Krummacher, Friedrich Wilhelm - Das Kreuzreich.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Das Kreuzreich.

Predigt über Marcus 8,34-38., gehalten den 7. November 1852.

Marcus 8,34-38.
Und er rief zu sich das Volk sammt seinen Jüngern, und sprach zu ihnen: Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir. Denn wer sein Leben will behalten, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen, der wird’s behalten; denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse? Denn wer sich mein und meiner Worte schämet unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, deß wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Geliebte in dem Herrn! Kaum über etwas Anderes herrscht unter den Menschen eine größere Verwirrung der Begriffe, als darüber, was dazu gehöre, ein wahrer Christ zu sein. Die eben verlesenen Worte sind ganz dazu angethan, dieser Verwirrung ein Ziel zu setzen, und das letzte Dunkel, das jene Frage noch umgibt, für immer zu zerstreuen. Ein hehres Bild taucht aus denselben vor uns auf. Es steht der Herr der Herrlichkeit gleichsam vor der Pforte seines Reiches, und schreibt über letztere, lesbar für eine Welt, und Jahrtausenden zur Kunde, mit eigner Hand die Worte: “Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir.“ Diese Inschrift wirft, zumal mit den erläuternden Aussprüchen verknüpft, die ihr unmittelbar folgen, nach drei verschiedenen Seiten hin helle Strahlen von sich, und beleuchtet uns zuvörderst des Herrn Person und innerstes Bewußtsein; dann den gottverordneten Weg zum Heil und Leben; und drittens das Endziel unsrer himmlischen Berufung.

Fassen wir Eins nach dem Andern näher in’s Auge, und kröne der Herr unser Reden und Hören mit Seinem Segen!

1.

Was der Heiland in unserm Texte ausspricht, sagt er nicht Jemandem heimlich in’s Ohr, sondern verkündet’s laut auf den Gassen, und predigt’s von den Dächern. Er hat für diese seine Mittheilung eigends, wie der Evangelist berichtet, nebst seinen Jüngern das Volk herzugerufen. Uebersehet diesen Umstand nicht. Es hat so nie der Weisen dieser Welt einer seine Weisheit und die Eröffnung seiner Schule angekündigt. Die Devisen, welche diese über die Portale ihrer Akademien schrieben, hatten ansprechenderen Klang und lockenderen Inhalt. In ihnen herrschte die Verheißung vor. – Und hier? Was stellst sich dar? – Als Wahrzeichen – ein Kreuz, und als eröffnete Aussicht – ein geistlich Sterben. Aber wollt ihr wieder der herrlichsten Juwelen in der Krone des Friedensfürsten einen seinen Glanz entfalten sehen, so schauet auf. Seine Wahrhaftigkeit ist dieser Juwel, sie, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete, und nicht das unbedeutendste Siegel auf seine göttliche Sendung drückte. Er ging mit Larven und Schleiern nimmer um. Er verblümte nichts, und machte den Leuten nicht Phantasmagorien vor. Er stellte überall die nackte, ungeschminkte Wahrheit auf den hohen Leuchter, und dies selbst auf die Gefahr hin, daß sie in so ungeschminkter Gestalt Niemandem gefallen werde. Er wollte lieber keine Jünger haben, als Millionen, die nicht zur rechten Thür zu seinem Reiche eingegangen wären, und darum bei der Musterung am großen Tage als Spreu erfunden und verworfen werden müßten. Er läßt sich nichts abdingen noch mit sich markten. Gehen Tausende, denen „seine Rede“ eine „zu harte“ dünkt, wieder hinter sich; er fragt gelassen auch die Bleibenden: „Wollt ihr auch weggehn?“ Freilich, zurückdonnernd klingt es, das “Wer mir nachfolgen (oder mein Jünger sein) will, der verleugne sich selbst“ und wie es weiter heißt. Diese Eröffnung enthüllt uns eine Straße, die mit Demüthigungen, Schmachen und Aengsten bedeckt ist. In einen Opfer- und Todespfad weist sie diejenigen hinein, die Ihm sich anzuschließen begehren. Möchte man nicht gänzlich daran verzagen, daß hinfort auch nur Einer Lust verspüren werde, seinem Fahnenruf zu folgen? Dennoch schreibt er jene Schrift mit vollkommenster Gelassenheit und Ruhe über seines Reiches Pforte. Was giebt sich uns in diesem bemerkenswerthen Zuge kund, als daß er zuvörderst eine überaus hohe Vorstellung von der Entschädigung hegen müsse, die Aller, welche muthig jene Straße betreten würden, in seinem Reiche harre? Ja, es verbreitet jene Aufschrift ein hell beleuchtendes Licht über das innerste Bewußtsein des Herrn, und stellt es uns außer Zweifel, daß auch Er, wie nachmals sein Apostel, dafür erachte, es seien „dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth“, die er den Seinen in Aussicht zu stellen habe. Fürwahr, in der, ich möchte sagen an Gleichgültigkeit grenzenden, Ruhe, womit er die Aufnahme in seine Jüngerzahl an so harte Bedingnisse knüpft, liegt etwas überaus Tröstliches und Ermuthigendes für uns. Denn denkt euch, es spräche ein reicher Herr, dessen Zuverlässigkeit außer Zweifel stünde, so ruhig wie bestimmt zu einem armen Mann: „Verlaß deine Hütte, gieb dein bisschen Gut deinen dürftigen Brüdern, und siedle nackt und bloß wie du bist mit den Deinen auf mein Besitzthum über; würde nicht der Arme jubeln ob der überschwänglich reichen Verheißung, die in solcher Auffordrung für ihn verborgen läge? Aehnlicherweise hat sich’s mit der Aufforderung in unserm Texte. Welch einen überschwänglichen Ersatz wird der Herr erst für uns in Bereitschaft haben, indem Er, wie etwas ganz Geringfügiges, die Hingabe alles Eigenen von uns fordert!

Nun möchte zwar Jemand einwenden, es habe jener Arme schon einmal auf gut Glück seine armselige Habe daran wagen können; das „Der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich“, muthe uns dagegen etwas so Großes und Schweres zu, daß es kaum zu erwarten stehe, daß unter solcher Bedingung auch nur irgend Jemand kommen, und den Einlaß zu jenem Reich begehren werde? – Indeß, ihr wißt, gekommen sind Millionen, und der Herr, als er die wenig einladende Inschrift setzte, war nicht darum in Sorge, ob sie kommen würde. Denn so unser Einer glaubt, daß ein armes Menschenherz den Frieden wie die Heiligung, deren es bedarf, nicht findet, als einzig in den durchgegrabenen Händen Immanuels, so glaubte Er selbst dies noch viel fester. Er war sich klar bewußt, das Meer zu sein, in welches alle Bächlein tieferer Sehnsucht münden, die Sonne, der alle verschmachtenden Pflanzen ihre welken Aeste entgegenbreiten, der himmlische Magnet, dem alle höher hinauf ihr Wesen treibenden Geister unaufhaltsam zustreben würden; und daß dieses erhabene Selbstbewußtsein ihn nicht betrogen habe, des ist die Geschichte Zeuge, und die Erfahrung beurkundet’s bis diese Stunde. –

2.

So fällt also das erste Licht, welches die Aufschrift über dem Portal des Christusreiches ausstrahlt, auf den Herrn unsern Heiland selbst, und beleuchtet uns seine innerste Gedankenwelt. Wir sehen, Er wußte, wer Er war, und was die Menschheit Großes an Ihm habe. Lassen wir uns von jener Aufschrift vor Allem jetzt den Weg des Heils erhellen. “Wer mir nachfolgen will“, wird uns zugerufen, “der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich“, (nach Lucas: “täglich“) “und folge mir.“ – Dies also die Bedingung der Seligkeit. Hart klingt sie. Doppelt hart mußte sie einem israelitischen Ohre klingen, das vor dem Worte “Kreuz“ zurückschauderte wie kaum vor einem andern, weil es ihm den Inbegriff aller erdenklichen Schmach, Infamie und Pein bezeichnete. Der Ausspruch des Herrn geht wie eine feurige Ruthe durch die Grenze Seines Reichs, und treibt aus diesem ganze Haufen wieder heraus, die sich unbefugterweise in dasselbe hineingedrängt. Möglich ist es, daß unter diesen Ausgewiesenen „Meister in Israel“ Dogmatiker ersten Ranges, hervorragende Glieder christlicher Gesellschaften und Vereine, ja Kirchenleute sich befinden, die von Gottesdienstlichkeit aller Gattung strotzen. Denn Worte thuen’s nun einmal noch nicht; Gebehrden ebenso wenig. Selbst Zustimmung zur Wahrheit Gottes und fromm Gefühl entscheiden noch nichts über die Aechtheit unsres Christenthums. Ja nicht einmal der Wandel und das Werk sind hier entscheidend. Es thuts nicht, daß man Etwas, sondern vielmehr, daß man Nichts sei; nicht, daß man ein Leben habe in seiner Hand, sondern vielmehr, daß man gestorben sei, und ferner sterbe. Schaut her, einen Mann führe ich euch vor, mit Namen Paulus. Bleich und blaß, mit Wunden und Striemen bedeckt, tritt er in eure Mitte. Aber ihr hört ihn nicht klagen, noch murren darob, denn er begehrt kein Wohlsein nach dem Fleische. Um seine Stirn schlingt sich der Dornenkranz der Schmach um Christi willen. Er trägt ihn, als trüge er eine Ehrenkrone. Er sucht kein Ansehn im Sinne dieser Welt. Gern will er, wie weiland David, „noch geringer“, und mit den niedrigsten der Knechte und Mägde Gottes zu Ehren werden. Er ist ein Mann, der in der Glorie eigner Geistesgröße prangen könnte; aber er verzichtet auf diesen Glanz, und zieht es vor, ein “Narr“ zu sein um Christi willen in dieser Welt. Er könnte sich stolze Thatenbahnen brechen, und glänzende Lebensziele erreichen; doch legt er sich lieber in unbedingter Untergebung dem Herrn zu Füßen, sprechend: „Herr, sage du mir, was ich thun soll?“ Und wie dunkel die Thäler, die ihn der Herr durchschreiten heißt; seines Jesu Führen ist ihm immer recht. Wie tief die Demüthigungen, die Er über ihn verhängt; keine Demüthigung macht ihm harm, wenn er darunter nur der Gnade sich getrösten darf. Wie gründlich er aller eignen Gerechtigkeit entkleidet wird: er verliert, eines bessern Schmuckes sich bewußt, an jenem befleckten und besudelten Gewande nichts, indem er nichts in sich selbst zu sein begehrte. Und wie gering auch Feinde oder Freunde von ihm halten mögen; er verschmerzt’s, zumal, wenn um so höher von seinem Herrn und dessen Evangelio gehalten wird. Schaut diesen Mann euch näher an mit seinem „Es sei ferne von mir, mich zu rühmen, als allein des Kreuzes unseres Herrn Jesu, durch welchen mir die Welt gekreuziget ist, und ich der Welt;“ und wisset: dieser Mann ist ein Christ. – Ich führe euch einen Zweiten vor; sein Name ist Simon Petrus. Ein dunkler Schatten breitet sich über sein Dasein aus. Es wirft ihn in jede seiner Stunden hinein ein Kreuz, das, wie eine Weissagung ihm kund gethan, am Schlusse seiner Laufbahn seiner harret. Er könnte diesem drohenden Schauerpfahl entgehen, gäbe er Christo, seinem Herrn, den Scheidebrief. Aber er will nicht vergnügte Tage haben in dieser Welt; er begehrt keinen sogenannten “ehrenvollen Ausgang“ aus dem Leben; er mag nicht sein eigner Herr und Führer sein; und am wenigsten gelüstet ihn darnach, sich von der Welt als ihrer Gesellen und Günstlinge einer begrüßt zu sehen. Vielmehr achtet er mit seinem Bruder Paulus jenes Alles für „Schaden“ und „Unrath“, auf daß er Christum, und nur Christum gewinne. Christi will er eigen sein ganz und unbedingt, und ruft in diesem Sinne seinen Brüdern zu: „Freuet euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget;“ und wiederum: „Selig seid ihr, wenn ihr geschmähet werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruhet auf euch! Fasset auch diesen Mann genau in’s Auge, und geht ihm auf seinem Lebensgange bis zu dem Momente nach, wo er, ein still ergebenes Lamm, getrost seine Hände ausstreckt, um nun auch leiblich um Christi willen zu sterben, wie er um Seinetwillen geistlich schon lange starb; und wisset: auch er ist ein wahrer Christ.

Ihr merkt jetzt, Geliebte, auf was es für Alle, die selig werden wollen, ankommt. Ihr ahnet den Sinn der Worte: “Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Einen Kampf gilt’s, einen hartnäckigen und schweren Kampf, den du, wer du, mein Bruder, meine Schwester, auch immer seiest, wider dich selbst zum Siege durchzukämpfen hast. Höre wohl auf: nicht einen Kampf nur gegen einzelne Fehler und Unarten, mit denen du dich noch behaftet findest. Wider solche hat Mancher schon, und auch mit Erfolg, zu Felde gelegen, und ist darum doch trotz aller Lebenssäuberung, die ihm gelungen, himmelweit von der Aufgabe entfernt geblieben, deren Lösung die Inschrift über des Christusreiches Pforte allen denen auferlegt, die nach der Seligkeit trachten. Ein Kampf ist dir verordnet gegen dein ganzes, natürliches, verderbtes Selbst, und eine Verleugnung und unbedingte Hinopferung desselben auf dem Altar Christi und seines Evangeliums. Dein Selbst ist zuvörderst ein eigengerechtes, darauf versessen, vor Gott und Menschen mit eigener Währung zu bestehen. Dieser Pharisäer in dir muß sterben und verderben, und du dich darein begeben, nichts als ein fluchwerther Sünder zu sein vor Gott, dem eine andre Hoffnung, dem zukünftigen Zorne zu entfliehen, nicht verbleibe, als die eine, die sich auf freie Gnade gründet. – Dein Selbst ist ein wissensstolzes, das in eigner Autorität entscheiden will, was wahr sei, und der Annahme werth, was gut und böse, was recht und unrecht. Zu Grabe muß er gehen, dieser eitle Philosoph in deinen Gliedern, und du dich bequemen, wie Paulus mit seinem „Ich hielt nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch ohne allein Jesum Christum, und zwar den Gekreuzigten“, als ein unmündiges Kind zu den Füßen der „Thorheit“ des Evangeliums dich niederlassen, um hier vom Abc auf erst zu lernen, und immer wieder zu lernen, was dir noth ist. – Ein ehrfürchtiges ist dein Selbst, das groß und angesehn sein will, wo nicht in aller Welt, so doch in dem engern Kreise, in dem du dich bewegst. Herunter muß es in den Staub, das stolze Nebukadnezarskind. Zum Akte einer entschlossenen Verzichtleistung um Christi willen auf Alles, was Welt- und Fleischesehre heißt, muß es in dir kommen, und all dein Ehrgesuch in dem einen Begehren aufgehn, daß dein Herr und Heiland gepriesen und geehrt, und du, ob auch um Seinetwillen mit lauter Schmach bedeckt, nur der Ehre theilhaftig werdest, Seines Hauses Kind zu sein. – Dein Selbst ist ein autonomistisches, d.h. ein solches, das sich selber die Wege erwählen will, die es wandle, die Geschicke bestimmen, die es erlebe. Bezwinge es; ringe, wie er sich streube, diesen Leviathan nieder unter dem Willen Gottes, und wolle mit nichten deine, sondern um jeden Preis nur Seine Wege gehen, und wären es auch lauter Wüsten-Thränen- und Todeswege. Auch in deinem Herzen muß eine Wahrheit werden, was in Lauterkeit der alte Dichter sing: „Mach’, was du willst mit mir, wird’ ich nur zugerichtet zu deinem Preis und Zier“, oder nimmer wirst du zum Himmelreiche eingehn. – Ein lüsternes nach fleischlichem Behagen ist dein Selbst. Das Schwerdt gezückt wider diesen Sadducäer in deiner Brust! Er darf nicht leben bleiben, mindestens nicht herrschen. Nicht, als ob du eigenwählerisch zu einem Mönche werden, dich peinigen und kasteien, und, die Welt verlassend, eine „Geistlichkeit der Engel“ anstreben solltest. Dieses Alles könnte Jemand unternehmen, ohne daß dadurch seinem alten Menschen nur ein Haar gekrümmt geschweige der Lebensnerv durchschnitten würde. – Aber, abgesehen von der sich von selbst verstehenden Nothwendigkeit, dein sündliches Fleisch sammt Lüsten und Begierden zu kreuzigen, d.h. demselben seinen Willen nicht zu thun, sondern unter der Botmäßigkeit des neuen Menschen es niederzuhalten, liegt dir’s ob, in deinem Innern auch von den zeitlichen Gütern, Ergötzungen und Bequemlichkeiten, deren du dich ohne Sünde erfreuen kannst, dich also zu lösen und unabhängig zu machen, daß, wo dir Seitens des Herrn die Entsagung zugemuthet wird, du mit Paulus sprechen könnest, oder doch in tiefster Aufrichtigkeit darnach ringest, seine Sprache dir anzueignen: „Ich kann satt sein, und kann hungern: ich kann Ueberfluß haben, und auch Mangel leiden. Ich bin zu allem geschickt, um deßwillen und durch Den, der mich mächtig macht, Christus.“

Seht, Freunde, dies ist die Selbstverleugnung, welche der Herr zur wesentlichsten Signatur wahrer Jüngerschaft stempelt. All sein Führen mit uns ist darauf berechnet, in diesem Werk der Selbstüberwindung uns zu üben. Er umgiebt uns mit Trübsal und Aengsten aller Art. Er leitet uns tausendmal wider unser Wünschen und Hoffen an. Er läßt es uns an Schmach und Demüthigungen aller Art nicht gebrechen; ja er umhüllt uns oft mit Dunkelheiten, in denen wir seinen Steg nicht mehr erkennen, sein Thun und Walten nicht mehr enträthseln können. Da gilt es denn stille halten seiner gewaltigen Hand, und mit Vernunft, Herz, Wille und Sinn als lebendige Brandopfer zu seinem Altar uns schicken. Dies heißt “unser Kreuz“ (d.i. das uns verordnete,) “geduldig auf uns nehmen“, um an diesem Kreuze dem Fleische nach zu sterben, auf daß wir dem Geiste nach Ihm leben mögen, und Ihm allein zu Gebot und Willen seien. Dieser innere Prozeß geht, so lange wir hienieden athmen, in tausendfältigen Formen durch unser Leben fort. Immer wieder wird uns Aufforderung und Anlaß, unsern Hochmuth, Dünkel, Eigenwillen und Fleischessinn durch den Glauben zu dämpfen und unter unsere Füße zu ringen, und geistlicherweise mit Debora, der Richterin, zu sprechen: “Tritt meine Seele auf die Starken!“ Immer auf’s neue sehen wir uns mit der göttlichen Zumuthung angegangen, selber nichts sein, nichts wissen, nichts haben, nichts begehren zu wollen, sondern uns an Christo als an unsrer einigen Gerechtigkeit, Weisheit und Freude genügen zu lassen, und Ihm, als dem einigen Herrn unsres Lebens, und dem allein weisen und allein berechtigten Ordner unsrer Wege, blindlings und unbedingt uns hinzugeben und zu unterwerfen. Entsprechen wir dieser Aufgabe der Selbstentäußerung, so kommt es zu dem, was der Herr ferner in unserm Texte bezeichnet. Wir “verlieren unser Leben, und behalten’s oder erretten“ es in diesem Wege. Im griechischen Grundtexte bedient sich der Herr des Wortes “Psyche“ oder Seele, zum Zeugniß, daß seine Rede hier nicht zunächst auf das Leben des Leibes ziele. Vielmehr versteht der Herr unter der “Psyche“ das natürliche seelische Eigenleben des für sich selbst etwas sein, vermögen und wissen, des sich selbst bestimmen, und nach dem Fleisch gedeihen und grünen Wollens. Wer dieses Leben um Christi willen in die Schanze schlägt, und seinem Wort und Wink zum Opfer bringt, der gewinnt das höhere und ewige Leben. Wer aber sein Naturleben erhalten und behaupten will, der bringt sich unausbleiblich um das wahrhaftige. - “Was hülfe es aber dem Menschen“, setzt der Herr wahrschauend hinzu, “wenn er (sich selbst mantenirend und die eignen Wege wandelnd) die ganze Welt gewänne, und nähme Schaden an (oder: litte Schiffbruch mit) seine Seele.“ Also die Seele dessen, der sich selber leben will, statt sich zu sterben und Christo zu leben, ist verloren. Und unrettbar ist sie’s. Denn hört den Herrn. “Was aber“, fährt er fort, “kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“ – Was bezeuget er in dieser Frage? Nichts Anderes, als dies: “Das einzige Lösegeld für Sünderseelen hat mein Vater der Welt in mir bereitet. Wer sich selbst zu lieb ist, als daß er mir sich opfern möchte, der hat’s verscherzt, und es erlöst ihn Nichts. Wer hingegen mit Leib und Leben an mich sich aufgiebt, der ist geborgen; denn mein Verdienst vertritt ihn im Gerichte.“

