Lindl, Ignaz - Der Weinberg des Herrn.

Lindl, Ignaz - Der Weinberg des Herrn.

Predigt über Matth. 21, 33.

von Pfarrer Ignaz Lindl, in Barmen

Eingang.

Ich bitte für sie, fleht Jesus zu seinem Vater in seinem hohenpriesterlichen Gebete für seine Jünger, (Joh. 17, 9. 15. 20. aber ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Uebel. - Ich bitte nicht für sie allein, sondern. auch für die, so durch. ihr Wort an mich glauben werden; auf daß sie Alle Eins seien, gleich wie du, Vater, in mir, und ich in dir; daß auch sie in uns Eins seien, - daß sie Eins seien, gleich wie wir Eins sind. -

O tiefe, o heilige Worte! Wahrhaftig, in diesem großen, unendlichen Eins liegen alle Schätze der Weisheit, und alle Reichthümer der Güte Gottes für uns verborgen. Es ist darin die höchste Seligkeit, die süßeste Ruhe, der ewige Friede, das wahre Leben, darin Gott den ersten Menschen geschaffen hat; der aber durch seinen Ungehorsam dieses selige Eins, und mit ihm alle Güter und Schätze des Himmels für sich und seine Nachkommen verlor. Er ging aus der Einheit des paradiesischen Lebens in die zerstreuende Vielheit dieser sinnlichen, vergänglichen Welt; darin Gutes und Böses im stetem Kampfe sich offenbaren.

Dieses heilige Eins, das Gott selber ist, würde der Sünde wegen für uns Alle ewig verloren sein, wenn sich der himmlische Vater unser nicht erbarmet, und seinen Eingebornen Sohn gesandt hätte, der als Erlöser des Menschengeschlechts durch seinen Kampf und Sieg, durch seinen Gehorsam und Leiden, durch sein Blutvergießen und Sterben am Kreuz diese Einheit uns wieder erworben und theuer erkaufet hat. - Ausdrücklich bemerkt der Evangelist Johannes (11, 51. 52. daß Jesus nicht allein für das Volk sterben sollte, wie der Hohepriester Cajaphas weissagete, sondern daß er auch die Kinder Gottes, die Zerstreuten, in Eins zusammenbrächte.

Eben diese zerstreuten Kinder Gottes, durch den heil. Geist in Eins zusammengebracht, machen die wahre eine Kirche Jesu aus, die, als der liebliche vom Herrn gepflanzte Weinberg, hienieden grünet, blühet und Früchte trägt. -

Diesen theuren und köstlichen Weinberg des Herrn lasset uns zum Gegenstand unsrer gegenwärtigen Betrachtung machen. -

Text: Matth. 21, 33.

„Höret ein ander Gleichniß: Es war ein Hausvater, der pflanzte einen Weinberg, und führte einen Zaun darum, und grub eine Kelter darin, und bauete einen Thurm, und that ihn den Weingärtnern aus, und zog über Land.“

Lasset uns vor Gott erwägen:

  1. welche Liebe und Wohlthat der himmlische Hausvater durch die Pflanzung dieses Weinberges uns bewiesen hat. Dann aber lasset uns auch fragen und untersuchen:
  2. ob und wie wir dieser göttlichen Liebe entsprochen haben?

Heiliger Vater, heilige uns in deiner Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

I.

Zunächst bezieht sich dieses Gleichniß auf die jüdische Kirche, die der Herr als einen Weinstock aus Egypten geholt, vor ihr Raum gemacht, und sie in Caiman gepflanzet hat. -

Das Gewächs dieses Weinstocks hat der Herr weit ausgebreitet, daß er das ganze Land erfüllete. Berge wurden mit seinem Schatten bedeckt, und mit seinen, Reben die Cedern Gottes. (Psalm 80).

Das ist dieselbe Kirche, die der Geist Gottes durch den Propheten Jesaja seinen auf einem fetten Hügel gepflanzten Weinberg nennt. Der Herr that sein Möglichstes an diesem Weinstock; er wandte alle Mühe an, daß er gute und süße Trauben brächte. Aber leider, er brachte Herlinge. - Darüber beklagt sich Jehova bitter durch die Propheten. Durch Jeremia 2 spricht er: „Ich hatte dich gepflanzt zu einem edlen Weinstock, einem ganz rechtschaffenen Samen. Wie bist du mir denn gerathen zu einem entarteten, wilden Weinstock?“ Durch Jesaja 5, 4. fragt er in einem wehmütigen Tone die jüdische Kirche: „Was sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe an ihm? - Warum hat er denn Herlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brachte?“

Aber seht, was der Herr in seinem gerechten Eifer thut! Weil die jüdische Kirche seine Wohlthat und Liebe nicht achtete, so spricht er fürchterliche Worte wider sie aus: „Wohlan, ich will euch zeigen, was ich meinem Weinberge thun will. Sein Zaun soll weggenommen werden, daß er verwüstet werde. Seine Wand soll zerrissen werden, daß er zertreten werde. Ich will ihn wüste liegen lassen, daß er nicht geschnitten, noch gehacket werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen. Ich will den Wolken gebieten, daß sie nicht darauf regnen.“ -

O wie pünktlich sind diese Drohworte in Erfüllung gegangen! Es ist sehr merkwürdig, daß die Juden selbst in den Tagen des Herrn Jesu ihr eigenes Gericht, das so schrecklich über sie kam, ehevor aussprechen mußten. Als Christus sie fragte: „Wenn nun der Herr des Weinberges kommen wird, was wird er diesen Weingärtnern thun? Sie antworteten: Er wird die Bösewichter übel umbringen, und seinen Weinberg andern Weingärtnern austhun, die ihm die Früchte zu rechter Zeit geben.“

Und so geschah es auch. - Die Geschichte der Zerstörung Jerusalems und des ganzen jüdischen Landes ist uns bekannt.

Der Herr nahm den Bösewichtern, die nicht allein seine Knechte mißhandelten, sondern sogar seinen eigenen Sohn tödteten, den Weinberg, that ihn andern Weingärtner aus, und pflanzte den apostolischen Weinberg, die Kirche des neuen Bundes, und bewies durch diese neue Pflanzung dem Menschengeschlechte die höchste Wohlthat und Liebe, die in unserm Gleichniß, wie ein Schatz im Acker, verborgen liegen. - Die Bilder darin fassen in sich tiefe Geheimnisse, die wir durch Gottes Licht und Gnade enthüllen wollen.

1. Es war ein Hausvater, der pflanzete einen Weinberg. –

Gleichwie ein Hausvater ein Stück seines Landes aussondert, und es zu einem besondern Zweck, nämlich zur Pflanzung eines Weinberges bestimmet, so sonderte auch die Liebe des Vaters in seinem Sohn Jesu ein Volk unter Juden und Heiden aus, die sich als die zerstreuten Schafe in Eins zusammen bringen ließen, und pflanzte sie als seinen Weinberg zur Verherrlichung seines Namens, damit sie ihm die Früchte zu rechter Zeit geben, und süße Trauben seiner eingepflanzten Liebe bringen. - Diese waren nun das auserwählte Volk seines Eigenthums, die christliche Kirche, die Kirche des neuen Testaments.

Obgleich Christus für alle Menschen gestorben ist, und Allen Menschen das Heil erworben hat, so wußte seine ewige Weisheit wohl, daß nur ein kleiner Theil der gesammten Menschheit hienieden an den Gütern dieses Heiles Antheil nehmen werde. Deßwegen nennt der heil. Geist diese Wettigen im Vergleich mit allen Menschen im vorzüglichen Sinne das auserwählte Geschlecht, das königliche Priesterthum, das heilige Volk, das Volk des Eigenthums, die Erstlinge der neuen Schöpfung. (1. Pet. 2, 9. Jac. 1, 18)

2. Der Hausvater führete einen Zaun um seinen Weinberg. - Er sonderte nicht allein ein Stück Landes zu seinem Weinberge aus, sondern wollte ihn auch durch Umzäunung vor schädlichen Thieren schützen. -

Eben so wollte auch Christus, der Stifter der apostolischen Kirche, diejenigen, die er kannte, nicht allein von der Welt aussondern, und sie als seinen Weinberg heiligen, sondern umgab sie auch mit dem Zaun seiner schützenden Gnade, als eine feurige Mauer, damit sie hinter dieser sichern Schanze vor ihren Feinden sich vertheidigen können, wenn böse und unreine Geister, gleich wilden Thieren, es wagen, durch List oder Gewalt in den Weinberg des Herrn einzudringen, und ihn zu verwüsten suchen. -

3. Der Hausvater grub eine Kelter in seinem Weinberge. - Dies ist morgenländische Sitte. -

Ein großes und tiefes Geheimniß der göttlichen Liebe zu uns Menschen ist vorzüglich unter diesem Bilde verborgen. -

Der Sohn Gottes nahm unsere menschliche Natur an, und der Vater ließ durch die Kreuzigung und Tödtung seines Sohnes eine tiefe Kelter darin graben. Aus dieser Ursache sind seine Kleider so röthlich geworden; und wir fragen nun billig mit Jesaja 63,2: „Warum ist denn dein Gewand so rothfarb und dein Kleid wie eines Keltertreters?“ - Höret die Antwort aus dem Munde Jehovahs selbst! „Ich trete die Kelter alleine, und ist Niemand unter den Völkern mit mir. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn, und zertreten in meinem Grimm. Daher ist ihr Vermögen auf meine Kleider gespritzt, und ich habe alle mein Gewand besudelt.“ - Das heißt: Im Werke der Erlösung des Menschengeschlechts war ich ganz allein; unter allen Völkern der Erde war Niemand mit mir. Ich alleine trete die Kelter. Ich habe eure Feinde, die Sünde, den Tod, die Welt und die Hölle gekeltert in meinem Zorn, und sie zertreten in meinem Grimm, das ist: Ich habe in meiner angenommenen menschlichen Natur, darin ich die Sünden der Welt, als Gottes Zorn und Grimm getragen habe, weil ich zum Heil der Menschen für sie zur Sünde gemacht wurde, (2. Cor. 5, 21) mich ganz in ihre tobende Gewalt ergeben; und dieser Grimm hat mich zerfleischet, verwundet, und tief in meinen äußern Leib eingedrungen, wie man einen Stein aushauet, (Sachar. 3, 9) und eine Kelter darin gräbt. Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert, und ihre Furchen lang gezogen. (Psalm 129, 3) Da - da floß mein sanftes, heilbringendes Traubenblut in diese gegrabene Kelter, und der Zorn und Grimm waren zertreten, überwunden, besänftiget, ausgelöscht und in Liebe verwandelt. Aber ihr ganzes Vermögen ist in diesem schweren Kampfe und Sterben am Kreuze auf meine Kleider gespritzet, und ist alle mein Gewand des Fleisches so mit Blut und Wunden bedeckt worden, daß meine Gestalt häßlicher wurde, denn anderer Leute, so daß man das Angesicht vor mir verbarg, weil ich der Allerverachtetste und Unwertheste war. (Jes. 63) Aber gerade dadurch ist diese tiefgegrabene Kelter in meiner menschlichen Natur der offene Born wider die Sünde und Unreinigkeit geworden. (Sachar. 13, 1).

Sehet Geliebte, dieser heilige Born des Blutes Christi quillet nun als der rechte Traubensaft in seinen Kelter, mitten in seinem von ihm gepflanzten Weinberg, und hat fünf Röhren oder Oeffnungen durch seine fünf ewig bleibenden Hauptwunden erhalten. - Aus diesem heilbringenden und reinmachenden Born fließen von da an ohne Aufhören die Wasser des ewigen Lebens. Wen da dürstet, der komme, und wer da will, der nehme dieses Lebens-Wasser umsonst. -

Saget an, ihr Menschenkinder, ist das nicht die höchste Liebe, die größte Wohlthat Gottes für uns sündige, unreine Menschen? -

4. Der Hausvater baute auch einen Thurm in seinem Weinberge. Ein solcher Bau geschieht, um den Weinberg zugleich zu bewachen und zu beschützen. -

Der himmlische Vater gab uns seinen eingebornen Sohn, und mit ihm schenkt er uns alles. - Dieser Sohn Gottes, Jesus Christus, bauete sich selbst in die Mitte seines Weinberges als, Schutz- und Wachtthurm gegen seine Feinde. Darum singt die Kirche Gottes: Eine feste Burg ist unser Gott, und betet mit David (Ps. 6l, 4.): „Herr, du bist unsere Zuversicht, ein starker Thurm vor dem Feinde.“

Dahin nehmen alle Gläubigen ihre Zuflucht, wenn der Feind heranrückt, und sie zu verschlingen sucht. So lange sie in diesem festen Thurme bleiben, sind sie sicher vor dem Feinde und völlig geschützt, wenn es auch draußen blitzt, donnert und hagelt. - Wenn es aber dem Feinde gelingt, durch Unachtsamkeit und Schlafsucht der Gläubigen den Zaun der Gnade zu durchbrechen, und sie außer diesem Wachtthurme findet, dann wehe ihnen, weil sie ohne Schutz und Waffen eine Beute ihres starken und listigen Feindes werden.

Darum lasset uns in Christo, diesem starken Thurme, bleiben. In ihm bekommen wir immer hellere Augen, daß wir unsere Seelen-Feinde von Zeit zu Zeit besser kennen lernen, und ihr Vorhaben schon von ferne sehen, damit wir stets auf unsrer Hut seien, und sie uns nicht überlisten können.

5. Der Hausvater that seinen Weinberg den Weingärtnern aus, und zog über Land. -

Ein schönes Bild auf Christus, den Bischof unserer Seelen! Er pflanzte vor seinem Hingange zum Vater seinen geistlichen Weinberg, versah und bereicherte ihn mit allen Wohlthaten, mit seiner ganzen Liebe, erwählte zwölf Apostel, machte sie zu Weingärtnern, und that ihnen seinen Weinberg aus, trug ihnen aber, ehe er über Land zog, zugleich auf, daß sie die Pflege des Weinbergs nicht in eigener Kraft übernehmen Und ausüben, sondern in Jerusalem warten sollten, bis daß er in seinem Vaterland angekommen, und sie mit Kraft aus der Höhe angethan sein würden. -

Kaum waren einige Tage vorüber, als des Menschen Sohn zu seinem Vater aufgefahren war, so erschien jener große, gesegnete Pfingsttag, der die apostolische Kirche als Grundpfeiler der ewigen Wahrheit einweihte, und mit Kräften des heil. Geistes salbete. An diesem ewig unvergeßlichen Tage übergab eigentlich Christus durch die Ausgießung des heil. Geistes als Hausvater seinen Weinberg, die Gemeine Gottes, der Hirtenpflege seiner Apostel, oder setzte vielmehr den heil. Geist, der in ihnen war, zum Führer und Regenten seiner heiligen Kirche ein.

O welche unaussprechliche Liebe und Wohlthat erzeigte Gott durch die Pflanzung des apostolischen Weinberges dem ganzen Menschengeschlecht. Diese heilige Kirche Gottes ist die Stadt, die auf einem Berge liegt, und nicht verborgen ist. Wer da will, kann dahin kommen, und die Güter des ewigen Heils erlangen. Sie ist das Licht, das nicht unter einen Scheffel gesetzt ist, sondern auf einen Leuchter, und leuchtet allen, die im Hause dieser Welt sind. Wer nun in das Haus dieser Welt eingeht, kann dieses Licht sehen, und dessen theilhaftig werden, wenn er nicht im Eigensinn seine Augen dagegen verschlossen halten will.

Darum lasset uns jetzt unsere Herzen prüfen und untersuchen: Ob und wie wir dieser Liebe und Wohlthat Gottes entsprochen und sie angewendet haben? -

II.

So wie die ganze Kirche Gottes ein lebendiger Tempel des heil. Geistes, der wahre Leib Christi ist, so stehet auch jedes Glied an diesem Leibe wieder für sich als ein lebendiger Tempel Gottes da. Wie die ganze Gemeine, in die heilige Einheit zusammengebracht, den Weinberg des Herrn mit seinen lieblichen Früchten darstellet, so ist auch in dieser heiligen Gemeine jede gläubige Seele ebenso für sich des Herrn Weinberg, (Hohel. 1, 6.) und trägt in sich dieselbe Liebe und Gnade Gottes, die dem ganzen Weinberge, dem gesammten Leibe Jesu Christ! zu Theil wurde. - Das ist eben das große verborgene Wunder aller Wunder der Liebe und Weisheit Gottes. -

Daß ich aber hier die wahre, lebendige Kirche Gottes im Auge habe, wird wohl keiner Erinnerung bedürfen. -

So höre denn, liebe Seele, die du durch den Glauben Christum in dir wohnend hast, und merke wohl, was ich dir auch in Liebe sage:

- a. Auch dich hat der Vater in Christo zu seinem Weinberg gepflanzet; da er dich durch den mächtigen Zug seiner erbarmenden Liebe zur Buße und zum Glauben an den Heiland der Welt gezogen hat. Aus Gnaden hat er dich gerufen, und als ein verirrtes Schaaf auf den Schultern seiner Barmherzigkeit nach Hause getragen. Aus Gnaden hat er dich zu seinem Dienste erwählet, und geheiliget durch seinen Geist. Aus Gnaden hat dich Christus gewaschen am Leibe mit reinem Wasser, und dein Herz losgemacht von dem bösen Gewissen durch Besprengung mit seinem heiligen und unschuldigen Blute. Aus Gnaden hat dich Gott, da du todt warest in deinen Sünden, sammt Christo lebendig gemacht, und hat dich miterweckct, und mitgesetzet in das himmlische Wesen.

Stelle dich nun hin, liebe Seele, und beschaue dich im Spiegel der ewigen Weisheit, prüfe und frage dich: Hast du dich als des Herrn Weinberg durch seinen Gnaden-Geist behüten lassen? Hast du im Dienste Gottes Treue bewiesen? Richte dich selbst mit einem aufrichtigen Herzen, so wirst du jenseits nicht gerichtet und verurtheilt. Untersuche dein Innerstes, und laß dein Herz dir selber antworten.

- b. Auch dich hat der Heiland und Hausvater als seinen Weinberg mit dem Zaun seiner schützenden und rettenden Gnade umgeben. Wenn du ein aufrichtiges öffentliches Bekenntniß ablegen willst, so wirst du im Blick auf deine Führung von Seiten Gottes nichts anders zu rühmen haben, als die großen Gnaden und Erbarmungen Jesu Christi, seine Liebe und Wohlthaten, deren du in deinem ganzen Leben ohne Maß und Zahl theilhaftig geworden bist. - Aber frage dich: Wie hast du sie alle benützt? Hast du seit deiner Bekehrung, getrieben von der Lust dieser Welt und deines Fleisches, den Zaun der Gnade, womit der Herr deine Seele umgeben hat, nie zerbrochen, oder übersprungen? Haben die Feinde deines Heikes, seitdem du Christum kennen gelernt hast, keine Oeffnung zu deinem Herzen gefunden, durch welche sie in deinen Weinberg kommen konnten, um ihn mehr oder weniger zu beschädigen, oder vielleicht ganz zu. verwüsten? - Laß dein Gewissen sprechen und dir antworten.

- c. Auch in deinem Weinberge ist des Glaubens wegen die heilige Kelter gegraben durch die Inwohnung Christi in deiner Seele. Auch in dir ist Jesus der offene Born wider alle Sünden und Unreinigkeiten. Du hast die Macht und Freiheit im Glauben des Sohnes Gottes erhalten, stets aus diesem heiligen Born zu schöpfen und zu trinken, deine Seele darin zu waschen, und sie von allen Befleckungen zu reinigen. - Hast du das gethan? Hast du dich dieser göttlichen Freiheit stets bedienet? Bist du in der Liebe Jesu tiefer gewurzelt und fester gegründet worden? Mit einem Worte: Hat dein Weinstock Trauben oder Herlinge getragen? - Auf alle diese Fragen wird dein Herz dir am besten antworten können.

- d. Auch in deinem Seelen-Weinberge hat der himmlische Vater einen Thurm gebaut. Christus in dir wohnend ist dein starker Thurm vor dem Feinde, deine feste Burg und Zuversicht. In ihm bist du unüberwindlich, und stärker als die ganze Welt, stärker, als die ganze Hölle mit allen ihren bösen und finstern Geistern. Alle Feinde müssen vor ihm fallen.

Wie steht es nun mit dir, Seele? Hast du in jedem Anliegen, in jeder Versuchung, in allen deinen Trübsalen und Widerwärtigkeiten auch immer deine Zuflucht zu diesem starken Thurm genommen? Warst du stets in dieser festen Burg, wenn die Feindliche Macht über dich herfallen und mit dir kriegen wollte? Hast du diesen Wachtthurm nie verlassen? Bist du nicht, wie Jacobs Tochter, die Dina, herausgegangen, die Töchter des Landes, das ist, die glänzenden Eitelkeiten dieser Welt zu besehen, und dich mit ihrer Lust wieder zu verbinden? Und wenn das, leider, geschehen ist; bis du wieder zurückgekehrt zu deiner Festung, oder weilest du noch außer derselben in der größten Gefahr, ewig unterzugehen? - Wer kann dir diese Fragen besser beantworten, als dein eigen Gewissen? Frage dich aufrichtig vor Gott, und betrüge dich nicht selbst. - . .

- e. Auch du, Seele, stehst unter der Pflege eines Weingärtners. Und solltest du wirklich das Unglück haben, in Bezug auf geistliche Führung, unter keinem, mit dem Geiste Gottes gesalbten Weingärtner zu stehen, so hast du doch Christum, den rechten Weingartner, der dich nie versäumet, sondern stets treulich deiner Seele sich annimmt, so daß du auf keine Weise eine Entschuldigung haben kannst, wenn du im Guten zurückbleibst. - Er steht dir immer an der Seite, warnet und klopfet in deinem Gewissen, sobald du einen Fehler begehst, oder eine Gefahr für deine Seligkeit vorhanden ist. - Frage dein Herz: Bist du bei dem Hirten und Bischof deiner Seele als ein treues Schäflein geblieben? Hast du als Rebe an diesem göttlichen Weinstock Früchte getragen? Hast du Gottes Wort fleißig gelesen, betrachtet und dir zu Nutzen gemacht? Bist du im Glauben stärker, in der Liebe völliger, und im Gebete brünstiger geworden? Hast du dich vielleicht der Zucht des himmlischen Weingärtners entzogen, oder bist du ihm gar entlaufen. -

O Geliebte, untersuche sich Jeder genau, ehe der Hm des Weinberges kommt, um seine Früchte in Empfang zu nehmen. Wehe uns, wenn wir bei seiner Zukunft keine aufzuweisen haben. Wir wissen, was der Herr zu den Juden sprach: „Das Reich Gottes wird von euch genommen, und einem Volk gegeben werden, das dessen Früchte bringt.“ -

Schauen wir an die schreckliche Verwüstung der jüdischen Kirche, die schon so viele Jahrhunderte als ein lebendes Siegel für die Wahrheit der biblischen Weissagungen vor unsern Augen liegt. Sehet wie dieser Weinberg von allen Nationen zertreten ist, wie sein Zaun weggenommen, und seine Wand zerrissen, als eine Ruine dasteht; wie auf ihm Disteln und Dornen wachsen, und kein Regen der Gnade und des Segens darauf fällt. -

Sehet dieses Alles an mit Aufmerksamkeit, und fraget dann: Ist die sogenannte christliche in tausend Parteien zerrissene Kirche in unsern Tagen treuer und besser als die jüdische Kirche damals war, da die Verwüstung, wie eine Sündfluth über sie kam, und ersäufte? Haben die Bauleute heut zu Tage nicht ebenso, wie die im alten Bunde, den Stein verworfen, der doch der Grund und Eckstein der wahren Kirche Gottes ist? - Wehe, wehe dem, der auf diesen Stein fällt, er wird von ihm zerschellet. Aber noch auffallender und schrecklicher wird das Weh jene treffen, auf die der Stein selbst bei seiner Zukunft oder bei seinem Herabrollen vom Berge (Dan. 2, 34) mit der Allgewalt seiner gerechten Gerichte fällt; er wird sie zermalmen.

O theure Seelen, diese furchtbare Drohung des Herrn wird so gewiß die jetzige treulose und abgefallene Christenheit erfahren, zu ihrem Verderben erfahren, wie sie die jüdische Kirche erfahren mußte. - Wer offne Augen hat, der sieht in unsern Tagen schon, wie die Erfüllung der von Gott gedrohten Gerichte bereits ihren Anfang genommeu hat. - Wer sich daher retten lassen will, der eile mit Loth, und errette seine Seele durch wahre Buße und Glauben an den Sohn Gottes. Denn es gilt auch uns das Wort des Engels: „Siehe nicht hinter dich, und stehe nicht in dieser ganzen Gegend!“ - Auf den Berg, von dem die Hülfe kommt, rette dich, daß du nicht umkommst. Amen! Amen!

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