Luthardt, Christoph Ernst - Unsre Wallfahrt zu Jesu Christo.

Luthardt, Christoph Ernst - Unsre Wallfahrt zu Jesu Christo.

Predigt am Epiphanienfest über Ev. Matth. 2,1-12.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unsrem Vater und unsrem HErrn Jesu Christo! Amen.

In dem HErrn Geliebte! Das Epiphanienfest, das wir heute feiern, ist eines der ältesten christlichen Feste. Sein Name bedeutet Erscheinung, nämlich die Erscheinung der Herrlichkeit Jesu Christi; und sein Gedächtniß galt zunächst, in der griechischen Kirche, der Taufe Jesu, weil in dieser zuerst die bis dahin verborgene Herrlichkeit Jesu kund und offenbar geworden sei in Israel. Im Abendlande aber feierte man an diesem Tage die erste Offenbarung Jesu an die Heiden, als deren Erstlinge die Weisen aus dem Morgenlande von jeher galten, welche kamen den König Israels zu begrüßen. Und auch der Hochzeit zu Kana, auf welcher Jesus sein erstes Zeichen gethan und seine Herrlichkeit offenbarte, wie Johannes sagt, gedachte man an diesem Tage. Denn auch von diesem Wunder glaubte man, daß es auf denselben Tag, den 6. Januar, falle. Aber von allen drei Begebenheiten hat die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenlande in unseren Kirchen den Sieg davon getragen. Das Wunder auf der Hochzeit zu Kana bildet das Evangelium am zweiten Sonntag nach Epiphanias; und so hochwichtig das Gedächtniß der Taufe Jesu ist - wir möchten das festliche Gedächtniß jener Geschichte doch um keinen Preis missen, denn sie schließt sich wunderlieblich an Weihnachten an. „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“, lautet die Weihnachtsepistel. Sie ist erschienen, antwortet Epiphanias, der Heiden Weihnacht.

Jesu Aeltern, die Hirten auf dem Felde, Simeon und Hanna und die Andern zu Jerusalem die auf die Erlösung warteten, das waren die Erstlinge aus Israel; diese Weisen hier, das sind die Erstlinge aus den Heiden. So stellt sie der Evangelist Matthäus auch den Juden gegenüber, zu den Juden ist Jesus gekommen und sie verwerfen ihn, die Heiden kommen aus der Ferne zu Jesus und huldigen ihm.

Gebe Gott, daß wir alle diesen unsern Vorgängern nachfahren und auch im rechten bußfertigen Glauben lernen unsre Kniee beugen vor dem König Israels.

Text: Matth. 2, 1-18.
Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenlaude gen Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborne König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande, und sind gekommen ihn anzubeten. Da das der König Herodes hörete, erschrak er, und mit ihm das ganze Jerusalem; und ließ versammeln alle Hohepriester und Schriftgelehrten unter dem Volk; und erforschete von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Lande. Denn also stehet geschrieben durch den Propheten: Und du Bethlehem im jüdischen Lande bist mit Nichten die kleinste unter den Fürsten Juda; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein Herr sei. Da berief Herodes die Weisen heimlich, und erlernete mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erschienen wäre; und wies sie gen Bethlehem, und sprach: Ziehet hin, und forschet fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr es findet, so saget mirs wieder, daß ich auch komme und es anbete. Als sie nun den König gehöret hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenlande gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis daß er kam und stand oben über, da das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut; und gingen in das Haus, und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder, und beteten es an, und thaten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, daß sie sich nicht sollten wieder zu Herodes lenken. Und zogen durch einen andern Weg wieder in ihr Land.

Wir finden die Aeltern Jesu zu Bethlehem. Von der Darbringung im Tempel waren sie wohl erst vor Kurzem zurückgekehrt, und hatten ihr neugegründetes Hauswesen hier eingerichtet in Bethlehem, damit der Sohn Davids in Davids Stadt heranwüchse. Da kommt dieser wundersame Besuch aus fernen Landen, und an seinen Abschied schließt sich sofort die Flucht nach Aegypten an und später die Uebersiedlung nach Nazareth.

