Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXVII. Die nahende Rettung.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXVII. Die nahende Rettung.

„Der Herr thut Alles fein zu seiner Zeit!“ Möchten Alle, die als Gläubige zur Aneignung der göttlichen Verheißungen berechtigt sind, dieses salomonische Wort (Pred. Cap. 3, 11.) ernstlicher beherzigen, als es gemeiniglich zu geschehen pflegt. Wie oft vernimmt man in deren Kreisen die Klage, man habe vergeblich der Erfüllung dieser oder jener Zusage des Herrn geharrt; eine Klage, der sich leicht der Zweifel an der Aechtheit des Gnadenstandes, dessen man sich rühmen zu dürfen glaubte, oder gar an der Wahrheit des ganzen Schriftwortes anhängt. Man läßt dann unerwogen, daß der Herr, wenn er Leiden über die Seinigen verhängt, nicht seine helfende Macht nur, sondern auch, ja vorzugsweise, seine im Wege der Prüfung und Läuterung erziehende Weisheit an ihnen verherrlichen will, und daß erst, nachdem er diesen heiligen Zweck an ihnen erreichte, die Stunde auch der äußeren und leiblichen Hülfeleistung für ihn geschlagen hat. Wohl denen, welche lernten „stille sein und auf die Hülfe des Herrn harren.“ Ihnen braucht vor dem Schmerze getäuschten Hoffens nicht zu bangen. Sie werden, ob auch in einer andern Erscheinungsform, als diejenige von der sie träumten, „die Herrlichkeit Gottes sehn.“ Zwar bleibt es wahr, was Salomo an einem andern Orte sagt: (Spr. Cap. 13, 12.) „Die Hoffnung, die sich verzeucht, kränket das Herz;“ aber nicht minder wahr was er hinzufügt: „Wenns dennoch kommt, was man begehrte, das ist ein Baum des Lebens.“ Das Leben Davids wird uns dies aufs neue zur Anschauung bringen. Die Morgendämmerung des Tages seiner Errettung und Wiedererhöhung bricht an.

2. Sam. 17, 1 u. 2. Und Ahitophel sprach zu Absalon: Ich will zwölftausend Mann auslesen und mich aufmachen, und dem David nachjagen bei der Nacht, und will ihn überfallen, weil er matt und laß ist. Wenn ich ihn dann erschrecke, daß alles Volk, so bei ihm ist, fliehet, will ich den König allein schlagen und alles Volk wieder zu dir bringen.

Der König befindet sich persönlich in großer Gefahr. Gesellen wir uns ihm im Geiste wieder zu. Was diesmal unsre lebhafteste Theilnahme in Anspruch nimmt, ist zuerst ein neuer Herzenserguß des Bedrängten, eine Gebetserhörung, deren er gewürdigt wird, und zuletzt eine tröstliche Begegnung, mit der er sich überrascht sieht.

1.

Wo wir zuletzt von dem Könige schieden, da suchen wir ihn wieder auf. In der Wüste Juda treffen wir ihn, und zwar zu einer etwas späteren Zeit, als damals. Nach Mitternacht, da die Morgendämmerung nicht mehr fern, stehn wir im Geist vor seinem Zelte. Er wacht und unterredet sich mit seinem Gott. Unser drei und sechzigster Psalm entströmte seinem bewegten Herzen: „Gott, Du bist mein Gott! Dich suche ich, nach Dir dürstet meine Seele. Es schmachtet nach Dir mein Fleisch in einem dürren Lande, und es ermattet ohne Wasser.“ Seine äußere Lage in der unwirthbaren Einöde ist ihm ein Bild des Zustandes seiner Seele. Er sehnt sich nach einem Gnadenblicke seines Gottes. „Ich schaue aus nach Dir in Deinem Heiligthume“ fährt er fort, „und schaute gerne deine Kraft und deine Ehre. Deine Huld ist besser als das Leben. Meine Lippen preisen dich. Ich wollte mein Lebenlang dich preisen, wenn du mein Leben“ (sein gegenwärtiger Zustand däucht ihm dem Tode gleich) „mir wiedergäbest. Meine Seele wird satt werden von Freude, und mit Jubellippen wird mein Mund dich loben. Wenn ich auf meinem Lager liege, so denke ich dein. Bei meinem Nachtwachen rede ich von dir. Denn du bist meine Hülfe und unter dem Schatten deiner Flügel jubele ich. Meine Seele hanget an dir und fest hält mich deine Rechte. Jene“, (meine und deine Feinde,) „die nach meiner Seele stehn, werden untergehen, und hinabsinken in die Tiefen der Erde. In's Schwerdt werden sie fallen und den Füchsen zum Raube werden. Der König aber wird sich freuen in Gott und rühmen wird sich jeder, der bei ihm (dem Herrn) schwört; denn die Lügenmäuler sollen verstopfet werden!“

