Krummacher, Friedrich Wilhelm - Christi Reich.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Christi Reich.

Predigt über Lukas 3,7-18.

gehalten am 2ten Adventssonntage, den 8. December 1851.

Lukas 3,7-18.
Da sprach er (Johannes) zu dem Volk, das hinausging, daß es sich von ihm taufen ließe: Ihr Otterngezüchte, wer hat euch gewiesen dem kommenden Zorne zu entrinnen? So bringet nun rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmet euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch, Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Ja, es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt: welcher Baum nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen und in’s Feuer geworfen. Und das Volk fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn thun? Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zween Röcke hat, der gebe dem ab, der keinen hat; und wer Speise hat, thue auch also. Es kamen auch Zöllner, daß sie sich taufen ließen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen wir thun? Und er sprach zu ihnen: Thut niemand Gewalt noch Unrecht und lasest euch genügen an euerm Golde. Da aber das Volk in Erwartung stand und gedachten alle in ihren Herzen von Johannes, ob er vielleicht Christus wäre; antwortete Johannes und sprach zu Allen: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, die Riemen seiner Schuhe aufzulösen; der wird euch mit dem heil. Geist und mit Feuer taufen. In desselben Hand ist die Wurfschaufel und er wird seine Tenne fegen, und wird den Weizen in seine Scheune sammeln und die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer. Und viel Anderes mehr vermahnte und verkündigte er dem Volk.

Geliebte in dem Herrn! Durch die Adventszeit, die trübste im Reiche der Natur, im Reiche Gottes die Zeit der Ahnung und der Hoffnung, hallt, dem Sinne und der Bestimmung der christlichen Kirche nach, vorherrschend der Klang der Buß- und Bettagsglocke. Die Zeit der Bereitung zum Empfange dessen ist sie, der in der heil. Weihnacht kommt. Diese Bereitung aber vollzieht sich nur in erneuter Vergegenwärtigung unsres elenden, hülfsbedürftigen Zustandes, und in reumüthiger Beugung vor dem großen Gott. Hat die verflachte und verweltlichte Christenheit unserer Tage aus der Adventszeit etwas Andres gemacht, so ist sie auch hierin von der ursprünglichen Meinung und Anordnung der Kirche abgefallen, welche von Alters her den Advent mit dem Epistelworte Römer 13,11-14 einzuleiten pflegt, und die uns hinausweist in die Wüste zu Johannes, und unter den Schall seines Mark und Bein durchdringenden Wortes.

Wir folgen ihrer Stimme, und schaaren uns auf’s Neue um den ernsten Adventsherold. War es am verwichenen Sonntage seine Berufung und sein Amt, worauf wir unsre Blicke richteten; so ist es heute seine Predigt, die unsre Andacht beschäftigen wird. Eine doppelte Mission hatte Johannes überkommen. Auf die Grenzmarke zwischen der alt- und neutestamentlichen Heilsordnung gestellt, sollte er zuerst als anderer Elias in die Sündennacht einer tiefverirrten und verschuldeten Menge den Blitz des göttlichen Gesetzes schleudern, und sodann vorbereitend die Welt in die Natur und das Wesen des nahenden Christusreiches einweih’n. Dem letzteren Auftrage entspricht er, und zwar in praktischer Weise, auch in der ebenso gewaltigen, als kurzen und gedrungenen Ansprache, die wir ihn heute an die um ihn Versammelten richten hören. Das anbrechende Reich wird uns hier in zwar nur flüchtig hingeworfenen, aber nichts destoweniger sehr scharfen Umrissen vor Augen gezeichnet; und wir ersehn aus dieser Darstellung: 1) es ist kein Reich von dieser Welt, wenn gleich ein Weltreich; 2) kein Reich des Scheins, sondern ein Reich der Wahrheit; 3) kein Reich eines falschen Friedens, sondern ein Reich gründlichster Hülfe; 4) kein Reich des Gesetzes, aber doch ein Reich der Heiligung; und endlich 5) kein Reich der Forderungen, sondern ein Reich der Gnade.

