Löhe, Wilhelm - Vaterunser - III. Matth. 6, 10. Dein Reich komme.

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - III. Matth. 6, 10. Dein Reich komme.

1. Der Mensch sucht von Natur nicht, was Gottes ist, sondern was sein ist, seines Namens Ruhm, seine Herrlichkeit, seinen Willen. Der HErr aber will durch die neue Geburt bewirken, daß der Mensch sich selbst vergeße und verachte und dagegen Ihn, den HErrn, Seines Namens Ruhm, Seines Reiches Wachsthum und Mehrung, Seinen Willen suche. Darum sind die vornehmsten Bitten des Vaterunsers, nämlich die drei ersten, so stille von dem, was des Menschen ist, und rufen so sehnlich zu Gott: „Dein, - nicht mein - Name werde geheiligt“; - „Dein Reich komme“; „Dein, - nicht mein - Wille geschehe!“ Und erst, nachdem die Seele diese Bitten mit inbrünstiger Andacht gebetet hat, heißt Gott sie um das Ihre beten, erst dann rufen wir: „unser täglich Brot gieb uns heute; vergieb uns unsre Schulden, wie wir vergeben unsern Schuldigern; führe uns nicht in Versuchung; erlöse uns von dem Uebel!“ Siehe, so sehr begehrt der barmherzige Gott den Menschen von ihm selbst hinweg, zu sich hinanzuziehen, damit das arme Geschöpf des ewig reichen Gottes theilhaftig werde. - Eine gleiche Absicht scheint es zu haben, wenn uns der HErr im Vaterunser zuerst beten lehrt: „Dein Name werde geheiligt!“ und dann erst: „Dein Reich komme!“ Es soll nämlich der Mensch nicht zunächst deshalb um das Reich Gottes beten, weil es ihm in demselben für seine Seele beßer geht; sondern er soll die zweite Bitte beten, damit die erste geschehe, - er soll um das Reich Gottes beten, weil nur im Reich Gottes der Name Gottes nach Winden hoch und groß und heilig ist. Ein Kind Gottes sucht nicht seine eigne Ehre; dafür aber ist Einer im Himmel, der sie sucht, nämlich der Vater unsers HErrn Jesu Christi. Ein Gotteskind trachtet nach Seines Vaters Reich nicht aus Eigenliebe, sondern aus Liebe zu dem allerbesten Vater: kommt aber dann des Vaters Reich, so haben es alle Seine Kinder gut; denn es steht geschrieben: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit; so wird euch das Andre alles zufallen!“ So baut ein Knecht den Acker seines Herrn - und nimmt hernach von der reichen Ernte des HErrn auch seinen Lohn. Ein Christ sucht Gottes Ruhm: dann fällt ein Strahl des Ruhmes seines hochberühmten Gottes auch auf ihn und verklärt ihn: er wandelt im Licht des HErrn und dankt Ihm. Wir leben, weben und sind im HErrn: wie ER, so wir: wir leiden und herrschen mit Ihm: Er ist unser Wohl - und unser Weh: unsre Schmach - und unser Schild und großer Lohn! - - Sehet da den Zusammenhang der ersten und zweiten Bitte des. Vater-unsers.