Die Weisen aus dem Morgenlande sind eine verschwindende Erscheinung: sie kommen, sie gehen, wir wissen nicht von wannen sie sind und wohin sie gehen; Zahl und Name und Heimath und ihr Leben und Sterben - es ist uns Alles unbekannt. Wie der Stern am Himmel, der sie leitete, so sind sie selbst auf Erden - wie eine lichte Erscheinung die aus dem dunklen Hintergrunde plötzlich hereintritt in den Kreis der heiligen Geschichte, um bald wieder zu verschwinden im Dunkel. Aber um so mehr sind sie ein Zeichen für Israel, eine Weissagung für uns. Daß auch die Heiden sich zu Jesus wenden und ihn finden sollen; wie die Völker, wie die Einzelnen zu Jesus kommen: das stellen sie uns dar. Sie sind das Vorbild der Gläubigen aus den Heiden geworden. unser Vorbild.

Durch alle Zeiten geht ein Wallfahren nach Bethlehem zu Jesus: sie führen die Pilgerschaar an. Ein Zug der Sehnsucht zieht alle christliebenden Herzen hin nach jenen heiligen Stätten, den Boden zu küssen, wo sein Fuß geweilt, an der Stätte zu knien, wo er für uns gestorben. Aber der, den wir suchen, ist allenthalben uns nahe, und wo er ist, da ist Bethlehem und Jerusalem. Aus der Welt zu ihm geht unsre Reise, von der Erde zum Himmel unsre Wallfahrt. Pilger sind alle Menschen, Keiner hat hienieden eine bleibende Stätte. Aber wie Viele sind es, denen das Leben nur eine Reise zum Heiland ist? Gott lasse uns sein Antlitz leuchten, daß wir auf Erden erkennen seinen Weg, unter allen Völkern sein Heil! So laßt uns denn betrachten:

Unsre Wallfahrt zu Jesu Christo.

  1. Der Ruf zum Aufbruch,
  2. Die Prüfung auf dem Wege, und
  3. Der Lohn am Ziele,

das sind die drei Stufen unsrer Reise, Anfang, Mitte und Ende derselben.

1.

Der Ruf zum Aufbruch ist das Erste: denn der Aufbruch ist der Anfang der Reise. Wir würden aber nimmermehr daran denken oder es über uns gewinnen die Bande zu lösen, die uns an die Welt binden, und uns aufzumachen Jesum zu suchen und zu finden, wenn nicht sein Ruf uns ins Herz dränge und erweckte, und sein Licht uns erleuchtete und leitete.

Darin haben wir jene Pilgrime zum Vorbild. Der Stern war der Ruf Gottes an sie und sein Glanz das Licht auf ihrem Wege. Weise oder Magier heißen sie, das ist Verständige der religiösen Wissenschaften, wohl ihres Standes Priester aus einem Lande im Osten, vielleicht vom Euphrat her. Heiden sind es, die nach dem König der Juden fragen und ihn finden, zum Zeichen, daß auch den Heiden Christus ein Heiland geboren ist. Wie tröstlich ist uns das! Denn auch wir sind aus den Heiden. Was hülfe uns Jesu Geburt, wüßten wir nicht, daß er auch uns den Heiden geboren ist? Was hülfe uns Weihnachten, folgte nicht Epiphanias darauf? Nun aber sind auch die Heiden berufen, gleich beim Beginn der heiligen Geschichte berufen, zur Gemeinschaft Jesu und seines Heils, und sind den Juden vorangekommen, durch den Dienst Israels zum Heiland gewiesen. Das ist zum Vorbild geschehn und ist uns zum Trost und zur Ermahnung ausgezeichnet.

Sie machen sich auf und kommen nach Jerusalem und fragen nach dem neugebornen König der Juden, denn „wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande, sprechen sie, und sind gekommen ihn anzubeten.“ Wie kommen diese Heiden dazu, auf einen König Israels zu warten, in einem Stern seine Geburt zu lesen, und die weite Reise nach Jerusalem zu machen, um ihm ihre Huldigung darzubringen?

