Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Heiligung (1)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Heiligung (1)

(gehalten am 29. Mai 1831)

Römer 6,1-14

Was wollen wir hiezu sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, auf daß die Gnade desto mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind? Wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christum gerauft sind, die sind in seinem Tod getauft? So sind wir je mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auferwecket von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber samt ihm gepflanzet werden zu gleichem Tode, so werden wir auch der Auferstehung gleich sein, dieweil wir wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden; und wissen, daß Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. Denn das er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem Mal; das er aber lebet, das lebet er Gott. Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid, und lebet Gott, in Christo Jesu unserm Herrn. So laßt nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten. Auch begebet nicht der Sünde eure Glieder zu Waffen der Ungerechtigkeit, sondern begebet euch selbst Gott, als die da aus den Toten lebendig sind, und eure Glieder Gott zu Waffen der Gerechtigkeit. Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.

In der merkwürdigen Geschichte von dem Ringen Jakobs mit Gott, welche uns im 1. Buch Mosis Kap. 32 gemeldet wird, heißt es Vers 31 zum Schluß: „Und als Jakob vor Pniel überkam, da ging ihm die Sonne auf, und er hinkete an seiner Hüfte.“

Nach dem empfangenen Segen verließ der Erzvater die merkwürdige Stätte, welche er durch einen besonderen Namen auszeichnete und sie „Angesicht Gottes“ nannte; denn, sagte er: Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen (1. Mose 32,30). Jetzt, heißt es, ging ihm die Sonne auf. Wenn die Sonne aufgeht, so geht sie doch allen Menschen auf; es ist also eine eigene Art zu reden, wenn hier gesagt wird: Sie ging ihm auf. Jedoch ist dies eine Art zu reden, welche man allerdings wohl von einzelnen Personen gebrauchen könnte, wo sie dann einen besonderen Nachdruck hätte. Denken wir uns jemanden, der in einem unsichern Wald verirrt. Er geht und geht, weiß aber je länger, je weniger eine Spur. Es wird Abend, es wird stockfinstere Nacht. Angst und Grauen befällt ihn, jedes Geräusch erschreckt ihm. Endlich beginnt die Sonne aufzugehen. Da kann man sagen: sie geht ihm auf. Niemandem macht sie mehr Freude, niemandem ist sie willkommener. So ging' s Jakob. So geht's noch im Geistlichen. Die wahre Sonne, die Sonne der Gerechtigkeit ist Jesus Christus (Mal. 4,2). Sie ist aufgegangen, diese Sonne. Sie steht am Kirchenhimmel. Sie scheint. Es ist Tag. Und das ist einer wahrhaft heilbegierigen Seele nicht genug, sondern sie muß sagen können: da ging mir die Sonne auf. Was das für Friede und Freude bringt, ist nur denen bekannt, die es erfahren. Da geht ihnen der Himmel auf, die Gerechtigkeit zeigt sich ihnen. Der rechte Weg bahnt sich vor ihnen. Die Nebel der Zweifel verschwinden, die Nacht der Angst vergeht. Freude, Mut und Kraft gesellen sich zu ihnen. Alles gestaltet sich anders und gestaltet sich herrlich. Ihm, ihm geht die Sonne auf. Wer ist glücklicher als er nach solcher Angst, Kampf und Streit!

Und Jakob hinkete an seiner Hüfte. Jeder Tritt erinnerte ihn teils an sein Elend, teils an des Herrn unbeschreibliche Gnade. Es ist der Seele unvergeßlich, was ihr da widerfuhr. Er hinkte. Jeder Tritt rief ihm zu: „Dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es“ (Eph. 2,8). Ein Tritt war nicht wie der andere, sondern zweierlei. Der eine Tritt neigte sich stets auf eine Seite, und auf welche? Auf die der Demut, „ich bin nichts“ (2. Kor. 12,11), auf die des Herrn „Christus ist mein Leben“ (Phil. 1,21). Endlich tat der liebe Mann seine Füße auf seinem Bett zusammen, und verschied, und ward versammelt zu seinem Volk (1. Mose 49,33). Da war das Hinken zu Ende, und er fiel ganz auf die eine Seite.