2. Indem wir beten: „Dein Reich komme!“ gestehen wir, daß es noch nicht gekommen ist; denn was man bittet, das hofft man erst zu empfangen; aber man freut sich desselben nicht, als hätte man es schon. - Ja, leider leben wir noch nicht mit Leib und Seele in dem, das unsers Vaters ist; es ist ein trauriges Reich, in welchem wir Herbergen und Hausen müßen: in diesem Reiche ist Satan König, seine Rotten haben Wort und Recht und Macht an sich gerißen; Gottes Kinder aber gehen als verachtete Fremdlinge gebückt und eilend durch dasselbe hin, - ach! sie fühlen sich von diesem Reiche rings umfangen, als wären sie selber Kinder desselben. Doch ist ein großer Unterschied zwischen den Fremdlingen in dieser Welt und zwischen denen, welche in derselben ihre Heimath sehen. Diese leben willig im Reiche des Satans, dienen ihm von Herzen, laßen sich's bei ihm Wohlgefallen, stehen mit Leib - und Seele für sein Reich. Jene aber leben mit Widerwillen in den Gränzen dieses Reichs, hassen seine Freuden, seine Ehren, seine Sünden von Herzen - wißen nur nicht, wie sie aus diesen Sclavenketten herausfahren und entrinnen sollen auf die Berge, wo ihre Hülfe und ihre Freiheit wohnt. - Liebe Brüder! Wenn einer von uns zu dem Theil der Erstgenannten gehört, was hat er davon? Die Sünde reißt ihn hin, treibt ihn immer tiefer in ihren bodenlosen Schlamm hinein. In sich hat er beim Licht beschaut keinen Frieden; denn es steht geschrieben: „die Gottlosen - d. i. die von Gott getrennten, einem Fremden dienenden - haben keinen Frieden!“ Außer sich hat er auch nicht viele Ruhe: denn ein Weltkind hat alle Plagen dieses Lebens, Anfeindung, Haß und Neid, Krankheit, Unfall und Todesnöthen mit Gottes Fremdlingen in dieser Welt gemein, empfindet sie überdies schwerer, hat auch jene Kraft und Geduld nicht, welche Gotteskindern aus dem Frieden ihres Vaters für ihre Kreuzeswege zufließt. Der Weltmensch dient seinem Pharao mit derselben Anstrengung, wie einst die Israeliten in Aegypten ihrem Pharao: was aber hat er für Dank? Der Satan giebt schon auf Erden nur Dornen, mit Eintagsblüthen eines Rosenstrauchs überdeckt; am Ende aber reicht er lachend eine scharfe Dornenkrone für die Ewigkeit, einen Wurm der Verwesung, der nicht stirbt, ein unverlöschliches Leichenfeuer. Wahrlich! zu bedauern sind Alle, die ihre Kräfte im Dienste der Welt verzehren: sie haben niemals wahre Freude, sondern ein trübes Feuer der Leidenschaft, ohne Heiterkeit und Stille, kein Gotteswort, kein Gebet, keine Aussicht auf Gottes Gnade, keine Aussicht auf die ewige Seligkeit. Da ist der Zustand der Kinder Gottes auf Erden doch immer noch vorzuziehen. Auch sie leben zwar in der Welt, im Reiche des Satans, sind sehr angefochten von den Schrecken und Lockungen der Sünde, fallen auch manchmal in ihrer Schwachheit dahin in der Menschen Lüste und Sünden und haben dann Jammers die Fülle. Weil sie dennoch mit ihrem Gemüthe Gott dienen, tragen sie dazu Haß und Leiden von der Welt; und weil der Geist willig, das Fleisch aber schwach ist, verdammt sie zuweilen auch ihr Herz, daß sie die volle Freudigkeit zu Gott nicht finden können; sie beklagen es oft, daß sie Traber der Welt genoßen haben, da sie himmlisches Manna auf allen Gräsern liegen sahen. Sie denken ans Vaterhaus und weinen vor Sehnsucht! Es wird ihnen so wehe, in der Wüste zu wallfahrten und in Hütten zu wohnen, die 40 Jahre ihrer Wanderung werden ihnen so lange und Kanaan ist noch immer so weit entlegen - und die Last des Treibers ist so schwer. Aber, aber - selig sind dennoch diese Kinder Gottes! Diese in Verbannung lebenden Fürstenkinder sind vom Satan angefochten, aber nicht beherrscht; sie freuen sich ihrer Ketten nicht, sie schütteln sie, ob sie nicht bald brechen werden; - sie sind doch nur Pilgrime, Gäste, Fremdlinge in dieser wandelbaren Welt; sie wallen und glauben und hoffen einer bleibenden Stadt entgegen; voll Sehnsucht, voll Unzufriedenheit mit dem Reich der Welt, voll Reue, Leid und Schmerzen über ihre Sünden, die sie von ihrem vollen Gottesfrieden scheiden, rufen und beten sie unaufhörlich zu ihrem allgegenwärtigen Vater: „Zu uns komme Dein Reich! Dein Reich komme!“ Ist nicht in diesem unabläßigen Rufen schon eine heimliche Vereinigung mit dem Vater, schon ein verborgener Anfang der Seligkeit? ein Anfang, deßen großer Werth erst recht erkannt werden wird, wenn wir einmal Gottes Wege schauen werden und ihre verborgenen Wohlthaten, wie sie sind! - Ist nicht im Kampf und Weinen der Pilger Gottes mehr Leben und Lust, als auch im fröhlichsten Leben der Kinder dieser Welt; in ihren Klageliedern dennoch ein geheimer, die Seele nährender Freudenton? Wird ein Pilger Gottes mit einem Bürger dieser Welt tauschen mögen, er, der nicht steht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare, der eine feste Zuversicht dessen hat, das er hoffet und nicht zweifelt an dem, was er nicht sieht? - Und Gott? Sollte ER nicht auch retten diese Seine Auserwählten, die zu Ihm Tag und Nacht rufen, und sollte Geduld darüber haben? Ich sage euch, spricht der HErr, ER wird sie erretten in einer Kürze! Ja, ER wird sie erhören! ER vergiebt ihnen ihr Elend und ihre Sünde und tröstet sie in der Wartezeit so schön durch Seinen lieben Sohn, welcher spricht: „Fürchte dich nicht, du kleine Heerde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu bescheiden!“ Sollten solche Tröstungen sie nicht selig machen in Hoffnung? Ist nicht dennoch ihr Loos aufs Liebliche gefallen?

3. Das Reich nun, um welches Gottes Kinder bitten, das ihnen verheißen ist, welches sie auch empfangen werden, ist nicht das Reich der Allmacht; um dieses hat man ja nicht zu bitten, es ist überall. Alle Dinge stehen in Gottes Macht, selbst diese Welt, selbst die Hölle, selbst der Satan: trüge sie nicht das Wort der Macht, so flöhen sie alle dahin und würden nicht mehr funden! Dem Reiche der Macht kann man nicht entfliehen, von dem allmächtigen Gott heißt es: „Führe ich gen Himmel, so bist Du da: bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist Du auch da! Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen und Deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken, so muß die Nacht auch Licht um mich seyn. Denn auch Finsterniß nicht finster ist bei Dir, und die Nacht leuchtet, wie der Tag: Finsternis ist, wie das Licht.“ - Das Reich, um welches wir beten, ist das Reich, welches der Vater dem Lamme übergeben hat, das Reich des priesterlichen Königs Christus, das Reich des Erlösers, das Reich der Erlösung. Von dem König dieses Reiches spricht der Vater: „Ich habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion.“ Der König spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!“ Seine Kirche jauchzt: „Du hast Ihn zum HErrn gemacht über Deiner Hände Werk! Alles hast Du unter Seine Füße gethan! Du hast ihn laßen auffahren und niedersitzen zu Deiner Rechten! Du hast Ihn erhöhet über Alles, - Du hast Ihn zum Haupte der Gemeinde gesetzt! Du hast Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist!“ Von diesem König sagt der Geist der Weißagung: „Gott, Dein Stuhl währt von Ewigkeit zu Ewigkeit: das Scepter Deines Reichs ist ein grades Scepter! Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehaßt die Ungerechtigkeit: darum hat Dich, o Gott, dein Gott gesalbt mit dem Oele der Freuden über Deine Genoßen!“ - Die Ankunft des Reiches dieses Königs begehren wir im Vaterunser! Es ist nicht von dieser Welt, das Reich unsers Gebets: keine Legionen von Kriegsknechten, sondern die Legionen der heil. Engel vertheidigen es! Es ist nicht, wie der Menschen Königreiche: diese werden mit Blutvergießen vieler Menschen gegründet: das Reich unsers Königs Christus ist durch Sein eigenes Blut gegründet! Menschenblut stiftet menschliche Königreiche; Gottes Reich ist durch das Blut Eines Menschen gegründet, welcher Gott ist! Jacob diente um ein Weib sieben Jahre und wurde reich dabei: Christus diente um die Gemeinde, die sein Reich und seine Braut zugleich ist, dreißig Jahre und verlor im sauern Dienste alle Gestalt und Schöne, wurde arm und elend, litt aller Menschen Plagen und endlich aller Menschen Tod! David wurde lange verachtet und verfolgt, bis er von den Krippen seiner Heerde bis zum Throne kam, der ihm verheißen war: Christus aber lag selbst in einer Krippe, litt lebenslang den Hohn und Spott der Menschen, wurde unter die Uebelthäter gerechnet und mit ihnen, in ihrer Mitte ans Kreuz geschlagen. Er konnte nicht eher herrschen, bis er gestorben war, - aus Seinem Kreuze wurde Ihm Sein Scepter, - aus der Erde, die er mit Seinem Todes-Blute benetzt hatte, wuchsen Ihm Seine Unterthanen, wie das Gras, - David suchte sein ihm vom HErrn verheißenes Reich, aber nicht die einzelnen Unterthanen, einen jeden insbesondre; aber unser König sucht jeden einzelnen, sucht mühesam zusammen, was Ihm gehört, was Ihm der Vater als Lohn seiner Leiden zuerkannt hat, - läßt sich keine Mühe, keine Arbeit, keinen Streit, keine Wartezeit, keine Geduld verdrießen, welche er immer nur auf ein verlornes Schaf wenden muß, um es zu gewinnen, Er kennt die Gefundenen, die Glieder Seines Reichs, mit Namen, kennt und ruft sie mit Namen, speist einen Jeden mit seinem Fleische und Blute! Einen solchen König hat Gottes Reich und so waltet dieser König in Seinem Reich! Wie ist ER, wie ist Sein Reich so würdig, daß man täglich, daß man unaufhörlich bete: „Zu uns komme Dein Reich!“ 4. Dieses Reich unsers Königs ist gedoppelt: es ist ein Gnadenreich und ein Reich der Herrlichkeit; um beide bitten wir. Wir bitten ums Reich der Gnade. Ja, die Gnade herrscht im Reiche Jesu Christi. Der Mensch, wie er von Natur ist, glaubt freilich ein Recht an Gottes Reich, - einen eignen Werth und darum einen Anspruch auf Gottes Wohlgefallen und Lohn zu haben. Aber zum Eintritt in jenes Reich gilt kein Recht, kein Mensch hat vor Gott Werth und Verdienst. An der Gränze dieses Reichs steht überall der Name: „Gnadenreich!“ überall Gottes Wort, wie ein feuriges Schwert, an welchem jeder eitle Wahn, alle erdichteten Ansprüche des menschlichen Herzens verwelken, wie schwache Blüthen vor den Sonnenstrahlen. Gottes Wort zeigt dem Menschen, der Gottes Reich begehrt, statt vermeinter Vorzüge eine zahllose Menge von Sünden und Uebertretungen, statt vermeinter Anstrengungen um des Guten willen viel Unterlaßung von Gott gebotener Werke; Gottes Wort öffnet ihm die Augen, daß er in allen seinen, auch den besten Werken und Worten nur Befleckung seiner Seele, und in dem, was Gutes übrig bleibt, nur Gottes Gnade sieht. Statt seines Werthes lernt er seinen Unwerth kennen, - seine Ansprüche verstummen, er sieht mit Schrecken im Lichte des Gesetzes, daß er seine Achtung vor sich selbst, seinen Stolz und Verachtung Anderer fallen laßen