Wenn Gott etwas Neues, etwas Großes schaffen will auf Erden, so weckt er zuerst ein Gefühl davon in den Gemüthern der Menschen. Es mag unklar sein; aber daß es da ist, ist unleugbar; unwillkürlich und unabwendbar drängt es sich der Empfindung auf. So ging ein Geist der Erwartung und des Verlangens damals durch die Völker, weithin eine Ahnung durch die Gemüther und eine Sage durch die Länder, daß eine neue Zeit anbrechen werde für die alte Welt. Nach Osten blickten die Völker des Westens und nach Israel wiesen alte Weissagungen hin. Zwar jener Spruch Bileams, des berühmten Propheten vom Chaldäerlande: „es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Scepter aus Israel aufkommen“ war wohl längst verklungen; denn anderthalb Jahrtausende waren seitdem verflossen. Aber in späteren Tagen hatten die Gefangenen Israels ihre Hoffnungen in jene Länder am großen Strom getragen und alte Ahnungen durch ihr Wort der Weissagung lebendig gemacht.

Jahrhunderte waren seitdem vergangen, die alte Kunde war bleich, das Wort der Hoffnung war leise geworden, und doch halten diese frommen Priester fest an der gläubigen Erwartung, daß der König der Völker erscheinen werde in Israel. Es ist eine innere Stimme, die Stimme des Gewissens, welche das Wort der Hoffnung in ihren Herzen nicht ersterben läßt. Wir sind zur Gemeinschaft Jesu erschaffen; sie ist das Gesetz unsres Daseins; erst in ihr finden wir die Wahrheit unsres Lebens; so lange wir ferne von ihm sind, sind wir voll Unruhe und werden den Stachel nicht los der uns treibt. Alle kennen diese Unruhe, so viele ihrer nur sich selber kennen und nicht mißdeuten. Sie ist der geheime, unbewußte Zug zu Jesus, ein Zug des Vaters zum Sohne. Es ist etwas überaus Zartes und Heimliches um diesen Zug. Aber so zart er ist und so innerlich verborgen, so mächtig ist er und so andringend. Er macht den Menschen unglücklich, wenn er sich ihm entziehen will; er ist der Weg des Friedens für ihn, wenn er sich von ihm weisen läßt. Aber zu dieser inneren Stimme muß die äußere Botschaft Gottes hinzukommen. Zu jenen Priestern redete Gott durch einen Stern.

Am Abend pflegt die Seele stille zu werden, ein Gefühl der Sehnsucht, des Heimwehs überkommt uns dann, und es ist uns zuweilen, als ob die Abendwinde uns Botschaft brächten von einer vergangenen seligen Zeit der Gemeinschaft mit Gott, von einer anderen Welt, einer seligen Welt Gottes. Da gehen die Sterne auf am Himmel und wir fühlen es, daß Gott durch diese zu uns reden will. So ist für jene Weisen der neue Stern den sie sahen zu einem Wort Gottes an sie geworden.

Ein Zeichen im Reich der Natur gab ihnen Gott, das Wort seiner Gnade abzubilden. Denn in die Bildersprache der Natur hat Gott die Geheimnisse seines Himmelreichs geschrieben. Wer Augen hat zu lesen, der schaut sie hier im Gleichniß. Ein Zeichen am Himmel gab Gott, die himmlische Gabe im Sohne Gottes, der vom Himmel gekommen, anzuzeigen; am nächtlichen Himmel: denn in der Nacht der Welt sollte das Licht anbrechen in Jesu. Endlich durch einen Stern redete Gott zu den Sternkundigen; denn er schickt sich in der Menschen Weise und Sprache. Durch einen neuen Stern, von dem ihre Sternwissenschaft nichts wußte, machte er ihnen den Anfang der neuen Zeit in Jesu Christo kund. Und warum nicht durch einen Stern? Sind sie nicht auch geschaffen zu Gottes Dienst? Wenn die Morgensterne den Schopfer lobten, sollte nicht ein Stern als Morgenstern des neuen Tags Herold und Bote des Erlösers sein? Zwar von dem Geschick der Menschen sagen die Sterne nichts und Sterndeutern ist Aberglaube. Aber Gottes Thaten zu verkünden und zu preisen sind sie wohl geschickt. Und wenn Gottes Herz in Liebe sich regt gegen die Menschenkinder, soll diese Regung nicht auch durch das Leben der Natur hingehen, daß auch des Himmels Kräfte sich bewegen? Und wenn eine große Zeit um ist auf Erden, sollte das nicht haben sichtbar werden können in den Sternen, die geschaffen sind Zeichen der Zeiten zu sein?