Ihm ging die Sonne auf. Sie gehe auch uns auf am Horizont seines Worts und lasse es uns in ihren segnenden Strahlen beschauen!

„O welch eine Tiefe!“ (Röm. 11,33) so mögen wir mit Recht über dem Inhalt unserer Textesworte ausrufen. Bei Erwägung derselben, werfen wir einen Blick erstens auf die Personen, an die der Apostel schreibt; zweitens auf die vierfache Vereinigung der Gläubigen mit Christo, von welcher der Apostel handelt. (Diesmal erwägen wir einiges von der Vereinigung mit Christo in seiner Kreuzigung und in seinem Tode).

I.

Die Personen, denen der Apostel diesen wichtigen Unterricht erteilt, bezeichnet er als solche, welche wissen, und was denn? „Daß alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinem Tod getauft.“ Es waren also keine unwissenden Leute, an welche Paulus dies schrieb. Solchen würde er nicht o sehr das, was nun folgt, geschrieben, sondern vielmehr wie bei den Hebräern Grund gelegt haben von dem Anfange des christlichen Lebens, von der Buße von den toten Werken, vom Glauben an Gott, von der Auferstehung der Toten und dem ewigen Gericht (Heb. 6,1). Von diesem allen waren seine Leser hinlänglich unterwiesen. Ihre Kenntnis war aber auch kein bloßes totes Wissen, eine erlernte, dem Gedächtnis eingeprägte, von Menschen und aus Büchern übernommene Sache, woran ihnen weiter nichts gelegen war. Nein, es war ein mit Erfahrung begleitetes Wissen, ein Wissen, das das Gewissen tröstete, das Gemüt erquickte, Herz und Wandel heiligte, indem es den Verstand erleuchtete.

Was wußten sie denn? Daß wir alle, die wir in Jesum Christ getauft sind, die sind in seinem Tod getauft. Ob wir das auch wissen? Eigentlich heißt taufen „in etwas hineintauchen,“ sei es, wie meistens, in Wasser oder auch sonst etwas, z.B. Blut, wie es von Josefs Brüdern heißt: Sie tauchten seinen Rock in Blut (1. Mose 37,31). Durch diese Eintauchung kommt man in eine gewisse Gemeinschaft mit dem Wasser, oder was es sonst ist, und wird seiner Wirkung teilhaftig, d.h. naß, abgekühlt, gereinigt, oder gar erstickt. In dem Sakrament, d. i. Geheimnis der Taufe werden wir körperlich mit dem Taufwasser in Verbindung gesetzt, sei es durch gänzliche Eintauchung, wie ehemals, oder durch Besprengung, wie jetzt. Das ist an sich unnütz, wo nicht gar nachteilig. Geistig aber werden wir nicht in das sinnbildliche Wasser, sondern in Christum selbst hineingetaucht und besonders in seinen Tod. Und das, fürchte ich, wissen, beherzigen und bedenken nicht viele, ja es ist ihnen nichts an der wirklichen Erlangung der ungemein herrlichen Güter gelegen, daß sie ihnen auch versiegelt würden, wie allen bezeichnet worden sind, „daß wir nämlich Christum angezogen haben“ (Gal. 3,27) und „durch den Glauben an ihn nicht mehr unter unserm alten Zuchtmeister stehen, sondern allzumal Gottes Kinder sind“ (Gal. 3,25,26), „daß wir den Leib der Sünden abgelegt haben, daß wird durch den Glauben mit Christo gestorben und auferwecket, daß uns alle unsere Sünden vergeben sind“ (Kol. 2,12,13), „daß wir Glieder eines Leibes, nämlich Christi, und zu einem Geiste getränket sind“ (1. Kor. 12,12,13). Denn die Natur und Absicht der Taufe ist, uns durch eine Gemeinschaft und Vereinigung mit Christo, allein vermittelst des Glaubens an ihn, zur Vergebung der Sünden, zur Heiligkeit und Seligkeit zu leiten. So seine Taufe ansehen, sie dazu benutzen, heißt wissen, daß wir in Christum getauft sind. Paulus hebt insbesondere seinen Tod hervor, und in denselben getaucht oder getauft sein, heißt die zwiefache Wirkung desselben erfahren, nach welcher er teils die Schuld und Strafe von uns hinwegnimmt, teils unsere Sünde ertötet. O, daß denn auch wir recht wüßten, daß wir alle, die wir in Christum getauft sind, in seinen Tod getauft sind.