Der Herr begleite unsre Betrachtung mit seinem Segen, und hebe selbst uns von den Wundern seines Königreichs den Schleier!

1.

Die Kunde von dem Auftreten des geheimnißvollen Mannes in der Wüste hat sich bald wie ein Lauffeuer durch das ganze Land verbreitet. Das Volk, empfänglich für dergleichen Erscheinungen, und seit Jahrzehnten durch das immer wieder auftauchende Gerücht von der nahbevorstehenden Ankunft des Messias in fortdauernder und wachsender Spannung erhalten, strömt, heilsbegierig theils, theils nur dem Zuge der Neugier folgend, in Schaaren zu ihm hinaus. Johannes steht ernst und gehalten auf seinem Posten; und ob Juden sich ihm nähern oder Heiden: er richtet an alle dasselbe Wort der Aufforderung wie der Verheißung. Die nationalen Schranken sind ihm gefallen. Sein durch den Geist Gottes geöffnetes Ohr hört weithin über der ganzen Menschheit die Glocke der Erbarmung läuten. Die Welt, und nicht mehr Israel nur, siehet er in einem großartig seligen, von keinem unbiblischen Auserwählungsglauben mehr getrübten Blicke, vom Arme der rettenden Gottesliebe umschlungen. Er gibt diese seine weitherzige und freie Anschauung mit einem Worte kund, wie es in so auffallender und greller Gestalt auf Erden noch nicht verlautet war. “Gott“, spricht er, hinwinkend auf die ihn umstehenden Heiden, “kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.“ Es sind ihm also die Kinder Abrahams nach dem Fleisch,, welche freilich nicht anders, als durch Geburt und Abstammung in’s Leben treten können, nicht mehr die alleinigen Erben der göttlichen Gnadenschätze. Er sieht in neutestamentlich erleuchtetem Geiste den Kreis der Abrahamskinder in’s Unermeßliche erweitert. So Viele Abrahams Sinn und glauben theilen unter allen Völkern, Geschlechtern und Zungen der Erde, treten vor seiner Betrachtung in Abrahams Erbschaft ein. Und ist nicht in der That geschehn, was Johannes im Geist voraussah? Ueber wie weiten Gebieten entfaltete sich bereits seit achtzehn Jahrhunderten das Banner des Gnadenreichs; und der Mission, selbst unter den verkommensten Völkerschaften, ward durch das Wort: “Gott kann dem Abraham auch aus diesen Steinen Kinder erwecken“, der Stempel der göttlichen Sanction und zugleich die Verheißung ihres unausbleiblichen Gelingens an die Stirn gedrückt. Zum Weltreiche ist Christi Reich bestimmt; und es wird, wie auch der Satan sich dawider stemme, diese seine Bestimmung unfehlbar erfüllen. Ueber seine Feinde wird es hinschreiten wie der Wagen eines Dreschers über die Garbenbündel, und vernichtend oder rettend, je nachdem man sich zu ihm stellt, der Zeit entgegeneilen, da, „der Herr nur Einer sein wird und sein Name nur einer.“