Es ist der Bund der Natur und der Gnade, den uns jener Stern vor Augen stellt. Denn die Gnade ist es, die auf den Wegen jener Naturerscheinung einhergeht. Das ist die Weise der ewigen Gnade, sich in das Gewand des natürlichen Erlebnisses zu kleiden. Was die Augen zunächst schauen, ist Natur; aber was dahinter steht, ist Gnade. Wer nur schauen will, was die Sinne erreichen, der kann die Gnade leugnen; wessen Augen aber auf den Grund dringen, der schaut die Gnade zu deren durchscheinender Hülle nur die Natur geworden ist. Mannigfaltig ist die Art, in welcher uns Gott so ruft und weckt, verschieden die Mittel die ihm dazu dienen: ein Ereigniß, ein Erlebniß das er uns schickt, eine Freude, ein Schmerz den er uns bereitet, eine Neigung oder eine Wunde die er berührt - je nachdem er weiß, daß er unser Inneres trifft. Zuweilen ist's ein Schlag, daß uns die Ohren gellen, oder wie ein Blitz der uns in die Augen leuchtet, oder es ist ein Gefühl der stillen Wehmuth das uns überkommt und die Eisrinde des Herzens schmilzt, daß der Bach unsres Lebens sich ganz in das Meer seiner Liebe ergießen mochte. Immer ist's ein Ruf Gottes, mit dem er uns zu Jesus ruft. Hier sollen wir Ruhe finden für unsre Seelen. Es ist wundersam, wie Gott zu den Seelen redet. Zu einer jeden so, wie sie es gerade versteht. Einer andern ist oft unverständlich, was dieser, der es gilt, die deutlichste lauteste Rede ihres Gottes ist; und was ein Anderer oft gar nicht merkt, ist Diesem überwältigend. Es versteht es ein Jeder im Grunde allein, was und wie Gott innerlich mit ihm handelt und seiner Seele zuspricht. Immer aber ist's dieselbe Gnade, welche uns zuruft: mache dich auf!

Aber alle andere heimliche Rede Gottes wird erst deutlich durch Gottes Wort. Dieß ist der Stern, der alles äußere oder innere Erlebnis; uns licht macht und in das Licht seiner Erleuchtung stellt. Was uns Gott schickt, es muß Alles dem Werke dienen, welches das Wort Gottes an uns üben will. Verschieden ist sein Werk und seine Arbeit an den Seelen, je nachdem es Noth thut: den Sünder strafen, den Sicheren schrecken. Betrübte trösten und Gebeugte aufrichten. Suchende weisen und Fragende bescheiden, den Matten starken, den Verschmachtenden erquicken-für Alle ist er reich genug. Unwiderstehlich ist sein süßer Laut, überwältigend sein heiliger Ernst. Wir können uns ihm nicht entziehen, wenn wir's auch versuchen wollten. Und was wollten wir anfangen auf Erden ohne das Wort? Es ist unsres Fußes Leuchte und ein Licht auf unsrem Wege. Sein Ruf aber heißt: mache dich auf! Wer Jesum suchen und finden will, muß die Bande lösen, die ihn bis dahin banden, und dahinten lassen Alles was ihm lieb war, und mit seinem Herzen allein bedacht sein Jesum zu suchen.

Ihrer Viele sahen den Stern: aber nur jenen Weisen war er ein Ruf zum Aufbruch. Aus der Unruhe und Sehnsucht des Herzens und aus der Botschaft Gottes wird der erste anfangende Glaube geboren, welcher die Bande der Weltgemeinschaft löst und sich aufmacht Jesum zu suchen. Aber es ist nicht genug einen Anfang zu machen, der Glaube muß sich erproben in der Prüfung.

II.

