Krummacher, Friedrich Wilhelm - Gützlaffs Heimgang.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Gützlaffs Heimgang.

Gedächtnispredigt gehalten am 19. October 1851.

2. Samuelis 2,23.
Und wer an den Ort kam, da Asahel todt lag, der stand stille.

Ihr seht’s schon meinem Texte an, geliebten Freunde, daß ich heute aus dem gewohnten Geleise unsrer kirchlichen Betrachtungen herausgeworfen werde. Was mich herauswirft, ist die im Laufe der verwichenen Woche aus dem fernen China, und zwar aus dem Winkel dieses Riesenlandes, wo wir uns am heimischsten fühlen, aus Hongkong, zu uns gelangte erschütternde Trauerkunde. Denkt, unser Freund und Bruder Gützlaff hat das Pilgerkleid abgelegt, und ist zu seines Herrn Freude eingegangen. Schon seit Mitte letztverflossenen Monats August ruht, ohne daß wir es ahneten, seine irdische Hülle im Schooße der Erde, über welcher er wie Keiner vor ihm das Banner des Kreuzes entrollen durfte. Sein Grab liegt mir im Wege heute. Ich kann mit meinen Empfindungen und Betrachtungen über dasselbe nicht hinaus. Nicht in Willkühr, aus innrer Nöthigung geschieht es, daß meine heutige Predigt sich zu einer Standrede an Gützlaffs Gruft gestaltet. Und ihr, lieben Brüder, nicht wahr, laßt euch dies gerne gefallen? Wenn je, so ist gewiß diesmal euer Herz mit meinem Herzen.

Die Wahl meines Textes wird euch nicht länger befremden, als bis ihr euch denselben nur ein wenig näher angesehen. Asahel, der tapfern Söhne der Zeruja, der Schwerter Davids, einer, war ein Held, schnellfüßig, schlagfertig, muthig und entschlossen, wie wenige. In dem Aufruhr, den Isboseth, der Sohn Sauls, um die Erbfolge gegen David angezettelt, focht er für seinen königlichen Oheim, wie immer, in den vordersten Reihen. In einer Schlacht persönlich mit Isboseths kampfgeübtem Feldherrn Abner zusammentreffend, wies er dessen Warnung, - denn Abner hätte sein um seines Bruders Joab willen gern geschont, - im Streiterungestüm trotzig zurück. Noch einmal beschwor ihn jener: „Hebe dich von mir! Warum willst du, daß ich dich zu Boden schlage?“ Aber Weichen war Asahels Sache nicht. Er nahm einen neuen Anlauf wider seinen Gegner; aber sank dann alsobald von dessen Speer durchbohrt zusammen, und schwamm, ein Opfer seines flammenden Eifers für seines Königs Ehre und Recht, entseelt in seinem Blute. „Und“, - meldet nun die Geschichte, - „wer an den Ort kam, da Asahel todt lag, der stand stille.“ – Unscheinbare Worte; aber wer läse hier nicht ein Mehreres als der Buchstabe sagt, zwischen den Zeilen? Theilnehmend, trauernd und in ernste Betrachtungen mancherlei Art versunken stand Jeder stille. An solchem “Stillestehen“ wird’s in diesen Tagen allerwärts auch beim Grabe Gützlaffs, dieses geistlichen Asahel’s, nicht fehlen. Die Empfindungen aber, mit denen der eine und der andere unsrer christlichen Brüder dort im Geiste weilen wird, werden sehr verschieden sein. –

Gestattet mir, Geliebte, daß ich euch zuerst an das Sterbebette und zum Grabe unsres entschlafenen Freundes geleite; und dann in die Gedanken und Erwägungen euch einweihe, mit denen ich selbst im Geiste an seinem Hügel stehe.

Der Herr aber sei in unsrer Mitte, und segne uns diese stille Gedächtnißfeier zur Stärkung unseres Glaubens! –

1.