II.

Gehen wir denn jetzt, nachdem wir einen Blick auf die Personen geworfen haben, an welche der Apostel schreibt, zur Betrachtung seiner Worte über, worin er von einer vierfachen Vereinigung mit Christo handelt, nämlich in seiner Kreuzigung, in seinem Tode, in seinem Begräbnis und in seiner Auferstehung.

Vorab bemerken wir zweierlei. Erstlich: Die ganze Vorstellung des Apostels ist aus den Tiefen des Evangeliums geschöpft und geheimnisvoll. Hier ist nichts, was uns unsere Vernunft allenfalls auch lehren könnte, wiewohl auch nichts, das ihr entgegengesetzt wäre. Hier sind keine vernünftigen Reden bloß menschlicher Weisheit. Er redet nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern die der Heilige Geist lehret, und richtet geistliche Dinge geistlich. Der natürliche Mensch vernimmt nicht nur nichts davon, es ist ihm sogar eine Torheit und kann es nicht erkennen. Da wir aber von reden, ist dennoch Weisheit, aber bei den Vollkommenen (1. Kor. 2,4.6 und 13,14). Das Ganze ist nicht nach der Menschenlehre, noch nach den in der Welt üblichen Satzungen und Grundsätzen, wohl aber nach Christo (Kol. 2,8). Hier müssen wir alle unwissende, aber lernbegierige Schüler sein, wie wir denn belehrungsfähig sind, nur daß wir's uns von Gott durch seinen Geist offenbaren lassen (Phil. 3,15).

Die zweite vorläufige Bemerkung ist diese: Um des Apostels Vortrag richtig zu verstehen, ist wohl zu merken, daß durch den wahren Glauben eine allerinnigste Vereinigung zwischen Christo und der wiedergeborenen Seele bewirkt wird (Joh. 6,56 und 14,20. 1. Kor. 6,17. Eph. 5,30,31), so innig wie die Vereinigung zwischen Haupt und Gliedern (Eph. 1,22,23), ja zwischen Leib und Seele stattfinden mag. Der heilige Apostel redet hier nicht von einer bloßen Nachahmung Christi, daß wir z.B. von allem Sündlichen geschieden sein sollen, wie ein Toter, ja Begrabener von den Lebendigen, wenn dies gleich allerdings eine unbestreitbare Wahrheit und Pflicht ist. Der heilige Gottesmann fordert hier wenig oder nichts. Denn alsdann hätte er, wie Calvin sehr treffend bemerkt, nicht sagen müssen: „Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir auch, daß wir mit ihm leben werden“ sondern er würde gesagt haben: „So lasset uns auch mit ihm leben.“ Bloß fordert er, wenn man so will, „haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid und lebet Gott in Christo Jesu unserm Herrn.“ Er redet aber von den Wohltaten Christi und lehrt die Einpflanzung in ihn, wodurch der Gläubige eine Pflanze mit ihm wird (Römer 6,5), und zwar zu seiner Rechtfertigung und zugleich zu seiner Heiligung. Beide werden aus einer Quelle hergeleitet, und diese Quelle ist die Vereinigung mit Christo in vierfacher Beziehung, und zwar erstlich in seiner Kreuzigung.