Die Prüfung auf dem Wege - das ist das Andere. Sie bleibt Keinem erspart. Es besteht in der Prüfung aber nur der Glaube, der wirklich Glaube ist. Das aber ist nicht ein rechter Glaube, der bloß ein Gedanke des Verstandes oder ein Gedicht des Herzens, eine Empfindung oder Stimmung, eine Bewunderung oder Freude etwa an den Geheimnissen oder Schönheiten des Wortes Gottes ist, sondern der Gehorsam des Willens gegen dasselbe. Hätten es die Weisen blos bei jenem bewenden lassen, so hätten sie sich wohl gefreut an der glänzenden Himmelserscheinung, etwa auch an der wundersamen Botschaft die der Stern ihnen brachte, aber sie wären zu Hause geblieben, hätten dann freilich auch Christum nicht gefunden. Aber ihr Glaube ist Gehorsam gegen Gottes Wort, das ihnen der Stern predigt. Darin beschämen sie unser Christenthum. An Gedanken und Gefühlen zwar ist unser Christenthum reich, aber an der ruhigen Sicherheit eines in Christo gewissen Herzens und an Gehorsam des Willens gegen Gottes Wort ist es arm. Darum ist es auch zumeist ein schwächliches und thatenloses Ding, das in jeder Prüfung zu Schanden wird. Denn die Prüfung soll dem Glauben nicht erspart werden.

Nicht gering war die Prüfung, welche jene zu bestehen hatten. Sie gehn auf die Reise den verheißnen König zu suchen: Niemand in weiten Landen weiß von ihm, mit Niemandem können sie von ihrer Hoffnung sprechen, an keines Andern Glauben ihren Glauben stärken; nur mit dem Stern am Himmel können sie stille Zwiesprache halten - und auch dieser entschwindet ihnen. So geschieht es wohl in der innern Führung der Seelen, daß uns Gort besonders nimmt von den Menschen, und uns löst von den Andern, daß wir uns an seiner Gemeinschaft und innern Zusprache genügen lassen sollen,- und nicht lange währt es, so hat er sich uns innerlich entzogen und uns ins Dunkel gestellt, wo wir ihn weder sehn, noch fühlen, noch finden können. Da kommt uns wohl der Gedanke, als sei unser ganzer Glaube Irrthum und was wir erfahren und empfunden eitel Betrug und Täuschung gewesen. Das gehört zu den schwersten Anfechtungen, die über uns kommen können. Es werden unter denen, die sich wirklich auf die Wallfahrt zu Jesu begeben, nur Wenige sein, die sie nicht erfahren. In unsrer Zeit zumal, wo der Glaube schwach, aber der Zweifel stark ist und der Geist der Reflexion das Metall der Zuversicht wie ein Rost zernagt. Es sind dunkle Stunden, diese Stunden qualvoller Unsicherheit über die innerste höchste Frage unsres Glaubenslebens, ob es Wahrheit sei oder Täuschung. Da liegt es wohl nahe, ihnen dadurch ein Ende machen zu wollen, daß man das Gewisse, wie man meint, für das Ungewisse erwählt und wie Israel in der Wüste sich nach Aegypten zurück sehnte, so zur Welt sich zurückwendet, die man verlassen um ein Gut zu erwählen, das entschwunden scheint. Aber wir müssen durch diese dunkle Straße. Glaube nur! So lange wir die Seligkeit der Gottesnähe im Herzen tragen, und die Zeichen der Gottesoffenbarung vor Augen sehen und wie mit Händen greifen, ist es nicht schwer zu glauben. Aber welcher Glaube solches nöthig hat, ist noch nicht rechter Glaube, ist noch nicht innerliche Gewißheit. Das ist eben des Glaubens Art, daß er glaubt ohne zu sehen und ohne zu fühlen. Und auch ohne von der Autorität anderer Menschen abhängig zu sein.

Denn so sehen wir's an unsern Pilgern. Sie kommen ins heilige Land - es ist Alles still, als wäre nichts geschehen; Niemand kann ihnen Bescheid geben auf ihre Fragen. Sie kommen nach Jerusalem - Niemand redet davon. Sie fragen darnach - Herodes erschrickt und mit ihn, das ganze Jerusalem; jener, weil er den Thronprätendenten fürchtet, Jerusalem, weil ihm vor Bürgerkrieg und vor dem rachgierigen Sinn des Königs bangt. Die Schriftgelehrten geben Bescheid aus der Schrift - aber Niemand kümmert sich weiter darum und entschließt sich die zwei Stunden nach Bethlehem mit ihnen zu gehen, um auch dem neugebornen König Israels zu huldigen. So stehn diese Heiden allein unter den Juden und in Jerusalem mit ihrer Hoffnung, und werden nicht irre in ihrem Glauben. Das ist es, daß der Glaube, wenn er rechter Art sein will, sich nicht gründen darf auf irgend welche menschliche Autorität, sondern unabhängig sein muß von allem Ansehn der Person, vielmehr in sich selbst ruhen in selbsteigener Gewißheit. Nur Eine Autorität kennt der Glaube und sie ist seine Stütze und Waffe in der Anfechtung der Prüfung, das ist Gottes Wort in der heiligen Schrift.