Ich beginne damit, lieben Brüder, daß ich mir ein Wort des englischen Geistlichen aneigne, der dem seligen Gützlaff in der St. Johannis-Kathedrale zu Victoria auf Hongkong die Gedächtnißrede gehalten hat. Er sagt in letzterer unter Anderm: „Ich erachte die christliche Kanzel nicht für die Stätte, wo sich’s geziemte, einen Menschen, er lebe, oder sei gestorben, herauszustreichen und zu erheben. Ich bin weit entfernt, euch unsern heimgegangenen Bruder als einen Wundermann, der er in und durch sich selbst gewesen, darstellen zu wollen. Ich beabsichtige vielmehr nur, die Allmacht der göttlichen Gnade euch zur Anschauung zu bringen, die sich an ihm verherrlicht hat, wissend, daß dieselbe Gnade ihre wunderthätige Wirksamkeit eben sowohl auch an mir und euch zu bethätigen bereit ist, und hoffend, daß ihr euch mit mir angeregt und ermuntert fühlen werdet, allen Ernstes ihrer mütterlichen Pflege und mächtigen Bewirkung euch an zu befehlen.“ – So der Gedächtnißprediger. – Ich sage auch so. – Nun kommt und hört! –

Nachdem Gützlaff im Spätherbste des vorigen Jahres von seiner europäischen Rundreise, auf der auch wir sein Angesicht sahen, und sein schlichtes, aber so kräftiges Zeugniß hörten, nach China, seiner zweiten Heimath, zurückgekehrt war, gab er sich mit neuentflammtem Eifer und verdoppelter Thätigkeit seinem lieben Missionsberufe wieder hin. Fast täglich suchte er, nicht selten bei Sturm und Regen, und öfter von Lebensgefahr bedroht, auf den Bergen und in den Thälern, in den Fischerhütten am Meer, und selbst auf den Schiffen der Seeräuber die Kinder der Finsterniß auf, um ihnen das süße Licht des Evangeliums zuzutragen. Unser lieber Sendbote, der Bruder Neumann, schrieb uns öfter, daß er, der junge Mann, ihm, dem damals schon an den Füßen leidenden, auf diesen kühnen Evangelistenzügen kaum habe nachkommen können, und daß er jedesmal tief erbaut von der durchhaltenden Liebe, von der glaubensreichen Geduld, und von der selbstverleugnungsvollen Demuth seines väterlichen Freundes und Mentors in seinem Missionsberufe, zurückgekommen sei. Wahrscheinlich war es in unmittelbarer Folge jener Anstrengungen, und seiner fast maaßlosen Arbeit im Dienste des Herrn überhaupt, daß er gegen das Ende des Monats Juli plötzlich erkrankte. Vielleicht, - ja, ein chinesischer Bericht behauptet es mit Bestimmtheit, - trug zur Erschütterung seiner bis dahin so eisernen Gesundheit auch der stille Gram und Kummer das Seine bei, welchen die Verdächtigungen und Verunglimpfungen ihm verursachten, womit leider! sogenannte Brüder dort, und theilweise auch in unserm klatschsüchtigen Deutschland, in letzterer Zeit zum größten Nachtheil der Missionssache nicht allein seine missionarische Wirksamkeit, sondern auch ihn selbst öffentlich überschüttet haben. Genug, der bisher so starke Mann brach mit einem Male zusammen und wurde auf’s Siechbette geworfen. Anfangs schien das Uebel nicht sehr bedenklich; aber schon jetzt äußerte er sowohl zu dem englischen Geistlichen Moncrieff, wie zu unserm Neumann ein entschiedenes und lebhaftes Verlangen, „abzuscheiden und bei Christo zu sein.“ Ein letzter innerer Kampf ward indeß auch ihm nicht erspart. Er vertraute eines Tages dem Bruder Neumann an, daß er in schweren Anfechtungen gerungen habe. “Aber ich habe überwunden!“ setzte er freudig hinzu. Was in jenen dunkeln Stunden mit ihm vorgegangen, hat er als ein Geheimniß mit in die Ewigkeit genommen. Unfehlbar hat er da im Gericht vor seinem Gott gestanden, und wie Jeder, bevor er die Schwelle des himmlischen Heiligthums betreten darf, mit dem letzten Rest von Selbstruhm, der etwa noch in ihm war, in den Tod gemußt, damit Christus sein Eins und alles würde, und außer der freien Gnade kein Grund ihm bliebe, darauf er ruhte. Seitdem er diesen Kampf bestanden, blieb eine stille, innige Heiterkeit der Grundzug seines Wesens und das vorwaltende Gepräge seiner ganzen Erscheinung. Oft hörte man ihn laut und in kindlichster Zutraulichkeit mit Dem sich unterreden, den er „my blessed saviour“, „mein gesegneter Heiland“ anzureden pflegte, und der sein ganzes Vertrauen und seine ganze Sehnsucht war. – Als er zu bemerken glaubte, daß seine Krankheit einen ernsteren Charakter annehme, brachte er mit der größten Ruhe seine amtlichen und häuslichen Angelegenheiten in Ordnung, und dictirt seinen letzten Willen. „Jetzt ist sein Haus bestellt;“ schrieb damals der Bruder Neumann in sein Tagebuch, „und sein Herz wie ist es fröhlich! Er versicherte mich, daß ihn nichts, gar nichts mehr an die Erde fess’le, sprach viel von dem Jerusalem da droben, recitirte Stellen aus dem bekannten Liede: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt,“ und schloß mit dem tiefausgeholten Seufzer: „Wollt’ Gott, ich wär’ in Dir!“ –