Wir sehn, wie in Davids Seele Hoffnung und Zuversicht wieder Raum zu gewinnen angefangen haben. Er klammert sich an seinen Gott, und dieser wird seinen tief gebeugten Knecht nicht im Elende stecken lassen. „Der Herr tödtet und macht lebendig, führet in die Hölle und wieder heraus“, sang die fromme Hanna, und bezeichnete damit eine Erfahrung aller Gotteskinder. Wie es in David's Innerem tagt, so erscheinen auch draußen die ersten Zeichen der nahenden Hülfe.

Während in der einsamen Wüste dem Herzen David's jenes Vertrauen athmende Nachtlied entströmt, geh'n in Jerusalem, wo an Schlaf auch nicht gedacht wird, und der Kriegsrath bleibend versammelt ist, merkwürdige, nur gar andersartige Dinge vor. Man überlegt, wie mau am sichersten des Königes habhaft werden und ihn bei Seite schaffen möge, und da ist's Ahitophel wieder, der wenigstens zuerst den Preis der Klugheit davonträgt. Er macht den Vorschlag, man möge dem David, der matt und laß sei, unverweilt nachjagen, seinen freilich kampfgeübten, aber zur Zeit nicht minder, als der König selbst, entmuthigten Anhang unversehens überfallen, diesen mit einem Schlage zerstreuen, und dann dessen verlassenes und vereinsamtes Haupt gefangen nehmen. Geschähe dies vermittelst eines raschen Handstreichs, und mit leichter Mühe sei dies auszuführen, so werde es nicht fehlen, daß das ganze Volk dem Absalon zufalle, und ihm als seinem von Gott bestätigten Könige huldige. Ahitophels Rath leuchtet dem Absalon und dessen Trabanten ein; doch glaubt man, auch das Gutachten des alten erfahrenen Husai hören zu müssen. Dieser wird herbeschieden, und Absalon setzt ihn von dem Rathschlag Ahitophels in Kenntniß. „Solches,“ spricht er, „hat er geredet; sage du nun, ob dir's gut däucht oder nicht.“ Husai erwiedert: „Ahitophels Rath ist diesmal kein guter. Du, Absalon, kennest ja deinen Vater und seine Leute, und weißt, daß sie tapfer sind und stark, und von zorniger Gemüthsart wie ein Bär, dem seine Jungen geraubt sind. Dazu ist dein Vater ein Kriegsmann und wird sich nicht säumen mit dem Volk. Vielleicht hält er sich jetzt in einer Felskluft, oder sonst an einem sichern Ort verborgen. Schlüge nun der erste Angriff fehl, und es käme das Gerücht, etwa vergrößert zur Unglückspost von einer verlorenen Schlacht, den Parteigängern Absalons zu Ohren, so würde jeder, der sonst wohl seinen Mann im Kampfe stände, und ein Herz hätte wie ein Löwe, den Muth verlieren. Denn ganz Israel weiß, was für ein Kriegsheld dein Vater ist, und wie kampfbewährt und tapfer die Männer, die ihn umgeben. Drum rathe ich, daß du zuvor Alles, was im ganzen Lande von Dan bis Barseba dir zugethan ist, um dich versammelst, bis dein Heer werde wie der Sand am Meer, und daß du dich alsdann persönlich an die Spitze der Reisigen setzest. So überfallen wir den Feind, wo immer er weilen möge, und kommen über ihn in ungeheurer Zahl wie der Thau auf die Erde fällt, daß wir von allen seinen Männern nicht einen übrig lassen. Würfe er sich aber in eine Stadt, so thue das ganze Israel mit dieser wie man mit einem Hause thut, das man der Erde gleich machen will. Man umlegt das Haus mit Stricken, und reißt es in den Bach, daß auch nicht ein Stein mehr daran gefunden wird.“ So Husai. Was Wunder, daß sein Plan dem ehrgeizigen und leichtsinnigen Jünglinge Absalon annehmbarer erschien, als Ahitophels Vorschlag, weil jener ihm einen noch sicherern Erfolg und größeren Ruhm in Aussicht stellte. So säumte er denn nicht, das Volk wissen zu lassen, daß er den Rath Husais demjenigen Ahitophels vorgezogen habe. Die Geschichte bemerkt: „Der Herr schickte es also, daß der gute Rath Ahitophels,“ (der allerdings der klügere war,) „verhindert wurde, auf daß der Herr Unglück über Absalon brachte.“