„Wir wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen.“ Daß Christus gekreuzigt sei, wem wäre das unbekannt? Aber wem ist das bekannt, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt ist? Der alte Mensch ist die Sünde. Alt heißt sie, weil sie beinahe so alt ist, als das menschliche Geschlecht; Mensch wird sie genannt, weil sie im Menschen ist, ihn durchdrungen hat, wie das Feuer ein glühendes Eisen, und durch ihn wirksam ist. Der sündliche Leib ist das Nämliche. Nicht wird der körperliche Leib darunter verstanden, denn der ist an sich nicht böse, sondern eine, wenn gleich verunstaltete Kreatur Gottes, ja ein mit bewundernswürdiger Weisheit und Kunst eingerichteter Bau, woran man unzählige Wunder entdeckt. Kunstvoll hast du mich bereitet, sagt David (Ps. 139,14). Dieser Leib kann zum Bösen mißbraucht werden, wie es durchgängig geschieht, er kann und soll aber auch ein ewiges Werkzeug zur Verherrlichung Gottes sein, wie er's bei einigen wirklich ist. Ja er soll am jüngsten Tage auferweckt und dem herrlichen Leibe Christi gleichförmig werden (Phil. 3,21) um deswillen daß eure Leiber Tempel Gottes sind, darin sein Geist wohnt (1. Kor. 6,19 Röm. 8,11). Die Sünde heißt aber ein Leib, weil sie etwas Zusammenhängendes ist, so daß eine Sünde aus der andern erwächst, eine die andere befördert und begünstigt. Deshalb ist die Sache der Heiligung auch damit nicht abgemacht, daß man einzelne Sünden, sondern daß man sie alle mit ihrem Haupt ablegt; nicht genug, daß man einzelne Tugenden übt, man muß Lust und Liebe zu allen haben (Jak. 2,10). Dieser alte Mensch, dieser sündliche Leib nun ist mit Christo gekreuzigt. Wunderbare Lehre! Christus und der alte Mensch waren also, da unser Herr gekreuzigt wurde, gewissermaßen Eins. Hier hatte also das Licht eine gewisse Gemeinschaft mit der Finsternis, und Christus mit Belial (2. Kor. 6,15). Christus, der von keiner Sünde wußte (Joh. 8,46), war nämlich von Gott zur Sünde (2. Kor. 5,21), zu unserm alten Menschen gemacht, d. i. durch Zurechnung so angesehen und behandelt. Behandelt wurde er von Menschen und von Gott nicht als der Heilige und noch weniger als der Sohn Gottes, sondern wie der alte Mensch es verdiente. Und der verdiente den Fluch. Christus weigerte sich also auch nicht, ein Fluch für uns zu werden, und ward es wirklich (Gal. 3,13). Zum Beweise davon ließ er sich an ein Kreuz aufhängen, weil, wie ein jeder Jude wußte, wer am Holze hing, verflucht war (5. Mose 21,23). Jedoch traf dieser Fluch eigentlich Jesum, den Heiligen und Unschuldigen, nicht, sondern er traf unsern alten Menschen, den Jesus angezogen hatte. Derselbe empfing hier seinen verdienten Lohn, wurde mitgekreuzigt. Wozu? Was wurde dadurch ausgewirkt? Hauptsächlich zweierlei. Erstlich, unsere Versöhnung (Eph. 1,7), die Abtragung unserer Schuld und Strafe, die Übernahme derselben, die Abwendung des Fluches und Erwerbung des Segens (Gal. 3,13,14. Heb. 9,28). Zweitens, daß der sündliche Leib aufhöre, abgetan werde.

Insofern Christo dieser sündliche Leib zugerechnet wurde, insofern er in der Gestalt des sündlichen Fleisches war, wurde er in Christo selbst abgetan, um darnach auch in allen denen nach und nach, und endlich vollkommen abgetan zu werden, welche durch den Glauben Glieder Christi sind, so daß ein jeder von ihnen Paulo nachbekennen kann: „Ich bin samt Christo gekreuzigt“ (Gal. 2,19). Ja sie werden in ihm als solche angesehen, bei denen dies große Werk schon damals vollbracht ist, als Christus dies Wort ausrief (Joh. 19,30), etwa so, wie Jesaias ausrief: „Ein Kind ist uns geboren“ (Jes. 9,6), da es doch noch achthundert Jahre währte, ehe Christus wirklich ins Fleisch kam, was aber schon zu des Propheten Lebzeiten so gut war, als wäre es wirklich geschehen, denn so rechnet der Glaube.

