Krummacher, Friedrich Wilhelm - Es wird besser

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Es wird besser

Frühpredigt über Ps. 46,11-12., gehalten am ersten Sonntag nach Trinitatis, den 1. Juni 1852.

Psalm 46,11-12.
Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin. Ich will Ehre einlegen unter den Helden, ich will Ehre einlegen auf Erden. Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Sela.

Geliebte in dem Herrn! Nachdem die erste Hälfte des Kirchenjahrs, die festliche, mit ihren sieben sonnigen Taborhöhen: Advent, Weihnacht, Epiphanias, Charfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten wiederum hinter uns liegt, so wäre es heute an der Zeit, in das für unsre sonntägigen Frühstunden eingeschlagene Geleise der Betrachtungen über das reiche Leben des Apostels Paulus zurückzukehren. Aus der Wahl meines Textes aber habt ihr schon entnehmen müssen, daß ich zuvor noch für einen andern Gegenstand eure Andacht in Anspruch nehmen möchte. Die verlesenen Schriftworte bilden den Schluß des hoffentlich euch Allen wohlbekannten herrlichen 46. Psalms, dieses hochtönenden Trutz- und Triumphliedes der Kirche Gottes auf Erden, der Braut des Lammes, der geistlichen Jerusalem, die in ihr Fähnlein schreibt: “Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hülfe in Nöthen, kräftig erfunden;“ im Glaubenshinblick auf diese ihre Devise beherzt und fröhlich ausruft: “Darum fürchten wir uns nicht, wenn gleich die Welt unterginge, und die Berge sänken mitten in das Meer, und das Gewässer wüthete und wallete, und von seinem Ungestüm die Berge zitterten;“ der die Verheißung gilt: “Dennoch soll der Strom sammt seinen Bächlein die Stadt Gottes erfreuen, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken; Gott hilft ihr frühe; -„ und der zuletzt Jehova selbst aufrichtend und ermuthigend zuruft: “Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin. Ich will Ehre einlegen auf Erden;“ – worauf sie die frohlockende Antwort gibt: “Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Sela! – „

Er ist es ist der That bis diese Stunde. Davon hat uns die vorige Woche, die Woche unsrer jährlichen Berliner Pastoralkonferenz, mit ihren mancherlei lieblichen Festen erneuertes Zeugniß gegeben. Ihr werdet freilich größtentheils kaum Etwas davon erfahren haben. Zu gerne aber, möchte ich euch, soweit es möglich ist, wenigstens an den erquicklichen und glaubensstärkenden Eindrücken theilnehmen lassen, welche wir aus den gesegneten Tagen mit zurückgebracht haben. Ihr kennt nunmehr die Absicht, in der ich diesmal vor euch erscheine. Eine Art Nachfeier der lieblichen Woche mit euch zu begehn, ist mein Wunsch und mein Begehren.

Was in dieser Woche unsre Herzen vorzugsweise erhoben hat, war die Wahrnehmung des unverkennbaren Wachsthums, in welchem zuerst das kirchliche Leben auch unsrer Provinz, sodann der Glaubens- und Seelsorgereifer der Diener am Wort, und endlich die Einigung der Gläubigen in der Liebe begriffen sind.

Laßt mich davon nun einige Worte zu euch reden. Der Herr unser Gott aber begleite auch diesen Bericht erstattenden Vortrag mit Seinem Segen! –

1.

“Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin!“ – Ja, wir erkennen es in der That. Du bist ein großer, mächtiger und herrlicher Gott! Groß bist du, und dein Name ist groß, und kannst es mit der That beweisen! Das Jahr der triumphirenden Gottlosigkeit, das mit seinen wüthenden und wallenden Gewässern der Kirche Christi den nahen Einsturz drohte, hat derselben durch des Herrn Zebaoth wunderbares Walten, Fügen und Regieren nur zur Heilung und Belebung gereichen müssen. Die Höllenschlünde sittlichen Verderbens, die unter göttlicher Zulassung in jenem Jahre sich öffnen durften, haben es handgreiflicher, als es je geschehen, an den Tag gebracht, wohin der Abfall vom Christenthume führe, und haben der evangelischen Wahrheit, als der Trägerin aller menschlichen und göttlichen Ordnung, einen Triumph bereitet, wie sie einen größeren seit Menschengedenken nicht mehr feierte. Wir sprechen jetzt ein „Gottlob!“ dazu, daß dem Teufel einmal Raum und Zeit gegeben ward, mit seinen Trabanten und Schildträgern in offener Parade aufzuziehn! In welchem Verklärungsglanze steht seitdem Christus mit seinem Friedensheere jenem wüsten Nachtstücke gegenüber, und wie hoch und hehr, gekrönt mit Preis und Ruhm, wehet seitdem über der Welt das heilige Kreuzesbanner! Unzähligen ist seit jener Zeit wie ein aus schwarzer Verblendungsnacht auftauchender Stern wenigstens eine lebendige Ahnung davon aufgegangen, was einzig und allein das wahre Heil der Völker begründen könne, und verstockte Lästerer selbst haben den Muth verloren, noch ferner Widerspruch zu erheben, wenn der sich täglich verstärkende Wächterruf von den Zinnen der Gottesstadt an ihr Ohr schlägt: „Wir müssen zurück zum Glauben der Väter!“ Wie in allen übrigen Provinzen unseres Vaterlandes, so treffen wir auch in der unsrigen schon Tausende, mehr oder minder bewußt, auf diesem Rückweg begriffen. Die Zahl der lebendig gläubigen Prediger nimmt in höchst erfreulicher Steigerung zu, und diejenigen von ihnen, welche zu unserer Versammlung herbeigeeilt waren, überbrachten uns überall her die ermunternde Botschaft, daß ihre Kirchen sich eines immer stärkern Besuchs zu erfreuen hätten. Freilich ihre Kirchen nur. Die rationalistische Predigt verhallt mehr und mehr ungehört und einsam in der Wüste. Die Christenheit geht zusehends in zwei Haufen auseinander. Diejenigen, in denen noch ein höheres Bedürfniß sich regt, verlangen immer entschiedener das volle, lautere Evangelium; denn der Rationalismus ist vor ihren Augen durch die Geschichte gerichtet und an seinen eigenen Ergebnissen zu Schanden geworden. Die Gegner des Evangeliums dagegen, die seitherigen Anhänger der sogenannten aufgeklärten Prediger, sind zur Linken fortgeschritten, und verfallen, auf halbem Wege nicht mehr stehn bleibend, und mehr und mehr alles Kirchlichen und Religiösen satt, immer völliger dem Vater der Lügen. Eine schreckliche Erscheinung dies! Doch dürfen wir diese Scheidung nicht allzusehr beklagen. Besser diese Zerklüftung, als wenn Alles in dem frühern halben Wesen hangen geblieben wäre, das doch zur Seligkeit nicht ausreicht. Warm oder kalt! Die Lauen speit der Herr aus seinem Munde. Allerdings steckt in dieser Nöthigung zu entschiednerer Partheiergreifung für diejenigen zur Linken schon ein vorlaufendes, göttliches Gericht. Aber es ist eben nunmehr die göttliche Sichtungsstunde herbeigekommen. Der die Wurfschaufel schwingt, beschritt den Plan. Er ist der Herr, Er thue, was ihm wohlgefällt!

Ein tröstlicher Anblick ist’s, demjenigen, welchen die Trümmerstätte Jerusalems nach der Rückkehr Israels aus der babylonischen Gefangenschaft gewährte, ähnlich, wie überall in wachsendem Maaße zum Wiederaufbau Zions hülfreiche Hände sich regen. Die Jahresfeste größerer oder kleinerer Missions-, Bibel-, Enthaltsamkeits-, Armenpflege, und andrer christlichen Vereine reißen in Stadt und Land nicht mehr ab, und erfreuen sich allwärts eines Volkszudranges, der Großes hoffen läßt. Das allgemeine Priesterthum gewinnt wieder Kraft und Leben, und kaum ist mehr ein Ort zu nennen, an welchem nicht mindestens ein Häuflein von gläubigen Brüdern und Schwestern aus der Gemeinde zu evangelisirender Thätigkeit gegürtet stände. Von Gemeindegliedern ausgerüstet und mobil gemacht ziehen hin und wieder schon Schriftboten und Reiseprediger als Vorläufer nachfolgender und größerer Evangelistenschaaren, wie Noahstauben mit dem Oelblatt, durch die weite Menschenwüste. Den an uns Prediger ergehenden Einladungen bald zu diesem, bald zu jenem Orte, um dort bei irgend einer Feier ein Zeugniß von Christo abzulegen, ist kaum mehr zu genügen, wenn wir nicht selbst zu Reisepredigern werden wollen. Ein in unsrer Mitte weilender Missionar sieht sich bis zum Spätherbst schon fast für alle Tage in der Nähe und Ferne zu öffentlichen Vorträgen in Anspruch genommen. Die „Pastoralhülfsgesellschaft“, welche am vorigen Montage mit ihrer Stiftungsfeier die Reihe der lieblichen Wochenfeste eröffnete, theilt uns mit, wie ihre Mittel sich um ein Bedeutendes vermehren müßten, wenn sie den an sie gestellten Gesuchen um seelsorgerliche Hülfsarbeiter im Weinberge des Herrn nur zur Hälfte solle entsprechen können. Während der weltliche Buchhandel über Stockung der Geschäfte klagt, ist der geistliche in einem wachsenden Flor begriffen. Eine gesund und lebendig christliche Literatur braucht nicht mehr zu besorgen, zur Makulatur zu werden. Aeltere und neuere kernhafte Erbauungsschriften werden gedruckt, und immer wieder gedruckt. – Dieses Alles zeigt unverkennbar den Eintritt einer neuen verheißungsreichen Bewegung in der Kirche an. Unsere Hauptstadt steht in dieser Beziehung leider! verhältnißmäßig noch immer gegen viele andre Orte und Kirchsprengel auffallend zurück. Das drückt uns und entpreßt unserm Herzen manchen stillen Seufzer. Doch wollen wir das alte Klagelied nicht wiederholen, sondern mit Dank zum Herrn erkennen, daß es an mancherlei Spuren eines Besserwerdens seit Kurzem auch unter uns nicht mehr gebricht. Waren doch die Feste der vorigen Woche ungleich zahlreicher wieder besucht, als seit lange. Flossen doch die Liebesspenden für das Reich Gottes am Feste Israels wie bei der Jahresfeier unsrer Heidenmission viel reichlicher wieder. Erwies sich doch das heilige Interesse an den göttlichen Reichsangelegenheiten in aller Hinsicht als ein verstärktes und erhöhtes. Haben doch auch wir in unsrer Mitte eine nicht geringe Zahl neu entstandener christlicher Vereine aufzuweisen, die sich einer schönen Blüthe erfreuen. Geht doch die Arbeit an Armen, Kranken, Verwahrlosten und an der großen Hoffnungsschaar unsrer Kinder und Kindlein im Segen fort. Ist doch den Parochialverbrüderungen für innere Mission hin und wieder ein schönes Gedeihen nicht mehr abzusprechen. Bekennt sich doch der Herr augenscheinlich auch zu den Bethätigungen und Unternehmungen des “evangelischen Vereins für kirchliche Zwecke.“ Hat dieser Verein doch im letzt verwichenen Winter die freudige Ueberraschung erlebt, zu den von ihm allerdings nur schüchtern veranstalteten christlich wissenschaftlichen Vorträgen ein sehr erfreuliches Auditorium herzuströmen zu sehn. Haben wir doch schon bemerken dürfen, daß diese Vorträge und namentlich diejenigen über das „gelobte Land“, über „die Opfer des Alten Testaments“, über „den Einfluß des Christenthums auf nicht cultivirte Völker“, über „christliche Kunst“ und über „den großen Kurfürsten und seine Gemahlin Louise“ und andere, gar liebliche Segensfrüchte getragen haben. Bekennt sich doch der Herr auch sichtbarlich zu dem von jenem Vereine gestifteten Jünglingsbunde, und geht doch die Arbeit der von derselben Gesellschaft entsandten Friedensboten gedeihlich von statten. Ja, auch in der kirchlichen Nacht unsrer allerdings sehr entchristlichten Stadt beginnen verheißungsreiche Hoffnungssterne aufzublitzen, und wir haben Grund genug zu dem Glauben, daß auch Berlin von dem Gebiete nicht ausgeschlossen sei, im Blick auf welches Jehovah mit den Worten unsres Textes auf’s Neue uns zuruft: “Seid stille, (versenkt euch in sinnige Beschauung,) und erkennet, daß ich Gott bin. Ich will Ehre einlegen auf Erden!“

2.

In der Regel ist man vollkommen befugt, aus dem Eintritt besserer Zustände in die Gemeinen auch auf einen günstigen Umschwung, den es mit den Hirten der geistlichen Heerden genommen haben müsse, zurückzuschließen. Und Gott sei gelobt, daß dieser Rückschluß auch in unsern Tagen als ein wohl begründeter sich ausweist. Seit lange schon sah man, wie bereits bemerkt, nicht eine so große Zahl entschieden gläubiger Prediger auch aus unsrer Provinz zu unsrer Jahreskonferenz vereinigt, als diesmal; und welch ein reger, neu entflammter Eifer für den geistigen Ausbau ihrer Gemeinden diese Männer beseelte, ergab sich zur Genüge aus dem Gange und dem Geist der gemeinsam gepflogenen Verhandlungen. Zuerst wurde der Confirmanden-Unterricht der Jugend zum Gegenstande der brüderlichen Besprechung gemacht; und da fühlte man es Allen ab, wie sehr ihnen diese wichtigste aller seelsorgerischen Thätigkeiten am Herzen lag. Man vernahm mit Wonne, wie viel Ernst, Sorgfalt und Fleiß dieser heiligen Arbeit zugewendet werde. In allerlei Weise sprach sich das heiße Verlangen nach Rathschlägen aus, wie dieses Werk der Lämmerweidung noch zweckmäßiger und erfolgreicher getrieben werden möge. Man beklagte schmerzlich, daß man in Bestimmung der Zeitfrist, nach welcher die Einsegnung der Kinder zu vollziehen sei, nicht freiere Hand habe, indem man dem Herrn so gerne nur gründlich unterwiesene und wenigstens dem Anfange nach geistig erweckte Confirmanden zuführen möchte: eine Klage, in der sich nur der Ernst bekundete, mit welchem man diese Sache auf dem Herzen trug. Es wurde allgemein und lebhaft der Wunsch ausgesprochen, daß die Confirmation in Zukunft mehr, als es jetzt der Fall sei, den Charakter einer von den bürgerlichen Verhältnissen unabhängigen, rein kirchlichen Handlung erhalten möge.

Es kamen hierauf zur Sprache die neueren Versuche, den öffentlichen Gottesdienst mit Hülfe der Kunst zu heben. Man erkannte zwar, daß, wenn der Gottesdienst verfallen sei, dieser Verfall vornehmlich durch entartete Predigt und vernachläßigte Seelsorge herbeigeführt, und hiemit diejenige Stelle des kirchlichen Lebens bezeichnet sei, bei der vor Allem die Heilung beginnen müsse. Man stellte indeß auch nicht in Abrede, daß die heilige Kunst hier eine ersprießliche Beihülfe leisten könne, und daß es Niemanden wundern dürfe, wenn die sich verjüngende Kirche, im Gefühl ihrer wachsenden Kraft, auf allen Gebieten jetzt daran denke, das zurückzufordern und wieder an sich zu nehmen, was man in einer traurigen Zeit des Abfalls ihr unterschlug und räuberisch aus den Händen riß. Man bezeichnete die Kunst als das von Gott der menschlichen Natur eingepflanzte Vermögen darstellenden Handelns unter der Form des Schönen. Man betrachtete sie als eine zweite Sprache, die vermittelst der Phantasie in Bildern, Tönen und Formen einer Welt innerer Anschauungen, Empfindungen und Ahnungen Ausdruck leihe, zu deren Offenbarung das Wort allein nicht ausreiche. Man nannte sie eine „Vermittlerin des Unaussprechlichen“, welche in der heiligen Dreiheit des Wahren, Guten und Schönen das letzte zu ihrem Vorwurf und Inhalt habe. Der ihr göttlich zugewiesene Beruf, sagte man, sei der, dem ersteren und dem anderen jener Trias in der vollkommenst entsprechenden sinnlichen Form zur Erscheinung zu verhelfen. Ihre ursprüngliche Bestimmung sei religiös; ihre Aufgabe: das Göttliche in lebensfrischen Gestaltungen zur Anschauung zu bringen, der himmlischen Welt den Spiegel zu unterbreiten, in welchem dieselbe wiederscheine, und der irdischen die Zunge zu lösen zum Preise Gottes. Nachdem nun des Belehrenden und Erquicklichen namentlich auch darüber, wie Gott schon im alten Testamente der Kunst den Stempel seiner Sanction aufgedrückt habe, und wie das Christenthum dieselbe so wenig aus seinen Grenzen verweise, daß es sie vielmehr recht sonderlich zum Gegenstande seiner verklärenden Thätigkeit ersehe, und sie zu ihrem ursprünglichen, göttlich gewollten Berufe zurückkehre, verlautet war, kam man in der brüderlichen Unterhaltung auf die sogenannten “liturgischen Gottesdienste“, d.h. auf diejenige Kultusform, die in einem wechselnden Zusammenwirken von Bibellection, Gebet, Gemeindegesang und musikalischen Vorträgen des Chores sich abschließt; und man erkannte den Werth dieser Andachten für die Förderung des kirchlichen Lebens unbedingt an, indem man zugab, daß sie zuvörderst für Viele aus der Sphäre alles Kirchlichen längst Verschlagene eine erneuerte Befreundung mit dem Hause wie mit dem Worte Gottes zu vermitteln vermöchten; daß sie zum andern unter dem Segen Gottes dazu dienen könnten, durch die Macht der heiligen Töne die Eisesrinde der religiösen Gleichgültigkeit um manche geistlich erstorbene Herzen zu schmelzen, und ihrer Ahnung die Welt des Glaubens und deren Herrlichkeit wieder näher zu bringen; daß sie drittens auch dem gläubigen Geiste in beschaulichem Genuß des ihm zu Theil gewordenen göttlichen Heils eine erhebende, glaubensstärkende und läuternde Feier zu bereiten im Stande seien, und endlich der Gemeine Raum machten, sich einmal in sichtbarer Objectivität als eine in Gott versenkte und Gott dem Herrn sich opfernde darzustellen. Man verhehlte aber auch nicht, daß man sich im Blick auf jene Gottesdienste mancher ernstlicher Bedenken nicht erwehren könne, und brachte dieselben frei und offen zur Sprache.. Das erste Bedenken meinte, daß bei den liturgischen Andachten die Kunst ihren heiligen Gegenstand zu sehr in ihre Geschicke mit herein ziehe, indem, wenn die Musik mißrathe, auch der heilige Inhalt, zu dessen Verherrlichung sie dienen solle, in etwa mit leide, und der Gefahr einer beklagenswerthen Profanirung und Entwürdigung blosgestellt werde. Ein zweites Bedenken bestand in der Sorge, es möchte bei den liturgischen Andachten die Gemeinde verleitet werden, die ästhetisch sinnlichen Rührungen, welche der Wohllaut der musikalischen Vorträge hervorrufe, schon für die Wirkungen des heil. Geistes selbst, und für die geistigen Speisopfer zu halten, die Gott der Herr von uns fordere; und es wurde bemerkt, daß wohl manchmal bei diesen Gottesdiensten das prophetische Jehovaswort eine Anwendung leiden werde: „Thue hinweg von mir das Geplärr deiner Lippen; ich mag deines Psalterspiels nicht hören.“ Zu dem dritten Bedenken gab der Umstand Anlaß, daß allerdings bei den liturgischen Gottesdiensten die Grenze zwischen Spiel und Ernst als eine sehr zarte und fließende erscheint. Es bemerkte Jemand, wie sich ihm bei einer liturgischen Andacht am Buß- und Bettage unwillkührlich die Frage aufgedrängt habe, ob wohl ein im wirklichen Sündenschmerz Zerknirschter, wie der verlorene Sohn mit seinen roth geweinten Augen, der Zöllner im Tempel, oder der bitterlich weinende Petrus, in diesen Andachten sich ganz zu Hause finden werde; und ein entschiedenes Ja wollte auf diese Frage von keiner Seite her erfolgen. Ein viertes Bedenken lief auf die Befürchtung hinaus, daß die liturgischen Andachten den Geschmack der Gemeinden in der Weise irre leiten und verwöhnen dürften, daß ihnen das einfache, von dem musikalischen Schmuck entkleidete, evangelische Zeugniß allmählig als zu nüchtern nicht mehr recht munden, ja schaal und unerquicklich erscheinen werde. Dieses Alles ohnerachtet sprach man sich jedoch im Allgemeinen zu Gunsten der liturgischen Gottesdienste aus, und rieth sogar zu deren Anordnung, wo sie noch nicht bestanden, jedoch unter der dreifachen Bedingung, daß zuvörderst Maaß gehalten werde in kirchlicher Anwendung der künstlerischen Mittel, und man, wie Luther sich ausdrückt, „der Westerhemden und Windeln, darin das Kind wachsen solle, nicht zu viel mache, und am Ende gar das Kind darin ersticke;“ daß man’s zum Andern bei den liturgischen Andachten niemals ganz an dem freien evangelischen Zeugnisse mangeln lasse, damit denselben nicht der protestantische Charakter entzogen werde; und endlich, daß man jene Gottesdienste in solche Zeiten und Stunden verlege, welche die Absicht nicht verkennen ließen, daß man durch sie wie durch ein liebliches Vorspiel den Hauptgottesdienst nur einleiten wolle, und vornehmlich nur eine Vorbereitung der Gemüther für die Verkündigung des Evangeliums durch sie bezwecke. Seht, in dieser Art besprach man sich über den erwähnten Gegenstand, und ist in der Anschauung von demselben und im Urtheil über ihn im Wesentlichen vollkommen eins geworden.

Es ging hierauf die Besprechung zu den mancherlei Schwierigkeiten über, mit denen die Ausübung der speziellen und persönlichen Seelsorge in der Gemeine überhaupt, insonderheit aber in den Landgemeinen verknüpft sei, und auf’s neue trat es erquicklich zu Tage, wie ernst es auch nach dieser Seite hin den Predigern anlag, sich immer treuer erfinden zu lassen. Freilich vernahmen wir bei dieser Gelegenheit auf’s neue aus Vieler Munde, welch’ eine schauerliche Macht in neuster Zeit der Satan in allen Ständen entfalte, wie das Verderben der großen Städte, und namentlich auch unsrer Residenz, in immer breiteren Strömen auch auf das platte Land hinüberfluthe, und statt der früheren Einfalt und schlichten Sitten, Zerstreuungssucht, Schwelgerei aller Art, Spiel und Unzucht um sich griffen. In Folge dieser tief betrübenden Mittheilungen und Vergegenwärtigungen geschah es, daß eine erneuerte Bittschrift an unsern geliebten König unterzeichnet wurde, dahin lautend, es wolle doch Se. Majestät um Gottes und des Heils seines Volkes willen dictatorischen Befehl erteilen, daß den Gräuelhäusern in unsrer Stadt, welche den Zorn des Allmächtigen über uns und das ganze Land reizen werden, mit einem energischen Akte der Gerechtigkeit wenigstens die unserm Staate zu unaussprechlicher Schande gereichende Concession für immer entzogen werde. Und der König, der nicht Alles gleich weiß noch wissen kann, was in seinem Lande vorgeht, wird es thun. Die Minister des Königs, welche die Sache zunächst mit angeht, erachten wir gleichfalls auf unsrer Seite. Daß unsre höchste kirchliche Behörde zu uns hält, der Oberkirchenrath, welchen Gott segnen wolle, weil die Posaune seines evangelischen Bekenntnisses einen immer deutlicheren Ton giebt, und weil er mit einer ersprießlichen Maßregel für das Wohl der Landeskirche um die andere, als ein wahrer von Gott erleuchteter Rath der Kirche an’s Licht tritt, das ist gewiß. Wie wurde auch dies bei der Pastoralversammlung so innig dankbar anerkannt, und wie wünschte man sich auf’s neue Glück zum Besitze Dessen, der jenen Rath geschaffen, und als das Haupt desselben an seiner Spitze steht; ich meine des Gesalbten Gottes mit dem Wahlspruch in seinem Wappenschilde: “Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“