Husai beeilte sich, den David verabredetermaßen durch die Priestersöhne Jonathan und Ahimaaz von der Lage der Dinge in Kenntniß zu setzen. Sie sollten zu David sagen: „Bleibe nicht über Nacht auf dem flachen Felde der Wüste, sondern gehe über den Jordan, daß du nicht sammt dem Volke, das bei dir ist, überrumpelt werdest, und den Feinden in die Hände fallest!“ Offenbar besorgte Husai, es möchte am Ende doch noch der Rath Ahitophels bei den Rebellen über den seinigen den Sieg davon getragen haben. Daher seine Warnung an David.

Die beiden Boten standen schon draußen bei der Quelle Rogel und warteten des Auftrags. Nachdem dieser ihnen durch eine, wie es scheint, in den Handel mit eingeweihte Magd überbracht worden war, zogen sie ihre Straße fürder. Aber ein junger Mensch begegnete ihnen, und verfehlte nicht, da die hastige Eile, mit der die ihm wohlbekannten Priesterknaben dahinschritten, ihm verdächtig vorkam, von dieser Begegnung in Jerusalem Anzeige zu machen. Sofort schickte Absalon den Boten mehrere Häscher nach. Aber auch hievon wurden jene in Kenntniß gesetzt, und zwar in dem Momente, da sie in das Haus einer befreundeten Familie zu Bechurim eingetreten waren, um daselbst einige Augenblicke auszuruhen. Der Herr dieses Hauses aber wußte Rath. Er hieß die ihm werthen Gäste schleunigst in eine gerade wasserleere Cysterne seines Hofes sich hinablassen, und sein Weib überbreitete die Oeffnung des, Brunnens mit einer Decke, und bestreute dieselbe mit Grütze, so daß Niemandem einfallen konnte, hier die Verfolgten zu vermuthen. Die Bewaffneten erschienen. „Wo ist Ahimaaz und Jonathan?“ schnaubten sie die Hausfrau an. Diese, sie täuschend, antwortete: „Ueber das Wässerlein drüben gingen sie hinaus.“ Die Kundschafter schlugen die bezeichnete Richtung ein, spähten zur Rechten und zur Linken, aber fanden nicht, und kehrten endlich unverrichteter Sache nach Jerusalem zurück. Die beiden Herolde aber verließen jetzt ihren Versteck, verabschiedeten sich dankend von ihrem treuen und klugen Wirthe, und hatten bald das Ziel ihres Botenganges, das Zelt des Königs in der einsamen Wüste, erreicht. „Husai sendet uns“ sprachen sie zu ihrem Herrn, „und läßt dir sagen: Machet euch auf, und gehet eilend über den Strom; denn so und so hat Ahitophel wider euch Rath gegeben.“ „Und David und alles Volk, das bei ihm war, machten sich auf, und überschritten den Jordan, bis es licht Morgen ward, und es fehlete nicht an Einem, der nicht über den Jordan gegangen wäre.“ Schon in dieser zur guten Stunde noch angelangten Weisung glaubte David ein neues Zeichen erkennen zu müssen, daß der Herr seiner wohl noch in Liebe gedenke, und auf seine Rettung bedacht sei. Sein Herz zerschmolz in Dank zu dem ewig Getreuen.

Doch sollten ihm bald noch unzweideutigere Zeichen werden, daß Gott seiner nicht vergessen habe, sondern nach wie vor sein Gott sei. Was begab sich zu Jerusalem?

