Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Rechtfertigung - 5. Predigt

Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Rechtfertigung - 5. Predigt

(gehalten am 21. November 1830)

Eine der größten und - wenn ich's wagen darf, also zu reden - unnützesten Glaubensproben legte Petrus ab, wie uns sein Mitapostel Matthäus im 14. Kapitel erzählt. Von Jesu in ein Schiff getrieben, mußten sie beim Anbruch der Nacht ohne ihn über den See fahren. Mitten auf demselben litten sie Not von widrigen Winden und den brausenden Wogen. so ging das bis Tagesanbruch. Jetzt kam Jesus ihnen nach und ging majestätischer Weise zu Fuß auf dem Meere. Als die Jünger seiner ansichtig wurden, erhoben sie ein Angstgeschrei, meinend, es sei nicht Jesus, sondern ein Gespenst, das ihnen nun den Garaus machen werde. Jesus rief ihnen zu, sie sollten getrost sein, er sei es. Das tat seine Wirkung. Aus der glaubenslosen Angst tauchte nun Petrus zu einer solchen Freudigkeit empor, daß er nicht nur glaubte, Jesus könne für seine Person zu Fuß über dem Meere wandeln, sondern auch andern, namentlich ihm, das nämliche Vermögen schenken. Begierig, dies zu erproben, spricht er: „Herr, heiß mich zu dir kommen!“ und bekommt zur Antwort: „Komm her!“ Er bedenkt sich nicht lange, tritt getrost aus dem Schiff aufs Meer. Und siehe, es gelingt, er schreitet vorwärts, wie wenn er festen Boden unter den Füßen hätte. Der erste Schritt war der bedenklichste; war der gelungen, so hatte es mit den übrigen keine Bedenklichkeit mehr. Wie ist's möglich? Kann Christus den Menschenkindern eine solche Macht und einen solchen Glaubensmut verleihen? Ob er das kann! Ja, ich behaupte, wir wandeln alle wie auf einem Meer, wo wir außer Christo gewiß untergehen, mit ihm durch den Glauben an ihn aber gewiß so wenig als Petrus, mochte er auch bald nachher sinken und schreien: Herr, hilf mir!

Wir alle, und wer weiß wie bald, wir alle treten, besonders im Tode, aus dem Schiff aufs Meer. Einmal ist's uns gesetzt, zu sterben. Und was darnach? Das Gericht. Entsetzliches Meer! Nicht also, wenn du es im Glauben an Jesum Christum betriffst. Dann wirst du nicht sinken, sondern stehen.

Laß die Wellen
Sich verstellen,
Wenn du nur bei Jesu bist.

Überhaupt wäre es uns wohl anzuraten, wenn wir glaubten, wir hätten Jesum zu allen Zeiten eben so nötig, als Petrus, da er auf dem Meere wandelte.

Um den Glauben geht's, von dessen Notwendigkeit, Erfordernissen und Schwierigkeiten wir jetzt zu handeln gedenken.

Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben.
Römer 3, 22.

Voriges Mal betrachteten wir, wie der Mensch, der Sünder, der Gerechtigkeit und Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, von Seiten Gottes durch freie Zurechnung teilhaftig wird. Jetzt ist uns noch übrig, zu sehen, was von Seiten des Sünders dazu erfordert wird. Darüber belehrt uns unser Text, wenn er sagt: „Die Gerechtigkeit Gottes kommt durch den Glauben Jesu Christi zu allen und auf alle, die da glauben.“ Der Glaube ist also das einfache Mittel unsererseits, und die Frucht desselben die Gerechtigkeit. Der Glaube und seine vornehmste Frucht sind also die beiden Hauptgegenstände unserer Betrachtung. Laßt uns nun heute den Glauben betrachten, also daß wir auf dessen Notwendigkeit, Erfordernisse und Schwierigkeiten sehen.

I.

Der Glaube ist notwendig, ist die Pflicht aller derer, welche das Evangelium hören. Die Notwendigkeit des Glaubens ist sehr leicht zu beweisen. Ist es ohne Glauben unmöglich, Gott zu gefallen, hat derjenige das ewige Leben, der an den Sohn glaubt, während über demjenigen, der nicht glaubt, der Zorn Gottes bleibt, wird derjenige selig, der da glaubt, und derjenige verdammt, der nicht glaubt, so leuchtet die Notwendigkeit des Glaubens aus diesen drei Stellen so deutlich und entschieden hervor, daß es überflüssig sein würde, noch mehrere hinzuzufügen, wie leicht es auch wäre. Aus dem Glauben werden wir gerecht; durch den Glauben wird das Herz gereinigt; der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet; durch den Glauben widersteht man dem Teufel so, daß er flieht, und löscht damit, wie mit einem Schilde, die feurigen Pfeile dieses Bösewichtes aus; durch den Glauben werden wir alle Kinder Gottes; durch den glauben, den Gott wirket, sind wir mit Christo auferstanden. Kann also etwas notwendiger sein, als der Glaube?

Er ist daher auch die unerläßliche Pflicht aller derer, welchen das Evangelium gepredigt wird. Es ist merkwürdig, daß noch wohl von allerlei Pflichten oder auch nur von Pflichten gehandelt wird; aber von dem Werk aller Werke, von einer der hauptsächlichsten Pflichten, von derjenigen Pflicht, ohne deren vorrangigen Erfüllung keine sonst gehörig erfüllt werden kann, von der Verpflichtung zum Glauben ist selten oder gar nicht die Rede, oder wird kaum als eine Pflicht betrachtet, welches eine große Blindheit und Verdrehtheit beweiset. Und doch - wer die Ausübung dieser Pflicht unterläßt, macht Gott zum Lügner, begeht also eine der strafbarsten Sünden; ja, alles ist unnütz, ist Sünde. Was antwortet Jesus jenen Juden, welche ihn fragten: „Was sollen wir tun, daß wir Gottes Werke wirken?“ „Das ist Gottes Werk,“ sagte er, „daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat.“ Fordert die Predigt des Evangeliums nicht ausdrücklich, Buße zu tun und zu glauben? Was befahl Paulus dem ihn zitternd fragenden Kerkermeister: „Was muß ich tun, daß ich selig werde?“ anders als: „Glaube an den Herrn Jesum!“ Was kommt aus der Predigt als der Glaube? Es ist daher wunderlich, es ist verderblich, es ist sträflich, daß Christen hundert Dinge als Pflicht, wie es auch recht ist, anerkennen, aber den Glauben übersehen, welchen doch Christus Matth. 23, 23 für das Schwerste oder Wichtigste im Gesetz erklärt. Ja, viele übersehen diese wichtigste Pflicht nicht nur, sondern verschmähen sie sogar, betrachten sie als etwas geringfügiges, leichtes, unnützes oder gar nachteiliges.

Welche Blindheit, welche Verwirrung der Begriffe, welches Unglück zugleich, denn eben weil ihr nicht glaubt, müsset ihr verdammt werden. Eben euer Unglaube bringt das Verderben über euern Kopf, was eure sonstigen Sünden nicht zu tun vermöchten. Freilich könnt ihr nicht glauben, wenn ihr keine Schafe Christi seid, für wie federleicht ihr das Glauben auch achtet, und es eher Kindern und einigen Armseligen zuweiset, als denkt, es gezieme sich für euch, Hand an dieses große Werk zu legen, wo ihr euch denn schon genötigt sehen würdet, zu schreien: Ich glaube, lieber Herr, komm' zu Hülfe meinem Unglauben!

Ihr bekümmerten Seelen denn, laßt ihr's euch um so mehr angelegen sein, die große evangelische Pflicht eines ganz zuversichtlichen Glaubens unausgesetzt und immer besser zu üben! Überwindet je länger je glücklicher alle der Ausübung dieser Pflicht - welche ihren süßen Lohn mit sich führt - entgegenstehenden Schwierigkeiten und denket, daß vor allem das Wort Christi: „Glaube nur“ euch gegeben ist. O Herr, stärke uns den Glauben!

II.

Um aber in der Ausübung dieser Pflicht glücklich zu sein, sind vornehmlich vier Stücke erforderlich. Zuerst muß bei dir das Seligwerden deine erste und meiste, nicht aber die zweite oder gar die letzte Sorge geworden sein. Sind andere Dinge, welche dir mehr anliegen als die große Sache der Heiligung und Seligkeit, so fehlt' s dir auch an dem nötigen Ernst, die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzuwenden. Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern! So lange du denkst, deine Seligkeit werde sich schon von selbst machen, ist nichts mit dir anzufangen, und du wirst nicht selig werden. Bis dahin kann bei dir vom Glauben nicht die Rede sein, ja das, was du glaubst, ist dein Verderben. So lange irdische Güter und sinnliches Wohlleben deine Hauptbestrebungen sind, so gehörst du zu denen, die Irdische und Fleischliche genannt werden, deren Ende die Verdammnis ist. Wäre oder würde dein Sinn für himmlische und geistliche Güter bei dir so, wie er sich in Absicht jener äußert, so würdest du auch begierig nach den geeigneten Mitteln fragen, um zur Seligkeit zu gelangen, und man dir dann mit der rechten Antwort dienen. Nun aber bist du tot in Sünden. Laß aber das deine vornehmste Angelegenheit werden, wie du heilig und selig werden mögest, so hast du zugleich das erste notwendige Erfordernis zum Glauben!

Das Zweite ist Erkenntnis und Annahme der evangelischen Wahrheit. Wie soll jemand etwas glauben, so lange er die Wahrheit desselben nicht anerkennt? Das ist unmöglich. Verwirft jemand die evangelische Wahrheit, so gehört er so lange zu denen, von welchen der Apostel sagt: „Sie sind untüchtig zum Glauben“ und also auch zum Seligwerden. Denn wer nicht glaubt, wird verdammt. Zwar macht das Glauben und Fürwahrhalten der Schriftlehre allein nicht selig. Denn da sich das bei den Teufeln findet, so muß es auch bei gottlosen Menschen angetroffen werden können. Aber wo selbst dies mangelt, was sogar bei den Teufeln nicht fehlt, was soll da zu hoffen sein? Dies nennt man den theoretischen Unglauben, worin eben die unselige, verabscheuungswürdige und verderbliche Weisheit unserer Tage besteht, so daß Christus wohl fragen mag: „Meint ihr, daß des Menschen Sohn, wenn er kommen wird, Glauben finden werde auf Erden?“ Dieser Unglaube wird immer allgemeiner, frecher und ausgebreiteter, so daß man mehr und mehr von den christlichen Wahrheiten sagen muß, was Cicero von der heidnischen Lehre sagte: Sie wird nicht einmal mehr von den Knaben geglaubt. Und wir haben Ursache, mit Jesajas und Paulus auszurufen: „Wenn uns nicht der Herr Zebaoth hätte Samen lassen übrig bleiben, so wären wir wie Sodom geworden und gleich wie Gomorrha.“ Die Juden sind nicht mehr jüdisch, die Christen nicht mehr christisch, und selbst die Mohammedaner nicht mehr mohammedanisch. Was meinest du, was will aus dem Kindlein werden?

Notwendig muß aber die Überzeugung von der Wahrheit der Lehren des Evangeliums dem Glauben selbst vorangehen. Dazu muß sich die Erkenntnis dieser Lehren gesellen. Dasjenige, was aber vorab erkannt werden muß, ist erstens unser Elend, zweitens Christus und seine Gnade. Ohne das Erste glaubt man nicht, einen Erlöser nötig zu haben; ohne das Andere müßte man bei der Erkenntnis seines Elends verzweifeln. Beides zusammen leitet auf den rechten Weg. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. bekehret euch zu mir, denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Gehet hin und lernet, was das sei: Ich habe Gefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer. Weil es meinem Volke an dieser Erkenntnis mangelt, geht es verloren, heißt es Hos. 4, 6. Weil sie nicht einsehen, wie elend sie sind, so wenden sie sich auch nicht zu der Gnade, die allein retten kann, so glauben sie nicht an Jesum und verderben deswegen, weil sie die ihnen dargebotene Hand zurückweisen.

Das Dritte, ohne welches man nicht zum Glauben tüchtig sein kann, ist die Absagung aller Welt- und Sünden-Liebe. So liegt's in der Natur der Sache. Ich weiß nicht, ob es Kranke gibt, die allenfalls von einigen, nicht aber von allen ihren Krankheits-Symptomen geheilt sein möchten. Wenn es aber solche gibt, so werden sie schwerlich einen Arzt bekommen oder brauchen. Der himmlische Arzt heilt alle Gebrechen. Wer nun das nicht mag, stimmt nicht mit ihm überein, kann nicht an ihn glauben. Denn wer an ihn glaubt, begehrt durch ihn von allen Sünden gereinigt zu werden, und Jesus nimmt auch keinen unter einer anderen Bedingung an. Wer Sünde tut, ist vom Teufel. Wer die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Solch' ungleich gearteten Herren, wie Gott und der Welt, zugleich zu dienen, ist unmöglich. Wer dem einen dient, haßt den andern. Ja, es ist zum Glauben an den Herrn nicht nur erforderlich, demjenigen abzusagen, was offenbar und geradezu sündlich ist, sondern, wer das will, muß sogar demjenigen entsagen, was sonst als zu den Vorzügen und Vortrefflichkeiten der menschlichen Natur gehörig, betrachtet und hochgeschätzt wird. Wer sich daher weise zu sein dünkt, muß nach der Welt ein Narr werden, damit er weise werden in Christo Jesu. Und das geht so weit, daß derjenige, welcher meint etwas zu wissen, für einen solchen erklärt wird, der noch nichts weiß, wie er es wissen sollte. Wie sollte es aber auch möglich sein, Christum weiter zur Weisheit anzunehmen, wozu er uns doch von Gott gemacht ist, als in dem Maße wir von eigener Weisheit leer zu sein glauben. Paulus wollte sich am liebsten seiner Schwachheit rühmen. Er mußte also dafür halten, er besitze keine Kraft, oder derjenige, welche er besitze, sei die rechte nicht. Hätte er sich aber für stark in sich selbst gehalten, so würde er haben des Vorteils entbehren müssen, daß die Kraft Christi in ihm wohnte, welche nur in den Schwachen mächtig ist. Wenn er aber schwach war, so war er stark.

Was hielt er von der Weisheit dieser Welt? Er nennt sie Torheit. Was hielt er von seiner Tugend, von welcher er doch in anderer Beziehung sagt, sie sei unsträflich gewesen, und wenn andere glaubten, sich rühmen zu können, er noch mehr? Für Schaden und Kot hielt er sie. Und warum? Um die wahre Gerechtigkeit zu erlangen, wozu Christus uns gemacht ist, welche er aber weder begehrt, noch angenommen haben würde, hätte er die seinige für zulänglich gehalten. Christus macht nur Sünder selig. will sich jemand dafür nicht halten, und zwar in jeglichem Betracht, so kehrt sich Jesus so wenig an ihn, wie ein Arzt an die Gesunden. Kurz, wer nicht allem absagt, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Das vierte Erfordernis zum Glauben, was wir als das vornehmste zuletzt anführen wollen, ist die Mitteilung des Heiligen Geistes, welcher ausdrücklich der Geist des Glaubens heißt. Durch bloße natürliche Vernunft und Kraft bringt niemand das Werk des wahren Glaubens zustande, auch wenn er noch so lange die Predigt vom Glauben hörte und sie mit seinem natürlichen Verstande einsähe. Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat, sagt Christus. Paulus ist es nicht genug zu sagen, das Glauben sei nicht aus uns, sondern Gottes Gabe; er wünscht den Ephesern sogar erleuchtete Äugen des Verständnisses, dann würden sie sehen die überschwengliche Größe der Kraft Gottes an denen, die glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirkt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferwecket hat. Die Hervorbringung des Glaubens wird also der nämlichen allmächtigen Wirkung Gottes zugeschrieben, wodurch Christus ist von den Toten auferweckt worden, welches offenbar nicht durch Gründe, sondern durch Anwendung der Allmacht geschehen ist. Gründe sind nötig und gut. Sollen sie aber eine Glauben erzeugende oder stärkende kraft haben, so muß die Kraft des Heiligen Geistes sie überschatten. Zu glauben ist daher nicht jedermanns Ding.

Obwohl Jesus solche Zeichen vor ihnen tat, sagt Johannes im 12. Kapitel, glaubten sie doch nicht an ihn, auf daß erfüllt würde der Spruch des Propheten Jesaja, denn er sagt: „Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart?“ Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaias sagt abermals: „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstocket, daß sie mit den Augen nicht sehen, noch mit dem Herzen vernehmen und sich bekehren und ich ihnen hülfe.“ Solches sagte Jesaias, da er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm. Doch der Obersten glaubten viele an ihn. Es wurden gläubig, so viele ihrer zum ewigen Leben verordnet waren.

Wer derhalben den wahren Glauben zu üben begehrt, der suche ihn an der rechten Quelle, nicht bei sich selbst, sondern beim Heiligen Geist.

III.

Dies ist um so nötiger, da wir bekennen müssen, daß das Glauben nicht geringe Schwierigkeiten hat, welche bei einigen noch größer sind als bei andern. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn Jesus die Jünger mehrmals „Kleingläubige“ nennt, ja einmal sogar zu ihnen sagt: „Wie, daß Ihr so gar keinen Glauben habt!“ Nachdem es der Schlange einmal gelungen ist, durch ihr vergiftetes Wort: „Ja, sollte Gott gesagt haben?“ den Glauben aus unsern Herzen zu vertilgen und den Unglauben darin zu pflanzen, ist dieser uns natürlich, jener aber fremd; dieser lieb, jener zuwider; der Unglaube begünstigt, der Glaube bestritten. Gott selbst hat alles, unter dem Unglauben beschlossen; niemand als er kann daraus erretten. Was halfen alle die Wunderwerke, welche Christus in so großer Menge, in so mannigfacher Weise tat, und was helfen sie noch? Dafür, daß sie gestanden hätten, hier sei der Finger Gottes sichtbar, schrieben sie die unerklärbaren Begebenheiten lieber dem Obersten der Teufel zu und verfolgten diejenigen, welche diese Wunder an sich erfuhren, so daß sie jenen sehend gewordenen Blinden mit Scheltworten von sich stießen; und Lazarus war kaum aus dem Grabe auferstanden, so wollten sie ihn auch schon wieder töten. Und wie heutzutage die rationalistische oder vielmehr irrationalistische, d. i. wahrer Vernunft entblößte Partei mit der heiligen Schrift und den in derselben erzählten Wundern umgeht, ist nicht unbekannt. Manche Menschen sind den Wassersüchtigen im Geistlichen zu vergleichen. Alles, was sie genießen, vermehrt ihre Krankheit und verwandelt sich bei ihnen in Wasser.

Der Glaube hat vorzügliche Schwierigkeiten bei uns, denn des Gesetzes Werk ist von Natur beschrieben in unsern Herzen. Dasjenige, was damit übereinstimmt, wird natürlicher Weise weit eher Beifall und Eingang finden als die Predigt vom Glauben. Daher lassen sich selbst Leute, welche einen schlechten Lebenswandel führen, gesetzliche Predigten, die dies bestrafen, wohl gefallen, da sie die Predigt vom Glauben bestreiten und seltsamer Weise wohl aus dem Grunde, weil sie ihrem Vorgeben nach der Tugend nicht günstig sei. Die Menschen werden weit leichter es einleuchtend finden und zugeben, wenn es heißt: „Tue das, so wirst du leben, halte die Gebote, so wirst du zum Leben eingehen, so wird dir Gott gnädig sein“, als wenn gesagt wird: „Glaube an den Herrn Jesum, wer da glaubt wird selig werden, wer glaubt kommt nicht ins Gericht;“ und in letzterem Falle wird er immer noch den Zusatz für nötig erachten: „Und halte die Gebote“. Kurz, zu glauben ist nicht nur über, sondern gewissermaßen wider die Natur des Menschen und eben deswegen das Schwerste, wie Christus selbst es nennt. Es ist nicht einmal möglich, dem natürlichen Menschen einen richtigen Begriff vom Glauben wie von sonstigen Pflichten beizubringen, wie sollte er vermittelst seiner natürlichen Kräfte zur Ausübung des Glaubens selbst gelangen können?

Ein drittes Hindernis liegt überhaupt in dem Stolz unserer Natur, die Gott und sein Wort für nichts hält. Kann sich unsere armselige Vernunft der Frage: „Wie mag solches zugehen?“ in religiösen Dingen nicht beantworten, so will sie gleich wenig oder nichts davon wissen, da sie diese Frage in natürlichen Dingen fast überall unbeantwortet lassen muß, wenn auch nur gefragt würde: Wie mag das zugehen, daß ein Grashalm wächst? Sieht sie einen Abraham auf göttlichen Befehl ausziehen, ohne zu wissen wohin, so hält sie ihn für einen Phantast; glaubt er um der göttlichen Verheißung willen auch in seinem höchsten Alter, der Stammvater einer zahllosen Nachkommenschaft zu werden, so achtet sie ihn den Narren gleich. Eher entschließt sich die unvernünftige Vernunft, eine Wirkung ohne Ursache zu glauben, also an einen Zufall, als die Ursache in Gott zu suchen. Kurz, es ist nicht so sehr zu verwundern, daß so wenige, als daß doch noch etliche glauben. Sollte ihr Unglauben Gottes Glauben aufheben? das sei ferne!

Auch der Teufel sucht den Glauben zu hindern. Und wie sollte er nicht, da eben der Glaube es ist, wodurch man ihm so widersteht, daß er fliehen muß, da eben der Glaube der Schild ist, womit man alle seine feurigen Pfeile auslöscht, da er sehr wohl weiß, daß wer glaubt, nicht ins Gericht kommt, wer aber nicht glaubt, unmöglich Gott gefallen kann. So lange er jemanden im Unglauben erhalten kann, braucht er um seine Beute nicht verlegen zu sein. So tue ihm seinen Willen nicht, sondern glaube an den Herrn Jesum, so wirst du selig!

Wie Gold durchs Feuer, so muß der Glaube durch manche Proben und Anfechtungen gehen, um geläutert zu werden und den ihm bestimmten Grad der Läuterung zu erreichen. Es ist der Natur des Glaubens gemäß, nichts zu haben oder zu behalten, als Gott allein. Alle sonstigen Stützen müssen brechen. Und das gibt Proben. Mit Israel kommt's bis vor das rote Meer und dann hindurch. Josaphat muß ausrufen: In uns ist keine Kraft, Hiskia: Es ist keine Kraft da, und dann der Sieg durch Gott. Das kranke Töchterlein muß sterben, Lazarus noch obendrein bis an den vierten Tag im Grabe liegen, Paulus seiner festen Erwartung nach so gut wie tot, Abraham und Sara erstorbenen Leibes sein, dann hilft Gott. Du kannst, du weißt, du hast noch so viel außer Gott, daher kannst, weißt, hast du noch so wenig, und wirst so geplagt.

So wandelt er dein Fürchten, Zweifeln, Zagen
In lauter Jubelton und Lobgesang,
Du sagst ihm für den Geist des Glaubens Dank.„

Laß mich schließlich noch eins nennen, warum es schwierig ist zu glauben. Das liegt in der Größe der Dinge, welche demselben vorgehalten werden. Dir, dem Missetäter, wird ein Geschenk frei, umsonst dargeboten, das, recht erwogen, fast zu groß und zu herrlich erscheinen möchte, um es anzunehmen, und zu glauben du seiest in Wahrheit gemeint. Die gänzliche Vergebung aller deiner Sünden, eine Gottesgerechtigkeit, die ewige Herrlichkeit, und das dir, wie darfst du dich unterstehen, solche Königreiche und Kaiserkronen als dir wirklich und unbezweifelt zugedacht anzusehen, ja anzunehmen? Ist das nicht unbescheiden, nicht verwegen? Du, ein solcher Sündenwurm, sollst dich in Christo für einen solchen ansehen, der nie keine Sünde begangen noch gehabt hat? Ist das nicht gefährlich, entsetzlich, unerhört? Aber sollte das Blut Christi es nicht wert sein?

Nun denn, mögen die Schwierigkeiten sein, welche sie wollen, siehe zu, daß sie dir das nicht sind, was die Spinnenwebe schwachen Fliegen, und wisse, wer da glaubt, wird selig, wer nicht glaubt, verdammt! Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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