wort und nicht an der Messe gelegen ist. Doch wenn etliche außer am Sonntag das Sakrament begehren, so halte man Messe, wie es die Andacht und die Zeit ergibt; denn hier kann man kein Gesetz noch Maß aufstellen.

Die Gesänge in den Sonntagsmessen und -vespern lasse man bestehen bleiben, denn sie sind sehr gut und aus der Schrift entnommen; doch kann man sie verringern oder vermehren. Aber die Gesänge und die Psalmen täglich morgens und abends festzulegen, soll des Pfarrers und Predigers Amt sein, daß sie für jeglichen Morgen einen Psalm, ein schönes Responsorium oder eine Antiphon mit einem Kollektengebet bestimmen, und abends ebenso, die nach der Lektion und Auslegung vernehmlich zu lesen und zu singen sind. Aber die Antiphonen und Responsorien und Kollektengebete, die sich auf Legenden von den Heiligen und vom Kreuz beziehen, lasse mann noch eine Zeitlang ruhen, bis sie gereinigt werden; denn es ist greulich viel Unflat darin.

Alle Heiligenfeste sollten abgetan werden oder, wenn es eine gute christliche Legende dafür gibt, sollte sie am Sonntag nach dem Evangelium als Beispiel mit eingeführt werden. Doch das Fest Mariä Reinigung, Mariä Verkündigung würde ich bestehen lassen; Mariä Himmelfahrt und Mariä Geburt muß man noch eine Zeitlang bestehen lassen, obwohl der Gesang dabei nicht rein ist. Das Fest Johannes des Täufers ist auch rein. Von den Legenden der Apostel ist keine rein außer der von St. Paulus; darum kann man sie auf die Sonntage verlegen oder, wenn es beliebt, gestondert feiern.

Anderes mehr wird sich mit der Zeit von selbst ergeben, wenn es sich machen läßt. Aber die summa soll sein, daß gewiß alles geschehe, damit das Wort recht in Übung kommt und nicht wieder ein Plärren und Lärmen daraus werde, wie es bisher gewesen ist. Es ist alles besser unterlassen als das Wort, und es ist nichts besser getrieben als das Wort. Denn daß dieses unter den Christen in rechter Übung sein sollte, zeigt die ganze Schrift an, und Christus sagt auch selber Luk. 10: „Eins ist vonnöten“, nämlich daß Maria zu Christi Füßen sitze und höre sein Wort täglich; das ist das beste Teil, das zu erwählen ist und nimmer weggenommen wird. Es ist ein ewiges Wort; das andere muß alles vergehen, wieviel es auch der Martha zu schaffen gibt. Dazu helfe uns Gott. Amen.

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