2.

Als Ahitophel sah, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, daß sein Rath nicht durchgedrungen sei, fühlte er sich nicht allein auf's empfindlichste in seiner Ehre gekränkt, sondern gab nun auch die Sache Absalons, die er mit den rosigsten Hoffnungen für die eigne Zukunft ganz zu der seinigen gemacht hatte, unbedingt verloren. Zu deutlich erkannte er, daß Zeit verloren Alles verloren heiße. Er zweifelte nicht, daß das Volk, ehe man sich's versehe, durch den eingetretenen Verzug von seinem blinden Enthusiasmus wieder ernüchtern, die Partei Davids dagegen von der ersten Niedergeschlagenheit sich erholen und durch neue Zuzüge sich bedeutend verstärken werde. Ein bitterer Groll und düsterer Unmuth lagerten sich über die Seele des ehrgeizigen und nach Gottes Geboten schon längst nicht mehr fragenden Mannes her. Er sattelt hastig sein Maulthier, verläßt mit flammendem Zorne das Heerlager der Rebellen, reitet heim in seine Stadt, bestellt sein Haus, und macht in einem Anfall von Verzweiflung seinem Leben mit dem Strick ein Ende. Was außer dem gekränkten Ehrgefühl noch weiter zu diesem unseligen Schritte ihn bewegen mochte, kann nur vermuthet werden. Sicher hat auch der erschütternde Ernst dazu mitgewirkt, mit dem der Richter in seiner Brust, das erwachende Gewissen, den Greuel seines an seinem Könige und Freunde begangenen Treubruchs ihm vorhielt. Genug, die Seinen fanden ihn zu ihrem nicht geringen Entsetzen erhängt, und nachdem sie ihn, den dunkeln Schatten des späteren Verräthers Judas Ischarioth, von seinem selbst erwählten, und nur zu wohl verdienten Galgen abgelöst, begruben sie ihn in seines Vaters Grab. Mit wie tief bewegten Herzen mag David sich vor dem Herrn gebeugt haben, als er von dem „Ende mit Schrecken“ hörte, welches der gefährlichste seiner Widersacher genommen habe. Es durfte ihm dies ja als ein neues Zeugniß gelten, daß Gottes Auge noch in Huld über ihm offen stehe, und Gottes Ohr sich noch gnädig zu seinem Munde neige. Hatte er ja gebetet: „Herr, mache den Rathschlag Ahitophels zur Narrheit!“ und in wie erschütternder Weise sah er dieses Gebet jetzt erhört!

David gedenkt des Ahitophels öfter in seinen Psalmen. So im 41ten, wo er spricht: „Sie haben ein Bubenstück über mich beschlossen und gesagt: Wenn er liegt, soll er nicht wieder aufstehn.“ - „Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brod aß, erhebt seine Ferse wider mich. Du aber, Herr, sei mir gnädig, und hilf mir auf, so will ich ihnen vergelten.“ - Ferner im 55ten Psalm: „Nicht mein Feind schmähet mich, dies wollte ich schon tragen; nicht mein Hasser thut Wider mich groß; vor solchem würde ich mich schon verbergen. Du (Ahitophel) bist aber mein Geselle, mein Freund und mein Vertrauter, die wir zusammen Vertraulichkeit pflegten, und im Hause Gottes wandelten im Getümmel.“ Außerdem begegnen uns unverkennbare Anspielungen auf Ahitophel, seinen Verrath und sein entsetzliches Ende auch noch im 69ten und 109ten Psalme. Dem Sänger schwebte bei diesen Aussprüchen freilich noch nicht die Person des Verräthers Jesu Christi vor; aber der Heilige Geist, durch den er redete, gab den Worten in seinem Munde die Form und Gestalt, in der sie zugleich zu einer Weissagung von dem fluchwürdigen Vorläufer und Chorführer aller Verräther und Selbstmörder wurden.

3.