Der Sünde nicht mehr zu dienen, das ist die köstliche Frucht der durch Christi Kreuzigung vollzogenen Abtuung des alten Menschen. Durch dieselbe sind die Gläubigen vom Fluche frei, und, indem sie Christo im Geiste anhangen, werden sie es auch von allem Sündendienst (1. Kor. 6,17). Freilich ist „gekreuzigt sein“ noch kein „tot sein,“ folgt aber doch bald darauf. Hienieden lebt und regt sich der alte Mensch noch. Haben wir aber Teil an Christo, so wird er ganz ersterben, und wir vollkommen zum Dienst Gottes tüchtig werden, nicht durch unsere eigenen Bemühungen, sondern kraft des Kreuzes Christi. Das wissen oder erkennen wir, sagt der Apostel, er selbst freilich in besonderem Maße. O, ein seliges, Friede gebendes, heiligendes Erkennen und Wissen, wenn wir so aufs Kreuz sehen können, wie es uns von allem Fluch und aller Sünde frei macht, frei gemacht hat und frei machen wird. Es sei uns denn innigst angelegen, dies Geheimnis des Kreuzes unter Anleitung des Heiligen Geistes wohl und immer besser zu lernen.

Die Rechtfertigung und insbesondere die Heiligung fließt aus der Vereinigung mit Christo in seinem Tode (Vergl. 2. Kor. 5,14,15). Hierüber ist der Apostel am ausführlichsten und sagt darüber Folgendes: „Wir werden samt ihm gepflanzet zu gleichem Tode. Daß er gestorben ist, ist er der Sünde gestorben zu einem Mal. Wer aber gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Sünde. Haltet euch also dafür, daß ihr der Sünde gestorben, tot seid.“

Dies ist die apostolische Vorstellung von den Früchten des Todes Jesu. Laßt uns ihrem Sinne näher nachspüren.