Weltreich soll, will und wird das Reich Immanuels sein; aber es ist kein Reich von dieser Welt. So wenig sich’s auf weltliche Kräfte stützt, neigt’s auch dazu, in weltlicher Herrlichkeit zu erscheinen. Wäre das Reich von dieser Welt, Johannes würde in der Wüste ganz anders verfahren sein, als wir ihn verfahren sehn. Er würde, da, in die allgemeine Bewegung mit hineingerissen, auch Pharisäer, Schriftgelehrte und Saducäer ihm sich näherten, gewiß Alles aufgeboten haben, um diese mächtigen, angesehenen und einflußreichen Männer vor allen Dingen bei der Fahne festzuhalten, die er aufzurichten erschienen war. Er hätte allerlei Connivenzen sich erlaubt, in seiner Predigt mildere Seiten aufgezogen, dies und das an den Männern glimpflich beurtheilt, oder nachsichtig übersehn, und wer weiß was für Zugeständnisse ihnen gemacht, um nur ihre Namen in die Bürgerlisten des neuen Reiches hineinzubringen. Aber so wenig liegt ihm daran, diesem Reiche nur äußerliche Parteigänger zuzuführen, daß er die Volkshäupter mit einem Willkommsgruße auf die Probe stellt, der freilich weit mehr geeignet war, sie für immer abzuschrecken, und seiner Sache zu entfremden, als sie anzulocken. „Ihr Otterngezüchte“ (buchstäblich: Ihr Brut der Schlange) donnert er sie an; „wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorne zu entfliehen? Bringet rechtschaffne Früchte der Buße; und nehmet euch nur nicht vor zu sagen: „Wir haben Abraham zum Vater;“ und wie er weiter spricht. „Könnt ihr euch,“ will er sagen, „diesem Worte des Gerichts bußfertig beugen, dann kommt; schlagt ihr aber halsstarrig wider diesen Stachel aus, so bleibt zurück: euch kann das Reich nicht brauchen!“ – Hiermit bezeichnet er aber deutlich den Charakter dieses Reiches, welches allerdings Gott dem Herrn als für eine besondere Gnade dankt, wenn Er ihm Könige zu Pflegern, Fürstinnen zu Säugammen, Chorführer der Wissenschaft zu Vorkämpfern , oder Männer des Ansehens und des öffentlichen Vertrauens in andern Gebieten zu Bannerträgern schenkt; das aber auch da schon vorhanden ist, und weder zu verzagen noch zu erröthen Ursache zu haben glaubt, wo es in der äußersten Knechtsgestalt einhergeht, und sich nur auf Tagelöhner und Bettler beschränkt sieht. Seine Macht wie seinen Ruhm setzet es darein, nicht, daß es vielvermögende, mächtige, angesehene und einflußreiche Leute im Sinne der Welt zu seinen Gliedern zählt, sondern, daß seine Bürger wahrhaftig aus der Welt erwählt und mit Christi Geist getauft und versiegelt sind. In dieser Gestalt weiß es Gott den Herrn mit dessen ganzer Liebe auf seiner Seite, den Himmel über sich aufgethan, den Zugang zum Throne der Gnaden offen und frei; und sein die Verheißungen Gottes, sein den Sieg über die Welt, die Zukunft, und was Alles sonst noch! Und ist es schwach, das Reich, so ist es stark; und ist es untertreten, so blüht’s erst recht. Es rollen in diesem Augenblicke wieder verhängnißvolle Donner am politischen Horizonte hin; Christi Reich sitzt stille und wartet zu, was werden will. Für sich kann es nichts befürchten, da es in der Regel im Ungewitter fröhlicher gedeihet als bei Sonnenschein; und wenn etwa Tage der Sichtung alle halben Freunde ihm entführten, so würde das ihm, welches nicht in der Menge seiner Glieder seine Kraft sucht, nur Gewinn sein, wie einem Baume, wenn er vom Schlinggewächs, das ihn umrankte, befreit und gereinigt wird. Seht also, wie das Reich nicht von dieser Welt ist, und laßt es euch darum nicht wundern, wenn in demselbigen einige Fischer von Bethsaida, eine Handvoll Zöllner, ein Teppichweber, ein Krämer wie Petrus Waldus, ein Augustinermönch von Erfurt, ein Bandwirker wie Tersteegen, und mitunter Leute noch geringeren Rangs und Standes die ersten und die höchsten Orden tragen. Alles gilt, thut und entscheidet hier der Geist aus Gott.

2.