Unverkennbar gedenkt der Herr noch in Huld und Gnade seines Knechtes David. Die ersehnte Hülfe bucht immer vollständiger herein. Wir überzeugten uns schon davon. Ein neuer Sonnenstrahl, der in sein Leben fällt, wird in dieser Ueberzeugung uns bestärken. Der König hatte auf Husai's Rath den Jordan überschritten, und befand sich eben mit den Seinen bei Mahanaim auf der Grenze von Gad und Manasse. Plötzlich treffen daselbst aus naher und ferner Umgegend allerlei Leute bei ihm ein, Landleute zumeist, unter ihnen Machir, der Sohn Ammiels von Lodabar, und der alte Barsilai, ein Gileaditer aus Roglim, von dem wir noch weiter hören werden, und sogar auch ein königlicher Prinz, Namens Sobi aus Rabba, ein Sohn des durch David unterjochten Ammoniterköniges Nahas. Und was führte diese Gäste her? Die schwer beladenen Maulthiere, die sie vor sich her treiben, lassen's errathen. Sie bringen Geschenke mannigfacher Art: irdene Gefäße, Weizen, Gerste, Mehl, Bohnen, Linsen, Grütze, Honig, Butter, Schafe, Rinderkäse, und was des Proviantes und der Geräthe mehr noch. Was sie hiezu bewog? „Sie gedachten,“ meldet die Geschichte, „das Volk wird hungrig, müde und durstig geworden sein in der Wüste; so wollen wir hin und sie erquicken.“ Wer ihnen das in's Herz gegeben? O David erkannte es bald, und nahm die Liebesspende mit gerührter Erkenntlichkeit als aus den Händen Gottes seines Herrn entgegen. Wie hoch aber in Aufruhrszeiten die Unterthanentreue im Preise steigt, und wie unbeschreiblich wohl sie dann den von Verrath umgebenen Machthabern zu thun pflegt, deß sind wir ja selbst einst Zeugen gewesen. Da adelt in den Augen des von den Umsturzwogen umbrausten Fürsten die Treue mit einem Male den geringsten Ackersmann und Tagelöhner weit über die angesehensten Würdenträger seines Throns hinaus, die auch zu schon wanken begannen. Die Getreuen dort bei Mahanaim sicherten sich ohne Zweifel in der Erinnerung des bedrängten Königes, wie sich dies auch später auswies, ein bleibendes Denkmal und dies um so mehr, da auch sie einen so lieblichen Beweis dafür lieferten, daß, was auch schon die sich mehrenden bewaffneten Zuzüge zum Königlichen Heer bekundeten, ein erfreulicher Umschwung in der Stimmung des Volkes sich anzubahnen beginne.

Der Moment der Entscheidung rückte immer näher heran. Absalon war an der Spitze seiner Aufrührerrotten aus Jerusalem aufgebrochen, und stand nicht ferne mehr vom Lager David's in Gilead. An Stelle des von ihm wieder abgefallenen und zu den Fahnen Davids zurückgekehrten Joab führte dessen Vetter Amasa unter Absalon den Oberfehl über dessen Heer: ein Mann an kriegerischem Ungestüm und Tapferkeit dem Joab ebenbürtig. Auf ihn setzte Absalon sein ganzes Vertrauen. Später finden wir jedoch auch ihn wieder unter den Feldhauptleuten Davids.

