Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Heiligung (2)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Heiligung (2)

Zweite Predigt (gehalten am 24. Juli 1831)

„Paule, du rasest, deine große Kunst macht dich rasend“ (Apg. 26,24), so rief der römische General-Gouverneur von Judäa aus, als er die Rechtfertigungsrede des gefangenen Apostels vor dem König Agrippa eine gute Weile angehört hatte. In dieser Verantwortungsrede legte der Apostel dem Könige sein bisheriges Leben offen, wie er ehemals ein strenger Pharisäer und bitterer Verfolger der Christen gewesen, darauf aber selbst auf eine höchst wunderbare Weise zum Glauben an Christum bekehrt worden sei und sodann das Evangelium überall gepredigt habe, jedoch nichts vortrage außer dem, was die Propheten gesagt haben, „daß Christus sollte leiden und der erste sein aus der Auferstehung von den Toten, und verkündigen ein Licht dem Volk und den Heiden“ (Vers 22,23). Bis dahin hörte Festus geduldig zu. Jetzt aber war das Maß voll und lief über, und er unterbrach Paulum mit den so eben angeführten Worten. Alles, was Paulus gesagt hatte, kam ihm als Unsinn vor, und er meinte, er sei durch alles Grübeln und Studieren verrückt im Kopf geworden. Der Apostel erwiderte ihm aber: (Apg. 26,25) „Mächtigster Festus, ich rase nicht, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte.“

Wir sehen hier eins von den vielen Beispielen, daß der natürliche Mensch nichts vernimmt vom Geiste Gottes, und daß es ihm eine Torheit ist (1. Kor. 2,14). Dieses Beispiel gibt ein Heide, aber wie viele Christen treten in seine Fußstapfen, ja gehen noch weiter wie er. Der König Agrippa unterschreibt zwar das Urteil des General-Gouverneurs nicht, ist aber doch nicht besser, und obschon er sich beinahe überredet fühlt, ein Christ zu werden (Apg. 26,28), bleibt's doch bei diesem unseligen beinahe, und auch das nur für kurze Zeit. Bei besserer Gesinnung kamen doch dem Nikodemus die Worte Jesu von der Wiedergeburt sehr sonderbar und selbst ein wenig ungereimt vor (Joh. 3,4), und die Jünger selbst sagten auch wohl einmal: „Was ist das, was er redet?“ (Joh. 6,60 und 16,17).

Weil diese Blindheit bei uns allen ist, so haben wir ein großes, wenn gleich meist unerkanntes Bedürfnis für Belehrung, dem Christus dadurch begegnet, daß er uns seinen Geist verheißet, der uns in alle Wahrheit leiten soll (Joh. 16,13 und 14,26). Die Erleuchtung ist aber eine so große Sache, daß sie einer Auferstehung von den Toten verglichen wird, wenn es heißt: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (Eph. 5,14).

Ohne diese Erleuchtung verstehen wir nichts. Sie werde auch uns reichlich zuteil, wenn wir jetzt die Gemeinschaft mit Christo in seinem Begräbnis und seiner Auferstehung als die Quelle der Rechtfertigung und Heiligung betrachten.

Die Heiligung, eine Frucht des Begräbnisses und der Auferstehung Christi, dies ist unsere heutige Betrachtung.

I.

Wir werden geheiliget, wir werden von Sünden gereinigt, und in das Ebenbild Gottes erneuert kraft des Begräbnisses Christi, dies ist das erste Stück, womit sich unsere Andacht beschäftigt. „Wir sind mit ihm begraben,“ so lauten die wenigen aber wichtigen Worte unseres Textes über die heiligende Gemeinschaft der Gläubigen mit Christo in seinem Begräbnis, an deren Erläuterung wir uns jetzt wagen.

Daß Christus, nachdem er am Kreuz gestorben, auch am nämlichen Abend begraben worden sei, wem ist das nicht bekannt? Wer wüßte nicht auch, daß er darum begraben worden sei, damit zu bezeugen, daß er wahrhaftig gestorben sein, daß der Fluch hinweggenommen, denn wenn ein Gehenkter begraben worden, so war das Land vom Fluche frei (5. Mose 21,23), daß die Gräber der Christen zu Ruhekammern eingeweihet und geheiligt seien, worin sie bis zum jüngsten Tage schlafen, oder auch schon früher aufgeweckt werden (Dan. 12,2. Off. 20,4. Jes. 57,2). Aber dies alles ist doch das Ganze oder Eigentliche nicht, worauf es hier ankommt. Höchst merkwürdig ist es hier, daß der Apostel abermal lehrt, wir sind „mit ihm“ begraben. Das ist ja wieder eine ganz besondere Art zu reden. Wie kann man mit jemand begraben worden sein zu einer Zeit, wo man vielleicht noch nicht einmal geboren, wenigstens natürlicherweise noch nicht gestorben war. Entweder sagt der Apostel also hier nichts als Unsinn, oder wir müssen diesen Ausdruck in einem mystischen und übernatürlichen Sinne verstehen, welches letztere der Fall ist.

Christus wurde begraben. Zwar gehörte dies noch zu seiner Erniedrigung, weil sein Leib in des Todes Gewalt war; es gehörte aber nicht mehr zur Strafe. Begraben werden ist nie eine Strafe, wohl aber die Vorenthaltung des Begräbnisses, oder die Art desselben, die aber bei Jesu ganz ehrenvoll war, denn Gott gab nach der Weissagung einen Reichen zu seinem Tode (Jes. 53,9), der seine Beisetzung auf eine so ehrenvolle Weise besorgte, als es die Eile und Kürze der Zeit nur immer erlaubte. Durch sein Begräbnis legte Jesus die unerhört schwere Bürde ab, die ihn bis in den Staub herabgedrückt hatte. Das Schelten und Schmähen hörte jetzt auf. Mochte ein Kriegsknecht noch seiner Leiche einen Speerstich versetzen, daß Blut und Wasser herausrann (Joh. 19,34), er fühlte doch nichts mehr davon. Alle Schmerzen hörten mit seinem letzten Atemzuge auf. Auch endigten mit demselben alle Leiden seiner Seele. Da war kein Trauern und Zagen mehr, sondern jetzt ward er gesättigt mit Freuden vor dem ihm leuchtenden Angesicht des Herrn (Ps. 16,11). Die Strafe der Sünden, die auf ihm lag (Jes. 53,5), war bis zum letzten Scherflein rein abgetragen. Der vollkommenste Gehorsam war geleistet (Phil. 2,8. Hebr. 5,8). Alles war vollbracht (Joh. 19,30). Niemand hatte mehr etwas zu fordern. Er ruhete nun von seiner Arbeit. Bisher durfte die Sünde und der Satan ihn auf alle Weise und in allen Stücken versuchen und taten es emsiglich (Hebr. 4,15). Er ward auch, wie unbegreiflich es uns vorkommen mag, er ward auch wirklich versucht zum Ungehorsam, zur Ungeduld, zur Voreiligkeit, zum Unglauben, zum Abfall von Gott und zu andern Sünden, doch ohne Sünde. Dies mußte für die heilige Seele Jesu ein unaussprechliches Leiden sein, da dergleichen schon unser Herz, wenn es geheiligt ist, was doch nur zum Teil geschieht, so unangenehm berührt, wie vielmehr seine vollkommene Seele! Und gewiß wurde der Satan das Recht, was ihm eingeräumt war, Jesum zu versuchen, nicht träge und nachlässig benutzen, auch nicht mäßigen. Was mochte er seiner Seele wohl in jenem Augenblick vorspiegeln, als er ihr alle Reiche der Welt und alle ihre Herrlichkeit zeigte (Matth. 4,8). Und er ließ es nicht bei dem einen male, sondern wich nur für eine Zeitlang (Luk. 4,13). Dies alles endigte mit seinem Begräbnis. Wie schlief er da so sanft! Da hörte er nicht mehr die Stimme des Drängers (Jer. 31,26). Der Strick zerriß, und er war frei (Ps. 124,7).

Jetzt rücken wir der Lehre Pauli näher, wo er sagt: Wir sind mit ihm begraben. Jesus ist nicht allein begraben, sondern wir mit ihm. In wiefern? Und was will das sagen? Was für Nutzen oder Schaden bringt, in was für ein Verhältnis setzt uns das?

In wiefern sind wir mit Christo begraben? Nicht körperlich, wie der Augenschein lehrt, da wir ja alle, so lange Gott will, über die Erde wallen, sondern nach unserm alten Menschen, nach unserer strafschuldigen und ganz verderbten Natur und namentlich zurechnungsweise, indem wir vermittelst des Glaubens, den Gott wirket, also gerechnet, angesehen und in den Genuß der Früchte eingeführt werden, welche das Begräbnis Christi trägt.

Was für Nutzen oder Schaden bringt uns das? Schaden? Welche seltsame Frage! Doch, wenn wir das für Schaden rechnen, daß wir durch einen wahrhaftigen Anteil an dem Begräbnis Jesu uns mit dem Teufel, mit der Sünde, mit der Welt und ihrer Lust, ja mit uns selbst entzweien und überwerfen, sintemal der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist, und wer Gottes Freund sein will, der Welt Feind sein muß (Jak. 4,4), so muß ich gestehen, daß uns dieser Schade aus der Teilnahme an Christi Begräbnis erwächst, und uns so bewirkt, daß wir gegen die überschwengliche Erkenntnis Jesu Christi alles für Schaden und Auskehricht halten (Phil. 3,8). Aber wie groß ist die Vergeltung! Wie groß der Gewinn!

Aber was für Nutzen bringt es uns denn, wenn in Wahrheit von uns gesagt werden kann: „Ihr seid samt ihm begraben,“ außer dem, was wir schon anfangs darüber bemerkten? Einen ungemein großen Nutzen zwiefacher Art, wovon sich der erste auf die Abwendung unserer Schuld und Strafe, der andere auf die Zerstörung und Vernichtung der Sünde in ihrer Herrschaft in uns, oder auf unsere Rechtfertigung und Heiligung bezieht.

„Wir sind mit Christo begraben“ heißt erstlich mit andern Worten: Sind wir mit Christo vereinigt durch den Glauben, den Gott wirket, so sind wir in Christo und um seinetwillen aller Schuld und aller damit verwirkten Strafe gänzlich enthoben mit ihm. Um besser zu verstehen, wie dieses zugehe, müssen wir wohl bemerken, daß Christus und seine Gemeine nur eins sind, wie auf der andern Seite Adam und seine Nachkommenschaft nur als eins betrachtet wird, aus wie unzählig vielen Individuen sie auch besteht. Schon in Adam haben wir alle gesündigt, sind wir alle verurteilt, alle gestorben (Röm. 5,12.18.19). Christus war keine Person für sich, kein Privatmann, sondern ein Stellvertreter, ein Familienhaupt (Eph. 5,23). Im Weltlichen finden wir etwas Ähnliches. wir ein Familienhaupt in den Adelstand erhoben oder desselben beraubt, so sind alle seine Abkömmlinge darin mitbegriffen, obschon sie nicht mit Namen genannt werden; sie werden in ihrem Ahnherrn gehoben oder gestürzt. Etwas Ähnliches findet zwischen Christo und seiner Gemeine statt, und dies Erkennen gibt lauter Friede und Seligkeit. Hörte nun, wie schon gesagt, bei Jesu, da er begraben wurde, alle Strafe auf, und begann seine Erhöhung, so hörte sie auch als eine in der Natur der Sache begründete Frucht bei allen denen auf, die in ihm gerechnet und einbegriffen waren. Der Apostel sagt, Levi, der doch erst lange nachher, nachdem Abraham schon längst gestorben war, geboren wurde, habe in Abraham dem Melchisedek gezehntet (Hebr. 7,9.10). Auf ähnliche Weise sind alle Gläubigen in Christo begraben, aller Schuld und Strafe enthoben, so ihr's annehmen könnt. Kann man an einen Begrabenen noch Schuldforderungen richten oder ihn vor Gericht laden? Ich glaube nicht. Man tue es jedoch, der Begrabene selbst wird sich aber gar nicht darum bekümmern, mögen jene Forderungen noch so rechtlich begründet sein.

Seht, so wichtig und trostreich ist Christi Begräbnis für einen geängstigten Geist, für ein schuldbeladenes Gewissen. Eine solche Schutz- und Trutzwaffe, einen solchen Schild und Schwert gibt Christi Grab, so wir uns anders dieser Waffe im Glauben zu bedienen wissen. Bei Begrabenen kommt man mit Forderungen, Anklagen, Urteilen und Strafen viel zu spät. sie rühren sich nicht und geben kein Haar drum. „Und dafür haltet euch“, sagt der Heilige Geist, daß ihr mit Christo inbetreff eurer Schuld und Strafwürdigkeit begraben seid.

Aber ist das nicht höchst bedenklich? Ist das nicht dem Fleiß in guten Werken, der Gottseligkeit und Tugend hinderlich, ja möchte das nicht ein leichtfertiges, ausgelassenes, freches und ungebundenes Leben begünstigen und erzeugen? Wo wirklich dergleichen Sodomsäpfel wachsen, da verraten sie die Nähe des toten Meeres. Solche Belialsfrüchte sind schreiende Beweise, daß diejenigen, bei denen sie sich zeigen, nicht samt Christo begraben, sondern daß sie tot in Sünden sind, daß sie in dem Grabe liegen, wo der Teufel hauset, daß ihr Herz nicht aufrichtig vor Gott ist und sie keinen Teil noch Anfall an diesem Lebensworte haben (Apg. 8,21). Möchten sie viel wissen, so weß der Teufel noch weit mehr, und sie sind des so wenig gebessert, wie dieser unreine Geist (Jak. 2,19). Möchten sie auch noch so hohe Worte reden, so ist doch nichts dahinter. Es sind Wolken ohne Regen und Reden ohne Kraft (Juda V. 12). Erwartet aber nicht, daß wir, indem wir uns diesem allerdings möglichen Unfug nachdrücklich widersetzen, nun einen zwar entgegengesetzten, aber nicht weniger verkehrten und schädlichen Weg einschlagen, auf welchem man das im Geist begonnene im Fleisch vollkommen machen will, von der Gnade fällt, Christum verliert und sich benimmt, als sei er vergeblich gestorben (Gal. 5,4). Erwartet nicht, daß wir nun sagen: Jetzt müsse sich aber derjenige, der jenes aufnimmt, selbst bemühen und bestreben, in allem guten Werke sich zu üben, und einen, so großen Wohltaten entsprechenden, dankbaren und heiligen Lebenswandel zu führen. Das ist wohl ein schöner Schein, aber im Grunde nur Gesetzeswerk, womit man nicht umgehen muß, oder man gerät unter den Fluch (Gal. 3,10), in eine Wüstenei, wo weder Lust noch Mut, noch Kraft zu einigem wahren Guten aus dem Antrieb der Liebe angetroffen wird, sondern nichts als Hindernisse, Erregung der sündlichen Lüste (Röm. 7,8), Kraft der Sünde (1. Kor. 15,56), Unfriede und Elend und zuletzt die Verdammnis. Ich denke, der Begriff des Begrabenseins schließe auch die Vorstellung der ruhe und das aufhören der eigenen Wirksamkeit in sich, wiewohl letztere aus dem Begriff der Auferweckung samt Christo auf eine übernatürliche Weise erwächst. Genug, der zweite Vorteil, den diejenigen erlangen, von denen in Wahrheit gesagt werden kann: „Ihr seid samt ihm begraben,“ besteht in der Abthuung und Vernichtung des alten Menschen und was dem anklebt, der Sünde, der fleischlichen Lüste und Begierden. „Auf daß,“ sagt der Apostel, „der sündliche Leib in uns aufhöre, und wir hinfort der Sünde nicht dienen.“ Alle diese bösen und erschrecklichen Dinge werden ins uns abgeschafft nicht durch Wunden, die wir ihnen selbst beibringen, sondern kraft der Begräbnis Christi. Es ist wahr, es ist der Christen Pflicht und Beruf, so wenig Gemeinschaft mit der Sünde zu haben, als die Lebendigen mit Begrabenen, mit welchen sie keine andere Gemeinschaft haben, als etwa die, daß sie sie betrauern und verabscheuen, wie Martha ihren begrabenen und im Leben so geliebten Bruder, über den sie schrie: „Herr er stinket schon (Joh. 11,39)!“ Dies aber gehört ins Gesetz. Zum Evangelium aber gehört die angenehme Botschaft, daß Christus die Seinen nach und nach, jedoch in kurzer Zeit wirklich so weit bringt, und zwar ganz ohne Zutun des Gesetzes oder eigenen Werks, allein durch den Glauben, darum weil sie mit ihm begraben sind. Wie? sollte Christus diejenigen in der Sünde fortleben lassen, welche er davon erlöset und erkauft hat? Es sollte der widersinnige Widerspruch möglich sein, Christo eingepflanzt sein und doch keine Früchte der Dankbarkeit bringen?

II.

Dies ist um so weniger möglich, da diejenigen, welche an Christo in seiner Kreuzigung, in seinem Tode und in seinem Begräbnis Teil haben, auch des neuen Lebens aus seiner Auferstehung teilhaftig werden. „Sind wir eine Pflanze mit ihm in seinem Tode, so werden wir auch in der Auferstehung gleich sein.“ „Gleichwie Christus, also sollen auch wir, durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferwecket, in einem neuen Leben wandeln.“ „Wir glauben, daß wir mit ihm leben werden.“ „Der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen“, also auch über uns nicht, die wir in ihm sind. „Was er lebet, das lebet er Gott“, und durch ihn leben auch wir. „Haltet euch deswegen dafür, daß ihr Gott lebet durch Jesum Christum unsern Herrn“. Dies sind des heiligen Apostels weitere Vorstellungen von der Heiligung des Herzens kraft der Teilnahme an der Auferstehung Christi.

Daß Christus am dritten Tage nach seinem Begräbnis von den Toten auferstanden sei, wissen wir. Wie er Macht hatte sein Leben zu lassen, so hatte er auch Macht, es wieder zu nehmen (Joh. 10,18); er bediente sich dieser Macht, und nahm es wieder. Wie hätte auch das Leben vom Tode mögen gehalten werden, das war unmöglich (Apg. 2,24). Er ward aber auch auferwecket durch die Herrlichkeit des Vaters, welcher darin seine Macht und Gerechtigkeit erwies (Vers 4); seine Macht, indem er den großen heiligen Toten lebendig machte; seine Gerechtigkeit, indem er Jesum von einer Schuld frei erklärte, welche er vollkommen bezahlt hatte, wodurch er zugleich zeigte, daß er dem Sünder völlig versöhnt sei. Dies letztere ist die Hauptsache. Christus verlor sein Leben nicht als eine natürliche Folge der Kreuzigung, wodurch er nach und nach sich verblutete und also sterben mußte, sondern er verlor oder vielmehr gab sein Leben zu einem Lösegeld für viele zur Bezahlung ihrer Schuld und zur Abtragung ihrer verwirkten Strafe. Durch seine Auferweckung empfing er gleichsam die rechtskräftige Quittung vor aller Welt, „daß alles sei bezahlt.“ Für sich selbst hatte aber der Sohn Gottes weder Verpflichtung, noch Schuld, noch etwas zu büßen und zu bezahlen. Das geschah alles uns zu gut.

Obschon daher der Apostel hier die Redensart „samt ihm“ nicht gebraucht, so sagt er doch an einer andern Stelle: (Eph. 2,6) „Gott hat uns samt ihm auferwecket.“ Was heißt das aber anders als: Gott hat uns, die wir in Jesu Christo gerechnet werden, bei der Auferweckung Christi für eben so schuld- und straffrei, für eben so gerecht erklärt, wie Christum selber. In dem einen Urteil waren zugleich alle diejenigen mit einbegriffen, „welche durch der Apostel Wort an ihn glauben würden“ bis ans Ende der Welt (Joh. 17,20). „Hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast,“ sagte er (Jes. 8,18. Hebr. 2,13). Wer's fassen und annehmen kann, der fasse es und nehme es an. „O, daß sie ein solch Herz hätten, mich zu fürchten und zu halten alle meine Gebote ihr Leben lang, daß es ihnen wohlginge und ihren Kindern ewiglich“ (5. Mose 5,29). Dies ist das erste. Es betrifft hauptsächlich das Gewissen, dessen Schmerzen und Wunden so alle auf die süßeste Weise heil werden können und sollen (Ps. 103,2). Jedoch ist dies nicht das Ganze, sondern nun heißt es zweitens weiter:

„Also sollen wir in einem neuen Leben wandeln.“ Ihr fasset den eigentlichen Sinn dieser Worte nicht, wenn ihr sie nicht bloß oder hauptsächlich als einen Rat, als eine Verpflichtung, als etwas Geziemendes betrachtet, wo sie dann mehr geeignet sind, euch unter den Dornenstrauch des Gesetzes, als unter den Weinstock und Feigenbaum des Evangeliums zu leiten. Christus nahm vielmehr durch seine Auferstehung für uns Besitz vom geistlichen Leben welches in Kraft, Friede, Freude und Heiligkeit besteht. Er hat uns dasselbe durch das Verdienst seines versöhnenden Todes erworben, so daß es unser rechtmäßiges Eigentum geworden ist, woran wir, die wir von Natur tot sind in Sünden, ein Gnadenrecht haben, und es mit völliger Zuversicht fordern mögen, es auch endlich im vollen Maß besitzen sollen. Wir schaffen und bilden die neue, heilige Natur eben so wenig selbst als unser ursprüngliches Verderben, sondern beide sind für uns bereitet, Teil daran zu nehmen. Durch die Vereinigung mit Christo werden wir des geistlichen Lebens teilhaftig, welches er für uns bei seiner Auferstehung in Besitz nahm, und werden dadurch tüchtig gemacht, die Früchte desselben hervorzubringen. Dies ist nun ganz fest und ausgemacht. Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir und zweifeln nicht daran, daß wir, obschon tot in uns selbst, mit ihm und durch ihn leben werden. Wir halten uns dafür, daß wir Gott leben in Christo Jesu. Von aller eignen Weisheit und Torheit, von aller eignen Würdigkeit und Unwürdigkeit, ja von unserm ganzen Elend den Blick wegwendend, richten wir ihn vertrauensvoll auf Christum allein, der in uns wohnen, wirken und leben will (Eph. 3,17; Gal. 2,20), und gelangen so auf eine friedsame und sichere Weise zu dem von uns sonst unerreichbaren Ziel der Heiligkeit. Die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, wird in uns erfüllet (Röm. 8,4).

Von diesen gottseligen Geheimnissen nun ist das Sakrament der heiligen Taufe Zeichen und Siegel. Von derselben gedenke ich, so der Herr will, in einer nächsten Hauptpredigt ausführlicher zu handeln, schweige also jetzt davon und erinnere nur an dieselbe.

Ihr seid alle getauft. Aber habt ihr wohl alle Christum angezogen (Gal. 3,27)? Ach hättet ihr das! Ist wirklich eurem alten Menschen eine Wunde beigebracht, woran er sich verbluten und sterben wird? Ist wirklich das Samenkorn eines neuen, göttlichen, heiligen Lebens in euch gelegt, welches sich mit der Zeit unter den Einflüssen des lebendigen Geistes entfalten wird? Ich finde nicht Ursache nach der Kenntnis, die ich von der Gemeine erlangt habe, die Zahl solcher Heiligen und Geliebten für unbedeutend und klein, aber auch nicht sie verhältnismäßig für groß zu halten. In eurer Konfirmation habt ihr euren Taufbund dem Scheine nach erneuert; euer Lebenswandel steht aber damit zum Teil in grellem Widerspruch, teils in keiner Übereinstimmung. Seht aber zu, daß ihr so großer Güter nicht verlustig bleibt. Sucht sie! Sucht sie ernstlich! Kehrt wieder ihr abtrünnigen Kinder, so will ich eure Übertretung heilen (Jer. 3,12)!

O sagt doch, solltet ihr wohl Ursache haben, von euch zu glauben, daß ihr wirklich mit Christo und nicht vielmehr mit dem Teufel, vereinigt seid? Seid ihr's nicht, so seid ihr ohne Leben, tot, ohne Gerechtigkeit, gottlos und verdammt, seid Kinder des Zorns. O rette sich, wer kann, flüchte, flüchte, flüchte sich zu dem, der tot war und siehe, nun lebet (Offenb. 1,18) und lebendig macht, welche er will (Joh. 5,21)!

Ihr Heilsbegierigen, freuet und rühmet euch eurer Taufe und der euch durch dieselbe zugeschwornen Vergebung, Rechtfertigung und Heiligung und gehet aus dem Glauben in Glauben, von Kraft zu Kraft, bis ihr endlich zu Gott in Zion anlandet (Ps. 84,7). Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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