Löhe, Wilhelm - Vaterunser - IV. Matth. 6, 10. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - IV. Matth. 6, 10. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!

!. Zu Gott richtet sich die heilige Kirche in diesem Gebete, sie ruft Ihn an, sie preist Seinen Willen über jeden andern Willen, wünscht ihn vor jedem andern, ja ihn alleine erfüllt zu sehen und seufzt: „Vater unser, Dein Wille geschehe!“ Dieses Sehnen nach Erfüllung des göttlichen Willens, so wie des HErrn höchsteignes Gebot, darum zu beten, ist gerecht und billig. Denn der Wille Gottes, - sprecht Ja und Amen, meine Lieben! - der Wille Gottes ist über Alles gut und ist alleine gut. Der Wille Gottes ist allein gut, denn Gott selbst ist allein gut. Alles Sein Thun ist, wie ER selbst, - ist ein treues Abbild Seines guten Wesens. Niemand ist gut, als der alleinige Gott, welcher am Tage der vollendeten Schöpfung Seine Werke gut nannte: sein Wille ist und heißt ein guter, gnädiger Gotteswille. - Der Wille Gottes ist gut: denn ER will nur, daß alle Seine Werke gleich Ihm selber selig seyen. ER will nicht, daß auch nur einer von uns, nur Eines von Allem, was Odem hat, leide an Leib oder Seele! Seine Augen sind dem Unglück Seiner Kinder gram, ER möchte gerne alle, alle Menschen selig, ewig selig und als Theilnehmer Seiner ewigen Gottes- und Sabbathsruhe sehen! Wie ist Dein Wille so gut, Du - HErr, HErr, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue! - Der Wille Gottes ist ferner gut, geliebte Seelen! denn er will ja nur: daß wir durch alle Seine Güte und Treue selber gut und heilig und vollkommen werden mögen, wie ER. „Ihr sollt vollkommen seyn, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist,“ verkündigt uns der Sohn Gottes, der in des Vaters Schooße ist von Ewigkeit. „Ihr sollt heilig seyn, denn Ich bin heilig,“ spricht der HErr, unser Gott. „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung,“ predigt der heilige Apostel. Ist das nicht ein guter Wille, geliebte Seelen? Wäre es etwa nicht gut, wenn wir, statt mangelhaft und gebrechlich, vollkommen, statt voll Leidenschaft und Sünde, heilig wären, wenn wir von Tag zu Tage diesem Ziele mehr entgegen giengen? Muß nicht unser Wille mit diesem Gotteswillen übereinstimmen? Und ist es nicht der Ansang der Erfüllung, wenn die heilige Kirche Gottes, sehnsüchtig nach Erfüllung des Willens Gottes, betet: „Vater, Dein Wille geschehe!?“

2. Wohl schaut die heilige Kirche bei diesem Gebete zum Himmel, und setzt hinzu: „Wie im Himmel, so geschehe Dein Wille auf der Erde!“ Im Himmel ist eine zahllose Schaar erschaffener Geister, tausendmal tausend Engel. Unter allen aber ist nur Ein Wille, nämlich der Wille des hochgelobten Gottes ist auch der Wille Seiner Kinder. Der Vater, der Sohn und der heilige Geist: sie sind nur Eines Wesens und gleicherweise auch nur Eines Willens. Die menschliche und die göttliche Natur des ewigen Hohenpriesters, welcher im Heiligthum vor Gott dient, sie sind einig geworden; der menschliche Wille will nur, was der göttliche will. Gott will das Heil der Menschen, der ewige Fürbitter Christus bittet darum, der ewige König Christus leitet alle Pfade der Weltregierung zu diesem Ziele, Alle Engel dienen dazu: sie sind allzumal Geister, ausgesandt, den Erben der Seligkeit zu desto gewißerer Erreichung ihres Erbes zu dienen. Gleichwie Gottes Sohn Mensch geworden ist, die verlornen Menschenkinder zurückzuführen; gleichwie ER sich nicht geschämt hat, zu kommen, daß ER dienete und gäbe Sein Leben zur Erlösung für Viele; so schämen sich auch die heiligen Engel nicht, den ärmsten, verlorensten Menschenkindern zu dienen. Die größten unter den Engeln, jene, welche vor dem HErrn stehen und Sein Angesicht ewig schauen dürfen, bewachen die Säuglinge und jungen Kinder, Die Seligen, welche vom Tode keine Ahnung haben, dienen an den Sterbebetten, um die abscheidenden Gerechten ins stille Paradies zu tragen. Vom Ansang unsers Lebens bis ans Ende desselben sind sie unsre hülfreichen, obwohl unsichtbaren, selten geahneten Gefährten und lagern sich um die her, welche den HErrn fürchten. Mit Einem Worte, sie folgen ihrem demüthigen Christus nach, der groß war und klein ward, - sie halten fest an dem Grundgesetze des Reichs, welches nicht von dieser Welt ist, - dem Gesetze, welches die Größe in die Demuth setzt und lautet: „der Größte unter euch soll seyn, wie der Jüngste, und der Vornehmste, wie ein Diener!“ Sie vollbringen dieses Gesetz und in ihrem Thun ist ihnen wonnevoll und selig zu Muthe. Wer kann sich's denken, wer kann es lesen, wie die ewigen Gottesdienste der himmlischen Heerschaaren beschrieben sind, ohne daß er sich dorthin wünschen möchte, wo sie gefeiert werden; ohne daß er dem Gebote des HErrn mit Freuden Gehorsam leisten und beten sollte: „Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!“