Als man auf sein ausdrückliches Verlangen, daß man ihn über seinen Zustand ja nicht täuschen wolle, ihm eröffnet hatte, wie für seine Wiedergenesung kaum mehr etwas zu hoffen sei, nahm man auch nicht die geringste Spur irgend einer Erschütterung an ihm wahr. vielmehr lächelte er, wie er nachmals beim Gedanken an seinen nahen Heimgang öfter that, harmlos und vergnüglich, wie ein Kind; und als man ihn fragte, ob er noch einen Wunsch hege, antwortete er mit fester Stimme: “Ja, Einen: zu sterben, und bei Christo zu sein.“

Von den Dingen dieser Erde beschäftigte seine Gedanken nur noch das große Werk der Evangelisation Chinas, dem er so aufrichtig sein Leben geweihet hatte. Oft sprach er davon in seinen letzten Tagen mit großer Zuversicht; und selbst in seinen Fieberphantasien drückte er mehrmals, und dann abwechselnd in verschiedenen Sprachen, seine kühnen Hoffnungen für die Zukunft seines lieben Sinim’s aus. Gefragt, was denn nach seinem Heimgange aus seiner chinesischen Heerde werden solle, sprach er sehr getrost: „Ich habe sie dem Herrn des Weinbergs anbefohlen, und ihn gebeten, daß Er sie seinem Sohne zum Erbe gebe.“ Man kann von ihm sagen: mit den Millionen Chinas auf dem Herzen ist er aus der Welt gegangen, und in die ewige Gottesstadt eingezogen.

Als er sein Ende herannahen fühlte, begehrte er im Genusse des Leibes und Blutes des Herrn z seinem ersehnten Einzuge in das Land der Herrlichkeit sich zu rüsten. Er empfing das heilige Sakrament mit seinem Hause aus der Hand des mehr genannten englischen Predigers, seines geliebten Bruders in Christo. Diese Feier muß eine überaus erhebende gewesen sein. Mit lauter Stimme sprach unser Kranker dem Geistlichen namentlich die Einsetzungsworte nach, und setzte mit besonders starkem Nachdruck das zueignende “für mich“ in ein „für mich gegeben und für mich vergossen“ um. Hierauf betete er mit lispelnder Zunge des 23. Psalm: „der Herr ist mein Hirte“, und sprach mit gehobener Betonung namentlich die Worte: “Und ob ich schon wanderte im finstern Thal, so fürchte ich kein Unglück: Denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Stab trösten mich!“ – Als man ihn dann an das apostolische Wort erinnerte: „Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christum“, rief er triumphirend unter Erhebung seines zitternden Armes: „Victory“, „Sieg, Sieg.“ Und als man ihm etwas später das andere Pauluswort vorsagte: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe meinen Lauf vollendet, ich habe meinen Glauben gehalten“, antwortete er: “Es ist geschehn!“ - - „Und“ – so schreibt Bruder Neumann unter vielen Thränen, - „der Mund, der in so vielen Sprachen den Sündern das Wort vom Kreuz verkündet hatte, war verstummt; das Auge, das so oft unter Händefalten im Kreise armer Heiden sich gen Himmel wandte, gebrochen war’s, und das Herz, das so heiß, so feurig für Chinas Myriaden schlug, für diese Welt erkaltet. – Er hatte ausgerungen. – Gott gab ihm in seinem Tode „eine säuberliche Gebärde.“ „Seine Züge“, schreibt Neumann, waren diejenigen eines nach vielen heißen Kämpfen sieggekrönt ausruhenden Gottesstreiters.“ Der Prediger Moncrieff ruft am Schlusse seiner Gedächtnißrede aus: “Möge ich sterben des Todes der Gerechten, und möge mein Ende sein, wie Dieses Ende!“