Wer nur so obehin darein sah, konnte gewiß nicht anders, als sich freuen, auch Männer, wie die Pharisäer und Schriftgelehrten, mit der Bitte um die Taufe dem Prediger in der Wüste sich nähern zu sehn. Ja, will es doch schier auch uns so werden, als müßten wir dem Täufer zurufen: „Nimm die Sache nicht zu scharf; laß fünfe gerade sein, und taufe, taufe die hohen Herrn in Gottes Namen!“ – Aber Johannes denkt: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten;“ und ehe er tauft, ruft er den Meistern auf Mosis Stuhl sein donnerndes “Wer da?“ – „Ihr Otterngezüchte,“ ruft er, “wer hat euch gewiesen, dem zukünftigen Zorne zu entrinnen?“ – „Ich erblicke euch“, will er sagen, „die ihr zur Bußtaufe euch meldet, allerdings in einem Wege zu Rettung und Heil begriffen; aber wer wies euch diesen Weg.“ – „Wie,“ sprecht ihr stutzend, „auch darnach fragt Johannes?“ – Ja, darnach wird im Reiche Gottes gefragt bis diese Stunde. Das thut’s noch nicht, ihr lieben Freunde, daß ihr zu Gottes Wort und Sakrament nur kommt, das Haupt hängt wie ein Schilf, in Sack und Asche geht, eure Sünden bekennt, ja Thränen der Reue weint, und gar Gnade und Absolution in Anspruch nehmt. Freilich ist dies der Weg, in welchem dem zukünftigen Zorn entronnen wird; aber Alles kommt darauf an, wer und was diesen Weg euch gehn hieß. Es kann euch Mancherlei in diesen Weg gewiesen haben, das euch das ersehnte Ziel desselben nie erreichen läßt. Vieles läßt auf diesem Weg sich blicken, das in Gottes Augen verworfen ist und niemals Gnade findet. Auf diesem Wege wird die Heuchelei betroffen: Gott aber hat gedroht, die Heuchler umzubringen; - auf diesem Wege die Ahabsbuße, die nichts als ein fleischlich Zittern vor der verdienten Strafe ist, und nimmer selig macht; - auf diesem Wege die Melancholie, die lediglich, weil die Welt ihre Freuden ihr versagt, wie wir zu sagen pflegen, „in’s Kloster geht“, und den Seufzenden sich beigesellt; - auf diesem Wege der gekränkte Pharisäerstolz, der sich vertrauert, weil er die Heiligkeit nicht erreichen kann, die er zu seiner Selbstverherrlichung anstrebt; - auf diesem Wege die kränkelnde Empfindsamkeit, die in tragischen Gefühlen und Gemüthsbewegungen einen Genuß, ja ihre Weide findet; - und auf diesem Wege die raffinirteste Selbstgerechtigkeit, welche über die Sünde sich selber rührt, um nur in ihren Thränen sich zu bespiegeln und auf dem Pfühle ihrer scheinbaren Demuth sich behaglich und stolz zu wiegen und und spreizen. Seht, überall hier der schönste Schein von Buße und Bekehrung; aber Christi Reich ist nicht ein Scheinreich, sondern ein Reich der Wahrheit. Es nimmt’s genau. Es geht überall auf den Grund. Es fordert Ungeschminktes, Aechtes und Reelles. “Wer hat euch gewiesen?“ fragt Johannes. „Fleisch und Blut“? will er sagen. „Der eigne Geist? Egoistisches Gelüste und Gesuch? – alsdann zurück!“ – Der Geist Gottes muß es sein, der uns in den Weg hineinwies; alsdann wird jene „göttliche Trauer“ in uns geboren, welche aus der Erkenntniß nicht blos vereinzelter sündiger Thaten, deren wir uns schuldig machten, sondern der ganzen Gottfeindlichen Grundrichtung entspringt, die wir in unserm Innern entdeckten; und nun erwachsen auch jene “rechtschaffenen Früchte der Buße“, auf welche Johannes in unserm Texte dringt. Sie treten hervor im reumüthigen Bekenntniß zuerst und vor allen unsrer Schoß- und Lieblingssünden; in einem entschiedenen Haß wider die Sünde, also daß man lieber zehnmal sterben würde, ehe man sich einmal mit Bewußtsein an Gott versündigen sollte; in geduldiger und gebeugter Ergebung unter die Folgen unsrer Missethaten; in herzlicher und durchgreifender Sehnsucht nach der Gnade und Vergebung in Christo Jesu, und in fortgesetzt ernstestem Kampfe wider alles ungöttliche Wesen. Ihr seht, den Stempel der Aechtheit muß Alles tragen, was im Reiche Christi etwas gelten will. Aus dem Geist geboren muß es sein; nicht Glas, nein Diamant. Surrogate werden hier nicht zugelassen. Es ist ein Reich der Wahrheit und nicht des Scheins.