Zu der Gottesbotschaft im Stern tritt das bestimmte, klare Schriftwort hinzu, den Glauben fest und sicher zu machen. Dies ist die heilige und heilsame Ordnung Gottes. „Also stehet geschrieben“: das ist unsres Glaubens Gewißheit. Gott hätte ja die Weisen unmittelbar nach Bethlehem führen können durch den Stern. Aber es soll der Schrift ihre Ehre werden, uns zum Zeugniß und zur Weisung in der Stunde der Anfechtung. Durch die Schrift sollen wir Unsres Glaubens gewiß und froh werden. Das ist ihr Ruhm und ihr Preis. Wäre sie auch nur ein menschliches Buch, sie wäre ein wunderbares Werk, dem in allen Literaturen der Völker sich nichts Gleiches, nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermöchte. Aber sie ist mehr als ein Buch der Weisheit oder der Schönheit oder des Reichthums an Gedanken: sie ist die göttliche Antwort auf unsre Fragen, das Licht in unsern Nächten, die Zuversicht unsres Glaubens. Jene Weisen hatten nur einen einzelnen Spruch der Schrift: wir haben die ganze Schrift, uns zu versenken in das Ganze der heiligen Geschichte, oder zu sinnen über dem einzelnen Wort. Denn das ist das Wundersame an der Schrift: sie ist ein enggeschlossenes, wohlgegliedertes Ganze vom ersten bis zum letzten Wort, und doch wiederum eine Fülle einzelner Worte, wie sie für jeden Einzelnen gerade passen; sie ist die Führerin der Kirche auf ihrem Wege, und wiederum das Licht der Einzelnen in ihren Anfechtungen. O daß doch unser Volk in seiner Bibel wieder heimisch würde! Darum ist es zumeist wie ein Rohr, das hin- und herschwankt und von jedem Wind der Tagesmeinung hin und wieder geworfen wird, ohne Sicherheit des Urtheils, ohne Stätigkeit des Sinns, ohne Energie der Ueberzeugung. Es werden den Christen und unsrem Volk noch ganz andere Aufgaben gestellt werden; es werden noch stärkere und gleißendere Irrthümer Platz greifen als gegenwärtig. Wie wollen wir diese dann bestehen, wenn wir schon den gegenwärtigen nicht gewachsen sind? Sicherheit des sittlichen Urtheils ist nur da, wo sie auf dem Grunde sicherer Glaubensgewißheit ruht. Zu Beidem aber, Sicherheit des sittlichen Urtheils und Sicherheit innerer Glaubensgewißheit zu gewinnen, dient uns die Schrift.

III.

Betrachten wir nun zum Schlüsse den Lohn des Glaubens am Ziele.

Als die Weisen die Thore Jerusalems verlassen, sehn sie den Stern wieder, der ihnen so lange entschwunden war; er steht über der Hohe Bethlehems. „Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut“. So tritt Gott dem Menschen nach der Anfechtung wieder nahe, wenn er treu geblieben und sein Glaube sich bewährt hat, und erfreut seine Seele durch innerliche Zusprache und geistliche Erquickung. „Und der Stern ging vor ihnen her, bis daß er kam und stund oben über da das Kindlein war“ - das ist nach dem Augenschein so geredet. So zieht der Zug der Seele und Gottes Wort uns zu Christo hin, bis wir ihn finden. Und sie treten ein in die Hütte und. finden Maria und Joseph bei dem Kinde. Wir finden Christus nicht ohne zugleich die selige Gemeinschaft der Freunde Christi zu gewinnen. Sie finden Jesum und seine Pfleger in ärmlicher Umgebung, aber sie schauen dieselbe verklärt im Lichte des Sterns und der Schriftweissagung und beugen ehrfurchtsvoll die Kniee vor dem göttlichen Kind. So sehen auch wir wenig Herrlichkeit in der Kirche Christi auf Erden, aber wir sind auf Grund der Schrift der gegenwärtigen Herrlichkeit Jesu und der zukünftigen seiner Gemeinde gewiß. Und sie thaten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen, nach morgenländischer Landesart nur mit Geschenken zum König zu kommen; aber sie legen ihr Herz in ihre Gaben und schenken es dem Heiland: das ist der schönste Lohn ihres Glaubens, der ihnen werden konnte. Dann brechen sie wieder auf und ziehen heim in ihr Land - selig, daß sie Den geschaut, auf den die Völker hofften, den die alten Weissagungen prophezeiten, von dem der Himmel predigte und die heilige Schrift Israel's fröhliche Kunde gab. Sie haben wohl nichts weiter von Jesu gehört und sind ins Grab gesunken, ehe seine Boten in die Welt ausgingen seinen Namen zu verkündigen; aber sie sind selig gestorben, denn sie haben Ihn geschaut und haben Ihm Gaben gegeben.

Und seitdem sind die Heiden gekommen von Morgen und Abend, von Mitternacht und Mittag, aus Japhet's und Ham's Geschlecht zur Hütte Sem's, den König des Himmelreichs zu suchen und ihm zu huldigen. Die Geschichte der Völker ist die Geschichte der Wanderung zu Christo. Durch die ganze Geschichte geht dieser Zug der Völker zu Christo. Zwar in den Jahrbüchern der Geschichte, wie man sie schreibt, ist gewöhnlich hievon nur sehr wenig zu lesen. Aber doch ist die Berufung und Sammlung der Völker zu Christo die Seele aller Geschichte. Und darnach richtet sich auch die Wichtigkeit und Bedeutung alles Andern. Man hält zwar zumeist das für das Wichtigste, was am meisten in die Augen fällt und von sich reden macht. Und eine jede Zeit pflegt von sich selbst zu halten, daß sie an Wichtigkeit die früheren übertreffe, weil ihre Vorgänge dem Auge am nächsten stehn und deßhalb am größten erscheinen. Dagegen die Verkündigung des Wortes unter den Völkern, der geheime Zug der Seelen, die Bekehrung der Sünder zu Gott, die stille Ausbreitung des Reiches Jesu Christi - das wird nur wenig beachtet. Und doch ist es dieß, was eigentlich geschieht in Allem das geschieht und was allem Uebrigen erst Werth, Bedeutung und Zukunft verleiht.

Mannigfaltig und viel verschlungen sind die Wege, die Gott die Völker und Menschen führt von Anfang an. Das Ziel aber aller dieser Wege ist Jesus Christus, durch welchen Gott einst auch den Erdboden richten will in Gerechtigkeit. Wer aber das Ziel kennt, der versteht auch die Wege. Im Lichte Christi sind unsre Augen helle, daß wir erkennen können, warum Gott die Menschen so führt wie er sie führt.

Wundersam ist es wie Alles dienen und helfen muß die Menschen zu Christo zu bringen. So ist's in der vorchristlichen Zeit, so ist's in der nachchristlichen. Als die Völker ihr Erbtheil verbraucht, das sie aus dem Vaterhause einst mit auf die Wanderschaft genommen; als sie ihr eigenes Vermögen des Geistes alles erschöpft hatten, ohne die Wahrheit und den Frieden zu finden, die sie gesucht; als ihre Weisen bei dem Bekenntniß anlangten: die Menschen können nicht zu den Göttern kommen, die Götter müssen zu den Menschen kommen; als die ernsten Beobachter und Berather des öffentlichen Lebens, von tiefem Schmerz über die allgemeine sittliche Verderbniß erfüllt, an der Zukunft verzweifelten, die Dichter aber zur Ahnung einer neuen Zeit des Heils sich erhoben; als Sehnsucht nach Erlösung alle edleren Gemüther ergriffen, und die ganze bisherige Geschichte wie zu einer großen Frage geworden war, auf die man die Antwort nicht wußte - als so die Zeit erfüllet war, da ist Christus erschienen, die thatsächliche Antwort auf alle Fragen der heilsbegierigen und Wahrheitssuchenden Seelen. Das römische Weltreich aber, das so viele Völker durch das Band der Einen Herrschaft mit einander verband, mußte dazu dienen, dem Evangelium die Wege zu bahnen und die Länder zu öffnen; und die griechische Sprache, welche zur allgemeinen Weltbildung zu machen das Weltreich Alexanders des Großen den Beruf gehabt hatte, mußte der ewigen Wahrheit ihre Zunge leihen.

Von Jerusalem bis Rom hatte Paulus das Evangelium getragen, und Rom trug es bis an den Rhein und an die Küsten von England; im Osten breitete es sich aus bis an die Gränzen Indiens, und die fernen Völker, welche die Träger der Zukunft werden sollten und zu denen keine Wege führten, welche die Boten Jesu hätten gehen können, mußten von innerer Unruhe getrieben sich aufmachen und herbeikommen, um im Abendlande das Christenthum zu finden. Denn eben dazu sitzt Jesus der König zur Rechten Gottes und sind alle Dinge in seine Hand gegeben, daß er die Geschichte der Völker lenke nach den Zwecken seines Reiches.

So ist es auch jetzt. Wir rühmen die Fortschritte unsrer Zeit; und in der That, des Merkwürdigen viel haben unsre Tage. Die eilenden Schiffe durchschneiden die Wellen der Meere und tragen die Menschen zu den entferntesten Küsten; in den Ländern der glühenden Sonne herrscht der Europäer, und in die Wüstensteppen Afrikas wagt sich sein Fuß; die Höhen des Himalaya erklimmt er, und in die Eismeere dringt sein unermüdlicher Forschersinn. Immer weiter strecken sich die Schienenwege, welche die entlegensten Länder zur Nachbarschaft machen; und bald wird jener wundersame Draht wie ein Netz die Erde umspannen, welcher die Gedanken und Worte der Menschen mit der Schnelle des Blitzes hin und wieder trägt. Ist es doch als ob die ganze Erde zu Einer großen Stadt der Menschheit werden sollte! Und das Alles um dem Worte von Jesu die Wege zu bereiten und in den Völkern der Ferne die verborgene Frage der Seele nach dem ewigen Heile zu wecken. Zwar nur langsam erwachen sie vom Schlafe der Sünden und kommen zu Christo. Aber sie kommen. Für unsre Ungeduld zu langsam; aber vor Gott sind tausend Jahre wie Ein Tag. Sie kommen. Durch die ganze Geschichte bis auf unsre Tage geht dieß Kommen hindurch, dieß Fragen und Wandern der Völker nach Zion.

Gebe Gott, daß wir auch unter den Wallfahrern seien! Das Ziel unsrer Reise ist droben, da Christus ist, das neue Jerusalem. Ich freue mich deß das mir geredet ist, daß wir werden ins Haus des HErrn gehen und daß unsre Füße werden stehen in deinen Thoren, Jerusalem! Was wir dort suchen,- es ist Er, Er allein, die persönliche Gemeinschaft mit ihm, die Gemeinschaft des Herzens: das ist unser Lohn am Ziele. Nicht Himmel noch Erde - Jesus und sein Licht, das ist's allein. Er aber ist uns nahe allenthalben; in ihm ist das Dort zum Hier, das Zukünftige zur seligen Gegenwart geworden; allenthalben ist Bethlehem, wo wir ihn grüßen und ihm Gaben geben können, das Gold des Glaubens, den Weihrauch des Gebets, die Myrrhen der steten Reue und Buße, darauf Glaube und Gebetsleben ruht; in allem dem aber unser Herz. So lasset uns uns aufmachen und zu ihm uns wenden, ihn zu suchen, uns ihm zu geben. Hier sollen wir Ruhe finden für unsre Seelen.

Laßt mich gehn, laßt mich gehn,
Daß ich Jesum möge sehn;
Meine Seel' ist voll Verlangen,
Ihn auf ewig zu umfangen
Und vor seinem Thron zu stehn! Amen.

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