Es war in der Nacht vom 8ten zum 9ten August, als unser Freund, der in den Annalen der Kirche Christi ohnfehlbar, und mit Recht, “der Apostel der Chinesen“ heißen wird, aus der streitenden in die triumphirende Kirche einzog; und schon am Abende des letztern Tages trug man seine entseelte Hülle hinaus zu dem still und einsam am Meeresstrand gelegenen Friedhof. Sein Begräbniß war ein höchst feierliches. Außer sämmtlichen englischen Würdenträgern, denen als Secretair und Dollmetscher der Regierung er selbst beigeordnet gewesen war, und außer vielen europäischen Freunden, folgte auch eine große Schaar von Chinesen und Siamesen dem Sarge des Mannes, der es so treu, ja treuer wohl, als irgend Jemand unter dem Himmel, mit ihnen gemeint hatte. Nach abgehaltener englischer Grabesliturgie, und nach einer chinesischen Ansprache des rheinischen Missionspredigers Genähr, stimmte, während der Einsenkung, ein Chor bekehrter, oder doch in christlicher Pflege befindlicher chinesischer Jünglinge einen heiligen Wechselgesang an. Dann trennte sich die Versammlung tief ergriffen und bewegt, und ein Jeder kehrte mit dem entschiedenen Bewußtsein zurück, daß ein großer, hellstrahlender Stern am Himmel der Missionswelt erloschen sei. –

Acht Tage nachher, an einem schönen Sonntagmorgen, hielt der Prediger Moncrieff in der Johannis-Kathedrale vor einer zahlreichen Versammlung die mehrerwähnte Gedächtnißrede, in der er unter Anderm noch Folgendes sagte: „Ein Hauptzug in Gützlaff’s Charakter war seine ausnehmende Liebe, diese lieblichste und holdeste aller christlichen Gnadengaben, womit Gott ihn geschmückt hatte. Nichts war im Stande, dieselbe in ihm zu dämpfen, und wo irgend sie je verletzt ward, geschah es nicht mit seinem Willen. Ein anderer hervorstechender Zug an ihm war der gewaltige Gebetsdrang, der ihn beseelte, und in gesunden wie in kranken Tagen gleich kräftig sich bethätigte. Vom Gebet des Glaubens erwartete er Alles, und dachte sich in durchhaltender Anschauung die Bekehrung der Heiden nur als ein Werk der allmächtigen Gnade, womit Gott den von der Erde zu ihm aufsteigenden fürbittenden Seufzern seiner Kinder antworten werde. Eine dritte Eigenschaft, in der er es Allen zuvorthat, war sein rastloser Eifer im Dienste des Herrn, seine unversiegbare Arbeiterlust, wo es die Interessen des Reiches Gottes galt. Bei der pünktlichsten Besorgung aller der Geschäfte, welche sein politisches Amt ihm auferlegte, und außer den kürzern oder längern Missions-Ansprachen, die er unablässig draußen, wo irgend Gelegenheit sich bot, zu halten sich gedrungen fühlte, unterrichtete er täglich drei Classen von Chinesen, durch nichts hiefür belohnt, als durch den Frieden, den er unter dieser Arbeit in seinem Herzen schmeckte, und durch das stille Glück, das ihm aus dem Bewußtsein erwuchs, der Gnade und Ehre sich gewürdigt zu sehen, an dem guten Werke seines Gottes sich mit bethätigen zu dürfen. Mit uneigennützigster Freigiebigkeit stellte er seine eigene Habe in den Dienst der großen Sache, in deren Förderung er den Beruf seines Lebens erkannte. Wenn der Missionskasse ein Verlust erwachsen war, oder sonst ein neues Geldbedürfniß sich geltend machte, und die Liebessteuern von Außen auf sich warten ließen, so pflegte er zu sagen: „Gottes Sache darf nicht leiden“, und dann, (und zwar die Hände voll,) mit eignen Mitteln zuzuspringen. – „Ja, ich bin autorisirt“, fährt Moncrieff fort, „hier öffentlich mitzutheilen, daß Gützlaff ernstlich mit dem Gedanken umging, binnen Kurzem völlig und für immer aus seinem weltlichen Berufskreise auszuscheiden, um sich mit seiner Person, wie mit seinem Vermögen, ganz dem Herrn im Werke der Heidenbekehrung zur Verfügung zu stellen und hinzuopfern. Ehre denn ihm, dessen edle und hochherzige Gesinnung so reichlich in Thaten, derselben Bezeichnung würdig, sich offenbarte! Maaße Keiner ein aburtheilendes Wort über den Mann sich an, bevor er wenigstens eben so viel, und in gleichem Maaße uneigennützig, gearbeitet hat, wie er.“ „Nie und nirgends“, schreibt Neumann, habe ich Einen gesehen so arbeitend in dem Werke Gottes, wie den theuern Gützlaff“; und Moncrieff sagt schließlich: „Wenn die Zeit diese und jene Unebenheiten, denen jeder Mensch unterworfen ist, aus seinem Bilde verwischt haben wird, so wird der Name Gützlaffs als ein Licht erster Größe in der Missionswelt leuchten; und jedenfalls wird Niemand je den Ruhm ihm streitig machen, an dem endlichen Siege und Triumphe der Kirche Jesu Christi auf Erden nie und nimmer verzweifelt zu sein.“