David kannte seine Lage. Er war benachrichtigt, daß der entscheidende Moment herbeigekommen sei. Die Kunde von Ahitophels Ende hatte ihn damals noch nicht erreicht. Sein Herz befand sich in nicht geringer Aufregung. In die Gedanken und Empfindungen, die zu der Zeit im Lager bei Mahanaim ihn durchwogten, weiht der 4te Psalm uns ein. Er lautet: „Erhöre mich, wenn ich rufe, du mein gerechter Gott, der du mich tröstest in der Angst. Sei mir gnädig und höre mein Gebet.“ - Ein Noth- und Hülferuf dies. Er befremdet uns nicht. Es ist wahr, daß, wie ein Ausleger jenes Psalms bemerkt, die Kinder der Welt uns oft unter Trübsalsschlägen, von denen sie betroffen werden, gefaßter und in Schmerzensäußerungen sparsamer erscheinen, als die Freunde Gottes. Aber was Wunder dies, da für letztere die Leiden, die über sie ergehn, eine gar andere Bedeutung haben, als für jene. Denn während die Weltkinder in denselben nur unglückliche Zufälligkeiten erblicken, in die man, weil sie nun einmal nicht zu ändern sind, sich so gut es gehen wolle, zu schicken habe, erscheinen die Leiden den Gläubigen als göttliche Heimsuchungen, die sie durch ihre Sünden muthwillig über sich hereinführten;. Wie vermöchten sie darum sich leichtfertig über sie hinwegzusetzen? Ferner wissen sie, daß sie einen Helfer im Himmel haben, und sind darum weniger darüber aus, ihre menschliche Natur zu verleugnen, um ihren Schmerz gewaltsam zu verbeißen, als diejenigen, die ohne Gott in der Welt sind, und mit der Losung: Mich selbst verloren Alles verloren! in betäubenden Zerstreuungsstrudeln sich vor der Verzweiflung, vor der die Gottesfürchtigen gesichert sind, zu schützen suchen. Sodann sind „die Seelen der in der Gemeinschaft Gottes Lebenden gar anders und ungleich feiner besaitet, als die der Gottentfremdeten“, welchen letzteren es z.B. leicht wird den Haß der Menschen zu verschmerzen weil sie selber hassen, und in die Bosheit Andrer sich zu finden, weil sie die Luft derselben Sphäre athmen, während die Frommen, zarter organisirt als sie, sich auf's schmerzlichste dadurch verwundet fühlen, und das bekannte Sprichwort: „Zartes Herz, tiefer Schmerz“ an sich bewahrheitet finden. Endlich eignen wir uns auch die Bemerkung zu, daß die Gottesfürchtigen keinen Grund haben, vor sich selbst und Andern ihre menschliche Schwäche zu verbergen, da sie ihre Stärke nicht in sich, sondern in Gott suchen, während die Weltkinder auch dann noch, wann sie schon der Verzweiflung nahe sind, nach Außen hin den Schein der Schmerzlosigkeit sich zu geben trachten, weil ihr Hochmuth sich dawider streubt,. zu Gegenständen des Mitleids zu werden. Es lastete noch mancherlei Druck niederbeugend auf des Königs Gemüth. Mit dem Kummer über das Unglück, das ihn persönlich betroffen, und über die Treulosigkeit so Vieler, denen er einst ein unbedingtes Vertrauen schenkte, verpaarten sich das Bangen um die unsterbliche Seele seines armen verlorenen Sohnes, die Trauer über den Verlust der Liebe seines Volks, der bittre Gram, von seinen Bemühungen um die Hebung des gottesdienstlichen Lebens in Israel so beweinenswerthe Früchte erndten zu müssen, und vor Allem der unausgesetzt an seinem innersten Marke nagende Schmerz über seinen eigenen schweren Fall, der ja am Ende die Hauptursache all des Jammers war, unter dem er gegenwärtig zu seufzen hatte. Tief gebeugt sehen wir ihn in dem 4ten Psalme vor seinem Gott am Staube liegen; doch weiß er aus seiner Bedrängniß den Weg zu einem erneuerten Vertrauen auf Gottes Gnade und zum Glauben an die Erhörlichkeit seines Gebets zu finden. Drei starke Pfeiler sind es, von denen die goldene geistliche Brücke getragen wird, über die er zu solcher Zuversicht hindurch dringt. Den ersten bildet die Erinnerung daran, daß es ja der Herr sei, von dem er die Krone, die man ihm rauben wolle, zu Lehen trage. Er redet seine Feinde an im Geiste, und ruft ihnen zu: „Ihr Mannessöhne, wie lange wollt ihr meine Würde antasten? Wie habt ihr das Eitle so lieb, und die Lüge so gern.