Löhe, Wilhelm - Vaterunser - VIII. Matth. 6, 13. Erlöse uns von dem Uebel!

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - VIII. Matth. 6, 13. Erlöse uns von dem Uebel!

Wenn ein Mensch an keiner von den sieben Bitten des Vaterunsers einen herzlichen Antheil nimmt, wenn er keine mitbeten will, die letzte Bitte betet er mit und an ihr nimmt er einen herzlichen Antheil. Ja, auch die Gottlosen fühlen sich heimlich zu dieser Bitte getrieben; denn vom Uebel fühlen sich alle Menschen umringt und gedrückt, auch die bösen, und von ihm frei und erlös't zu werden, wünschen sie alle. Wenn unter einer Menge von Menschen keiner mit dem andern übereinkommen könnte, was von Gott zu erbitten das Nöthigste und Beste wäre: darin würden sie alle übereinstimmen, daß eines Jeden herzinnigstes Verlangen erfüllt seyn würde, wenn Gott ihn in Gnaden von allem Uebel erlösen wollte. Freund und Freund, Feind und Feind, die Menschen der verschiedensten Zonen, der verschiedenen Alter und Stände - sie haben alle tief in der Seele Ein einträchtiges, wenn auch lautloses, doch vor Gott verstandenes Gebet, alle Seelen sprechen vor dem HErrn: „Aus der Tiefe rufen wir, HErr, zu Dir: Erlöse uns von dem Uebel!“ Ja, so lieb ist den Menschen vor allen andern Bitten diese Bitte, daß sie das Vaterunser am liebsten mit derselben anfiengen, als mit der Summa alles deßen, was ihnen im Herzen liegt. Wir aber, die wir nicht nach dem Drange unsers Herzens, sondern nach der Ordnung Gottes, als der besten, eine Bitte nach der andern betrachtet haben, wollen heute in der siebenten ausruhen, in ihr zusammenfaßend, ja noch einmal wiederholend Alles, was uns auf dem Herzen und Gewissen liegt. es segne uns der barmherzige Gott um Christi willen die Betrachtung! Amen.

1. Anstatt: „Erlöse uns von dem Uebel!“ beten manche: „Erlöse uns von dem Bösen!“ unter dem Bösen den Satan meinend. Und wahrlich, er ist ein Vater alles Bösen und alles Uebels, das in der Welt ist, und ist der listigste Feind unsrer Seelen, gegen welchen wir wohl unsre Hände aufheben und beten dürfen: „Erlöse uns von dem Bösen!“ ER ist der Säemann und hat die Welt voll Uebel gesäet, wie die Erde im Winter mit Schneeflocken überdeckt ist: von ihm ist das Uebel und er ist selbst das größte Uebel in Gottes Reiche Aber eben darum faßen wir ihn und Alles, was durch ihn uns von Gott und Seiner Seligkeit, von unserm vollkommenen Glücke trennt, zusammen in dem Worte Uebel, wünschen nicht allein seiner, sondern alles Jammers los zu werden und sprechen nach des HErrn umfaßenderem Sinne: „Erlöse uns von dem Uebel!“ Ja, mit der siebenten Bitte saßen und werfen wir gleichsam Alles in Ein Gefäß zusammen, was vor Gottes Augen häßlich und abscheulich ist, allen Unrath der Welt, welcher Gottes heilige, unschuldige Creatur zum Schauspiel des Bösewichts von Anfang, zum Spottlied der Hölle gemacht, - alle Bosheit, allen Jammer, welcher den ewigen Gottessohn von seinem Stuhle in diese Welt zu kommen getrieben hat; - ja, alles Uebel sammt allen Aergernissen saßen wir zusammen in der siebenten Bitte, möchten sie betend aus der Welt hinwegthun, möchten gerne haben, daß der HErr seine Welt herwiederbrächte zu der ursprünglichen Schönheit und Herrlichkeit, zur Freude seiner Himmel, dem Bösewicht aber seine Freude zu verderben. - Liebe Brüder, den Druck des Lebens spüren wir alle fort und fort; was Alles im Leben uns für Uebel drücken, vergehen wir allzuoft. Darum erlaubet mir, daß ich euch das Wort Uebel etwas weiter auslege. Denn je mehr, je deutlicher und tiefer wir das Uebel erkennen, desto eifriger und brünstiger werden wir beten: „Erlöse uns von dem Uebel!“ Tief in uns, in unserm Herzen, wohnt die Erbsünde, unlustig und feindlich wider Alles, was gut und göttlich ist, voll Lust und Freundlichkeit gegen Alles, was irdisch, was nichtig, was wider Gottes Wort, was nach des Satans Willen ist. Dieselbe, wie eine Seuche, die am Mittag schleicht, wie die Pestilenz, welche im Finstern unwiderstehlich verdirbt, hat unser ganzes Wesen und alle unsre Kräfte, alle unsre Worte und alle unsre Thaten durchdrungen; denn weß das Herz voll ist, deß geht Mund und Hand und Fuß, das ganze Leben, der ganze Wandel über; - aus der Erbsünde kommen zahllose Schaaren wirklicher, d. i. in Werken sich offenbarender Sünden, Wir arme Menschen sündigen von Natur und können von Natur Nichts weiter, als sündigen, und unsre Sünden laufen an wider alle Gebote Gottes und verhöhnen sie, verspotten, verspeien und schlagen sie ins Angesicht. Die Sünde aber wird, wie der Körper vom Schatten, von einem schwarzen, unzertrennlichen Uebel begleitet, ja verfolgt, nämlich von der Schuld. Die Schuld läßt uns vor Gott keinen Frieden, zu Ihm kein Vertrauen finden, Gottes Zorn und Fluch ziehen ihr nach, wie Wetter den Bergen! Siehe, bereits Uebel genug: Erbsünde, wirkliche Sünde, Schuld, Fluch und Zorn über allen Menschen! - Dazu kommen alle die Strafen unserer Sünden - denn für den natürlichen, unversöhnten Menschen ist jedes Uebel Strafe; dazu alle die Züchtigungen unsrer Seele und unsers Leibes - denn Züchtigungen bleiben auch dem Versöhnten viele übrig, wenn gleich die Schuld ihm weggenommen, die Strafe erlaßen ist. '^ .

Ach, höret eine kleine Zeit, - ich will euch Strafen und Züchtigungen Leibes und der Seele in kleiner Zeit genug nennen, Ueber den Leib fällt daher Schwachheit, Seuche, Siechthum und Krankheit, zuletzt der Tod und die Verwesung, Am Leibe zehrt Hunger und Arbeit, des Wetters und der Elemente Ungunst und Wechsel, Furcht und Freude, Wollust und Gram, Aerger und Kummer, und der Neid, der im Angesicht muß offenbar werden, wie fahles Gold, so tief er sich zu bergen wähnt, und an Leib und Seele nagt, wie ein Wurm, Unsre Güter haben Rost und Motten zu Feinden, dazu Diebe und Verderbnis, Betrug und Unglück, Feuer und Waßer, Theurung, Krankheit und Unglücksfälle, Unsre Ehre leidet von der Zunge des Verläumders, und böse Nachreden, wie feurige und giftige Pfeile, vom Satan geschleudert, treffen den Unschuldigen, wie den Schuldigen, Unsre Aeltern und Geschwister, Gemahl und Kinder haben an dem Allen gleicher Maßen Theil, wie wir, - Und welche Uebel drücken erst die Seelen, beider, der Gottlosen, wie der Frommen. Die Seelen der Gottlosen liegen in Sicherheit, unter dem Druck der vorgenannten, schweren Schuld: geistlicher Tod, Furchtlosigkeit für dieses und für jenes Leben ruht über ihnen. Ihr Herz bleibt gleichgültig gegen die göttliche Lehre, ungerührt von ihren Verheißungen, ungeschreckt von ihren Drohungen; - sie sind blind für die Wolken des Zorns, welche sich täglich mehr über ihnen häufen auf den Tag des Zorns, taub für den Donner, welcher von ferne schon vernommen wird; - sie bleiben blind und taub, wenn die Gefahr schon über ihrem Haupte losbricht, lautlos streckt sie Gottes Strafe, wie ein Blitz, zu Boden, wie stiller Staub, im Sturme, wie Rauch in der Luft, verschwindet ihr Andenken und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Sicher leben, sicher sterben sie, und wenn ihre Seele ausfährt, thut sie einen tiefen Fall! Das sey von der Sicherheit gesagt. Lautere Schrecken aber richtet der HErr an, wenn ER manchmal, Ehre einzulegen, diese Sicherheit stört, wenn ER durch sein Gesetz mit lautem Posaunenton die Seelen aus dem harten Schlaft aufweckt. Oft träumt der Mensch heilig und gerecht zu seyn und sein Traum dauert lange Jahre, sein Hochmuth wächst durch so lange Zeit zu einer schrecklichen Höhe. Da stürzt der HErr den Bau zusammen, Licht vom zukünftigen Gerichte fällt in grellen Strahlen in die Seele: o wie schmerzt dann die Seele, wie stiegt der Traum der Heiligkeit so eilend von dannen, leer und öde ist's inwendig, so oft man etwas Gutes bei sich suche, - Sund' von Sünde taucht auf, wo man nur sein Leben mit Ernst betrachtet, die Ohren hören Gottes Richterfragen im Wind, im rauschenden Baum, im lispelnden Blatte, - die Hände ringen sich wund, die Füße beben im Gehen, wie wenn überall Schlangen oder zugedeckte Gräber wären, es ist wie ein Mord in den Gebeinen. Die Seele ist der Verzweiflung hingegeben, unstät und flüchtig ist sie, ohne Trost im Leben und im Tode. Nach dem Tode bis zum jüngsten Tage ein schrecklich Warten des Gerichts und Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehrt; am jüngsten Tage das Kommen des HErrn, der ein verzehrend Feuer ist, - das Kommen des HErrn und mit Ihm Seines Lohnes, d. i. der Verdammnis, endlich die Verdammnis, die kein Ende nimmt, die man dann nicht mehr wegglauben, noch wegbeten kann, die dann kein Gottes-Lamm, noch Gottes-Löwe mehr von hinnen trägt, - die Verdammnis, in welcher die nächsten Nachbarn, die unzertrennlichsten Freunde lauter Feinde, Todfeinde gegen einander werden, die gerne ihren Durst im gegenseitigen Mord und Blute kühlen würden, wenn es nur noch möglich wäre, die gerne tausend Tode leiden würden, um nur endlich einmal der Qualen los zu werden, wenn nur der gerechte Richter nicht ihren Qualen eine Ewigkeit verliehen und an die verfluchten Stirnen unvertilgbare Zeichen eingegraben hätte, daß sie Niemand tödten darf. - Wie, Brüder! Glaubt ihr etwa, das sey nur Wortgepränge, der Meinung, daß der HErr, wo sein Gesetz erschrecke, wie ich geschildert habe, auch Trost des Evangeliums sende? Auch ich kenne den Trost des heiligen Evangeliums für Seelen, welche die göttliche Traurigkeit empfangen haben. Aber diese göttliche Traurigkeit ist kein Uebel, ich rede von jener, die ein Uebel ist, von der Traurigkeit der Welt, welche den Tod bringt, - wie bei Cain, wie bei Judas Ischarioth, von einer Traurigkeit, die nicht so selten ist und nicht so wenige trifft, als man glaubt: es fehlen nur die offnen Augen, es zu sehen.

Jedoch auch die, welche die göttliche Traurigkeit kennen, tragen mancherlei Uebel. Sie stehen vor einer engen Pforte, durch welche sie dringen wollen. Sie legen Lasten ab, um durch diese Pforte zu dringen; aber neue legen sich auf sie. Sie ringen, sie eilen, sie beten, sie drängen sich hinein, sie legen immer aufs Neue ihre Lasten ab, ach, sie haben viele Plage, bis endlich nach vergeblichem Kampfe der HErr selbst sie ergreift, sie hindurch und hineinzieht und auf den schmalen Weg versetzt. Aber auch dieser, schmal und steil, einsam, wenig begangen ist er, links und rechts vom breiten Wege begränzt, nur unsichtbar von Gottes Engeln, nur selten von der spürbaren Nähe der Gegenwart Gottes umgeben, - lang, ach sehr lang ist der Weg für den Pilger, der so leicht ermüdet. Und der breite Weg ist so nahe angränzend, daß man Spott und Hohn, Lust und Lockung, Satan und Welt und alle Rotten der Feinde Gottes herübertönen hört. Inwendig ist dann im Herzen der Pilger auf der schmalen Straße nur ein matter Glaube, nur eine träge Liebe, oft ein geistliches Leben, das erlöschen will, Trägheit, Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Aegypti, Umschauen nach dem brennenden Sodom. Viele Sünden kehren aufs Neue wieder^ viele Stücke Finsterniß zeigen sich im Herzen wieder! Ach, viele Pilger treten ab, wieder auf den breiten Weg und werden mit Jauchzen von der Welt empfangen!

Viele, fast am Ziele des schmalen Weges, fallen dennoch, und die Hölle jubilirt wie über den König von Babel! Ach, bis man dem Loose dieser entgeht, bis man am Ziele, bis man durch das rothe Meer an das jenseitige, sichere Ufer gekommen ist und das Ende seines Glaubens, der Seelen Seligkeit, davongetragen hat, - wie schwer wird es einem! Wie ist, ihr lieben Brüder, unser Weg, auch wenn er köstlich ist, so voll Mühe und Arbeit, so voll Uebel und schwerer Plagen! Wahrlich wir haben Roth, eine andre Hülfe, den starken, ausgestreckten Arm des HErrn herbeizurufen und zu beten: „Erlöse uns von dem Uebel!“ denn wir können, ach! unmöglich können wir von uns selbst überwinden! Gott ewig Dank, daß wir beten dürfen, beten sollen gegen all das Uebel, das uns drückt und das uns droht!

2. Es sind euch nun mancherlei Uebel genannt; alles Uebel aber, wie wir bemerken konnten, theilt sich in zwei Haufen, nämlich in Uebel des Leibes und in Uebel der Seele. Die Uebel der Seele sind wiederum dreifach, das vornehmste die Sünde, dann die Folgen der Sünde und zwar theils zeitliche, theils ewige. Die Sünde und ihre ewigen Folgen, Gottes Zorn und das Gericht, sind es, gegen welche wir unbedingt und bis an unser Ende zu beten haben: „Erlöse uns von dem Uebel!“ Denn Gottes Zorn und Gericht, welche der Sünde nachfolgen, das sind die Hände des Allmächtigen, von denen geschrieben steht: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!“ Hingegen die Uebel des Leibes, von denen wir oben geredet haben, so wie, was die Sünde, die hinter uns liegt, an zeitlichen Folgen nach sich zieht, z, B, der Kampf des Glaubens, die abwechselnde Trübsal und Freude, die Schwierigkeit des Wegs zum ewigen Leben mit Einem Worte, das sind Dinge, welche wir nicht unbedingt wegbeten wollen; sie gehören mit in den Spruch, welcher sagt: „Alle Dinge müßen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen!“ Denn wenn es der allmächtigen, weisheitsvollen Gnade Gottes gelang, uns durch JEsu Tod, obwohl wir Sünder sind, ein schöneres Paradies zuzuwenden, als Adam nach der Schöpfung inne hatte; wenn es dem Satan nicht gelang, uns durch die Sünde zu verderben, welche doch unter allen seinen Nebeln das schwerste und drückendste ist; so wird wahrlich alles andre Uebel, welches klein ist gegen die Sünde, um so weniger uns schaden dürfen und der HErr wird uns durch dasselbe von dem uns zugewandten Heile nicht trennen, sondern es uns lieber zum Mittel werden laßen, dies unser ersehntes Heil desto gewißer zu erlangen. Darum trotzt ein Gläubiger mit seinem Gebete nicht wider Gott, wenn es Gott gefällt, ihm Trübsal zuzuwenden, stellt Ihm die Erlösung und die Zeit derselben ganz anheim, fordert nicht, bittet nur und beugt sich, wenn es also seyn muß, gerne unter die gewaltige Hand des HErrn. So that JEsus im Garten; da Ihm die Sünden der ganzen Welt aufgelegt wurden, that Er den Mund nicht auf; da Ihm in großer Arbeit der blutige Schweiß von der Stirne rann, sprach Er: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe, Mein Vater!“ Wer seinem Heiland in gleichem Sinne nachfolgt und sein Kreuz ohne Murren auf sich nimmt und trägt, dem läßt Kreuz und Trübsal einen reichen Segen zurück.

Denn wer mit Geduld sein Kreuz tragt, der kreuzigt damit sein Fleisch sammt den Lüsten und Begierden, deß Glaube wird geübt und durch die Uebung bewährt und gestärkt; denn wenn die Uebel gegenwärtig sind mit ihren Plagen, so muß der Glaube sich rein an seine verborgene Herrlichkeit halten, sich genügen laßen an der Seligkeit, welche er erst hofft. Da wird eben der Glaube erst recht zum Glauben, da ist er recht unabhängig von allem Sichtbaren und Gegenwärtigen, ja, triumphirt darüber, hat die Welt überwunden, hat sein Herz und seinen Wandel schon im Himmel, wo sein Schatz ist, - Ferner wer das Uebel trägt, der lernt es tragen, und wer duldet, der lernt Geduld; denn wer da hat, dem wird gegeben, das Uebel beherrscht nach und nach nicht mehr den Dulder, sondern der Dulder beherrscht in Gottes Kraft das Hebel, Wer das Uebel trägt, der lernt auf Gottes Wort merken, wie der Prophet spricht: „Die Anfechtung lehrt aufs Wort merken! “ Wem's wohl geht in seinem Leben unter den Menschenkindern, der fragt allein nach Gunst der Menschen; wem aber der Menschen Gunst ob drohender und lastender Uebel eitel und unnütz geworden ist, der nimmt endlich zu Gottes Verheißungen seine Zuflucht und erfährt die heimliche Seligkeit, welche in Worten ausgesprochen ist, wie z. B, diese sind: „Deine Rechte sind mein Lied im Hause meiner Wallfahrt!*“) Deine Zeugnisse sind mein ewiges Erbe; denn sie sind meines Herzens Wonne!„ - Wer in Uebeln geht, der lernt endlich beten und Gott suchen; wer aber Gott sucht, der findet Ihn; wer Ihn aber gefunden hat, der glaubt es, daß Er lebt und daß Er denen, die Ihn suchen, ein Vergelter ist. Er glaubt «n die Allgegenwart Gottes und zwar an eine Allgegenwart der Gnade, Er hat es erfahren und hält es nun desto fester in allen seinen Wegen, daß „all Tritt und Schritt geht Christus mit!“ Er glaubt, drum redet er's, drum verkündigt er's. Er bleibt im Gebet, denn seine Roth treibt ihn dazu; er bleibt aber auch in der Erfahrung der göttlichen Hülfe und Erhörung und lm Preise des HErrn, Er bewährt es, was geschrieben steht: „Wenn Trübsal da ist, so sucht man den HErrn!“ Er erfährt aber auch, was viele Beter erfahren haben: „Wenn ich mitten in Angst wandle, so erquickst Du mich. Wenn mein Geist in Aengsten ist, so nimmst Du dich meiner an!“

Sind denn, liebste Brüder, die oben genannten Früchte der Trübsal nicht werth, daß man Trübsal leide? So an der Seele zu genesen, sollte einem das nicht das Uebel des Lebens erträglich machen? Wahrlich, um der Genesung willen verlohnt es sich, krank zu seyn, und man bitte darum die oben genannten Uebel nicht so unbedingt von sich weg, damit man nicht mit der bittern Wurzel die süße Frucht verliere!

3. Indeß, wenn nicht räthlich, unbedingt gegen alles Uebel zu beten; so ist damit nicht gesagt, daß man gegen gar kein Uebel oder überhaupt nicht um Erlösung von dem Uebel beten solle. Im Gegentheil, Uebel ist immer Uebel, Und, mit Festhaltung des angegebenen Unterschiedes, sollen wir in der siebenten Bitte gegen alles Uebel getrost beten. Nicht darum, das ergiebt sich aus dem bereits Gesagten, nicht darum beten wir die siebente Bitte, daß wir Gottes gnadenreichem Willen widerstreben, nicht daß wir dem Kreuze entfliehen, nicht daß wir, nachdem wir Gutes von dem HErrn empfangen haben, das Böse nicht auch annehmen wollten, nicht daß wir dem frommen Vater irgend Ziel und Maß, Zeit und Stunde Seiner Ruthe vorzuschreiben wagten oder Seiner Wege müde würden, die wir, durch Den, der uns mächtig macht, Alles vermögen, und es tausend Male schon erfahren haben, daß Er den Müden Kraft und den Unvermögenden Stärke genug giebt, wie junge Adler aufzufahren: - das ist die Meinung der Kinder Gottes nicht, sie sind einer völlig andern Gesinnung. Der HErr befiehlt uns zu beten: „Erlöse uns von dem Uebel!“ darum beten wir. Er selbst will Amen dazu sprechen und verheißt uns Erhörung; Er selbst will uns nicht allezeit in der Unruh und im Uebel laßen; Er hat dem Meere und seinen Wellen selbst die Gränze gesetzt und gesprochen: „Bis hieher und nicht weiter!“ Er selbst versichert, daß noch eine Ruhe vorhanden sey Seinem Volke, wo man von Seinen Werken ruhen wird und von aller Arbeit, wie Er selber ruht. Er selbst hat Zeit und Stunde in Seinem Heiligthume schon bereitet, wo für jedes einzelne Uebel Hülfe erscheinen soll, ja Zeit und Stunde, wo aller Uebel Ende eintreten und kommen wird das Vollkommene und aufhören das Stückwerk, wo weggenommen werden soll Alles, was unser vollkommenes Glück hindert, und herzugebracht Alles, was uns dazu fehlt, wo - denn was heißt alles das anders? - wo Er uns erlösen wird von allem Uebel, Keine Sache ist in der heiligen Schrift schöner, prächtiger, weitläufiger beschrieben, als gerade die endliche, selige Verklärung der streitenden Kirche zur triumphirenden, ihr Abschiednehmen von, dem Streit, ihr Eingang in die Sabbathruhe ihres HErrn. Wenn die heiligen Propheten auf diesen Punkt zu reden kommen, brennt ihr Herz von Sehnsucht und , der Geist lehrt sie überschwängliche Worte, ihr Auge schaut und ihr Ohr hört wonnetrunken, was kein Auge sonst gesehen und kein Ohr gehört hat. Wie ringt St. Johannes in den letzten Capiteln der Offenbarung, nach Würde die selige Erlösung von allem Uebel zu beschreiben, die neue Erde, auf welcher Gerechtigkeit wohnt, - die Braut des HErrn, die heilige Gemeinde, welche vom Himmel auf diese neue Erde niederfährt, die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem, ihre Gründe, ihre Mauern, ihre Thore, ihre Wächter, den Stuhl Gottes und des Lamms in ihrer Mitte, die ewige Leuchte, welche Gottes Lamm ist, und Sonne und Mond verdunkelt, den Strom des Lebens und die grüne Aue daneben und das Gehölz der Aue mit seinen Früchten, die seligen Pilgerzüge, die von der neuen Erde überall her kommen werden in die heilige Stadt, nm anzubeten! O guter Gott, das Alles, solch herrliche Erlösung und seliges Ende verheißest Du; unser Herz, rings vom Uebel umgeben, sehnt sich mit heißer Inbrunst danach, die Thränen des Verlangens stürzen uns aus den Augen, wenn wir an unsre ewige Heimath gedenken, - Du selber weckst durch deine Verheißungen die Sehnsucht, wandelst sie um zu lebendiger Hoffnung, heißest uns die Hoffnung im Glauben saßen und zum Gebete machen, heißest uns beten: „Erlöse uns von dem Uebel!“ - - und wir sollten nickt beten, wie Du gebietest, da Dein Befehl und unser sehnlichstes Verlangen so einig mit einander sind! Weil ein Theil des Nebels hier uns zum Besten dient, sollten wir es darum so gar sehr lieben, daß wir des Lebens nicht begehrten, in welchem unser Bestes nicht mehr durch Uebel gefördert wird, und unsre Sonne nicht mehr aus Finsternissen kommt! Wir Wanderer fühlen die Beschwernis unsrer Wanderschaft so schmerzlich, und wir sollten dennoch die Fremde lieber haben, als die Heimath, wir sollten das Ende der Fremdlingschaft nicht begehren, welches uns doch unser Vater vom Himmel her selber bitten und begehren heißt? Unser Vater hat uns die Kunde von dem Berge Gottes, von dem ewigen Heiligthum, von den Altären offenbart, an denen wir irrende Vögel unsre ewigen Nester finden sollten, - Er hat Millionen schon hinüber gebracht, wo sie in ewigen Liedern seine Gnadenwege und deren seliges Ende besingen, Cr will uns auch hinführen, wenn wir Ihn bitten, und wir sollten nicht einmal zu Ihm sagen: „Thue, wie Du uns verheißest! Erlöse uns von dem Uebel!“? Der Streit ist uns so schwer und kostet uns so viel; warum sollten wir uns nicht freuen, daß Sieg und Palme winkt, daß die Krone blinkt, daß der HErr mit eigner, starker Hand aus Krieg den Frieden, aus Streit Sieg und Triumph verschaffen will? Wenn die Propheten zur Zeit des babylonischen Exils von der Rückkehr ins gelobte Land weißagen, werden sie hocherfreut in Hoffnung; wir, bereits auf der Rückkehr in die ewigen Hütten begriffen, durch des HErrn Gnade nach Seinem sichern Rath geleitet, dereinst gewiß mit Ehren angenommen und aufgenommen ins Paradies, sollten blos geduldig in Trübsal, nicht auch fröhlich in Hoffnung unsre siebente Bitte beten? Die über die Wegführung ihrer Kinder weinende Mutter in Israel, die thränenvolle Rahel, hört aus dem Munde des HErrn ein tröstliches: „sie sollen wieder kommen!“ Sollen wir weniger getröstet seyn, wenn uns am jüngsten Tage eine Himmelfahrt und nach derselben eine selige Herabfahrt auf diese liebe, dann erneute Erde verheißen wird, deren Anblick und schöne Heimathlande wir im Tode doch mit einigem Schmerze verlaßen! Jene Israeliten im fremden Lande und in den Leiden desselben sangen: „Wenn der HErr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir seyn, wie die Träumenden, dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens seyn!“ - und in diesem Gesang ist eine gewiße Hoffnungsfreude, wie ein Vorschmack der Erfüllung zu spüren. Warum sollten denn wir, durch Gottes Wort unsrer Rückkehr aus dem Staube unwandelbar gewiß, über dem gegenwärtigen Elend die zukünftige Erlösung vergeßen, statt sie von ferne freudenvoll einstweilen zu begrüßen? Nicht also! Unsre letzte Bitte beten wir fröhlich in Hoffnung, - in ihr muß seyn die Morgenröthe jenes ewigen Tages unsers Glücks, wo man nicht mehr seufzt noch betet, sondern dankt und lobt, - ja grade dieser Widerschein unsrer Seligkeit, diese stille, hoffnungsvolle Aussicht verschafft uns, daß wir im gegenwärtigen Nebel dieses Lebens stille sind und hauen und durch Geduld und gute Werke dem Ziel entgegen laufen!

4. Wir können aber nicht allein darum uns der verheißenen Erlösung freuen, weil sie uns mit jedem Tage näher kommt, sondern weil sie bereits im Kommen ist, weil die Zeit, in welcher wir jetzt noch leben, bereits eine Zeit der Erfüllung ist, Die^ Erhörung der siebenten Bitte d. i. die Erlösung von allem Uebel, ist da und immer im Zunehmen; wenn sie vollendet ist, wird es Jedermann inne werden,, gegenwärtig aber bemerkt es nur ein gläubiges Auge recht, wie sie zur Vollendung eilt. Dieß zu bestätigen, sage ich noch, was folgt:

a. Wer um Erlösung betet, der ist schon halb erlöst, wer anruft, der ist schon in der Nähe der Erhörung. Denn der HErr spricht: „Es soll geschehen, ehe sie rufen, so will Ich antworten, wenn sie noch reden, will Ich hören!“ Die Erhörung ist von Ewigkeit her in Christo Jesu allen denen bereitet, welche in Jesu Namen beten. Ja, wenn wir, um Erlösung beten, ist der HErr, der uns erlöset, selber nahe, steht vor und neben uns, mit Ihm reden wir, Sein Ohr merkt auf uns. Wo aber der Geber ist, der größer und ein Herr ist aller Seiner Gaben, da müßen auch die Gaben nicht ferne seyn; wo der Erlöser ist, da ist auch die Erlösung. Wer den allgegenwärtigen Erlöser um Erlösung anruft, dem ist die Erlösung nahe, wie der Erlöser, rings um ihn her, nur nicht immer gleich offenbar, gleichwie Elisa's Knabe die Engelheere, die zum Schutze seines Herrn gekommen waren, nicht sahe, ob sie wohl schon da waren.

b. Wie oft hat uns schon das Uebel umgeben, wie ein Heer, zu wie mancher Stunde glaubten wir schon von Noth und Gefahr verschlungen zu werden, da unser blödes Auge keinen Ausweg, wohl aber mehr als einen gewissen Weg des Verderbens sah. Der HErr aber hat nichts desto weniger immer wieder Ehre eingelegt und uns geholfen, wenn die Noth am größten war, auf daß Er als ein großer Helfer erkannt würde. Er legte eine Last auf, Er half sie tragen, Er nahm sie auch wieder ab! Er schenkte uns Errettung um Errettung und Erlösung um Erlösung! Jede solche einzelne Erfahrung ist eine Verheißung der endlichen vollkommenen Erlösung, ein Beweis, daß wir einen Gott haben, der da hilft, und einen HErrn HErrn, der vom Tode errettet, und ein Siegel unter des Apostels Spruch: „Der HErr wird mich erlösen von allem Uebel und mir aushelfen zu Seinem himmlischen Reich!“

c. Jesus Christus hat uns von unsrer Schuld, von unserm bösen Gewißen, von Gottes Strafen durch Sein Leiden und Sterben erlös't. Unsre Seele ist erlöst, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und der Gewalt des Teufels; in des Glaubens Eigenschaft gehen wir dahin als Gottes liebe und freigeborne Kinder. Das Größte in der Erlösung ist geschehen, das Geringere wird nicht dahinten bleiben; nachdem der ewige Schade gut gemacht ist, werden die zeitlichen Uebel an uns nicht hangen bleiben. Gott hat Seines eignen Sohnes nicht verschonet, sondern hat Ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte Er uns mit Ihm nicht Alles schenken? Brüder, wir wollen uns nicht irre machen laßen; so oft unsre Seelen in Gottes Wort und Jesu Wunden ihre Erlösung von der Sünde, ihre Begnadigung lesen, wollen wir mit neuem Muthe bekennen, daß wir im Reiche der Erlösung wandeln und leben, in welchem Erlösung nie stille steht! Christus ist uns gemacht zur Erlösung: Sein Erlösungsblut sichert uns Erhörung zu, wenn wir beten: „Erlöse uns von dem Uebel!“ Diese Zusicherung ist gewiß und geht hinaus, wenn gleich die ganze Welt sammt ihrem Fürsten widerspräche!

d. Unser ganzes Leben bis zum Tode ist Nichts, als Erlösung und auch unser Tod ist nur ein Schritt weiter zur völligen Erlösung, Ein seliges Sterbestündlein, durch welches wir in Gnaden aus dem Jammerthale zu unserm HErrn im Himmel hingenommen werden, sey gepriesen. In unsrer Sterbestunde stirbt unser Tod, unser Leben wird lebendig: mit Macht bricht unsre Erlösung aus dem Tode hervor! Dann schweigen alle unsre Klagen und es fehlt zur völligen Erlösung nur noch der Auferstehungstag. Darum sehnen wir uns mit Recht nach der seligen Stunde unsres Heimgangs, haben Lust außer dem Leibe zu wallen und daheim zu seyn bei dem HErrn. Darum rufen wir, obwohl selig in Hoffnung, dennoch mit St. Paulo ohne Unterlaß: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes!“ und nennen die Todesstunde ein Kommen des Erlösers, deß wir begehren.

e. Auch nach dem Tode geht für die, welche im HErrn gestorben sind, die Erlösung noch fort, je weiter zum Ziele, desto eilender, desto rascheren und seligeren Fluges, Wie eine Braut auf ihren Bräutigam wartet, so warten die abgeschiedenen Gerechten auf den HErrn, ihren Heiland; ihre Lampen verlöschen nicht mehr, kein Schlummer, keine Mattigkeit befällt ihre Seelen fernerhin, sie harren unverrückt des Tages, wo Christus erscheinen wird in Herrlichkeit, um auch ihren nichtigen Leib zu verklären, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe, um mit den neu verklärten Leibern ihre Seelen unaufhörlich zu vereinigen!

Es kommt der letzte Tag! Selig ist, wer am Tage seines Todes und am Tage der völligen Erlösung, am jüngsten Tage, bereitet ist! Selig, wer dann klein und demüthig vor Ihm und gewaschen ist in Seinem Blute! Selig, wen dann keine Sünde mehr drückt, wer sie hier 'm Glauben allzumal abgeworfen hat in Jesu Namen in das Meer der Barmherzigkeit, aus welchem keine mehr heraufkommt, die hinabsank! Selig, wer dann sein Kreuz getragen hat bis ans Ende und sich in Geduld hindurchgepilgert hat durch diese arme Welt, wo das Uebel daheim und die Erlösung und die Seligkeit Fremdlinge sind, wie die Lämmer unter den Wölfen! Brüder, selig seyd ihr, wenn ihr überwindet! Laßet euch die Mühsal nicht gereuen! Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfange den Morgen- und Abendregen! Ja denn, so seyd auch ihr geduldig und stärket eure Herzen; denn die Zukunft des Herrn ist nahe - und bringt euch völlige Erlösung! Gehet hin, Brüder, saget es auch euern Kranken und Sterbenden: über ein Kleines, so sehen wir Den, Den unsre Seele liebte, noch eh' sie Ihn gesehn! Singet fröhlich: „Wie soll ich Dich empfangen?“ Bereitet euch und thut ab von euch, was Ihm, dem ewigen Bräutigam, misfallen könnte; ach, machet eure Seelen keusch im Gehorsam der Wahrheit! Wie Rauch verschwindet die kleine Zeit! Dann sind die sieben Bitten ausgebetet und wir stimmen neue Lob- und Danklieder an, daß unsers Gottes und Seines Christus geworden ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit! - Willkommen, willkommen, der Du kommst, um von den Deinen und ihren Blicken nicht mehr zu weichen! Willkommen Sonne des ewigen Lebens! Bleib nicht lange mehr! HErr, wir warten auf Dein Heil! Halleluja! Amen.

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