3.

So seht ihr denn: „es kostet viel ein Christ zu sein.“ Nichts Geringeres kostet’s, als das eigene Leben. Christi Reich ist ein Kreuzreich; der Weg seiner Jünger durch diese Welt eine Dornen- ja eine Todesstraße. Da gilt es ein tägliches zu Schlachtbank führen des alten Menschen mit allen seinen Idealen, Plänen, Träumen und Gelüsten; ein täglich erneuertes Verzichten auf alles das, was unserm natürlichem Selbst behagt und anliegt; ja einen täglich erneuerten Entschluß, dem Herrn, und wenn er uns nur Hiobs- Lazarus- und Stephanuswege führen wollte, unbedingt in Seinem Führen und Regieren uns hinzugeben und zu Dienst zu stellen. Der Pfad der Zioniten ist mit Kreuzen besetzt, mit Thränen eingeweiht. „Die in Salems Mauern wohnen, zeigen ihre Dornenkronen.“ Es betritt darum den Glaubensweg auch Keiner, als dem es gründlich klar geworden, wie er außer Christo der ewigen Verdammniß verfallen sei, und bei Ihm allein Heil und Rettung sich für ihn finde. Doch ob auch eine Straße fortgesetzten inneren Sterbens, verdient sie dennoch den Namen einer preiswürdigen und herrlichen. Man pilgert sie ja, wie tief mitunter auch gebückt, an des himmlischen Freundes Hand. Man wandelt sie mit dem Kleinod des göttlichen Kindschafts- und Rechtfertigungsbewußtseins in der Brust; und in Folge dessen mit dem Frieden, der höher ist, als aller Menschen Vernunft. Ueberdies legt der Herr den Seinen niemals ein Schwereres auf, als ihre Schultern mit Seiner Hülfe tragen können, und ewig wird er Seinem Verheißungsworte stehen, nach welchem er über Vermögen Niemanden will versuchet werden lassen. Und geht es einmal sonderlich hart gegen uns an, und werden Opfer von uns gefordert, darüber das Herz uns brechen möchte, dann ruht ja der wunderthätige Schlüssel zu allen Schätzen des göttlichen Mitleids und Erbarmens in unsrer Hand, das Gebet, und wir dürfen uns ausweinen an dem Herzen Dessen, der Seiner Zusage nach uns “trösten will, wie einen seine Mutter tröstet!!“ – Und hoch über uns am Himmel funkeln mit unvergänglichem Glanze die hellen Hoffnungssterne. Der Ausgang des Weges, wie bald ist er erreicht, und wie wird er herrlich sein, und alle vergangenen Mühen uns vergessen machen! Hört den Herrn: “Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir.“ In diesem “und folge mir“ liegt, - o bemerkt es wohl, - nicht eine Mahnung blos, sondern zugleich eine verborgene Verheißung, die über alle Kreuze weit hinaus bis in die Gottesstadt da droben hinüber weist, und uns dieselbe Herrlichkeit in Aussicht stellt, zu welcher Er, der, um uns die Stätte zu bereiten, uns voranging, dort gelangte. Durch dieses “Folge mir“ klingt ein Wiederhall seines Ausspruchs: “Ich will euch das Reich bescheiden, wie mir’s mein Vater beschieden hat.“ durch’s Kreuz zur Krone, durch’s Gedränge zum Gepränge! – Hört den Herrn: “Wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen, der wird es finden.“ – „Das Leben wird er finden“, will Er sagen. Nun wißt ihr aber, welch einen hohen Begriff der Herr mit dem Worte “Leben“ zu verbinden pflegt. Hinter dem “Leben“ strahlt der Himmel mit seinen Herrlichkeiten. – Hört den Herrn: “Wer mein und meiner Worte sich schämt, unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlechte“, (so spricht er am Schlusse unsres Textes,) “deß wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit mit den heiligen Engeln.“ Furchtbareres, als was hier gedroht wird, kann einem Menschenkinde nicht widerfahren. Derjenige, durch dessen Gunst und Fürsprache des Sünders ganzes Heil für alle Ewigkeiten bedingt ist, verleugnet denselben, ja schämt sich seiner, und sagt sich von ihm los am Tage der schließlichen Entscheidung! – Wie schrecklich! – Aber dringt tiefer in jene Worte ein, und was findet ihr neben der Drohung verschleiert auf ihrem Grunde ruhend? – Die unzweideutige Versicherung: „Wer der Welt Ehre und Tand um meinet- und des Evangeliums willen für Schaden und Unrath erachtet, zu dem werde ich am Tage meines Triumphs als zu meiner Freunde und Miterben einem vor meinem himmlischen Vater mich bekennen!“ – Und bedenke ich, was dies heißet, und vergegenwärtige ich mir, wie Er dann traulich bei seiner Hand uns nehmen, selbst uns vor das Angesicht des Vaters führen, und zu seinem Vater sprechen wird: „Hie bin ich, und die Getreuen, die Du mir gegeben hast, sie, die ich mit meinem Blut erkaufte, und mit dem hochzeitlichen Gewande meiner Gerechtigkeit schmückte: Nimm sie denn an und auf, wie mich, und gieb ihnen Theil an meinem Loose;“ – wenn ich mir dies im Geist veranschauliche, o wie geringfügig, und kaum der Erwähnung werth, erscheinen mir dann gegenwärtig schon selbst die Tode, und wären es tausende, die wir um seinetwillen hienieden an dem uns verordneten Kreuze etwa sterben müssen; und wie einleuchtend wird mir dann das apostolische Wort, daß „die Leiden dieser Zeit nicht in Anschlag zu bringen seien gegen die Herrlichkeit, die dort an denen werde geoffenbaret werden, die durch sie geübet wurden.“

Ja, herrlich ist des Weges Ende. Köstlich ohne Gleichen das Ziel unsrer himmlischen Berufung. Wohlan denn, Brüder, die Lenden gegürtet, und „in Hoffnung selig“ auf Jesu Kreuzesstraße fortgepilgert! Durch wieviel Ach und Weh es auch hindurchgeht, am Schlusse winkt die Palme und die unverwelkliche Ehrenkrone; und wie manche bittre Thräne auch, bis der Lauf vollendet ist, unsre Wange feuchten wird,

Es wird uns nicht gereuen
Der schmale Pilgerpfad;
Wir kennen ja den Treuen,
Der uns gerufen hat.
Kommt, folgt und trauet Dem!
Mit ganzer Wendung richte
Ein jeder sein Gesichte
Stracks nach Jerusalem!

Amen. -

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