2.

Brüder! Nachdem ich bisher fast nur Andere zu euch habe reden lassen, so vergönnt mir nun auch noch einen kleinen Raum für ein kurzes eignes Wort an euch. – „Wer an den Ort kam“, sagt unser Text, „da Asahel todt lag, der stand stille.“ – So stehe auch ich jetzt im Geiste an dem fernen, einsamen Grabe unsres Freundes, dieses geistlichen Asahels; denn ein solcher war er ja, der rüstige, unerschrockene Kämpfer unter dem Banner des rechten David; der getreue Knecht in des Königs aller Könige Diensten. – Und was ich, fragt ihr, an seinem Hügel denke? – Das sollt ihr eben jetzt erfahren. Dieselben Gedanken sind es, die gleich im ersten Momente, da die Trauerkunde mich erreichte, durch meine Seele gingen, und die unbezweifelt auch schon im Herzen Mancher unter euch emporgestiegen sind.

Zuvörderst denke ich: Wie herrlich hat der Herr seines Knechtes sich angenommen, und wie glänzend ihn gerechtfertigt Angesichts der Richter unter seinen eignen Brüdern! Waren doch sogar Einzelne unter den letztern, die selbst die Lauterkeit seiner Gesinnung, die Wahrheit seines Glaubenslebens zu verdächtigen sich vermaaßen! – Siehe, da kommt nun Der, der überall das letzte Urtheil hat, und entschleiert vor aller Welt den inwendigen Menschen des schwer Verkannten, und zeigt ihn uns auf der Taborhöhe seines Sterbelagers in seiner wahren Gestalt, und drückt ihm das Siegel seines väterlichen Wohlgefallens und der göttlichen Kindschaft an die Stirn, wie es leuchtender kaum je von eines Sünders Stirn uns angestrahlt. Wer so mit seinem Tode predigt, wie unser Gützlaff es gethan hat, der hat mit seinem Leben nicht gelogen. Wer sterbend so traut in Gottes Schooß sich betten kann, der ist lebend lange zu Gottes Hause ein und ausgegangen.

Ich denke ferner: Wie wunderbar und anbetungswürdig waltet der Herr! – Ja, Er hatte dem stillen Heimweh Seines treuen Bannerträgers die Erhörung zugesagt, und den Rathschluß gefaßt, ihm in Kurzem nach wohlvollbrachtem fünfundzwanzigjährigem Tagewerk den mit Ehren getragenen Harnisch abzuschnallen. Zuvor aber galt es, das Werk zu sichern, das an ihm seinen hervorragendsten Träger und seine kräftigste Stütze verlieren sollte. Zu dem Ende sandte ihn denn der Herr in Laufe des vorigen Jahres in die europäische Christenheit hinaus, daß er das Feuer der Liebe zu China, das so gewaltig in seinem Busen flammte, wenigstens in Funken und Fünklein auch in Anderer Herzen säe. Wer ahnte damals hinter seinem predigenden Umzug die ganze Gottesabsicht, wie sie jetzt so klar zu Tage liegt? – Wenn wir gewußt hätten, daß in ihm ein Sterbender vor uns stand, der in seiner bekannten Provinzen-Austheilung nur sein Vermächtniß uns überantworte; und daß ein Hirte zu uns rede, der im Begriffe, vom Schauplatz abzutreten, in der so eiligen Stiftung unsrer chinesischen Vereine seinen Hirtenstab in unsre Hände lege! – Und doch war es so! - - Wäre Gützlaff abberufen worden, ohne zu seiner Rundreise gekommen zu sein, so würde, - wenigstens menschlichem Urtheile nach, - die chinesische Mission einen Stoß erhalten haben, der einem Untergange derselben gleich zu achten gewesen wäre. Nun aber hat Gott sie zur guten Stunde geborgen, und zwar, wie wir nicht zweifeln, in den europäischen Vereinen und Vereinlein, welche seit der Wegnahme Gützlaffs erst recht den Stempel göttlicher Gründungen an sich tragen, und durch den Tod unsres Freundes sich so wenig dürfen entmuthigen lassen, daß sie vielmehr jetzt erst ganz der unbedingten Zuversicht sich hingeben sollten, daß der Herr in Wahrheit Großes mit China vorhabe, und dabei auch ihrer, als in Gnaden angesehener Werkzeuge, sich bedienen wolle. Ja in Allem, was für China unter uns geschehen ist, und namentlich auch in dem Umstande, daß es uns so überraschend bald gelang, einen eigenen Friedensboten dorthin abzuordnen, liegt jetzt das Führen und Regieren Gottes so klar zu Tage, daß auch der Blindeste es nicht mehr verkennen kann. Wer weiß, was für eine Stellung unserm Bruder Neumann nunmehr für die Zukunft auf jenem riesigen Missionsfelde vorbehalten ist? – Genug, des Herrn Hand ist in unsrer Sache! – Sehr, Brüder, das denke ich. Doch ich denke noch ein Mehreres. - -

Merkwürdig, merkwürdig! – Ich wißt, Gützlaffs Person war es, die vielen als ein Stein des Anstoßes im Wege lag; seine schwer verkannte Person, aus der sie wenigstens ihre Entschuldigungen für ihre Nichtbetheiligung an dem chinesischen Missionswerk herzunehmen pflegten. Nun hat Gott den Mann, von welchem sie vorgaben, daß er ihrer Mitwirkung für Chinas Bekehrung die Straße versperre, nicht allein hinweggenommen, sondern ihn zuvor auch auf seinem Sterbebette noch, und in anderweitiger Art, glänzend beglaubigt, und als sein liebes Kind offenbar werden lassen. Was liegt hierin, als der göttliche Zuruf: „Gebt jetzt denn eurer Liebe zu China, die ihr euch doch nicht wolltet absprechen lassen, freien Lauf. Hinweggethan ist ja jetzt, was Eurer Aussage nach, die Bethätigung derselben euch erschwerte. Der Mann eures Mißtrauens ist jetzt nicht mehr da; er schläft unter seinem Hügel, und über seiner Gruft brennt nur noch das heil’ge Feuer fort, das er hin und wieder den armen Heiden zu Lieb’ in einigen Bruderherzen anzünden durfte!“ So spricht jetzt der Herr. Ja, durch Gützlaffs Abberufung ergeht, - wer kann es verkennen? – ein neuer gewaltiger Gottesaufruf zur Mitwirkung an dem Werke der China-Mission auch an diejenigen Christen, die sich demselben bisher aus den angedeuteten Gründen entzogen. Wir wollen sehen, ob sie die Wahrheit sprachen, oder Lügner waren, da sie sagten: „Wir träten gerne zu; aber Gützlaffs Missionsmethode ist es, die uns behindert!“ –