muß, daß er statt in einer Reihe Edler und Liebenswürdiger in der Reihe der Gottlosen, der Verdammungs- und Verfluchungswerthen steht. Im Reiche der Gnaden stirbt des Menschen Recht, und er behält vor dem HErrn, Seinem Gotte; Nichts übrig, als ein schreiendes, schreiendes Unrecht. Und wenn ihm so zu Muthe wird, wenn er in sich mit Weh und Leid Nichts sieht, als sein Verderben, dann wohl ihm: Gin Schritt, der erste, saure ins Reich der Gnade hinein ist vollbracht: die Pforte ist gefunden: arm, nackt, jämmerlich, blind und blos dringt er hindurch, aus der Tiefe um weitere Gnade rufend. Gnade hat den Menschen gebeugt, Gnade erhebt ihn wieder; das Reich der Gnaden hat uns zum Untergang geführt, nun geht die Sonne des Reiches auf und Heil unter ihren Flügeln. Gnade hat uns unsre vermeinten Rechte genommen, Gnade beschenkt uns mit beßeren Rechten, mit den Rechten Christi: Gnade schenkt statt unsrer Rechte unverdiente Segnungen des HErrn. Was mau sich vorher fälschlich angemaßt hat, das empfängt man nun vom ewigen Bräutigam zur Morgengabe wieder, gereinigt, geheiligt, erhöhet und vermehrt. Des HErrn Wort geht in Erfüllung: „Wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Aecker um meines Namens willen, der wird es hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.“ Wir bringen beim Eintritt ins Reich der Gnaden nur Sünden mit: als geladene Hochzeitgäste empfangen wir Vergebung der Sünden und Erlösung von ihren ewigen Strafen. Ungerecht kamen wir an: uns wird genommen die Ungerechtigkeit und geschenkt die Gerechtigkeit des Sohnes Gottes, ja Gottes Sohn selber zur Gerechtigkeit. Wir achteten uns nicht werth, Taglöhner bei unserm Vater zu seyn: als Kinder werden wir empfangen, das Wort der Verheißung in unser Herz geschrieben, wir werden mit dem Zeugnis des heiligen Geistes begnadigt, daß wir Gottes Kinder sind. Sonst kannten wir keinen Frieden, als den Frieden gefühlvoller Stunden, die mit einem Glockenschlage kommen und mit dem andern unwiederruflich gehen. Nun wird unser Gewißen durch Vergebung der Sünden, durch Schenkung der Gerechtigkeit Christi, durch die unumstößliche Versicherung des göttlichen Worts mit einem Frieden erfüllt, der über alle Vernunft ist, - wir empfangen die Versicherung eines ewigen Bundes, einer ewigen Ruhe, - wir sehen unsern Frieden auf dem Felsen des Wortes Gottes gegründet und von heiligen Eiden des HErrn wider alle Feinde verschanzt: wir jauchzen: „Deine Schafe kann Dir Niemand nehmen!“ Im sichern Halten an dem Worte des wahrhaftigen Gottes finden wir eine Zuversicht zu Gott, welche uns in allen verschiedenen Stimmungen, in allen Stürmen unsers Herzens, bei all' den mancherlei Gestaltungen unsers Lebens stille seyn und harren lehrt, - eine Zuversicht, welche, sicher überzeugt, daß Gott seinen Bund nicht bricht, auch wenn wir straucheln, zufrieden, daß das Herz an Gottes Herzen schlägt, getrost, es gehe, wie es wolle, sprechen kann: „Dennoch bleibe ich stets bei Dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach Deinem Rath und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur Dich habe, so frage ich Nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil!“ - Solche Zuversicht ist der Glaube, der auch die Welt und den Tod überwindet. Wo dieser Glaube ist, ist Gottes Liebe in die Herzen ausgegoßen und weckt zur Gegenliebe! Gottes Liebe zündet unsre Liebe an und in dieser Liebe lebt der Gläubige im Gnadenreiche zeitlich hier ein göttlich Leben! Er dient dem HErrn mit entsündigtem Gemüthe, mit gereinigtem Herzen, mit heiligen Händen, in einem neuen Leben!