3.

Doch hören wir Johannem weiter. Von einem Herolde des anbrechenden Messiasreiches, wie er war, hätte man freilich ansprechendere Botschaften erwarten sollen, als sie heute von seinen Lippen gehen. Aber laßt euch die rauhe Sprache, in der er seine Erstlingsgrüße entbietet, nicht befremden. Es war darauf abgesehen, allen falschen und fleischlichen Vorstellungen von dem Reiche von vorne herein die Wurzel abzuschneiden. Dem Sinne der Welt hätte es allerdings mehr entsprochen, wenn das Reich mit einer Losung, dem bekannten Dichterspruche ähnlich: „Allen Sündern soll vergeben, und die Hölle nicht mehr sein“ hereingetreten wäre, und das bekannte: “Friede, Friede! Es hat nicht Gefahr!“ – in sein Fähnlein verzeichnet hätte. Aber statt mit beschwichtigenden „Allvater“-Ideen, und mit Erklärungen, die geeignet wären, den Begriff der Sünde abzuschwächen, und die mit ihm verbundenen Schrecken zu mildern, erscheint der Vorläufer des Reichs mit Eröffnungen, wie diese: “Ja, es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt: welcher Baum nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und in’s Feuer geworfen.“ Hört, hört! Das klingt wie Posaunenhall vom Gipfel Sinai’s herunter. Wir wissen, daß Johannes unter den „Bäumen“ zunächst zwar seine Zeitgenossen, und unter der “Axt“ die Gerichte versteht, die denselben, falls sie auch die letzte und höchste Gnadenheimsuchung, die ihnen bevorstehe, muthwillig verkennen könnten, ehe sie sich’s versähen, in der Zerstörung Jerusalems und in einer schmachvollen Zerstreuung in alle Welt über sie hereinbrechen würden. Doch liegt seinem Drohspruche auch ein allgemeinerer Sinn zum Grunde, nach welchem die „Bäume“ diejenigen sind, welche den Wald der Menschheit bilden: die Kinder Adam’s allzumal, die in den Garten der Erde gepflanzt wurden, nicht, um, gleich den Blumen des Feldes, am Morgen zu erblühen, und am Abende in Nichts zurückzusinken; sondern, für die Ewigkeit geschaffen, Ihm, der mit dem Gepräge Seines Ebenbildes sie schmückte, Früchte der Liebe und des Gehorsams darzubringen. Und freilich ist diesen Allen, wie sie in ihrem natürlichen Zustande, „Fleisch von Fleisch geboren“, dasteh’n, „die Axt an die Wurzel gelegt;“ – und das auch dir, lieber Mensch, in welchem Ehrsamkeitsschmucke du nach Außen hin auch gleißen magst. Die “Axt“ ist der „Fluch des Gesetzes“, der göttliche Richterspruch: „Ich will den aus meinem Buche tilgen, der an mir sündigt“, das Todesurtheil, auf Alle gelegt, die „des Ruhms ermangeln, welchen sie vor Gott haben sollten.