Geliebte Brüder, wir verkennen es nicht, daß auch bei manchen unsrer früheren Predigerkonferenzen wohl ein reger, rühmenswerther Eifer für die Auferbauung des Reiches Gottes in den Versammelten sich kundgab. Aber was die früheren Vereinigungen theilweise wenigstens minder erquicklich machte, als die diesjährige, war der Umstand, daß man bei allem Guten und Schönen, was sonst sich zu Tage stellte, im Ganzen und allgemeinen Eins schmerzlich vermißte. Es war das Eine, von welchem der Apostel 1. Corinth. 13 sagt, daß ohne dasselbe es uns nichts nütze sei, wenn wir auch mit Menschen- und Engelzungen reden könnten, alle Geheimnisse wüßten, Glauben hätten, um Berge zu versetzen, ja unsern Leib für die Sache Gottes brennen ließen. Das Eine war’s, das der Herr zu wesentlichsten Signatur derjenigen erhebt, die ihm wirklich angehören, und ohne welches nach des Apostels Ausspruch der beredteste Verfechter des Heiligthumes Gottes doch nur „ein klingendes Erz und eine tönende Schelle“ wäre. Es war die Liebe. Diese floß diesmal reichlich; zu Zeiten überschwänglich. Vollkommen war die Einigkeit im Geiste. Von Streit, Zank und Hader kam nicht eine Spur zum Vorschein. Die göttliche Reichsfahne wehte hoch, und die Partheistandarten neigten sich vor ihr. Ja, allmälig dringt man endlich doch, wie es scheint, zu der Einsicht durch, daß es zu dieser Frist für die in Christo Verbundenen in der That etwas Bess’res zu thun gebe, als sich Schultheorieen halber untereinander zu beißen und zu fressen. Man erkennt, daß es, wenn je, so heut zu Tage ihnen gerathen ist, in engster Vergliederung, Schulter an Schulter, als eine geistliche Phalanx dem gemeinsamen Feind da draußen, er trage nun die Priestertiara des römischen Wahns, oder die Jakobinermütze des französischen Atheismus, sich gegenüber zu stellen. Ja, endlich fühlt man’s, daß es wirklich eine Schmach und Schande sei, am Tage der Schlacht sich zu duelliren, Man besinnt sich darauf, daß unter den Aussprüchen des Herrn auch einer laute: „Daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt;“ und ein andrer: „Einer ist euer Meister, ihr aber seid Alle Brüder,“ – und fängt an, zu Herzen zu nehmen Pauli Wort, der 1. Corinth. 3 es für ein Zeichen fleischlichen Sinnes und Wesens erklärt, wo Einer sage: „ich bin paulisch,“ ein Anderer: „ich bin kephisch,“ ein Dritter: „ich bin apollisch“ u.s.w. Wenigstens gab sich in der Versammlung, von der wir reden, ein Anschauungs- und Gesinnungsumschwung der eben bezeichneten Art auf das unverkennbarste und lieblichste kund. Ja, Keinem ist’s entgangen, daß diesmal eine andere, reinere und wärmere Luft dieselbe durchwehte, als sie wohl früher sich verspüren ließ. Es ist darum auch Jeder hoch erfreut, wahrhaft befriedigt und neu gestärkt in seinen Wirkungskreis zurückgekehrt. Wie alle gemeint haben, erklang auch über unsrer Conferenz ein deutlicher Wiederhall des Jehovahwortes in unserm Texte: “Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin;“ und Alle sind in den Herzensjubel ausgebrochen: “Der Herr Zebaoth ist mit uns; der Gott Jakobs ist unser Schutz, Sela!“

Einen mächtig fördernden Einfluß auf die brüderliche Einigung übte diesmal der Hinblick auf die ungewöhnlichen Anstrengungen, welche seit Kurzem das Papstthum namentlich in seinen bekannten Jesuitenmissionen zur Befestigung und Erweiterung seiner Herrschaft zu machen angefangen hat. Zwar waren die Versammelten der Ansicht, daß jenen gewaltsamen Operationen der römischen Curie mehr eine heimliche Verzweiflung, als eine wirkliche Siegeshoffnung zum Grunde liege. Nichtsdestoweniger aber wurde die in den neusten Tagen Seitens unseres Oberkirchenrathes beschlossene Maßregel, in Folge derer am heutigen Sonntage zur Ausrüstung tüchtiger und schlagfertiger Kämpfer wider die Uebergriffe jener alten Erzfeindin des evangelischen Glaubens in sämmtlichen protestantischen Kirchen unsers Königreiches eine Sammlung freier Liebessteuern stattfinden wird, mit hoher Freude und innigem Danke zu Gott willkommen geheißen. Tausenden ist durch dieses entschiedene Vorgehn unsrer obersten Kirchenbehörde ein schwerer Sorgenstein vom Herzen genommen. Ich sage nicht, daß zu Befürchtungen der Art, wie sie allerdings in weiten Kreisen Platz gegriffen haben, irgend ein wirklicher Anlaß vorhanden war. Aber an der Zeit war es, daß Diejenigen, denen auf den Mauern Jerusalems die obersten Wächterposten anvertraut sind, in der tiefen Abfallsnacht, die uns noch umgraut, und in Tagen, da des kräftigen Irrthums so viel im Schwange geht, einmal wieder laut und unzweideutig ihre Parole vernehmen ließen. Und sie haben sie uns hören lassen. Freuet euch alle mit uns über den deutlichen Ton, den von der Kirchenzinne herab die Posaune der Hüter gegeben hat und giebt, geliebte Brüder! Säumet nicht, auf den Signalklang derselben auch eurerseits euch zu Schutz und Trutz bereit zu machen. Wenn je, so heißt es jetzt wieder mit schmetterndem Klange: „Rüstet euch, ihr Christenleute!“ Laßt es aber dabei nicht bewenden, daß ihr heute die Spenden des Glaubens, der durch die Liebe thätig ist, mit vollen Händen zum Altare Gottes tragt. Schaart euch selbst als gute Streiter für die Kleinodien unsrer Kirche um die Fahne Zions. Gebt insonderheit und vor Allem dem heiligen Geiste Raum, daß er das Bewußtsein von den kirchlichen Schätzen, zu denen ihr als zu einem unvergleichlichen Erbtheil gekommen seid, neu in euch frische; und weil nur das aus eigenem inneren Leben herausgeborne Wort Schwertes-Wucht und Schärfe hat, so werdet durch die Wundermacht der Gnade mehr und mehr das wirklich, was ihr heißet: eine evangelische Gemeinde, eine wahre Tochter der Reformation, ein lebenskräftiges Abbild der ersten Glaubensschaar zu Jerusalem, auf daß der Herr in steigendem Maaße mit euch und durch euch „Ehre einlegen könne auf Erden!“ Ja, also geschehe es durch Gottes Erbarmung! Amen.

Quelle: Krummacher, Friedrich Wilhelm - Die Sabbathglocke

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