5. Vielleicht ist irgend Einer unter euch, welcher bei diesen eben angegebenen Merkmalen des Reichs der Gnade seufzend an seine Brust schlägt und, wohl erkennend, wie sehr es ihm noch an dem allen fehle, zu Gott seufzt: „Gott sey mir Sünder gnädig!“ und: „Dein Reich komme!“ Aber, o Seele, die du also gedemüthigt bist, wiße, daß, wer so, wie Du, seufzt und auf den für Alle gekreuzigten Christus vertraut, dennoch im Reiche der Gnaden steht. Gieb dich nur recht in die Gnade, welche dir im werthen Worte des HErrn zugesichert ist, - begehre nur vor Gott nicht ein Recht zu haben, - laß dir nur an der im Wort verbürgten Gnade genügen; so wird doch nach und nach, du magst es inne werden oder nicht, etwas aus dir werden zum Lobe der herrlichen Gnade! - Doch aber ist deine Sehnsucht, von dem Dienste der Sünde frei zu werden und dem HErrn alleine zu dienen, etwas Redliches und Unverwerfliches. Es ist ja auch der Wille Gottes, daß wir vom Dienst der Sünden frei und erlöset werden, - es ist der Wille Gottes, unsre Heiligung. Wir sollen uns strecken nach dem, was da vorn ist, und ringen, zu der vollkommenen Mannheit Christi hinanzuwachsen. Es wird auch eine Zeit kommen, wo wir allein von Gottes Geist regiert seyn, dem HErrn im Gehorsam aller uusrer Kräfte dienen werden. Dies wird im Reiche der Herrlichkeit geschehen. Dieses Reich der Herrlichkeit ist jetzt schon: jetzt schon thront der ewige König, von tausendmal Tausenden heiliger Engel bedient, besungen von allen Schaaren der Seligen! Aber ER und Sein herrliches Reich sind noch unsern Augen verborgen. Die, welche dem Leibe nach in dem HErrn sterben und in ihre Kammern gehen, gehen aus der sichtbaren Welt in dieß unsichtbare Reich der Herrlichkeit hinein. Selig sind sie: sie verlaßen, was eitel und nichtig ist, und ergreifen ein ewiges Leben. Als der Schacher am Kreuze sterbend hieng, war ihm jenes herrliche Reich verborgen, er fühlte von einem ewigen Leben Nichts, sein Herz war durch den zeitlichen Tod mit aller Qual und Bangigkeit angefüllt; aber es wurde ihm verliehen, ein verborgenes Reich des mitgekreuzigten Jesus zu glauben, er rief betend: „Gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst!“ Der HErr verhieß ihm darauf zwar nicht, daß Sein Reich zu ihm kommen, wohl aber daß er in Sein Reich kommen sollte. „Du sollst heute noch mit Mir im Paradiese seyn“ - versicherte Er. Laßet, geliebte Brüder, uns alle Stunden beten, wie der Schacher, damit auch wir in unsrer letzten Stunde ins Paradies des Reiches der Herrlichkeit gehen! - Indeß wird auch einmal die wörtliche Erfüllung der zweiten Bitte kommen und das Reich Gottes wird zu uns kommen. Der König wird sich in Mitte Seiner Heiligen aufmachen in Seiner herrlichen, schönen Pracht - und wir werden jauchzen wie Israel: „Gelobt sey das Reich unsers Paters David, das da kommt!“ Dann hört die Sünde auf; alle Lust und Liebe zu ihr ist nicht mehr; die Anfechtung, die Gewalt derselben hat ein Ende. Niemand wird dann mehr seufzen: „Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ - Denn der Leib des Todes ist nicht mehr, ein neuer Leib, eine heilige Hütte Gottes wird uns umfangen haben. Dann werden wir nicht mehr, wie jetzt, vor Schaam und Jammer weinen, wenn wir Jesu heiliges, liebevolles Beispiel betrachten; denn wir werden seyn, wie ER, Dann zeigt sich die Gnade, die, so lange wir auf Erden lebten, klein erschien, weil sie verborgen war, offenbar, groß und herrlich. Nach tiefer Niedrigkeit folgt eine große Erhöhung; die Thränensaat bringt ihre Freudenernte. Das Paradies wird aufgethan; es ist wiedergekehrt, was zuerst gewesen war, das selige Leben des ersten Adam vor dem Falle, - schöner, verklärter ist es wiedergekommen durch das Verdienst des zweiten Adams, Christus! Liebe Brüder! wer die Sünde haßt, wer nach der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes und Seiner Kinder begehrt, der hebe seine Hände auf mit der ganzen heiligen Kirche und bete inbrünstig mit ihr: „Komm bald, HErr JEsu!“ Und der HErr wird Seiner Kirche die Antwort geben: „Siehe, ich komme bald!“

Liebste Seelen! Das Reich der Gnade, in welchem Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste wohnt, welches zu uns kommt, ja immerdar im Kommen ist, laßet uns doch mit immer erneutem Eifer herbeizubeten trachten!

Sprechet betend: „Dein Reich komme! es komme und besiege in mir das Reich des Satans! Dein Reich, sein Friede, sein Gehorsam komme zu mir! Es komme in unsere irdischen Königreiche, in unser Vaterland, zu unserm König, seinen Großen und seinen geringsten Unterthanen! Laß alle Unterthanen unsers irdischen Königs auch Unterthanen Deines Reichs werden, ewiger König! Dein Reich, o Hirte aller Welt, komme zu allen Nationen! Es ist ihm ja verheißen, daß es von einem Meere bis ans andere und bis zu der Welt Ende gehen soll. Und Dir selbst, o König, ist von dem Vater verheißen, daß alle Könige Dich anbeten, alle Heiden Dir dienen sollen! O unser König, siege! Dein Triumphzug gehe fort: alle Lande müßen Deiner Ehre voll werden!“ Also, lieben Brüder, laßet uns ohne Aufhören beten! Ein jeder bete ums Reich der Gnade, aber auch ein jeder um das Reich der Herrlichkeit! Wer seinem Vater, seiner Mutter, seinen Geschwistern, seinen Kindern, seinen Freunden, wenn sie nun sterben werden, den Eingang in das Reich der Herrlichkeit gönnt; wer seine Angehörigen, wenn nun bald der Zorn des Allerhöchsten hereinbricht und das verborgene Reich vor aller Augen in Pracht und Macht erscheint, unter denen sehen möchte, welche ihre Häupter aufheben werden, darum, daß sich ihre Erlösung naht: der bete im Andenken der Seinigen und im Gedanken des herrlichen Reichs Gottes: „Dein Reich komme!“ Ja! möge keiner von den Eurigen am Tage, da das Reich kommt, sein Haupt in ewige Schaam senken müßen, möge vielmehr jedes von euch geliebte Haupt alsdann eine Krone tragen! Vor allem aber: möget ihr für die Seligkeit eurer eignen Seelen unabläßig beten und zur Antwort bekommen eine Ahnung jener ewigen Herrlichkeit, eine sichre Gewißheit aus dem Wort und Geiste der Verheißung, daß ihr nicht verloren gehen sollet! Gott, welcher in der heiligen Taufe einen Bund mit euch gemacht hat, der nicht aufgehoben worden ist bis auf diesen Tag, auch wenn ihr ihn verachtetet oder vergaßet; ER, welcher Lust hat, euch zu erretten, will denen, welche betend zu Ihm wiederkehren, hier Seine Gnadenpforten, dort die Thore des ewigen Lebens öffnen, - ihnen Sein Reich schenken mit allen Gütern desselbigen! Wohl kommt Sein Reich auch ohne unser Gebet! Kommt es aber ohne unser Gebet, wie muß es erst kommen, wenn wir ernstlich, wenn wir einmüthiglich beten? Betet, Brüder! Der HErr heißet uus bitten und verheißt, uns zu geben, was wie bitten! Betet, damit Sein Gebot und Seine Verheißung erfüllt werde! Laßet euch keinen Zweifel irre machen; Gott will erhören und wer möchte zweifeln, daß ER kann? Herrscht ER nicht? Lebt und regiert ER nicht ewiglich? ER kann und der Allmächtige will! Halleluja! Unsre Hoffnung, unsre Zuversicht wächst! Höre uns, o unser Vater! Dein Reich komme; denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit! Sprich Du selber dazu Amen! Amen.

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