“ Die Axt, scharf geschliffen, liegt oft lange, ohne bewegt zu werden, an des Baumes Wurzel. Fünfzig Jahre oft, und oft noch länger liegt sie da. – Endlich schlägt die Stunde, die auf Gottes Buch geschrieben steht; und läßt der Baum auch dann noch trotz des Sonnenscheins und Regens, der darauf gefallen, und der Düngung und Umgrabung, die ihm, in Zuspruch, oder in Kreuz und Leid, zu Theil geworden, die gesuchte Frucht vermissen, dann erfolgt der verhängnißvolle Schlag. Der Tod, der Schreckenskönig, hebt die Axt; der Baum kracht hin, und – das “Feuer“ kennt ihr, das nach des Täufers Wort ihn aufnimmt. – „Wie“ – höre ich sagen, „auch im Reiche Jesu noch die Vorstellung, daß in und für sich selbst der Mensch dem Fluch verfallen, und verloren sei?“ – Wie, frage ich dagegen, meint ihr denn, in jenem Reiche werde die Lüge an die Stelle der Wahrheit gesetzt, damit zum Jammer der Verdammniß auch noch derjenige der gräßlichsten Enttäuschung komme? – Ja, ich weiß es, wie Tausende mit der wunderlichen Einbildung sich tragen, es bestehe der Unterschied des Neuen Testaments vom Alten darin, daß es die Schreckensbilder eines Gottes, der zürnen könne, einer Sünde, die ewig verdamme, eines Gerichts, in welchem nur eine vollkommene Gerechtigkeit die Probe halte, und einer Hölle, als Behausung der von Gottes Angesicht Verstoßenen, beseitigt habe. Aber welch eine Unwissenheit in Dingen der heiligen Schrift gehört dazu, um auf einen solchen Einfall zu gerathen, und welche lästerlichen Anschauungen von Christo und der Absicht seiner Erscheinung in der Welt liegen jenen Gedanken zum Grunde! Als ob Christus auch nur ein Jota der alttestamentlichen Offenbarung aufgelös’t, oder auch nur entkräftet, und nicht vielmehr Alles, was durch Moses und die Propheten geredet ward, neu besiegelt hätte; und als ob es in Seinem Reiche auf nichts Bess’res, als auf eine Beruhigung der sündigen Menschheit um jeden Preis, ja selbst auf Kosten der Wahrheit abgesehen wäre! - - Nein, nein, Sein Reich ist nicht ein Reich falschen, betrüglichen Friedens, wie dasjenige des Lügenvaters, und der von ihm verblendeten Welt; sondern ein Reich gründlicher Hülfe. Es ist nicht darüber aus, unsre Wunden und Schäden irgendwie zu verhüllen; sondern deckt sie vielmehr recht geflissentlich auf, und nennt sie bei ihrem rechten Namen, weil es sich denselben vollkommen gewachsen weiß. – Es verhehlt uns nicht, daß wir grundverdorben, unter dem Fluche des Gesetzes und Kinder des Todes seien vor Gott; aber zugleich macht sich’s anheischig, nicht allein aus all’ unserm Elende uns zu erlösen, sondern gar zu den Rechten einer Kindschaft, und zum Genuß einer Herrlichkeit uns zu erheben, welche uns den Verlust alles dessen, was vor dem Fall im Paradiese unser war, überschwenglich ersetzen werde.

4.

Johannis Wort von den unfruchtbaren Bäumen und der Axt an ihrer Wurzel hat getroffen. Aengstlich fragt das Volk: “Was sollen wir denn thun?“ Und was antwortet er? – „Haltet das göttliche Gesetz?“ Wäre dies seine ganze Antwort gewesen, er hätte daheim bleiben können, und Christus brauchte auf Erden nicht zu erscheinen. An einem Moses hatten wir überschwenglich genug. – Doch das Reich Christi ist mit nichten ein solches, das die Seligkeit auf’s Neue an die schlechthin unerfüllbare Bedingung eines vollkommnen Gehorsams knüpfte. Wäre es dies, so wäre es das Grab unsrer Hoffnung, ja eine Klause der Verzweiflung für uns Alle. Nein, die Gnade führt in dem Reiche das Regiment. Ist es aber gleich kein Reich des Gesetzes, so doch nichts desto weniger ein Reich der Heiligung; und auch in dieser Eigenschaft malt Johannes es uns vor Augen. Denn auf die Frage des Volks: „Was sollen wir denn thun?“ erwiedert er nicht: „Legt die Hände in den Schooß“, oder: „Thut, was euch gelüstet“; sondern ertheilt ihnen den Bescheid: “Wer zween Röcke hat, der gebe dem ab, der keinen hat; und wer Speise hat, der thue auch also;“ – und den Zöllnern antwortet er auf ihr „Was sollen wir thun“: “Fordert nicht mehr, als euch gesetzt ist“; - und den Kriegsleuten: „Thut Niemandem Gewalt noch Unrecht, und lasset euch genügen an euerm Solde!“ – „Wie, Moral predigt er?“ – Wie ihr vernehmt, Geliebte. Verkennt aber die tiefe Absicht nicht, die dabei ihn leitet. Zunächst will er ganz allgemein daran erinnern, daß es in dem Reiche, für das er werbe, nicht wieder mit Ceremonien und mechanischen Kirchenwerken gethan, sondern vor Allem auf Sittlichkeit der Gesinnung und des Wandels abgesehen sei; dann aber beabsichtigt er, den Fragenden zugleich recht praktisch, einem Jeden auf seinem Standpunkt und nach seiner Fassungskraft, eine Ahnung von der Natur der Heiligkeit beizubringen, die hier allein auf Geltung und Anerkennung rechnen dürfe. Denn sobald das überwiegend zu Geiz und Habsucht neigende jüdische Volk die Worte hörte: „Wer zween Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat, und wer Speise hat, thue auch also“; und die Zöllner, welche von ihrem geheimen Unterschleif und Betruge wie von einem erlaubten Nahrungszweige ungestraft lebten, die Weisung vernahmen: „Fordert nicht mehr, denn euch gesetzt ist“; und die Kriegsleute, denen das „Gewalt-thun“ zur andern Natur geworden war, und welche damals – (über unsere Krieger ist mit dem Bewußtsein, des Vaterlandes Schirm und Wehr zu sein, ein höherer sittlicher Geist gekommen,) – ihren Stand sich anders nicht zu denken vermochten, als seine materielle Uebermacht zu eigenem Vortheil mißbrauchend, und über die Kargheit des ihm zugemessenen Soldes murrend, die Zumuthung: „Thuet Niemandem Gewalt noch Unrecht, und lasset euch genügen an eurem Solde“: - da mußte sich ihnen Allen auf der Stelle das Gefühl aufdrängen, daß hier ein Adel der Gesinnung von ihnen gefordert werde, der ihnen freilich so fern liege, daß, wenn sie dazu gelangen sollten, eine, einer Neuschöpfung gleichkommende, Radikalreform mit dem innersten Grunde ihrer Natur und ihres sittlichen Wesens vorgehen müsse. Sobald sie dies aber lebhaft empfanden, war, was Johannes mit seiner Tugendpredigt zunächst bezweckte, erreicht. In überaus verflachender Weise hat man, namentlich in Predigten für die “Enthaltsamkeitssache“, den Worten des Täufers die Absicht unterlegen wollen, die Leute, an die sie zunächst gerichtet waren, erst nur einmal von ihren groben sittlichen Auswüchsen zu heilen, um sie dann weiter zu führen. Aber grade umgekehrt sollte ihnen dadurch schon von vorneherein zu dem klaren Bewußtsein von der Verderbtheit und Umgestaltungsbedürftigkeit des innersten Prinzips all’ ihres Thun’s und Lassens verholfen werden; - und dies nicht blos ihnen, sondern ebensowohl auch uns. Auch unter uns scheint hin und wieder die Meinung zu herrschen, als beschränke sich die Bethätigung und Lebenserweisung der Reichsbürger Christi lediglich darauf, daß man zur Kirche gehe, Abendmal feire, Lieder singe, Missionsgaben spende, die Brüder besuche, die Tummelplätze weltlicher Lust und Zerstreuung meide, gottselige Worte mache, und was des mehr ist. Aber es will uns Johannes wissen lassen, daß es mit so leichten Dingen lange nicht gethan sei; sondern daß es im Himmelreiche vor Allem auf Reinheit und Unbeflecktheit der innersten Motive ankomme, und hier nur gelte, was als lautere Frucht selbstverleugnungsvoller Liebe, und durchhaltender Treue gegen Gottes Gebot im Kleinen wie im Großen, zu Tage trete. – Kreuzigung des eigenen Fleisches sammt den Lüsten und Begierden, Liebe üben wider die Neigung des alten Menschen an, demüthig sein, gerne um des Herrn willen den untersten Weg gehen, sich versöhnlich erweisen und geduldig: das seien die Lebensäußerungen, wie sie allein dem Reich entsprächen. – Seht, dies Johannes Meinung. Das Reich Christi ist, wenn auch kein Reich des Gesetzes, so doch ein Reich der Heiligung.

5.

Ihr stutzt. – „So herrscht ja dennoch noch Moses wieder in dem Reiche!“ sprecht ihr. – O nicht doch, Freunde! – Kein Reich erneuter Forderungen und Bebürdungen ist das Reich; sondern ein Reich der Gnade. Hört unsern Herold! Jetzt bricht durch’s Gewölk seiner Worte die Sonne durch, und von der Herrlichkeit des Christusreichs weicht der letzte Schleier. “Ich“, spricht er “taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, die Riemen seiner Schuhe aufzulösen; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ Es wäre in der That schlimm gewesen, hätte das Volk in seiner „Erwartung“, daß Johannes selbst der verheißene Messias sei, recht gesehen. Johannes konnte uns, selbst auch durch das Sinnbild seiner Taufe, nur predigen, was uns noth sei; aber dasselbe uns nicht darreichen. Der aber, den er als den nach ihm kommenden “Stärkeren“ bezeichnet, und welcher der König des Reiches ist, gewährt Alles. Er tauft die Ihm sich Hingebenden „mit Geist und Feuer.“ Sie erleuchtend und zur heiligen Liebe sie entflammend, macht er sie eines neuen, göttlichen Lebens theilhaftig, mit welchem ihnen der Haß wider die Sünde angeboren, und vermöge dessen das Vollbringen des göttlichen Willens ihnen zur andern Natur wird. Weil er aber jeden Augenblick bereit ist, Denen, die danach verlangt, „allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient“, geschenksweise mitzutheilen, und dadurch seinem Reiche thatsächlich den Stempel eines Gnadenreiches aufzudrücken, so darf es uns ja nicht befremden, daß Johannes uns den leutseligen Sünderfreund zugleich unter dem erschütternd ernsten Bilde eines mit der “Wurfschaufel“ bewaffneten richterlichen Mannes vorführt, der seine Kirchentenne fegt, und “den Weizen in seine Scheune sammelt, die Spreu hingegen mit unauslöschlichem Feuer verbrennt.“ Denn da er so weit den Schooß seiner Gnade aufthut, und mit keiner andern Zumuthung, als der, daß sie nur annehmen möchten, was er ihnen unentgeltlich bietet, den Sündern die ganze Fülle seiner Heils- und Heiligungskräfte zur Verfügung stellt, so ist er ja zu der Erwartung vollkommen berechtigt, daß ihm nun der Acker der Menschheit auch volle und reiche Garben tragen werde, und kann denjenigen, die dennoch als leere, jedes höhern Gehalts ermangelnde Hülfen sich erfinden lassen, am Ende nicht anders, als mit dem Urtheile einer ewigen Verwerfung entgegentreten. - Weil sein Reich ein Reich der Gnade ist, so muß es zu denen, die halsstarrig auf dem breiten Wege verharren, ausschließend, ja verdammend sich verhalten. – „Wer nicht glaubet“, bezeuget er selbst Joh. 3,18 „der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes.“ –

So habt ihr denn abermals einen wenngleich nur flüchtigen Blick in die Natur des Königreiches werfen dürfen, dem die Liederklänge gelten, welche zu dieser Zeit durch die Kirche gehen. Sorget, daß ihr in seinen Bürgerlisten auch eure Namen geschrieben wisset: denn der Thron des Gottes, „bei welchem viel Vergebung ist“, stehet nur in diesem Reiche aufgerichet. – Den Weg in dasselbe hinein, den einzig sichern, führt euch Johannes. Ist’s auch ein Todesweg für den alten Menschen: schlagt ihn entschlossen ein, und werdet durch Gottes Gnade bald dahingebracht, in tieferm Sinne noch und aus reicherer Erfahrung heraus, als jener Mann im Evangelio ausrufen zu können: “Selig ist, wer das Brod isset im Reiche Gottes!“ – Amen. -

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_f.w/krummacher_f.w_christi_reich.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain