Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - XI. Was soll ich tun, dass ich selig werde?
Was soll ich tun, dass ich selig werde?
Apostelgeschichte 16, 30. 31.
Auch diese Geschichte hätte kein Mensch erfunden. Diese zwei Sendboten, die in ihrem Gefängnis Gott lobsingen; das Erdbeben, das die Türen öffnet und die Fesseln löst; der bestürzte Gefängniswärter, welcher plötzlich sein Seelenheil und seine Ewigkeit bedenkt; die wunderbare Wirkung der Worte: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig werden, du und dein ganzes Haus“; das neue Leben, das sich dem Herzen des Gefängniswärters mitteilt und übergeht auf die ganze Familie; die Taufe durch zwei Gefangene, mitten im Sturme vorgenommen; dies Alles trägt einen Stempel, der auf eine höhere Welt hindeutet. Aber außer den wunderbaren Umständen finden wir in derselben Geschichte eine Reihe heilsamer Belehrungen. Es gibt also eine Freude, welche auch im Kerker noch ausbrechen kann; Gott kann also Himmel und Erde bewegen, wenn er seinen Dienern Zeugnis geben will; es gibt also für jeden Menschen, auch den unscheinbarsten, Entscheidungsstunden; und ist das Gewissen erwacht, so ist es also die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, welche von der Verzweiflung uns errettet; und der Glaube an Jesum ist also nicht nur die Kraft Gottes, selig zu machen, die da glauben,“ sondern auch die Quelle der Liebe und der Werke der tätigen Aufopferung. Was der Gefängniswärter für die Apostel tut, von dem Augenblick an, wo sich sein Herz dem Glauben eröffnet hat, ist die notwendige Folge einer jeden wahren Bekehrung. Alle diese Belehrungen hängen innig mit einander zusammen. Der ganze Schwerpunkt aber der Geschichte liegt in dem Rufe des Gefängniswärters: „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ und in der Antwort: „Glaube an den Herrn Jesum Christum und du wirst selig werden, du und dein Haus.“ Beide sind für einander geschaffen, die Frage für die Antwort, die Antwort für die Frage. Ohne den Angstruf des Gefängniswärters bliebe die Antwort ohne Wirkung, aber auch was für ein Heil erwüchse uns aus unsern Ängsten, stände das Evangelium nicht mit seiner Antwort uns zur Seite? „Das Brot des Lebens ist vom Himmel gekommen, um uns das ewige Leben zu geben,“ aber ohne den Hunger nach diesem Brote wäre es vergebens vorhanden. Ja, auf das Evangelium bereitet die Frage vor: „Was muss ich tun, auf dass ich selig werde?“ und die einzige Erwiderung auf dieses Heilsbedürfnis liegt in dem Worte: „Glaube an den Herrn Jesum Christ um und du wirst selig werden, du und dein ganzes Haus.“ Die Frage müssen wir zuerst beleuchten und dann die Antwort. Warum ist diese Frage eine so seltene, warum die Antwort eine so kräftige? In diesen zwei Punkten wollen wir den Inhalt unseres Textes zusammenfassen. Sollte man nicht meinen, der Ruf des Gefängniswärters sei der allernatürlichste? Kann man denn ruhig sein, wenn man nicht im Klaren ist über die große Angelegenheit unseres Heils? Deine Geschäfte mögen gedeihen, dein Leib die Gesundheit genießen, dein Haus sich glücklich entfalten, morgen aber kannst du sterben, und dein Tod ist nicht dein Ende, dieses liegt im Gericht. Was nun hast du Festes, Sicheres, Zuversichtliches für die große Stunde, die dir bevorsteht? Alle deine irdischen Bestrebungen sind eitel, hat nicht die Lebensfrage ihre Antwort für dich erhalten. Warum aber ersticken so viele den Seufzer nach dem wahren Leben? Warum gibt es deren so viele, die kaum wissen, dass sie eine Seele haben; warum leben so viele, als ob sie's nicht wüssten? Das ist einfach: du suchst das Irdische, immer und nur das Irdische; du bist von der Weltlichkeit und dem Materialismus wie ummauert und kannst deines Heiles nicht wahrnehmen. Du bist eingenommen nur für das, was hienieden ist, entwickelst nur die Fähigkeiten, die dem Vergänglichen dienen, schwächst dadurch das Bedürfnis des Göttlichen, verfinsterst das geistliche Auge, nimmst dem höheren Sinn seine Nahrung, lähmst den Schwung der Seele nach dem Himmlischen; dir ist bange in deinem Gewissen vor dem geheimnisvollen inneren Triebe, welcher allein die geheimnisvolle Kraft von oben begreift und aufnimmt; und so bleibt der heilige Funke unter elendem Staube begraben, und so du nicht Acht hast, wird er zuletzt ersterben.
Bei Andern sieht es noch anders aus. Sie haben nie gefragt: „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ Ihr Heil kommt ihnen als eine selbstverständliche Sache vor. Sie sind im Klaren über Gott und sich selbst; fühlen sich ruhig in ihren eigenen Gedanken; ihre Hirngespinste ersetzen ihnen die Wahrheit; was brauchen sie Besseres? Doch ist dies nur eine Scheinruhe; auch der Ungläubigste hat Augenblicke, wo sein Wahngebäude wankt in seinen eigenen Augen. Es können die göttlichen Mahnungen lauter an ihn dringen, das Gewissen will sich nicht mehr beschwichtigen lassen, die Werke wollen nicht mehr ausreichen, die Fehler werden deutlicher; es treten Erschütterungen ein, die nicht von dieser Welt stammen, und die Seele fängt an zu fragen: „Was muss ich tun, auf dass ich selig werde?“ Sei überzeugt, es ist das Heil kein so selbstverständliches Ding, und wir bringen nicht den seligmachenden Glauben mit auf die Welt, wie unsere Haare; ein solch bequemes Christentum ist ein Seelenschlaf, nicht eine Religion. Der Gefängniswärter zu Philippen mochte ruhig seine Gefangenen hüten und seine Pflicht erfüllen; er mochte, nach der Welt Urteil, als braver Mann seiner Seligkeit gewiss sein. Aber ganz ein anderer war er, als sein Gefängnis in seinen Fundamenten erbebte und er so heilsam ausrief: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ Die Donnerstimme der Ewigkeit weckt aus dem Traumwesen der Selbsttäuschung; und du, der du heute noch so sicher dahingehst, wisse, eine Stunde wird für dich schlagen, wo alle Scheingebäude zusammenbrechen. Deine Andachtsübungen, deine Hoffnungen, deine überkommene Gottesfurcht, deine Liebeswerke werden dich nicht bekleiden und reich machen in der Stunde der Gerichte Gottes. Sie schlägt aber für einen Jeden, für den Rechtschaffenen wie für den Verbrecher; und soll deine Seele ihr Heil finden, so muss dein ganzes Leben in die Opferschule. Man will aber nichts wissen von dieser „engen Pforte“; man weiß vielleicht davon, aber wie anders ist's, davon zu wissen und hindurchgegangen zu sein. Vor Gott gilt nur „eine neue Kreatur,“ und in das neue Wesen dringt nur der Ruf: „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“
Nach der Frage wollen wir die Antwort betrachten. Welcher Mensch hätte wohl an eine solche gedacht? „Glaube an den Herrn Jesum Christum, und du wirst selig werden, du und dein Haus.“ In diesen kurzen Worten liegt die Kraft Gottes eingeschlossen. Glauben sollst du, nicht „tun.“ Allein das Glauben ist schwerer als das Tun. Wie viele Menschen haben Vieles getan, zum Glauben aber sind sie nicht gelangt.
Betrachten wir den Gegenstand genauer. Was heißt „an Jesum Christum glauben?“ Den Einen kommt die Bedingung zu leicht, den Andern zu schwer vor.
Sagst du zu einem gewöhnlichen Menschen: „Glaube an den Herrn Jesum Christum und du wirst selig werden, du und deine Familie,“ so wird. er die Sache recht bequem, recht leicht finden. „Glauben“ was gibt es Einfacheres? Gib mir einige gute Beweisgründe, und ich glaube, so spricht der natürliche Mensch. Er versteht unter Glauben die bloße Annahme des Verstandes; es reicht hin, den Gegenstand zu beweisen, wie man beweist, dass zweimal zwei vier macht. Meinst du aber, ein solcher Mensch hätte viel gewonnen nach solcher Beweisführung? Er würde einige schöne Begriffe mehr haben, aber Begriffe machen nicht selig. Der Glaube besteht weder in einer strengen Beweisführung, noch in einem Beipflichten des Verstandes; er ist eine Wirkung, welche im Herzen vorgeht und dessen ganzes Wesen umwandelt. „An Jesum Christum glauben“ heißt: in Jesu Christo ein neues Leben gefunden haben. Der Glaube stützt sich auf seinen Gegenstand und opfert ihm alles Sichtbare. Ein solcher Glaube erwächst nur aus einem gerichteten Gewissen und überwundenen Herzen. Eine neue Macht beherrscht uns und treibt uns, das Himmlische zu suchen, wie wir früher das Irdische suchten. Der Glaube ist nicht sowohl eine neue Anschauung; er ist eine Erneuerung des Willens.
„Der Gerechte wird seines Glaubens leben“; er ist ihm eine Speise, ein Trank; er ist die Himmelsleiter, wo die Engel auf- und absteigen mit einem neuen Brot, mit neuen Kräften.
Nach diesem Maße musst du dich messen, der du findest, dass glauben leichter ist als tun. Hast du ein freies Gewissen, ein festes Herz, bist du unter einer Macht, die dich beherrscht und die von oben kommt? Ist in dein altes Wesen ein Element eingekehrt, das deine Neigungen verwandelt, deinen Sünden den Todesstoß gegeben, dein Herz von der Eitelkeit abgewendet hat, um es der Wahrheit zuzuführen, und bist du übergegangen von der Eigenliebe zur Gottesliebe? Bist du ein neuer Mensch? Nur dann kannst du ein Gläubiger genannt werden.
Hast du vor Gott die Waffen gestreckt, und ist er als Herrscher in deinem Innern eingezogen?
„Glaube an den Herrn Jesum Christum“; so muss man denn an eine Person glauben; muss mit dieser besonderen Person in Gemeinschaft treten. Nicht eine Reihe von Vorschriften, nicht Anhaltspunkte dieser und jener Art, wodurch die Seele sich kräftige, werden uns zugeteilt; die Bedingung unseres Heils ist einfacher: „Glaube an den Herrn Jesum Christum und du wirst selig werden, du und dein Haus.“ Eine lebendige Seele wird unserm Glauben als Gegenstand gegeben: die Seele des „Sohnes Gottes, der uns geliebt und sich selbst gegeben hat für uns.“ An „Jesum Christum glauben“ heißt: mit ihm Umgang pflegen, von ihm empfangen, von ihm lernen, vor ihm sich demütigen, zu ihm stets sich wenden, nie von ihm sich trennen. Dies ist nicht eine Lehrmeinung, wie du siehst, sondern eine innerste Lebensmitteilung. Gibt dir Jesus Christus nichts, so glaubst du auch nicht an ihn; gibt er dir wenig, so glaubst du wenig an ihn, gibt er dir überall und immer, so wirst du zuletzt erfahren, was glauben heißt, und wes das Herz voll sein wird, des wird es übergehen.“
Gibt es Menschen, welche meinen, es sei was Leichtes zu glauben, so gibt es hinwiederum Andere, welche sich beklagen über die zu schwierige Bedingungen Sie möchten glauben, können es aber nicht. Was hindert sie daran? Es ist vielleicht der Stolz. Der Glaube macht die eigene Gerechtigkeit zunichte; wer aber ist gerne nichts in seinen eigenen Augen? „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehren von einander nehmet und die Ehre nicht sucht, die allein von Gott kommt!“
Oder es ist der Weltsinn. Der Glaube ist ein Sieg über die Welt; willst du aber die sichtbare Welt nichts fahren lassen, wie kannst du die unsichtbare gewinnen? Wie steht es mit deinen Götzen? Eine einzige ungeordnete Neigung hindert den Glauben. Übergib dich gründlich, ganz und gar; ein geteiltes Herz bereitet sich nur Leiden.
Oder es ist die Trägheit. Du näherst dich nicht, oder nicht oft genug Jesu Christo. Nur durch häufigere Begegnungen mit Jesu Christo wirst du recht an ihn glauben lernen; nur er selbst kann uns sagen, wer er ist, was er für uns sein kann und wie „die nicht zu Schanden werden, die auf ihn hoffen.“
Oder es ist der Geist der Furcht. Du vergisst, dass das Heil in Christo Jesu ein vollkommenes und unverdientes ist; dass, wenn „deine Sünden rot wären wie Scharlach, er sie weiß macht wie Wolle.“ Sein Heil umfasst unser ganzes Leben, unsere ganze Ewigkeit; unsere schlimmsten Tage sind zuletzt unsere besten Tage, weil die Kraft Jesu Christi dann allmächtig wirken kann; verbanne deshalb den Geist der Furcht und du wirst es inne werden.
Endlich gibt es ein Hindernis, das sich zu jeder Zeit einstellt: die Mutlosigkeit, worein uns unsere eigne Unfruchtbarkeit versetzt. Was tut man da? Ach! man jammert, geht aber nicht aus sich selbst heraus. Solche Traurigkeit benützt der Feind; er beschränkt mehr und mehr unsern Gesichtskreis und schließt uns in unsere finsteren Betrachtungen ein; es füllt sich Vergangenheit und Zukunft mit Schreckgestalten. Aber was sagt die Schrift? „Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Missetat dämpfen und alle unsere Sünden ins tiefe Meer werfen. Israel aber wird erlöst durch den Herrn, durch eine ewige Erlösung, und wird nicht zu Schanden noch zu Spott immer und ewig. So ihr das Zeugnis der Menschen annehmt, so ist Gottes Zeugnis größer.“ Stelle dich unter das Kreuz, wenn du nicht mehr glauben kannst, da siehst du mit deinen beiden Augen, dass „Alles vollbracht ist“ und dass „Jesus Christus gestern und heute und in Ewigkeit derselbe ist.“
Das Evangelium veraltet nicht; für den Gefängniswärter zu Philippen wie für den letzten der Sünder hat das Heil immer dieselbe bleibende Kraft. „Glaube an den Herrn Jesum Christum; wir sagen euch immer dasselbe, und es ist zu eurer Befestigung.“ Was würden wir euch verkündigen, würde uns dieser Grund unserer Ruhe fehlen? „Herr, wer ist deines Gleichen? Der du den Elenden rettest von dem, der ihm zu stark ist; der du eine Hütte bist zum Schatten des Tages vor der Hitze und eine Zuflucht und Vorbeugung vor dem Wetter und Regen.“ Wenn diese Welt erbebt, unsre Stützen zusammenbrechen, unsre Sorgen an uns nagen, unsre Sünden uns verschlingen wollen, da muss eine Stimme und zurufen: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erkauft, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Danken wir Gott dafür, dass diese Stimme zu uns spricht, dass sie jeden Morgen sich vernehmen lässt, und dass ihr „alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden.“ So lange wir eine heilsbedürftige Seele in uns tragen, so lange überhaupt Bedürfnisse vorhanden sind, die Befriedigung begehren, und Hoffnungen, die wach zu halten sind, so wird auch das alte Wort sich verjüngen: „Glaube an den Herrn Jesum Christum; es ist in keinem Andern Heil“ Nimmst du diesen köstlichen Eckstein“ weg, so steht dein ganzes Gebäude auf Sand; „der Platzregen wird fallen, das Gewässer wird kommen, die Winde werden wehen und an das Haus stoßen, es wird fallen und einen großen Fall tun.“ So steht es nicht bei denjenigen, die auf den ewigen Fels gegründet sind, sondern, Eisen und Erz wird an ihren Schuhen sein; ihr Alter wird wie ihre Jugend sein. Ihr Pfad wird glänzen wie ein Licht, das da fortgeht und leuchtet bis auf den vollen Tag.“ Erwähle „die Torheit des Kreuzes,“ keine andere Torheit noch Weisheit. Dieselbe Wirkung, welche die Welt trägt, hält auch den ärmsten Sünder. Täglich staunen wir darüber, dass Gott also die Welt geliebt hat, dass er seinen eingebornen Sohn gab“; täglich tritt dieses Wort in neuer Kraft hervor, denn immer sind wir liebe- und heilsbedürftig. Seht den Gefängniswärter von Philippi an, wie er den zwei Aposteln die Kettenmale wäscht, wie er sie beherbergt, ihnen Speise vorsetzt, und sich freut in seinem Glauben: der Mann hat das wahre Glück gefunden. Erforsche denn den Grund deines Herzens und du wirst darin als Hauptzug vor allen andern den finden, der sich in der Frage ausspricht: „Was muss ich tun, um selig zu werden?“ Wohlan denn die Antwort kennst du und ihre Wirkung hast du beobachtet. „Glaube an den Herrn Jesum Christum,“ und du wirst einsehen, was am Glauben liegt. Dein Herz wird aufgehen, der Friede Gottes wird sich einstellen, Ströme lebendigen Wassers werden dir in der Wüste fließen und du wirst bekennen: dies ist's, was ich meinte; „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!“ Amen.