Ich denke ferner, wie viel gerathener es doch sei, für einen angefeindeten Bruder so lange irgend möglich in den Riß zu treten, als eilfertig mit denen in ein Horn zu stoßen, die, oft noch dazu so unberufen, das Richteramt über ihn sich anzumaßen wagen. Wir haben im Ganzen die erstere Partie ergriffen, dafür haltend, daß es selbst da, wo das Dasein wirklicher Gebrechen nicht in Abrede zu stellen ist, es nicht allein christlicher, sondern auch klüger sei, die Blöße des Bruders zuzudecken, als sie der schadenfrohen Welt zur Schau zu stellen; und stehen darum jetzt mit ungemischter Trauerempfindung und gutem Gewissen an unsres Freundes Grabe. Wie mag dagegen denjenigen geschehen, die nicht allein sein Werk, sondern auch seinen Charakter bemäkelten, und, selbst von Kirchenkanzeln herab, ziemlich deutlich zu einem unlautern Mann, ja zu einem Lügner ihn stempelten, der in dem, was er uns über chinesische Zustände mitgetheilt, nur Phantasiebilder uns vorgegaukelt habe? – Mit welchen Gefühlen, sage ich, mögen diese bei seinem Hügel weilen, zumal, wenn sie vernehmen, daß im Ganzen doch Alles sich grade so ausweis’t, wie Gützlaff es berichtete, und wo er sich irrte, nur das allgemeine Loos aller Menschen, Täuschungen unterworfen zu sein, ihn betroffen hatte; und wenn ihnen kund wird, daß vor Kurzem in einer auf Hongkong von dem anglikanischen Bischofe veranstalteten Versammlung alle Anwesenden, unter denen auch sämmtliche dort in Wirksamkeit stehende deutsche Missionare, auch der und der – ihr wißt schon, welche ich meine, - sich befanden, einmüthig bezeugten, daß sie von „Gützlaffs Charakter eine sehr hohe Meinung hegten?“ – O daß sie, die so vorschnell und unbesonnen einen Bruder öffentlich verdächtigen helfen konnten, mit dem sie sich an Bedeutendheit für das Reich Gottes doch sicher nicht werden messen wollen, in dessen Tode eine Veranlassung finden möchten, Buße zu thun vor Gott, und für die dem Entschlafenen zugefügten Kränkungen Vergebung zu suchen bei Dem, der da spricht: „Ziehe zuvor den Balken aus deinem Auge, und besiehe dann, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest“, und der uns durch seinen Apostel sagen lässet: „Die Liebe bedeckt auch der Sünden Menge.“

Was ich nun noch schließlich denke, theure Brüder, führt sich auf ein Dreifaches zurück. Ich denke zuvörderst, es sei doch gar gut sein bei dem Herrn, und wohl habe David Recht gehabt, da er meinte, es sei unter allen Umständen besser, „in des Herrn Hände zu fallen, als in der Menschen Hände.“ Wie treu führt Er die Seinen! Mit welcher Langmuth trägt er sie trotz aller ihrer Schwächen und Gebrechen, von denen freilich auch unser Entschlafener nicht frei war, noch frei zu sein jemals vorgab! – Wie tritt Er, der „Größere als unser Herz,“ für sie ein, wo die Engherzigkeit zur Richterin über sie sich aufwarf, und wie weiß Er sein Werk in ihnen zur Anerkennung zu bringen, wo die Mißgunst mit ihren Schatten es umhüllte! – Ich denke sodann, wie nahe es uns gelegt sei, mit vereinter Inbrunst jetzt den Herrn anzurufen, daß er den Geist der Liebe und des Eifers für Seien Sache, der in so reichem Maaße auf unserm verklärten Bruder ruhte, in Gnaden seinen Nachfolgern vermachen, und auch auf uns, die wir wenigstens mittelbar sein Werk fortzusetzen berufen sind, wolle kommen lassen. – Und endlich eigne ich mir den Schlußgedanken des englischen Gedächtnißpredigers zu, und rufe, nicht zweifelnd, ihr stimmt Alle mit mir ein, am Hügel unsres Freundes mit ihm aus:

“Meine Seele müsse sterben des Todes der Gerechten; und mein Ende sei wie dieses Ende! – Amen.“

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