Luthardt, Christoph Ernst - Wie die rettende Gnade auch diejenigen in Geduld trägt, welche nichts von ihr wissen wollen.

Luthardt, Christoph Ernst - Wie die rettende Gnade auch diejenigen in Geduld trägt, welche nichts von ihr wissen wollen.

Predigt am Sonntag Reminiscere über Ev. Luk. 9,51-56 gehalten.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HErrn Jesu Christo. Amen.

In dem HErrn Geliebte! Gott hat uns vergönnt wieder eine Passionszeit feiern zu dürfen. Wir rüsten uns im Geist unseren Herrn und Heiland auf seinem Leidenswege zu begleiten. Aber mit dieser heiligsten aller Erinnerungen, die wir in unserem Herzen tragen, verbinden wir in diesen Tagen gerne, was sonst an ernsten Gedanken uns das Herz und Leben bewegt. Wir denken an unsere Sünden und schicken uns an, in gemeinsamer Demütigung vor Gott uns zu beugen und unsere Sünden zu bekennen. Wir denken an den Tod und an sein ganzes weites Reich auf Erden, in welchem das Leid herrscht und die Klage. Und wenn wir zurückdenken an die letzte Passionszeit - was liegt Alles zwischen jener und dieser! Welcher schwere traurige Ernst der Lebenserfahrungen, wie er zumal an uns herangetreten ist! Welch eine reiche Ernte hat seit jener Zeit der Tod gehalten unter uns! Und auch jetzt - wo wir hinblicken, wie viel Not tritt uns allenthalben entgegen! Ich weiß nicht, ist es bloß der zufällige Kreis meiner Beobachtungen oder hat es eine allgemeinere Wahrheit, aber mir ist, als hätte ich wenige Zeiten erlebt, in denen sich so viel Leid in den verschiedensten Häusern gehäuft hätte als gerade in diesen Wochen. Wir wissen wohl und sagen es uns und den Anderen zum Trost: wen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen die dadurch geübt sind. Darum richtet wieder auf die lässigen Hände und die müden Knie - den Pilgergang fortzusetzen, so lange Gott uns beschieden hat im Lande der Pilgrimschaft zu weilen.

Geliebte! Noch sind wir auf dem Wege. Wie lange noch? Gott weiß es. Dass wir es noch sind, ist Gottes Geduld, die uns trägt. Was sie will, wissen wir. Achtet - so schreibt der Apostel Petrus - achtet die Geduld des HErrn für eure Seligkeit! Das ist ihre Meinung und Absicht. Aber auch Gottes Geduld hat ihr Ende. Wenn ihre Zeit vorbei ist, weicht sie dem Ernst des Gerichtes. Aber so lange sie währt, trägt sie uns mit allen unseren Sünden und unserem inneren Sträuben gegen ihr Werk der Gnade an unseren Seelen, trägt uns auch, wenn sie abgewiesen wird von uns, ob es ihr endlich gelinge uns durch Geduld zu überwinden. Das ist das Ziel der Gnade. Von dieser Gnade der barmherzigen Geduld Gottes predigt uns jede neue Passionszeit. Von ihr predigt uns auch unser Text.

Ev. Luk. 9, 51-56.
Es begab sich aber, da die Zeit erfüllt war, dass er sollte von hinnen genommen werden, wandte Er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln. Und er sandte Boten vor ihm hin; die gingen hin und kamen in einen Markt der Samariter, dass sie ihm Herberge bestellten. Und sie nahmen ihn nicht an, darum, dass er sein Angesicht gewendet hatte zu wandeln gen Jerusalem. Da aber das seine Jünger, Jakobus und Johannes, sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle, und verzehre sie, wie Elias tat? Jesus aber wandte sich, und bedrohte sie, und sprach: Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.

Dieser Text zeigt uns: wie die rettende Gnade auch diejenigen in Geduld trägt, welche nichts von ihr wissen wollen.

Und wenn wir unseren Text genauer betrachten, so sehen wir leicht, dass er sich in zwei Hälften teilt. Die erste zeigt uns die Abweisung der Gnade von Seiten des Menschen; und die andere die Geduld der Gnade von Seiten des HErrn.

1.

Betrachten wir zuerst, wie die Gnade abgewiesen wird! „Es begab sich aber, da die Zeit erfüllt war, dass er sollte von hinnen genommen werden, wandte Er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln. Und er sandte Boten vor ihm hin; die gingen hin und kamen in einen Markt der Samariter, dass sie ihm Herberge bestellten. Und sie nahmen ihn nicht an, darum, dass er sein Angesicht gewendet hatte zu wandeln gen Jerusalem.“

Es war im Spätherbst vor seinem Tod, dass der HErr diese Reise antrat. Der Ort seiner Wirksamkeit vorher war Galiläa, das Nordland, gewesen. Die Zeit seiner Hauptwirksamkeit daselbst hatte ein Jahr umfasst, von Herbst zu Herbst. Vom Herbst des vorhergehenden Jahres an bis zu Ostern hatte sein Wirken daselbst immer größere Ausdehnung gewonnen und eine immer allgemeinere Erregung der Gemüter hervorgerufen. Immer größer wurden die Scharen, die sich um ihn sammelten. Um die Osterzeit dieses Jahres stand sein Wirken und der äußere Erfolg desselben auf seiner Höhe. Aber eben da war eine Wendung eingetreten. Je rückhaltloser und rücksichtsloser Jesus mit seinen sittlichen Forderungen und mit der Bedingung der völligen inneren Hingabe an seine Person hervortrat, um so mehr stieß er die zurück, denen es etwa nur um ein äußeres Reich Gottes, aber nicht um ihn zu tun war. Es trat eine Scheidung ein. Und Viele begannen sich von ihm zurückzuziehen. Seitdem zog sich auch Jesus je länger je mehr von der Menge zurück und widmete sich immer ausschließlicher seinem nächsten Jüngerkreis, um sich in diesem den Kern seiner zukünftigen Gemeinde zu sichern. So ging der Sommer dahin und der Herbst nahte. Um diese Zeit war es, dass Petrus jenes Bekenntnis im Namen der Jünger ablegte: du bist Christus des lebendigen Gottes Sohn. So weit hatte sie Jesus in ihrer inneren Entwicklung gefördert, dass dieses Bekenntnis die reife Frucht ihres eigenen inneren Glaubenslebens war. Da konnte ihnen denn auch Jesus seinen bevorstehenden Tod nicht länger vorenthalten. Bisher hatte er davon geschwiegen; denn sie konnten es noch nicht tragen. Nun da sie in ihm den Sohn Gottes erkannt, konnte er nicht länger schweigen. Zwar, es war ihnen auch jetzt noch schwer und unverständlich genug. Aber sie mussten lernen es wenigstens zu hören und zu vertragen. Da er sich anschickte Galiläa zu verlassen, für immer zu verlassen, begann er von seinem Tod zu ihnen zu reden. Doch bevor er es verließ, gab der Vater ihm selbst und er den Vertrautesten seiner Jünger eine Stärkung mit auf den Weg, in der Verklärung. Moses und Elias, diese beiden Vorbilder seines wunderbaren Abschiedes von der Erde und Hingangs zu Gott, erschienen ihm und redeten mit ihm von dem Ausgang, den er nehmen sollte zu Jerusalem. Das war der Schluss seiner galiläischen Zeit. Nun trat er die Todesreise an. Zwar lag fast noch ein halbes Jahr dazwischen, zwischen seinem Tod und jetzt. Aber der Weg führte ihn doch, wenn auch langsam hin in das Land seines Todes und seine Seele war ganz von diesen Gedanken erfüllt. „Da die Zeit erfüllt war, dass Jesus sollte von hinnen genommen werden, wandte er sein Antlitz stracks gen Jerusalem zu wandeln.“ Begleiten auch wir ihn auf seinem Todesgang!

Er will seinen Weg durch Samarien nehmen zu den Grenzen Judäas. Er sendet etliche Jünger als Boten voraus, in einem gastfreundlichen Haus ihm Herberge zu bestellen. Aber sie erfuhren in allen Häusern des Ortes, wo Jesus herbergen wollte Zurückweisung: man wollte nichts von einem jüdischen Messias wissen. Zwischen den Juden und Samaritern war eine alte Nationalfeindschaft, und es verletzte die Nationaleitelkeit der Samariter, dass Jesus sich zu den Juden und nicht zu ihnen bekannte. Sei es, dass sie von jenem Wort vernommen das Jesus in früherer Zeit zu jenem samaritanischen Weib am Jakobsbrunnen gesprochen: „das Heil kommt von den Juden“ sie hatten genug von ihm gehört, um zu wissen, dass er sich immer wieder auf die Propheten des Alten Testaments berief, von denen die Samariter nichts wissen wollten, und, dass er lehrte, er sei gekommen die Weissagung zu erfüllen, welche die Samaritaner verwarfen. Das war es, weshalb ihnen Jesus nicht recht war, weil er nicht nach ihren Gedanken war; und darum wiesen sie ihn ab, weil er ihren Vorurteilen und Einbildungen widersprach. In ihm aber haben sie die Gnade Gottes abgewiesen. Bleiben wir hierbei stehen.

Jesus sendet Boten vor sich her. Das ist durchweg die Art der göttlichen Gnade. Nicht unangemeldet tritt sie herein in die Welt, in unser Leben, nicht unvorbereitet sollen wir sein, damit wir nicht sollen sagen können: wir haben die Gnade Gottes nicht erkannt, oder sie hat uns überrascht.

Die ganze Welt vor Christo ist eine große Vorbereitung auf ihn, eine immer erneute Ankündigung dessen der kommt. Die Propheten Israels nicht bloß, auch die großen Lehrer der Heiden, so viele ihrer in ihren Seelen einen Schimmer von der ewigen Wahrheit empfangen hatten und davon Zeugnis gaben; nicht bloß die Wahrheiten die sie verkündigten, selbst die Irrtümer die sie predigten - es sind Botenstimmen von dem, welcher die Wahrheit selbst sein sollte und der Nacht des Irrtums ein Ende machen und uns von dem Betrug der Sünde frei machen sollte durch die Macht seiner erlösenden Wahrheit. Wie die Sterne den kommenden Tag verkündigen der auf die Nacht folgen soll, so haben ihn, die ewige Sonne der Geister, die leuchtenden Sterne am nächtlichen Himmel der Welt der Menschen geweissagt.

Aber Jesus hat nicht bloß vordem seine Boten gehabt, er hat sie auch jetzt noch, er hat sie stets. Wenn schwere Zeiten und trübe Tage kommen für ein Volk, für eine Stadt; wenn über einen Menschen das Leid hereinbricht mit Macht - was bedeutet ein solches Geschick und was will es dem Volk, der Stadt, was will es uns sagen? Alle Dinge, die uns umgeben, sind ebenso viele Gottesstimmen, die zu uns reden. Verstehen wir sie nur! Hat der HErr uns gelehrt in dem Gras des Feldes die Gedanken Gottes zu lesen, sollen wir nicht vielmehr aus den Erfahrungen des Lebens die ewigen Gottesgedanken vernehmen? Gott sendet die Werke seiner Macht vor ihm her, dass sie seiner Gnade den Weg bereiten sollen. Das sollen wir lernen. Wenn Gott ein Volk, eine Stadt, einen Menschen schlägt - es ist die Macht des Allmächtigen, die ihn trifft und beugt und der er nicht zu widerstehen vermag. So demütiget euch nun unter die gewaltige Hand Gottes! Aber Gott ist mehr als bloß die Macht und reicht weiter als seine Gewalt. Die Majestät baut ihm den Stuhl, auf dem er thront, und bahnt ihm den Weg, wenn er einhergeht, und sendet seine Boten vor ihm her, wenn er naht. Aber er selbst ist die ewige Gnade, welche über der Majestät thront und hinter den Boten der Macht einherzieht. Und auch wenn seine Hand uns schlägt seine Hand wird von seinem Herzen regiert, und in seinem Herzen walten Friedensgedanken.

Geliebte! Kein Leben ist ohne Trübsal. Wir brauchen die Trübsal. Zwar wir sollen Gott niemals vergessen, und auch das Glück demütigt; aber so sind wir nun einmal geartet, dass wir der Trübsal nicht entbehren können. Die besten Früchte unseres inneren Lebens verdanken wir ihr. Wenn Trübsal da ist, sucht man Gott und ist seine Gnade auch am nächsten, nicht bloß äußerlich, sondern dem Herzen am nächsten. Das sind die Boten, die die Nähe des HErrn verkündigen. Das sind die Stunden seiner Heimsuchung.

Ein jedes Christenleben hat solche Stunden der Heimsuchung, in denen die Gnade uns näher tritt als sonst. Zuweilen fasst uns der HErr so, dass es uns durch Mark und Bein geht und unsere Seele im Innersten erbebt; zuweilen löst sich vor seiner milden Gewalt die ganze Starrheit unseres Wesens in weiche Hingebung und Empfänglichkeit auf; zuweilen sind es längere Zeiten der inneren Arbeit in uns selber; zuweilen sind es einzelne Momente, welche einschlagen; zuweilen ist es ein Wort das uns im Innersten trifft; zuweilen sind es persönliche Eindrücke, ehrwürdige Menschen etwa, mit denen unser Lebensweg uns zusammenführt und die zu Boten Gottes für unsere Seele werden - o selig wem solche im Leben begegnen, deren Gedächtnis das ganze Leben hindurch im Segen fortwirkt! - immer sind es die Zeichen seiner Nähe, Boten seiner Gnadenheimsuchung. „Und er sandte seine Boten vor ihm hin.“

Und wenn er selbst dann kommt, so kommt er mit dem Friedensgruß. Friede sei mit diesem Haus, mit diesem Herzen. Heute ist diesem Haus, ist diesem Herzen Heil widerfahren. Es geht in keinem Menschenherzen, es geht in keinem Haus ohne Schwankungen und Trübungen ab. Aber es kommt auf den Geist an, der darin wohnt und welcher aller einzelnen Schwankungen und Stimmungen immer wieder Herr wird - ob dies der Geist des Friedens ist oder nicht. Der Geist des Friedens aber herrscht nur, wo die Gnade weilt. Die Gnade Gottes aber heißt Jesus Christus.

„Und sie nahmen ihn nicht an.“ Dies Wort spricht eine ganze Geschichte aus. Und welch eine große Geschichte! Eine Geschichte aller Zeiten, eine alte und immer neue Geschichte Gott gebe nicht auch unsere Geschichte! Wie oft hat sie sich wiederholt! Man weist ihn ab, man verschließt ihm die Türe.

Er steht gleichsam vor Ländern und Völkern - wie lange! - Einlass begehrend. Er hat seine Boten hingesandt, die ihn ankündigen und ihm Herberge bereiten sollen. Man lässt ihn stehen oder man weist ihn ab. Ein großer Teil der Geschichte der Mission besteht aus solchen Erfahrungen. Wie viele Häuser, wie viele Herzen sind es in der Christenheit, in denen er keine Herberge gefunden hat! Hat er nicht darum gebeten? Wo ist ein Haus, wo ist ein Mensch rings um uns her, zu dem nie eine Botenstimme des HErrn gekommen wäre, bei welchem niemals der HErr sich angemeldet hätte? Wir stehen in der Zeit der Konfirmation. Ist nicht jede Konfirmation eines Kindes eine solche Anmeldung Christi: ich möchte Herberge bei euch halten? Und was sonst noch? Jede Freude und jedes Leid, jede Geburt eines Kindes und jeder Tod. Wer will sagen: mir hat er sich nicht angemeldet, ich habe seine Boten nicht gesehen? Man weist ihn ab, vielleicht ganz höflich, in den glattesten Formen - aber es ist doch Ablehnung. Noch sind wir nicht so weit gekommen, dass es als ein besonderes Lob gälte, ein sogenannter starker oder freier Geist zu sein d. h. ein Widerchrist. Wohl, es fehlt nicht an solchen; es gibt ihrer genug. Aber im Großen und Ganzen hält man es so man rechnet es wohl zum guten Ton oder zur Bildung, dass man nicht direkt widerspricht und Opposition macht in den Fragen der Religion. Man lässt es sich etwa gefallen und hört es mit an; aber man lehnt es ab. Man darf wohl sagen: das ist im Ganzen und Großen die Richtung und Haltung des gesamten modernen Geistes Jesu Christo gegenüber: Ablehnung.

Warum das? Sie nahmen ihn nicht an darum „weil er sein Angesicht gewendet hatte zu wandeln gen Jerusalem.“ Sie wollten nichts von einem jüdischen Messias wissen. Dass das Heil von den Juden kommen solle, war ihnen unerträglich. Ähnlich ist es auch jetzt. Das Evangelium von Jesu Christo lautet zu jüdisch. Es hat zu wenig vom abendländischen Geist. Diese ganze göttliche Torheit des Evangeliums, diese Predigt vom Kreuz, von einem ewigen Sohn Gottes der für uns Mensch geworden, am Kreuz gestorben und auferstanden das ist eine uns so fremde Welt geworden, das stimmt so wenig mit der Welt in der wir heimisch geworden sind, etwa durch unsere Dichter und Schriftsteller, das verträgt sich so wenig mit dem was wir etwa aus der schönen Literatur gelernt haben und womit wir uns täglich nähren; wir sind gewohnt die großen Geister dieser Literatur für unser Evangelium anzusehen, und sollen nun lernen uns und sie unter jene törichte Predigt vom Kreuz zu beugen - ja wenn das Evangelium etwas anders sein wollte, wenn es nicht so vieles Wunderbare und Unverständliche bringen wollte, wenn es unserem Glauben nicht so starke Zumutungen stellen wollte, wenn es nicht so herb und streng, nicht so rücksichtslos und störend in unser gewohntes Denken und Leben hineintreten und so unverträglich mit demselben sein wollte dann wollte man sichs wohl gefallen lassen, aber so? So lauten die Reden oder wenigstens die Gedanken auch bei solchen, die nicht ohne alles Interesse des Geistes am Evangelium sind, denen aber das beste Interesse, das des Herzens und Gewissens daran fehlt, und die darum das Wort nicht verstehen können: Also auch ein Jeglicher unter euch der nicht absagt Allem das er hat, kann nicht mein Jünger sein. Es gibt nur Einen Weg dieses Wort zu verstehen. Der ist: sich selbst zu verstehen d. h. seine Sünde verstehen und so erkennen, dass man Jesum braucht. Wo dies nicht ist, ist aller Rede Sinn stets nur das Nein. Man weist ihn ab. Wir sollen aber wissen, dass uns die Gnade Gottes nahe gewesen ist. Wir haben die Gnade abgewiesen.

Geliebte! Wer von uns kann sagen, dass er das nicht getan? Oft genug; lange genug! Es ist ein Stück eigenster Lebenserfahrung von uns, was ich ausspreche, wenn ich von der Abweisung der Gnade spreche. Aber Gottlob, auch ein Stück unserer eigenen Lebenserfahrung, wenn ich von der Geduld der Gnade spreche.

2.

Diese zeigt uns die andere Hälfte unseres Textes, die Geduld der Gnade. „Da aber das seine Jünger, Jakobus und Johannes, sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle, und verzehre sie, wie Elias tat? Jesus aber wandte sich, und bedrohte sie, und sprach: Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“

Es ist wie jenes bittende Wort im Gleichnis vom Feigenbaum: lass ihn noch dies Jahr! Erkennen wir die Geduld der rettenden Gnade an dem Gegensatz der Jünger und des HErrn!

Der Zorn und Eifer der Jünger ist so begreiflich, und er hat so große Vorbilder im Alten Testament, vor Allem an der mächtigen Prophetengestalt des Elias, der seine Verfolger, die Häscher des gottlosen Königs Ahab, als sie ihn greifen wollten, durch Feuer vom Himmel tötete. Aber Elias ist der Prophet des Gesetzes, nicht ein Prophet des Evangeliums. Jenes war sein Beruf, aber auch seine Schranke. Als Erdbeben und Sturmwind und Feuer vor ihm vorüberzog, da blickte sein Auge fest. Dem Geist, der hieraus zu ihm sprach, dem fühlte er sich vertraut. Als aber der HErr selbst kam im stillen sanften Säuseln, da verhüllte er sein Angesicht vor dem HErrn. Der Geist des Evangeliums war nicht sein Geist; ihn fühlte er als einen höheren Geist; vor diesem beugt er sich. Es war der Geist der Zukunft. Wohl, in Gott selbst ist beides: Zorn und Erbarmen, denn er ist der Heilige wie er der Gnädige ist. Aber es hat Alles seine Zeit, und seine Offenbarung hat ihre Stufen. Die Zeit des Neuen Testamentes ist die Zeit der Gnade und Geduld. Das sollen die Jünger wissen. Dieses Geistes Kinder sollen sie sein.

Dieses Geistes Kinder sollen auch wir sein. Es liegt uns so nahe ungeduldig und zornig zu werden über den Widerspruch und die Feindschaft, welche das Evangelium und das Wort von Christo in der Welt findet. Es ist der Eifer für die Ehre des HErrn der uns etwa fortreißt - und uns der tragenden Liebe vergessen macht. Aber auch dieses Große und Berechtigte, den Eifer für seine Ehre, stellt der HErr unter das Gesetz der Liebe und der Geduld. Dass sie dies nicht getan haben, war das Sündige an dem Eifer der Jünger und ist das Sündige an unserem Eifer. Es fällt uns so schwer den Widerspruch gegen Christus in Geduld und Glaube zu tragen, und wir vergessen, dass Gottes Gnade uns doch selbst tragen muss, und so viel Widerstreben gegen seine Gnade in uns tragen muss, und von Jahr zu Jahr uns trägt. Es ist eine bewundernswürdige Geduld mit der Gott die Welt und uns selbst trägt. Viel ist bewundernswürdig an der göttlichen Weltregierung, aber nichts so bewundernswürdig als die Geduld, mit der er diese Welt der Sünder und das Widersprechen von den Sündern trägt, mit der er uns selbst trägt. Wäre Gott nicht der Gnädige, er wäre auch nicht dieser unbegreiflich Geduldige. Es ist seine Gnade, welche diese tragende Geduld übt. Seine Gnade aber ist die rettende Gnade. Denn er trägt, um zu retten.

Die Samaritaner weisen Jesum ab und er geht fort. Aber im Herzen nimmt er sie mit, auf seinem betenden Herzen trägt er sie mit fort und bereitet so ihr zukünftiges Heil. Es kam die Zeit auch für Samarien, wo es sich bekehren sollte zu ihm. Die Apostelgeschichte erzählt uns die Bekehrung Samariens. Da haben die Jünger Jesu die Frucht der Geduld des HErrn geerntet. Und manche Zeugen Jesu Christi hat Samarien der Kirche und der Welt gegeben: jenen vor Allem, der eine Zierde der ersten Christenheit war, Justin den Märtyrer. Das ist der Triumph der Gnade den ihr die Geduld bereitet.

Der HErr zieht fort und es scheint als kümmere er sich nichts mehr um dieses widerspenstige Volk. Sein Fuß hat die Grenzen ihres Landes nicht mehr betreten. Und wie zur Strafe für ihren Widerspruch gegen die Wahrheit sind die Samaritaner den Lügen des Zauberers Simon zur Beute gefallen. Aber das sind die Umwege, welche die Gnade geht. Auf solchen Umwegen rettet sie die Seelen.

Die Gnade wartet, oft lange; es kann scheinen als lasse sie den Menschen im Stich, als sei sie unempfindlich dagegen, dass er sich in Irrtum verstrickt. Aber sie wartet auf die Erfüllung der Zeiten. Wenn die Zeit der Vorbereitung zu Ende ist, dann tritt sie ein. Die Ungeduld würde verderben, was ihre Geduld erreicht: die Rettung der Seelen.

Gott führt uns auf verschiedenen Wegen zu demselben Ziel. Bei den Einen antwortet seinem Rufe die Empfänglichkeit: hier kehrt er ein. Bei den Anderen muss er zur Empfänglichkeit erst auf langen Umwegen erziehen hier scheint er ferne zu ziehen. Aber er überlässt solche nur darum sich selbst, damit sie erkennen lernen, wie bald sie am Ende sind. Und etwas davon müssen wir Alle erfahren. Denn bei uns Allen hat Gott dieses Widerstreben unserer Einbildung zu überwinden. Wenn wir sehen, dass alles Andere nichts ist was wir für ein großes Gut geachtet haben; wenn wir erfahren, dass unsere Sünde Betrug ist die uns eine Lust zu sein schien, und unsere Irrtümer Irrtümer sind, die wir für Wahrheiten hielten; wenn unsere geistreichen Gedanken alle uns im Stich lassen und nicht mehr nachhalten wollen; wenn die großen Geister der Menschheit, die uns wie Götter däuchten1), uns ohne Antwort und ohne Frieden lassen, wenn wir die Wahrheit Gottes und seinen Frieden suchen wenn wir so selbst zu Ende sind, dann wird die Zeit der Gnade kommen; diese Zeit hat sie in Geduld abgewartet. Aber das ist auch ihre letzte Zeit; denn das ist ihr letztes Mittel. Wenn uns unsere Hilflosigkeit nicht zu ihr bringt, so vermag uns nichts zu ihr zu bringen. Es kann auch diese Zeit für uns verloren und auch die Geduld der Gnade für uns vergeblich sein.

Gewiss, Christus ist gekommen selig zu machen das verloren ist. Denn des Menschen Sohn ist nicht gekommen der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten, zum ewigen Leben. Denn er ist des Menschen Sohn, d. h. er ist unser Ziel, das Ziel unseres Geschlechts, das Ziel einer jeden einzelnen Seele, das Ziel auch unserer Seelen. Er will uns Alle zusammenschließen und mit Gott verbinden. Dies ist unser Ziel. Es liegt eine jede Seele ihm am Herzen. Denn eine jede ist für die Ewigkeit geschaffen und für die Seligkeit. Des Menschen Sohn ist nicht gekommen der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten. Aber wenn wir nicht wollen? Gott selbst kann uns nicht selig machen wider unseren Willen. Selig aber werden wir nur wenn wir von Christus uns retten lassen wollen.

Gewiss, so lange wir leben ist für uns die Zeit der Gnade, auch die Geduld der Gnade. Aber wie lange wir leben - wer weiß es? Und einst kommt eine Zeit des Gerichts, der Tag der großen Abrechnung.

Jesus Christus ist nicht gekommen zu richten, sondern zu retten. Aber wenn er wiederkommen wird, wird er als Richter kommen. Und dieser Tag des Gerichts ist gewiss. Denn Gott hört nicht auf der Heilige zu sein, auch wenn er der Gnädige ist.

Schon im Laufe der Zeiten vollzieht sich sein Gericht an den Einzelnen wie an den Völkern. Aber alle diese Gerichte sind ein Vorspiel der letzten großen Abrechnung, die er halten wird. Und sein letztes Wort über die, welche verloren gehen, wird sein: und ihr habt nicht gewollt!

So achten wir denn die Geduld Gottes für unsere Seligkeit! So lange es für uns noch heute heißt, so lange wir in der Zeit der Gnade leben, lasst uns die Gnade ergreifen, die uns retten will! Unsre Errettung aber ist das Kreuz Jesu Christi. Hier ist die rettende Gnade. So lasst uns denn in diesen Wochen, die nun bevorstehen, Jesum im Geist begleiten zu seinem Kreuz! Amen.

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