“ Eitel, meint er sei es, wider Gottes Ordnung anzustürmen; und wie das einstige Vorgeben der Rebellen, als habe nur die Feier eines Opferfestes sie gen Hebron geführt, von wo die ganze Empörung ausging, eine Lüge gewesen sei, ebenso ihre vermessene Behauptung, mit der sie die Selbstherrschaft des Volkes zu einem göttlichen Rechte zu stempeln sich bemühten. „Erkennet doch,“ fährt der Sänger fort, „daß der Herr sich ausgesondert hat seinen Frommen,“ nemlich mich, seinen Freund, daß ich euer Fürst sei. Schon dieses Bewußtsein, daß er aus göttlichem Auftrag sein Zepter führe, giebt ihm den Muth, zu jenen Worten noch hinzuzufügen: „Der Herr höret mich, wenn ich ihn anrufe.“ „Zürnet ihr,“ spricht er weiter, „so sündiget nicht,“ wie ihr gegenwärtig thut. In Demuth räumt ihnen David ein, daß es nicht ohne Grund geschehe, wenn sie ihm zürnten; nur weiset er ihren Zorn in die rechten Schranken. Ein heiliger Zorn soll er sein. Er ertheilt ihnen einen Rath: „Redet mit euerm Herzen auf eurem Lager und schweiget.“ Dies that er in diesem seinem Nachtliede eben selbst. In der Stille, und nicht in stürmischen wild empörten Volksversammlungen, sollen sie, so bemerkt hier der Ausleger des Psalmes, dessen wir schon gedachten, gesammelt in sich gehn, und noch einmal überlegen, was sie sich unternommen haben, ob sie dann nicht etwa nüchtern und anderen Sinnes werden möchten. - Ein Zweites, was den König aufrecht hält in seiner Bedrängniß ist die Gewißheit, daß der Weg der Empörer Gott dem Herrn nur ein Greuel sein könne. Er ruft ihnen zu: „Opfert Opfer der Gerechtigkeit, und vertrauet auf den Herrn,“ und zielt damit unverkennbar auf das heuchlerische Opfer, mit dem sie ihre Empörung eingeleitet hatten, indem er sie zugleich an das Wort Samuels erinnert: Gehorsam ist besser denn Opfer! Zugleich deutet er ihnen mit jenen Worten an, daß die Hoffnung, die sie unter Verleugnung Gottes ans ihre menschliche Uebermacht und ihre irdischen Hülfsmittel setzten, eitel sei, indem die unerläßliche Bedingung alles Heils und aller göttlichen Hülfe in der vertrauensvollen Hingebung an den Herrn beruhe, wie der Herr selbst gesagt habe: „So ihr mich von ganzem Herzen suchet, so will ich mich von euch finden lassen.“ Gin Drittes endlich, das den König nicht verzagen läßt, ist das Bewußtsein, daß es an der wesentlichen Bedingung, an welche aller göttliche Gnadenbeistand geknüpft sei, nemlich an dem kindlichen Vertrauen zu dem Herrn, ihm nicht mangele. „Viele,“ spricht er, „sagen (in der Verzweiflung des Unglaubens): Wer wird uns Gutes schauen lassen? Ich sage dagegen: Erhebe, o Herr, über uns das Licht deines Angesichtes!“ Wer verkennt hierin die Anspielung auf den aaronitischen Segen, mit dem die Gemeine des Herrn bis an den heutigen Tag gesegnet wird? Der Sänger giebt seiner Hoffnung zur göttlichen Gnade erneuerten Ausdruck, und läßt uns merken, wie getröstet er sich durch die Gnade des Herrn fühle. „Du Herr gibst Freude in mein Herz,“ spricht er, „eine reichere, als die ihrige,“ (nemlich diejenige der Feinde) „zu der Zeit, da sie des Mostes und des Korns die Fülle haben.“ Unleugbar schweben ihm hier die Liebesgaben vor, mit denen eben erst die Getreuen aus der Ferne ihn überrascht, und ihm eine so große Freude bereitet hatten. Denn auch in diesem Begegniß erschaute er nur einen hoffnungstärkenden Friedensgruß seines Gottes, einen Gruß, für den die Feinde ja kein Ohr besäßen. O, wie wird dem Könige je länger je mehr so leicht und wohl ums Herz! „Im Frieden,“ so lautet der Schluß seines Nachtliedes, „will ich mich niederlegen, und werde sänftlich entschlummern: denn du, Jehova, schaffest, daß ich sicher wohne!“ Getrost bettet er sein Haupt zur Ruhe, und schläft sanft und sorgenfrei wie ein Kind am Herzen seines Gottes ein. Wir aber scheiden von seinem Zelte mit dem Psalmwort eines seiner Geistesgenossen: „Der dich behütet, schläft nicht. Siehe der Hüter Israels schläft und schlummert nicht. Der Herr behütet dich. Der Herr ist ein Schatten über deiner rechten Hand!“ -

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