3. Doch getrost, meine Lieben! Der HErr heißt uns beten: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“ Gewiß liegt auch in dem Befehl, also zu beten, die Verheißung, daß ER uns erhören wolle; gewiß kommt auch noch eine Zeit, wo auf Erden, wie im Himmel, der Wille Gottes geschehen wird.

Denkt an die Tage, in welchen unser getreuer, nun verherrlichter Erlöser auf Erden lebte: wie geschah da der Wille Gottes auf Erden so vollkommen! War nicht (ohne alle eitle Ruhmredigkeit, in tiefer Anbetung vor Dem zu reden, welcher unsers Ruhmes nicht bedarf!) - war nicht ein jeder Odemzug des HErrn, ein jedes Seiner Worte, jede That, war nicht Sein ganzes Leben und jeder Augenblick deßelben eine treue Erfüllung deßen, was ER im Geiste der Weißagung versprochen hatte: „Deinen Willen, mein Gott, thue ich gerne!?“ Wenn der HErr predigte, versicherte ER: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern deß, der mich gesandt hat!“ Wenn Ihn hungerte, sprach GR: „Meine Speise ist die, daß ich thue den Willen deßen, der mich gesandt hat!“ In allen Seinen Thaten konnte ER sprechen: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.“ Da Ihm in Gethsemane der Kelch unserer Sünden und Strafen gereicht ward, betete ER voll Ergebung: „Vater, ist's nicht möglich, daß dieser Kelch vor mir übergehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille!“ Er ward gehorsam bis zum Tod am Kreuze: ER arbeitete, daß die Schrift, d. i, der Wille Gottes, Seines Vaters, erfüllt würde: eher ließ ER Sein Leben nicht, senkte sich Sein Haupt nicht, bis ER sagen konnte: „Es ist vollbracht!“ In Seinem Beispiele wurde erfüllt, was ER Seine Jünger beten lehrte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“ Sein eignes Beispiel ist uns ein Beweis, daß geschehen kann, was wir in der dritten Bitte beten; es ist uns ein heiliges Pfand, daß endlich noch diese Bitte vollkommen erfüllt werden wird. Ja, es werden dieser Erde, wenn auch nicht vor dem jüngsten Tage, dennoch Tage kommen, in denen der göttliche Wille über jeden widerwärtigen Willen triumphiren wird. Alle Widerspenstigen werden dann vom Satan bis zum untersten Lasterhaften einen ewigen Ort einnehmen, wo ihre Widerspenstigkeit Niemanden mehr hindern wird, als sie selbst. Die übrigen Einwohner der Erde, die in neuen, für die Ewigkeit gebauten Leibern mit dem HErrn auffahren werden in den Himmel, bevor die Welt vergeht, - und mit Ihm wieder herabfahren auf die neue Erde, diese werden dann wie Eine Heerde seyn, welche von eines einzigen Hirten Willen geleitet wird! Die Heerde wird dem Lamm nachfolgen, und ihr Wandel wird in Ewigkeit nichts Anderes aussprechen, als den Jubel ihrer Seelen: „Nun geschieht Dein Wille auf Erden, wie im Himmel!“ Dann wird die dritte Bitte erfüllt und gleichsam zu Grabe getragen; aber, wie alsdann alle die sieben Bitten des Vaterunsers zu eben so vielen Dankgebeten werden verwandelt werden, so wird auch die dritte- Bitte als der dritte Dankpsalm des himmlischen Vaterunsers wieder auferstehen! Dann wird man singen: „Ein Leib und Ein Geist, Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser aller;“ aber man wird auch dazusetzen können: „Ein Wille unter allen - vom dreieinigen Gotte bis zu der geringsten Seiner Creaturen!“

4. Geliebte Seelen! wenn wir in jene Zeiten vorwärts sehen, welche freilich dem alten Menschen sehr unglaublich sind, dann wird die dritte Bitte in uns lebendiger und es wird uns ein recht inbrünstiger Ernst zu rufen: „Komm bald, dies auszuführen! Komm bald, komm bald, Du Richter groß, und mache uns in Gnaden los von allem Uebel! Amen,“ Und wie wehe muß es einem alsdann thun, wenn man die Welt, in großem Unverstand, sich ohne Ende wider Gottes Wort und Willen auflehnen hört! Sie will nicht mehr Gottes Willen, sondern den freien Willen, und meint damit einen von Gott losgetrennten Willen, nach welchem ein Jeder thun darf, was ihn gut dünkt, ohne darüber Tadel hören zu müßen. Wenn kein Gesetz mehr gilt, als welches man sich selber aufgelegt hat, - wenn man sich Gesetze nach eignem freien Willen, d. i. nach Lust und Neigung auflegt, dann begrüßt man die Freiheit als erschienen. Und doch ist man gerade dann in großen Irrthum gefallen: denn wo des verderbten Menschenherzens Lust und Neigung Gesetze giebt, entsteht eine harte Knechtschaft, eine Knechtschaft der Sünde, welche nimmermehr ein gutes Ende nehmen kann. Laßet euch, theure Seelen, von solchem Freiheitstaumel nicht hinreißen: erkennet es, daß die Lust zur Unabhängigkeit eine Anfechtung ist, die nicht von dem Vater des Lichts und aller guten Gabe kommt, - eine Anfechtung, gegen welche ein Kind Gottes streiten muß. Es ist nur Ein Wille ein wahrhaft freier, uneingeschränkter und dennoch guter, nämlich Gottes Wille, - und es giebt auf Erden keinen andern freien Willen, als den Willen deß, welcher sich mit Seinem Gott vermählt, den Eigenwillen aufgegeben und anstatt des eignen Willens Gottes Willen in sein Herz aufgenommen hat. Wer ist freier und wer ist unabhängiger vom Gang der Welt und Sünde, als wer auf Erden Nichts mehr begehrt, weil alle seine Begierde in Gott ruht? Erinnert euch, meine Lieben, an jene Augenblicke, in denen euch's gegeben ward, den eignen Willen als eine Fessel abzuwerfen, euch völlig in Gottes Willen hinzugeben: wie fühltet ihr euch da so frei, als wandeltet ihr schon auf Gottes ewigen Auen! wie fühltet ihr euch selig, gleich den Engeln, die von Gottes Willen, wie auf Flügeln, hierhin und dahin getragen werden! Wie selig wäret ihr also, wie selig alle Menschen, wenn kein fremder Wille mehr, wenn nur der selige Gotteswille auf Erden, in allen Menschen, wie im Himmel in den heiligen Engeln, herrschet!

Man redet so viel von festem, starkem Willen, man lobt die Menschen, welche sich in Behauptung ihres eignen Willens standhaft zeigen. Aber mau sollte diese zu ihrem Heile lieber tadeln, sie eigensinnig und böswillig nennen. Denn die heilige Schrift schreibt nur denen Starke zu, welche einen gebrochenen Willen haben und sich schwach fühlen. Der HErr gebietet: „Der Schwache spreche: Ich bin stark!“ St. Paul, voll göttlicher Weisheit, predigt: „Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß Er zu Schanden mache, was stark ist.“ Zu ihm selber sagte der HErr: „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Ebenderselbe versichert aus eigener Erfahrung: „wenn ich schwach bin, dann bin ich stark,“ und: „ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“ Und ihr selbst, meine Theuern, wenn ihr je etwas vollbracht habt, was dem HErrn und Seinen Geboten Ehre machen konnte, eure besten, reinsten Werke, waren es nicht solche, bei denen ihr euch selber in eurer Kleinheit und Schwachheit, Gott aber mit Seiner Kraft in euch mächtig fühltet? O wären wir nur allezeit schwach in uns selbst und stark in Gott! Wie selig wären wir, wenn wir nichts weiter wären, als Ruder in der starken Hand des Steuermanns, als Segel, von Gottes Lüften, d. i. von Gottes Willen getrieben, als Vögel, von Seiner göttlichen Kraft, wie von Flügeln, über jedem bösen Willen emporgehalten und getragen!

Es ist ein großes Lob, einen reinen Willen zu haben. Dem reinen Willen, den reinen Herzen wird eine große Seligkeit zugeschrieben: sie sollen Gott schauen! Aber wann werden wir dahin kommen, daß wir Gottes Angesicht schauen, - wann werden wir reines Herzens, reines Willens werden? Es ist nur Gottes Wille rein und unser Herz wird nimmer rein, es laße sich denn Gottes reiner Wille zu uns hernieder. Die Leidenschaft trübt unsern Willen und unsre Begierde, wie unsern Verstand, sie reißt uns dahin zu unreinem Wesen und unreinen Thaten, und wenn sie uns verführt hat zur Sünde, will sie uns, wie ein geschwätzig Weib, auch noch bereden, zu glauben, daß wir nur Reines und Gutes gewollt hätten! Wer wird uns erlösen von diesem Todesleibe, diesem verderbten Herzen? O HErr, tödte Du unsern bösen Willen, gieb uns Deinen Willen! Laß uns Nichts wollen, als Deine Ehre und Deiner armen Kinder Seligkeit und unsre Seligkeit! Wie selig wird uns das machen, wann Dein Wille in uns lebt! Dein Wille geschehe!

Wenn einer stille und klug in seiner Stille, besonnen und ruhig seinen Weg und eignen Willen verfolgt, wie es ihm die natürliche Anlage seines Wesens an die Hand giebt, der hat Achtung und Furcht von der Welt. Allein für die ruhigsten und besonnensten Männer in der Welt giebt es doch immer noch etwas, was sie aus der Ruhe, aus der Faßung bringt, sey's ein mislungener Plan, eine unbefriedigte Leidenschaft, der Tod oder auch erst das Gericht. Wem aber irgend etwas feinen Frieden, seine Ruhe nimmt, der ist doch noch nicht recht beruhigt, sondern weltlich sicher gewesen. Wie ruhig hingegen ist ein Mensch in der Stunde, in welcher ihm gegeben wird, in Gottes Willen zu ruhen! Was weckt mehr Ehrfurcht, was erinnert mehr an die Gegenwart des HErrn in einer Seele, als wenn ein Christ bei hereinbrechenden Leiden getrost seine Thore öffnet und gelassen, gebeugt unter die gewaltige Hand Gottes sprechen kann: „Dein Wille geschehe!“? Wer ist geschickter, uns zu erbauen, als ein Sterbender, welcher dem Tode seine Thüre aufthut, die Engel, welche seine Seele in's Paradies tragen sollen, als Gesegnete des HErrn nicht draussen will stehen laßen, sie freundlich stille einlädt einzutreten, in ihre Arme, wie volle Aehren in die Hände des Schnitters, sich legt und spricht: „Dein Wille geschehe!“? Kennet ihr eine besonnenere Ruhe, einen größeren, kräftigeren Willen? Und wenn eine Seele, die in ihrem Leben, in ihrem Sterben nur Gottes Willen gesucht hat, am jüngsten Tage mit seliger Freude sprechen kann; „Meines Vaters gnädiger Wille geschehe!“ glaubst du, mein Bruder, diese werde ins Gericht kommen? Gewiß nicht! Solche Besonnenheit, Ruhe am Tage des Gerichts ist nur bei denen, welche Vergebung empfangen und darum schon vor dem Gerichte dem Gericht entnommen sind.

O wäre unser Wille der Wille Gottes! Wie wohl wäre uns gerathen in Zeit und Ewigkeit! Sein Wille ist so frei, so stark, so rein, so ruhig und besonnen. Wäre Sein Wille der unsrige, so wäre der unsrige auch, gleich dem Seinigen, frei, stark, rein, ruhig und besonnen! O Gott! höre uns, und erhöre uns, die wir ernstlich beten: „Dein Wille geschehe!“

5. Aber ach! wir bitten erst: „Dein Wille geschehe!“ und bekennen's damit wiederum, daß unser Gebet noch nicht erhört ist, daß unsers Gottes Wille bei uns noch nicht geschieht. Wir beten diese Bitte schon zwanzig, dreißig, vierzig, ja fünfzig, sechszig, wohl auch siebenzig Jahre alle Tage, - wir beten sie heute noch, und bekennen damit, daß bis auf den heutigen Tag all unser Beten an unserm Eigenwillen gescheitert und zu nichte geworden ist! Wir beten es fort heute und morgen, bis aufs Sterbebette, - wir werden's noch in der letzten Noth bekennen, daß Gottes Wille zur Herrschaft über unsern Willen nicht durchdringen konnte, weil wir bis ans Ende nicht eignen Willens völlig los und ledig, alleine in Gottes Willen lebendig werden wollten! Es ist leider wahr, daß das Leben des Menschen weiter Nichts ist, als ein fortgesetzter, vielleicht oft unterbrochener, aber immer erneuter Versuch, seinen Willen gegen jeden andern, sey es Gottes- oder Menschenwillen geltend zu machen. Wir sind immer und immer wieder im Streite wider die dritte Bitte: wir haben glückliche Tage, wenn unser Wille zu siegen scheint; wenn aber Gottes Wille unserm Willen zuwiderläuft, unsern Willen besiegt, unser Gebet nicht erhört wird, das gefällt uns gar nicht, darüber, ob es schon die größte Wohlthat ist, klagen und trauern wir und sind unglücklich.

O Brüder! wie thöricht sind wir da in beidem, wenn wir uns über den Fortgang unsers Willens freuen und wenn wir uns über desselben Hinderung betrüben! Denn was ist doch unser Wille von Jugend aus? Der HErr, der Gott der Wahrheit, spricht mit Recht: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf;“ dabei bleibt es bis an unser Ende, Darum sage doch ja keiner in dem oder jenem Falle, da ihm etwas mislingt, zu seiner Entschuldigung: „Mein Wille war gut; ich habe es gut gemeint,“ Wäre dein Wille gut gewesen, so wäre er, wenn er sich etwa auch ohne Schuld von seinem Ziel verfehlte, doch Gott ergeben gewesen, du priesest das Mislingen als Gottes Willen und beugtest dich freudig vor Seinem verborgenen Rathe. Aber unser Wille ist nie gut, nie ganz gut und Gott wohlgefällig; man entschuldige und bemäntele sich doch nicht so gern und oft, man suche keinen Heiligenschein für sein verderbtes, böses Herz. - Wiederum sage auch Niemand: „ich habe dies oder jenes vollbracht, ein Beweis, daß mein Wille Gott wohlgefällig, also gut war,“ Es ist oft das Vollbringen nach Gottes Plan, während das Beginnen nichts desto weniger Ihm misfällt. Bringt doch auch Satan nach Gottes Zulaßung vieles hinaus, ohne daß er sich jemals eines guten Willens rühmen dürfte. Gelingt auch etwas - dem Satan oder einem der Seinigen: laß' dich nicht verblenden, wart' aufs Ende und auf den jüngsten Tag: da werden alle Thaten genau nach dem verborgenen Willen des Thäters kundgethan werden und ihr Urtheil empfangen. Trachte nicht nach großen Thaten, die Gottes Willen zuwiderlaufen: sie sind Spreu in Gottes Gericht! Suche keine Wissenschaft und Weisheit, welche du nicht nach göttlichem Beruf und Willen, sondern nur nach deinem eignen, ehrsüchtigen Willen suchen kannst: sie wird dir vor Gott als Thorheit angerechnet! Was ist der Adlerflug eines hochberühmten Lebens, wenn er nicht eine Heimkehr aus dem eignen Willen in des Vaters Willen ist? Wie viel schöner ist ein ruhmlos Leben eines Mannes, deßen Thaten, deßen Weisheit Niemand auf Erden preist, wenn am Tage der Offenbarung aller Wahrheit erscheinen wird, daß Gottes Wille sein eignes Wollen besiegt und vernichtet, ihn klein und demüthig gemacht hat vor dem HErrn? - Unser Wille ist schlecht; nur Gottes Wille ist gut und macht gut den, in welchem er siegt. Das sehen gerade die frömmsten Menschen am tiefsten ein, und St. Paulus, derselbe, welcher sagen kann: „ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir,“ welcher triumphirt: „ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus,“ ist es auch, welcher klagend bekennt: „ich sehe ein andres Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüthe“, „ich thue nicht, was ich will, sondern was ich nicht will, das thue ich“, „ich weiß, daß in mir, d, i, in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes“, „ich diene mit meinem Gemüthe dem Gesetze Gottes, aber mit dem Fleische dem Gesetz der Sünden,“ Es sind und bleiben im Menschen, wenn er schon wiedergeboren ist, zwei Willen im Streite, so lange er lebt. Eine Stimme des Herzens und Ein Wille ist nur im Himmel und in der Hölle - dort des HErrn, hier des Satans Wille, Der Mensch aber, er erkenne es nun deutlicher, wie der aus Gott geborene, durch Gottes Wort erleuchtete, oder undeutlicher, wie der Weltmensch, so lange er sich nicht gar an den Bösewicht ergeben hat, - der Mensch hängt zwischen Himmel und Hölle: beide streiten in seiner Seele und um seine Seele, wie Satan und Michael um den Leichnam Mosis. Das ist der Wille der Besten und Frömmsten: wohl dem, der es erkennt und sich geduldig in den Streit begiebt, denn Geduld und Ruhe der Heiligen ist hier nöthig!

6. Während wir uns also leiden als gute Streiter Jesu Christi, ist der allmächtige HErr ohne Unterlaß in uns beschäftigt, unsern Willen je mehr und mehr zu brechen; Sein heilsamer Gang eilt immer treulich zu dem Ziele, was wir wollen, hoffen, wünschen als eitel bösen Willen, Hoffnung und Wunsch zu zernichten und zu zerbrechen. Er schneidet jede Regung des eignen Willens als einen schädlichen, üppigen Auswuchs unter heilsamen Schmerzen bei denen am eifrigsten ab, welche in Christo Jesu, dem allem guten Weinstock, eingepflanzt sind. Es geht uns oft, wie Bileam: der HErr heißt uns hierhin oder dahin gehen; wenn wir aber in unsern, von Gott gebotenen Gang unsern Willen mischen, so stellt Er uns einen Engel mit flammendem Schwert in den Weg. Es muß mit dem alten Menschen in uns zum Untergang gehen: hier hilft kein Sträuben, kein Ach, noch Weh. Die Sucht nach Ehre und großem Namen, der Freudengeiz, der Gunst- und Liebesgeiz der Menschen, ihr Geldgeiz, die Sehnsucht der Jugend, ihre Hoffnungen und Träume, sammt aller erheuchelten Selbst- und Werkgerechtigkeit: der Herr führt alles das langsam oder schnell, auf einmal oder je nach und nach zum bittern Tod, ins gnadenreiche Waßer, durch welches Israel entrann, in welchem Pharao versank: des HErrn Wege sind oft sehr dunkel, Er führt Seine Heiligen oft wunderlich, aber Er führt Alles herrlich hinaus, - Er züchtigt jeglichen Sohn, den Er lieb hat, den Lazarus mit Schwären, den Eingebornen selber mit dem Kreuze! - Das merke dir, liebe Seele! deinem Willen muß weh geschehen bis in den Tod: damit dir's leichter werde, so bete: „Dein Wille geschehe,“ Verläugne dich in der Kraft deines HErrn, hülle dich in den Willen deines Gottes, bete dein Gebet der dritten Bitte, übe dich daran in der Zeit, wo du die Hand des HErrn fühlst, thue es willig; sieh, dann ist dein Wille gut, du kämpfst unter Gottes Fahnen, bist mit Ihm Eins wider dich selbst - und dein Gebet der dritten Bitte geht in kräftige Erhörung!

Wenn wir aber so gar zu nichte werden sollen, wenn uns statt unsers Willens Nichts übrig bleibt, als stilles Harren und Ergebung in Gottes Willen; ist das nicht des Menschen unwürdig? wird nicht damit einem jeden Alter jenes fröhliche Emporstreben genommen, durch welches man in der Welt Bedeutung gewinnt? muß nicht vom Jünglinge bis zum Greise ein jeder Mensch seine Ansprüche fahren lassen? ein jeder sein Köstliches? - Ja, allerdings, das muß ein Jeder, Aber was ist's doch? Es ist Nichts mit dem Emporstreben und mit den Ansprüchen: Stolz bringt sie hervor und der Stolz ist eine große Sünde; - und was köstlich ist in der Welt, ist eine Grasblume, die verwelkt; wer sich ihrer freut, ist ein Thor und wird sich bald betrüben müßen über ihr Verwelken.

Liebe Seele! sage und geberde dich, wie du willst: wenn du nüchtern wirst, bleibt dir doch nichts Anderes übrig, als darin Gottes Gebote zusammenzufaßen, damit zu ihrer Erfüllung zu schreiten, daß du verzagst an dir, an Allem, nur nicht an deinem Gott! Es bleibt nichts übrig weiter! Gieb dich nur darein - laß dein Herz brechen und trau' auf das für dich am Kreuz gebrochene Herz, welches ewig für dich lebt und betet! Findest du bei genauer Untersuchung deiner Seele, daß in dir Nichts ist, als dein Verderben, so sey zufrieden; denn das ist Gottes Wille und mehr sollst du in dir nicht finden. Man kann nicht Trauben lesen von den Dornen, noch Feigen von den Disteln. Gieb dich drein und sprich: „Dein Wille geschehe!“ Wisse aber auch, mein Bruder, daß du dein Heil dennoch finden sollst; denn der HErr spricht: „Dein Heil steht allein bei Mir!“ So suche also dein Heil nach dem Willen Gottes da, wo es ist, bei Gott! bei dem Gott der Gnaden! denn das ist, es kurz zu sagen, der Wille Gottes, daß du aus Gnaden selig werdest und aus der lauteren Gnade Gottes dein Heil annehmest.

Aber wie, sprichst du, wie soll da eine völlige Erfüllung der dritten Bitte kommen, wie soll da Gottes Wille auf Erden geschehen, wie im Himmel, wenn alle Menschen in sich selber nur Verderben, in Gott und Seiner Gnade allein das Heil finden sollen? Dienen nicht alle Engel in Heiligkeit dem HErrn und ist's nicht Gottes Wille, meine Heiligung? Bete ich nicht eigentlich um Heiligung, wenn ich bete: „Dein Wille geschehe!“? -

Mein Bruder, höre meine Antwort. Was ist die größte Tugend und worin steht der Engel größte Heiligkeit? Ist's nicht die Demuth, welche sie unter den Menschenkindern berühmt macht? Welche andre Tugend preis't an ihnen Gottes Wort mehr, als die, nach welcher sie Lust und Muth haben, klein zu seyn, und nicht die einzigen Heiligen im Himmel bleiben, sondern die armen Menschen zu sich und ihrer Glorie versammeln wollen? Und wenn nun du deine falsche, hohe Meinung von dir selber ablegst, wenn du in allen deinen Thaten deinen bösen Willen erkennst, nicht mehr auf eine Tugend trauest, die du nicht hast, sondern es dir (o HErr, vergieb dies Wort!) gefallen läßest, aus Gnaden selig zu werden und deine Gerechtigkeit aus den durchbohrten Händen geschenkt zu nehmen: ist das nicht der Ansang deiner Tugend, fängst du nicht eben damit an, deiner selbst los und klein, wie die Engel demüthig zu werden, und wie sie im HErrn allein zu leben? Wenn aber das ist, was gilt alsdann dein Einwurf? - O steig getrost herab, mein Bruder, vom Throne deiner Einbildung ins Grab deines Eigensinns und Eigenwillens, laß ihn darin verwesen und vermodern und freue dich! Erst so wirst du hervorbrechen, wie der Morgenstern! Gottes Wille wird an dir geschehen: Er wird dich mit Seines Jesus Gerechtigkeit kleiden; die wird deine Sündenwunden zugleich decken und heilen! Er wird mit dem Blute Seines Sohnes dein Herz, deinen Mund, deine Hände reinigen vom Eigenwillen! So entsündigt wirst du den Willen deines himmlischen Vaters lieben, ihn wollen und immer mehr ausführen! Auf Erden wird es zwar immer Stückwerk, aber doch in immer abnehmendem Grade Stückwerk seyn; einst aber wirst du erwachen nach Gottes Bilde und wirst heilig seyn, wie Er! Fürchte dich nicht, glaube nur! Dein Glaube wird hier, dir bewußt oder unbewußt, seine Früchte tragen! Laß deinen Glauben walten: er wird dich zur Seligkeit hindurchdringen, Seine Frucht wird seyn Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes ewiglich! Ja, kämpfe den guten Kampf des Glaubens bis ans Ende. Was gilt's, du wirst dich alsdann in der Zahl der Heiligen Gottes finden? Das geschehe, das ist Gottes Wille! O unser Gott, Dein Wille geschehe! Amen.

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