Jesus ist gestorben, dies ist ein bekannter Glaubensartikel. Der Apostel veranlaßt uns zu der Frage: Wem Jesus gestorben sei? Sehen wir jemanden in Trauerkleidern und wissen nicht warum, so fragen wir: „Wer ist dir gestorben?“ Hier sterben Kinder ihren Eltern, ein Freund dem Freunde, einem Armen sein Wohltäter, aber auch ein Sklave stirbt seinem strengen Gebieter, ein Gefangener seinen Peinigern. Wem ist denn Jesus gestorben? Seiner bejahrten Mutter? Seinen Jüngern? Uns? Keineswegs. Seinen Feinden? Wohl eher, denn sie konnten ihm nun nichts mehr anhaben. Der Apostel sagt: Er ist der Sünde gestorben. Sie konnte ihm also nicht mehr anhaben, sie konnte ihn nicht mehr versuchen, nicht mehr ängstigen, ihm keine Not, Schmerzen, Leiden, Strafen verursachen, denn er war für sie tot. Konnte sie das denn früher, so lange er noch nicht gekreuzigt und gestorben war? Gewiß (Heb. 2,17,18). Trug er sie nicht (Jes. 53,4)? War er nicht in Allem versucht gleich wie wir (Heb. 4,15)? Haben wir ihm nicht Arbeit gemacht mit unsern Sünden (Jes. 43,24)? Ergriff sie ihn nicht so, daß sein Herz ihn verließ (Ps. 40,13)? Ließ der Herr sie nicht auf ihn anlaufen (Jes. 53,6)? Mußte er sie nicht hinauftragen an das Holz (1. Pet. 2,24)? Als Jesus aber starb, starb er ihr. Freilich hatte er ihr nie in dem Sinne gelebt, daß er ihr irgend auf einer Weise gedient hätte (Joh. 8,46). Aber er war ja zur Sünde gemacht (2. Kor. 5,21), sie war ihm ja zugerechnet, um sie zu büßen und zu bezahlen, er war ja in der Gestalt des sündlichen Fleisches (Hebr. 2,14. Phil. 2,7.8) und mußte den Kampf mit ihr siegreich bestehen. Als er nun starb, war alles glücklich abgetan, denn wer gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Sünde (Vergl. 1. Pet. 4,1). Dies ist aber keine allgemeine, auf alle Menschen anwendbare Wahrheit. Wäre es das, so würden alle Menschen durch ihren Tod sündenfrei und selig. Das werden sie aber nicht (Mk. 16,16), sondern wer seine Sünde mit in die Ewigkeit hinüber nimmt, stirbt in derselben, hört nicht auf zu sündigen, und sinkt in den andern Tod (Off. 21,8). Als aber Christus starb, ward er gerechtfertigt, losgesprochen von der ihm zugerechneten Sünde. Und warum? Weil er sie vollkommen bezahlt, weil er den der Sünde gedrohten Sold, den Tod, freiwillig erlitt und sein überkostbares Leben für seine Schafe dahingab. Die Sünde verlor, indem sie zu gewinnen schien, auf einmal ihren Prozeß, ihr Recht, ihre verdammende und gefangenhaltende Herrschaft und stürzte von ihrem finstern Thron. Auf einmal und für alle Zeit geschah das in dem majestätischen Augenblick, als der glorwürdige Weibessame sein Haupt neigte und verschied (Joh. 19,30). Er wurde gerechtfertigt, wurde befreit von der Sündenschuld, die er auf sich geladen und nun durch seinen Tod bezahlt hatte, befreit als das Haupt seiner Gemeine (Kol. 1,18). Diese seine Gemeine war dabei aufs höchste beteiligt, denn sie ist nach des Apostels Lehre mit ihm gestorben. Merkwürdige Lehre! Derselben gemäß sagt er von sich: „Ich bin gestorben“ und von den Gläubigen: „Ihr seid gestorben“ (Kol. 3,3). Denn sie allen waren mit ihm gepflanzt, eine Pflanze mit ihn in der Ähnlichkeit des Todes. Wäre es in der Natur möglich, daß eine Pflanze aus vielen Pflanzen bestände, so würde das allen widerfahren, was der einzelnen widerfährt. Hier ist dies glücklicherweise wirklich der Fall. Christus und die Menge der Gläubigen machen nur eine Pflanze, oder wie es sonst heißt, einen Leib aus, woran Christus das Haupt ist (Eph. 5,30). Was ihm widerfuhr, geschah ihnen allen, ja geschah der Absicht Gottes und Christi selber gemäß nur um ihretwillen. als Christus starb, starben sie in ihm alle, litten alle in der Person ihres Bürgen die durch die Sünde verdiente Todesstrafe. Das muß bei Christen ausgemacht sein. Dafür müssen sie es, müssen sie sich halten, für längst Gestorbene, und tun es auch.

Welches ist nun die köstliche Frucht dieses ersterbenden Weizenkorns? Die erste Frucht ist die Rechtfertigung, die Freisprechung von Sünden. Denn wer gestorben ist, hat die Strafe und den Sold der Sünde empfangen. Die Gläubigen haben ihn empfangen, sie sind, wie eben gezeigt, gestorben: Folglich sind sie straffrei und sind es von Rechtswegen. Es ist unmöglich, daß sie noch zur Rede gestellt, zur Verantwortung gezogen, auf irgend eine Weise in Anspruch genommen werden können, weil dies nicht nur der Barmherzigkeit, sondern vielmehr der Gerechtigkeit Gottes ganz zuwider wäre und Christi gültiges Verdienst über den Haufen würfe, als wäre er umsonst gestorben. Christi Tod hat uns armen Sündern ein großes, ein vollkommenes Recht erworben, worauf wir mit festem Glauben bestehen, uns berufen und darauf pochen mögen. Wir haben ein für allemal unsre Strafe, der wir uns allerdings und ohne Widerrede schuldig bekennen, ausgestanden. Straft nun die weltliche Obrigkeit das nämliche Verbrechen nie zweimal, wie viel weniger ist dies von der göttlichen Gerechtigkeit zu erwarten! Festiglich aber ist zu erwarten, daß sie diejenigen, welche mit Christo gestorben sind, auch rechtfertige von der Sünde, sie, welche fragen dürfen: „Wer will verdammen?“ (Röm. 8,34).

Die andere, davon unzertrennliche Frucht ist die, daß wir der Sünde gestorben sind. In vollem Sinn der Sünde gestorben sein, heißt ihr ganz entronnen sein, nichts mehr mit derselben zu schaffen haben. Das ist bisher der wirkliche Stand der Christen hier auf Erden nicht, so wie es Christi Stand in seiner Weise vor seinem Tode auch nicht war. sie haben noch immer Streit. Leichtlich umringt sie die Sünde. Sie haben zu wachen, sie haben zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung“ (Mat. 26,41). Sie haben es noch nicht ergriffen, sind noch nicht vollkommen, jagen ihm aber nach, ob sie es ergreifen möchten (Phil. 3,12). Und doch können sie hinzusetzen: „Wie viel unser vollkommen sind, die lasset uns also gesinnet sein“ (Phil. 3,15). Es wird doch dahin kommen. Die Anfänge sind da. Das Werk wird auch gewiß vollendet werden (Phil. 1,6 und 6,13). Nicht durch Wunden, welche wir selbst dem alten Menschen beibringen möchten, sondern durch unsere Teilnehmung an derjenigen Befreiung davon, welche der sterbende Christus uns durch desselben Ertötung zu zuwege brachte.

Und so schließt der Apostel diese merkwürdige Vorstellung mit der Ermahnung: „Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde in Christo Jesu gestorben seid.“ Wer diesen Rat überall und völlig befolgte, würde es in der evangelischen Heiligung weit gebracht haben und bringen; bei wem dies ganz ausgeboren wäre, der stände sehr gut. Aber dies Halten, dies Veranschlagen, diese Rechenkunst ist schwierig. Nur der Heilige Geist vermag uns dies zu lehren, es unserm Verstande klar und unserm Herzen lebendig zu machen. Er beginnt auch damit nicht, sondern in seinem gewohnten Gange deckt er dem Menschen zuerst die Tiefe seines Verderbens auf und fährt damit lange fort. Er zerbricht alle fremden Stützen und Hilfsmittel, welche man in seiner eigenen Gerechtigkeit, Kraft und Fleiß sucht und zu finden wähnt. Er macht die Seele rat- und trostlos. Aber er demütigt sie nur, um sie groß zu machen. Nach dieser Nacht dämmert ein lieblicher Morgen des Evangeliums, die Sonne der Gerechtigkeit geht auf, ja erleuchtet sie wohl wie ein heller Blitz. Jetzt sieht sie deutlicher, dann nebelhafter und dunkler in den Schatz des Evangeliums hinein, den sie überhaupt in einem irdenen Gefäß trägt, auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns (2. Kor. 4,7).

Seht, dies ist die Heilsordnung! Lernet, euch ihr gemäß bewegen! Weil aber niemand zu Jesu kommen kann, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater (Joh. 6,44), weil Fleisch und Blut es uns nicht offenbaren (Mat. 16,17), und der natürliche Mensch nichts davon erkennen kann (1. Kor. 2,14), so schreit desto inbrünstiger, daß euch Augen, Ohren und Herzen eröffnet werden mögen durch den, der tot war und nun lebet und hat die Schlüssel der Hölle und des Todes, der zuschleußt und niemand auftut, der auftut und niemand zuschleußt (Off. 1,18).

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_g.d/krummacher-heiligung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain