Krummacher, Friedrich Wilhelm - II. Der Saitenspieler.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - II. Der Saitenspieler.

Wenn wir die wesentliche Weisheit, welche Johannes in seinem Evangelium das Wort nennt, das im Anfang bei Gott war, und durch das, ehe es Fleisch ward, alle Dinge geschaffen wurden, Spr. Sal. 8, 31 sagen hören: „Da Gott den Grund der Erde legte, war ich der Werkmeister bei ihm und spielete auf dem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern“, „so legt sich's uns nahe, bei dem „Ich spielete“ an das sinnvolle Bilderbuch zu denken, zu welchem sich unter ihrer himmlischen Bewirkung für Alle, die ein Auge dafür haben, die Schöpfung gestalten mußte. Von der Sonne, der Königin des Himmels, und dem Monde, der durch sie ihr Licht erhält, bis zu dem Thautropfen der Morgenröthe herab, der den Halm befruchtet, und dem Zwiefalter, welcher mit schimmerndem Flügelpaar dem Tode der Larve sich entschwingt, ist die ganze Natur von einer Symbolik durchwoben, die als Trägerin hehrer Gedanken über die irdische Welt hinaus und in ein ewiges Reich hinüberdeutet. Und wie die Natur, so die Geschichte, die heilige zumal, in der nicht selten auch die historisch geringfügigste Thatsache einen tieferen, sei es lehrhaften oder gar prophetischen Sinn für den, der hier die Räthsel zu lösen versteht, in sich schließt. Wie sinnig spielte u. A. die göttliche Weisheit schon frühe um das Geburtsörtlein unseres Heilandes her, welches zuerst „Ephrata“, d. i. das fruchtbare, nachmals „Bethlehem“, d. i. das Haus des Brodes hieß, und in diesen Namen schon auf das: „Ich bin das Brod vom Himmel gekommen“ hinwinken mußte. Gleich bedeutungsvoll war es, daß die Aeltermutter Israels, die Rahel, auf dem Wege nach Bethlehem starb, und damit unbewußt das Ziel bezeichnete, nach welchem die Sehnsucht ihrer Kinder, mochten immerhin auch sie, bevor sie's erreichten, zu Grabe kommen, fast zwei Jahrtausende hindurch sich ausstrecken würde. Später ward zu Bethlehem, wie uns bekannt, unter hochklingenden Segenswünschen zwischen einem israelitischen Ackersmann und einer Heidin aus der Moabiter Lande ein Ehebund geschlossen: wieder ein heiliger Buchstabe, welcher weissagte, daß diesem Bunde einst derjenige entsprießen werde, welcher berufen sei, die Scheidewand zwischen Juden und Heiden abzubrechen, und Alles, was nur ein Menschenantlitz trage, mit dem Bande einer heiligen Liebe zu umziehen. Endlich schwebt in einer trüben Zeit von den Hügeln Bethlehems sogar ein harmonisches Tonspiel zu uns herüber, vor dessen wunderthätigem Wohllaut nicht allein Wolken einer düsteren Schwermuth sich zertheilen, sondern sogar, zur Veranschaulichung derjenigen Macht, die einst das Evangelium von Christo ausüben werde, die Geister des Abgrunds das Feld räumen müssen. Jenen Wunderklängen werden wir heute zu lauschen Gelegenheit finden. -

1 Sam. 16, 23. Wenn nun der Geist von Gott über Saul kam, so nahm David die Harfe und spielte mit seiner Hand; alsdann erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm.

Zum ersten Male sehen wir den David heute aus seinem Stillleben in die Oeffentlichkeit treten, und schon dämmern leise Züge des großartigen Vorbildes an ihm auf, welches in fortschreitender Entfaltung in seiner Person der Hoffnung der Sinnigeren in Israel sich darstellen sollte. Sein erster Schritt aus der ländlichen Verborgenheit heraus führte ihn in die Nähe des Herrscherthrones, zu dem er bisher, als der geringsten Unterthanen einer, nur mit einem Schauer der Ehrfurcht emporgeblickt hatte. Sehen wir, wie er zu Saul dem Könige kam, und dann, was er an des Königes Hof erlebte. -

1.

Reich an Macht und Siegesruhm führt Saul das Zepter über Israel: aus der Ferne angesehn der Glücklichsten auf weiter Erde einer, bei Nahem in all seiner Herrlichkeit ein armer, beklagenswerther Mann. Dies ist er nicht, weil ihm, wie schon so manchem seines Standes, der Undank und die Verkennung Seitens des Volks, oder sonst ein unverschuldetes Verhängniß den glanzumstrahlten Königsweg zum „thränenreichen“ und „thränenwerthen“ machten. Wird doch den Großen der Erde der Wein ihres sogenannten Götterglücks nur selten ungemischt gereicht. Was verschlägt's jedoch, wenn das Bewußtsein sie hebt, es mit ihrem Volk, treu gemeint und redlich mit Gott und vor Gott des Landes Wohl gesucht zu haben. Wie reichlich fließen ihnen dann die Trostesquellen vor Allem in Gottes Wort, und nebenbei in dem Vorgange so mancher ihrer edlen Standesgenossen, deren Friedenssaaten erst über ihren Gräbern zu sprießen begannen, und die Anerkennung, die man ihnen bei Leibesleben schnöde vorenthielt, in überschwänglicher und unvergänglicher Fülle ihnen nachbrachten. Mit Saul verhielt sich's aber nicht also. Beachtet das düstre Gewölk, das seine Stirn umschattet. Was ist's, das ihn drückt, und ihm das Leben vergällt? Der Grund seines tiefen Mißbehagens liegt nicht in dem Verhalten seines Volkes, das vielmehr nach seinen Siegen über Philister und Amalekiter mit neuer Hingebung ihm anhing, und wohin er es führte ihm willig, ja begeistert folgte; sondern in seiner inneren Stellung zu Gott, bei dem er sich nicht mehr in Gnaden wußte, und zu welchem er statt mit kindlichem Vertrauen, nur noch scheu und mit knechtischer Furcht hinaufsah.

Man könnte dies unglaublich finden, nachdem man Zeuge der Segensverheißungen war, womit einst Samuel den König überschüttete. Hörte man doch den Propheten zu ihm sagen: „Der Geist des Herrn wird über dich kommen, und du wirst ein anderer Mann werden.“ Ja bezeugt doch sogar die Geschichte von ihm: „Gott gab ihm ein ander Herz;“ und begegnete man ihm doch selbst einmal inmitten der frommen Prophetenschüler, und hörte ihn begeistert mit einstimmen in deren Lobpreisungen des Gottes Israels. Aber Gott kann einem Menschen des Schönen und Schätzenswerthen Vieles widerfahrenlassen, ohne ihm damit zugleich ein Zeugniß seines Wohlgefallens an seiner Person auszustellen. Er kann eines solchen Menschen lediglich als eines Werkzeugs sich bedienen wollen und ihn nur in dieser Eigenschaft um des Wohls Andrer willen, und ohne ihn dadurch zu ermächtigen, seinen Namen im Himmel angeschrieben zu glauben, mit der einen oder andern Geistesgabe bedenken. So verleiht er manchem Herrscher die Gaben der Weisheit, der Tapferkeit, des Muthes; manchem Prediger diejenigen des theologischen Wissens, des kirchlichen Regiments, des beredten Wortes, ohne dem also Ausgerüsteten damit die Folgerung auf seine göttliche Kindschaft zu gestatten. Der Zuruf: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ gilt allein denen, die gebrochenen Herzens sind, in entschiedenem Zwiespalt mit der Sünde stehn, und als von Grund der Seele dem Herrn Dienende sich erfinden lassen. An Saul vermissen wir diese Signatur. Wenigstens ist sie an ihm in sichtlichem Erlöschen begriffen.

Was sich Betrübendes ereignet hat, ist uns bekannt. Schwer hat der König sich versündigt. Als Samuel ihm sein Uebertreten vorhielt, trat die ganze Unlauterkeit seines Charakters zu Tage. Sein Bemühen ging einzig dahin, aus den wider ihn erhobenen Anklagen durch allerlei schlau ersonnene Vorwände sich herauszulügen , und als er diese Versuche scheitern sah, lag ihm nur noch die Sorge am Herzen, wie er seine Ehre bei den Menschen retten könne. Hätte er jetzt doch, statt den Samuel, wie er that, kriechend um die Fortdauer seiner Gunst anzuflehn, reumüthig sich an die Brust geschlagen und fußfällig den Allmächtigen um Vergebung angerufen. Er wäre gerettet gewesen und in der That „ein anderer Mann“ geworden, indem der Geist Gottes, der ihm ja verheißen war, die Obmacht in ihm gewonnen hätte. Aber wann war er jemals dem Herrn recht traulich und offenen Herzens genaht? Und mit schuldbeladenem Gewissen sollte er jetzt vor ihm erscheinen? Würde er auf Gehör und gnädige Aufnahme rechnen dürfen? Er würde es ohne Zweifel, träte, er nur mit den Thränen einer aufrichtigen Buße an ihn heran. Den „Leidtragenden“ sind die Thore der Wohnung Gottes jederzeit geöffnet. Was immer für eine Schuld sie drücke, sie werden inne werden, daß „bei unserm Gott viel Vergebung sei.“ Aber Saul war dieser einer nicht. Das Schuldbewußtsein theilte er mit den „geistlich Armen“; nicht aber die „Reue, die Niemanden gereuet.“ Wie ferne lag ihm das flehentliche „Herr, gedenke mein!“ des Schächers am Kreuz, und vollends das dringend und demüthig bettelnde Wort der Kananäerin: „Ach Herr, essen doch auch die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen!“ War es Stolz oder Verzagtheit, selbstgerechter Trotz oder geheime Verzweiflung, was den Mund ihm schloß, während ein ungeheucheltes Bekenntniß ihn ewig hätte retten können? Es war, wie es scheint, ein finsteres Gemisch aller jener Affekte, was ihm das Herz verschloß und verhärtete. Selbst die furchtbare Strafandrohung des Propheten: „Weil du Gottes Wort verworfen hast, so hat Gott auch dich verworfen, daß du nicht mehr König seist,“ traf ihn nur wie ein kalter Wetterschlag, erschütternd, aber ohne ihn zu zerschmelzen. Statt durch dies Donnerwort sich bestimmen zu lassen, zerknirscht das Angesicht des Herrn zu suchen, wich er wie weiland Kam und nachmals Judas Ischarioth flüchtig und scheu nur noch weiter vor ihm zurück. So widerfuhr ihm denn auch endlich, was einst dem unglückseligen Apostel. Durch Gottes richterliche Zulassung gewann der Satan Gewalt über ihn. „Der Geist des Herrn,“ berichtet die Geschichte, „wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn kam über ihn.“ Diese Worte sind nicht bildlich und etwa nur als Bezeichnung einer Anwandlung des Trübsinns, oder einer Ueberschattung durch eine gesteigerte Schwermuth zu verstehn, sondern in dem eben bezeichneten Sinne, nach welchem hier eine unheimlichere Sphäre, als die einer natürlichen Melancholie sich vor uns aufthut. Die Macht der Finsterniß, welche persönlich ist und in Seelenzuständen wie der, in welchem Saul sich befand, ihren Operationen Thor und Thür geöffnet findet, wirkte vorwiegend dazu mit, die verhängnißvolle Kluft zwischen dem Könige Saul und dem ewig Thronenden in der Höhe noch mehr zu vertiefen, ja die Gottentfremdung des unglückseligen Mannes nach und nach bis zum dämonischen Gotteshasse zu steigern.

Was Wunder drum, daß wir den König heute in einer inneren Verfassung betreffen, die uns den einst so lebensfrischen und thatkräftigen Mann kaum mehr wiedererkennen läßt. Sein Auge sieht starr, sein Mund ist krampfhaft verbissen, und aus allen seinen Zügen spricht ein tiefer, bitterer Groll und Unmuth. Wie könnte er auch Frieden haben, nachdem er mit Gott und der Welt zerfallen ist? Verdammt will er nicht sein, und doch sagt ihm die Stimme des Richters in seiner Brust: „Du bist's!“ Mit aller seiner Kraft und allen Künsten des Selbstbetrugs ist er bestrebt, den Verklägern in ihm und außer ihm zum Trotz vor Gott und Menschen sich zu behaupten. Wen sollte dieses Unglückseligen nicht jammern? O bräche er doch durch alle Widerstände in seinem Innern hindurch, und würfe sich mit dem Nothschrei Hiobs: „Ich schuldige mich und thue Buße im Staub und in der Asche“ auf Gnade und Ungnade dem Richter der Lebendigen und der Todten in die Arme! Ihm wäre vor Thorschluß noch geholfen. Aber zu solcher Hoffnung scheint kein Grund mehr vorhanden. Das Gift einer heillosen Erbitterung ist ihm schon in's Mark und Blut gedrungen. Er ist verloren.

Die Schwermuth des Königs lagerte sich natürlich wie ein drückender Alb auch über die Seelen des ganzen Hofgesindes, ja verbreitete ihre trüben und beklemmenden Schatten selbst noch über seine nächste Umgebung hinaus. „Wenn des Königs Angesicht freundlich ist,“ sagt ein salomonischer Spruch, „das ist Leben; aber des Königs Grimm ist ein Bote des Todes.“ Fast dem ganzen Lande machte sich Letzteres fühlbar. Die Königlichen Diener beriethen hin und her, wie sie ihren hohen Herrn, dessen Palast jetzt mehr einer düstern Trauerklause, als einem stolzen Herrschersitze ähnlich sah, von seinem unheimlichen Grauen befreien möchten. Die gewöhnlichen Zerstreuungsmittel: Prunk, Glanz, Gelage, Schaustellungen, Reigentänze und was deß mehr, versagten den Dienst. Da kam ihnen endlich wie man zu sagen pflegt ein „glücklicher Einfall.“ Sie erschienen vor ihrem Herrn und sprachen: „Siehe, ein böser Geist von Gott macht dich unruhig. So sage nun unser Herr zu seinen Knechten, die vor dir stehn, daß sie einen Mann suchen, der auf der Harfe wohl spielen könne, auf daß, wenn der böse Geist von Gott über dich kommt, er mit seiner Hand die Saiten rühre, und es dann besser mit dir werde.“

Welche Sprache dies! Nöthigt uns der Scharfblick dieser Leute, die bei der Beurtheilung der Schwermuth ihres Gebieters nicht auf der Oberfläche sich bewegen, sondern in die Tiefe dringen, nicht Verwunderung ab? Staunen wir nicht über die weitreichende Erleuchtung, welche sie hier auch schon in ihrem Wissen um das Dasein einer gefallenen Geisterwelt, deren Jehova sich nicht selten bald zur Prüfung seiner Frommen, bald zur Züchtigung der Frevler zu bedienen pflege, zu Tage geben? Müssen wir nicht aus ihren Worten schließen, daß sie auch schon das Buch Hiob kannten, und zwar als einen Bestandtheil ihres heiligen Bibelkanons? Und an seiner Bibel hielt der Israelit, auch wenn ihm das geistige Leben abging und sein Wandel von derselben gerichtet wurde, unter allen Umständen fest. Die Aussagen Mosis und der Propheten waren ihm in höchster Instanz entscheidende Orakelsprüche, und Entsetzen hätte es ihm eingeflößt, wenn Jemand das, was seine heiligen Schriften bezeugten, hätte in Frage stellen oder gar verneinen wollen. So tief wurzelte in dem Samen Abrahams der Glaube an den göttlichen Ursprung und die unfehlbare Autorität seines heiligen Buches: ein Glaube, der den Israeliten freilich dadurch wesentlich erleichtert wurde, daß sie selbst die beständigen Augen- und Ohrenzeugen der Kräfte und Zeichen waren, durch welche Gott bald hie bald da die Werkzeuge seiner Offenbarungen, die Seher und Propheten, legitimirte. Was wir weiter an den Hofbeamten Sauls bewundern, ist zuerst die Klarheit, mit der sie in dem trostlosen Zustande ihres Gebieters die dämonische Einwirkung erkannten, dann die freilich mit der tiefsten* Ehrerbietung verknüpfte Freimüthigkeit, mit welcher sie, unbesorgt um die Folgen, die aus diesen Schritten für sie erwachsen könnten, vor ihn hintreten und ihre nichts weniger als schmeichlerische Ansichten ihm kundwerden lassen, und endlich das Treffende des Rathes, den sie ihm zu ertheilen sich gedrungen fühlen. Sie preisen ihm als Erleichterungsmittel für sein Gemüth die Macht der Tonkunst an, aber mit weiser Unterscheidung des Geistes, der die Schöpfungen derselben beseele. An Spielleuten war wohl auch in der Hofburg zu Gibea kein Mangel; aber sie schienen den Leistungen nicht gewachsen, deren es hier bedurfte. Die Diener kannten die Macht der Töne wohl, wie sie je nach Beschaffenheit und Art ihres Inhalts nicht minder die heillosesten, als die gesegnetsten Eindrücke hervorzurufen vermöchten. Die verheerendsten Leidenschaften vermag die Tonkunst zu entfesseln; aber auch die wildesten Stürme der Menschenbrust wenigstens für Momente zu zähmen und zu sänftigen. Was irgend Edles ungeahnt und schlummernd in der Menschenbrust verborgen ruht, vermag sie wach zu rufen und zu Tage zu fördern; aber ebensowohl das Verwerflichste aus den Niederungen der menschlichen Natur heraufzuwühlen und dessen Reife zu beschleunigen. Den Dienern des Königs schwebte ein Tonspiel vor, nicht wie es der Welt behagt und nur den Geistern des Unreinen die Thüren öffnet; sondern ein solches, das vermöge einer ihm gewordenen höheren Weihe auf seinen harmonischen Klängen wie auf Engelschwingen die Seele unvermerkt gen Himmel hebe. Sie dachten an das damals feierlichste der Instrumente, an die Harfe, und an die erhebenden Akkorde, wie sie an den Festen Israels im Heiligthume zu ertönen pflegten. Und als der König, freilich wie im Traumwachen, auf den Vorschlag seiner wohlmeinenden Knechte einging, und zu ihnen sprach: „Seht euch denn nach einem Manne um, der es wohl kann auf Saitenspiel, und führt ihn zu mir,“ da bemerkte einer unter ihnen: „Siehe, ich weiß um Einen, der des Saitenspieles mächtig ist. Er ist ein Sohn Isais, des Bethlehemiters, ein rüstiger Mann und streitbar und verständig in Sachen, und schön; und der Herr ist mit ihm.“ Eine willkommene Nachricht dies! Der sie mittheilte, erwies sich dadurch selbst als einen verständigen Mann, daß er diejenigen Eigenschaften seines Empfohlenen in den Vordergrund rückte, von denen er glauben mußte, daß sie bei dem Könige am ersten Anklang finden würden; dagegen dasjenige, was ihm selbst die Hauptsache war, und wovon er vorzugsweise die Erlösung des Königes von seinem Unmuthsdämon erwartete, nämlich die Frömmigkeit seines Harfenisten, und daß der Herr mit ihm sei, erst wie nebenbei am Schluß erwähnte. Uebrigens ist's immer erwünscht, daß Solchen, denen der Beruf geworden, kranke Seelen zu heilen und sittlich Verirrten zurecht zu helfen, neben ihrer Frömmigkeit auch noch anderweitige geistige Vorzüge, die auch bei der Welt Geltung haben, zur Seite stehn, und daß auch von ihnen gesagt werden dürfe, sie seien verständige und einsichtsvolle Leute, Leute von Geist und Gemüth, von gründlicher Bildung und reicher Erfahrung. Es wird dies ihrem Zuspruch den Eingang auch bei Seelen erleichtern, welche bisher, wie sehr sie auch des Rathes und Trostes bedurften, eine unverständige Scheu vor jeder ernsten Gottseligkeit dem Evangelio entfremdete. Geschieht es doch nicht selten, daß auch Solchen, nachdem an dem tiefgewurzelten Trübsinn, von dem sie befallen wurden, alle Erheiterungsrecepte der Weltkinder zu Spott geworden, Seitens ihrer eigenen Sinnesgenossen, ob widerwillig auch, als letztes Heilmittel die Religion empfohlen wird, und daß sie dann auf deren gleichsam in der Verzweiflung und nicht ohne mühsame Selbstüberwindung ertheilten Rath sich entschließen, einen Prediger oder sonst einen gottesfürchtigen Mann, der ihnen zugleich durch seine rein menschlichen Tugenden zusagt, zu sich bescheiden zu lassen. Und wie manchmal schon hat sich alsdann das Evangelium als eine „Kraft Gottes“ erwiesen, die Allem, was die Lebensgeister gebunden halten mag, vollkommen gewachsen ist, und es hat sich dem Wesen nach, nur noch viel nachhaltiger, das wiederholt, was wir heute in der Hofburg zu Gibea sich begeben sehen.

Woher der königliche Diener den jungen damals neunzehnjährigen Saitenspieler zu Bethlehem kannte, wird nicht gemeldet. Uebrigens erhellt schon aus seiner Rede, daß er, der Diener, selbst ein gottesfürchtiger Mensch war, und solche pflegen sich schon, zumal in Zeiten, in denen, wie in der damaligen, Gotteswort theuer im Lande geworden ist, mit ihren Geistesverwandten zu begegnen. Auf des Dieners Mittheilung hin wurden unverzüglich Boten zu Isai abgeordnet, um diesem im Namen des Königes den Befehl zu überbringen: „Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist.“ Wir mögen ermessen, wie diese Botschaft den Isai überrascht haben mag. David weilte damals wieder bei den Heerden des Vaters auf den Feldern. Die Erinnerung an seine einstmalige Salbung durch Samuel ruhte als ein stilles ihm selbst noch unerschlossenes Geheimniß in seiner Seele. In kindlicher Unbefangenheit spielte und sang er, von seinen Schafen und Lämmern umweidet, dem Herrn seine Lob- und Huldigungslieder, und stellte es sorglos Ihm anheim, wie er ihn führen und seine Zukunft ordnen werde. Da wird er eines Tages ohne Angabe des Zwecks plötzlich nach Hause gerufen. Gehorsam treibt er seine Schafe vor sich hin und vernimmt, bei seinen Eltern angelangt, wohl nicht ohne Befremden, doch mit dem Gleichmut!) eines Menschen, der in Einfalt einer Alles lenkenden göttlichen Vorsehung vertraut, wozu er sich anschicken soll. Seinem Könige zu jedem Dienst gewärtig, erklärte er sich bereit, dem Boten nach Gibea zu folgen. Auch Isai, der Vater, wagt nicht, ihm darein zu reden. So werden denn die Anstalten zur Abreise getroffen. Nach morgenländischer Sitte, die nicht erlaubte, einem Fürstenthrone ohne Geschenke zu nahen, schirrt der Vater ein Maulthier auf, beladet es mit Brod und einem Schlauche Weins, fügt noch ein junges Ziegenböcklein hinzu, und mit dieser den einfachen Verhältnissen der damaligen Zeit entsprechenden Huldigungsgabe für seinen Landesherrn entläßt er seinen geliebten Benjamin unter herzlichen und frommen Segenswünschen.

David langt, sein Saitenspiel an einem Schulterbande tragend, zu Gibea an, und wird alsobald dem Könige vorgeführt. Da stehen denn die beiden einander gegenüber wie ein heller Frühlingssonnenschein einer düstern Unheil drohenden Wetterwolke; wie ein blühendes, zukunftsvolles Leben einem finstern dem Todtenreiche entstiegenen Schatten. „Spiele mir!“ herrscht der König ihn an. David neigt sein Haupt und gehorcht, und so lieblich und wunderbar festlich entströmen den Saiten seiner Harfe die Akkorde, daß die schwerumwölkte Stirn des Königs sich zusehends zu erheitern und die strengen Züge seines Angesichtes auffallend sich zu sänftigen und zu mildern beginnen. Lieder ohne Worte sind es, deren rührender Wohllaut zu des Königes Ohren dringt. Ein den Klängen entsprechender Text hätte von dem, was beabsichtigt wurde, das Gegentheil bewirken, und die Verstimmung des Königs nur noch steigern können. Gibt es doch auch gegenwärtig immer noch Menschen seiner Gattung genug, glaubenslose, ja mit Gott und der Welt zerfallene Individuen, welche ebenfalls irgend eine feierliche Melodie aufs mächtigste hinzureißen und vorübergehend wenigstens in Stimmungen, die an Andacht und frommer Rührung grenzen, zu versetzen vermag, während unterlegte Worte, die den frommen Tönen entsprächen, die entgegengesetzte Wirkung in ihnen hervorbringen würden. Was erhellt hieraus, als daß in dem Gemüthe solcher Leute keineswegs schon der letzte Anknüpfungspunkt für Göttliches verrottet ist. Sie mögen aber auf ihrer Hut sein, daß nicht unter fortgesetztem Widerstreben gegen die Gedanken, welchem den Harmonien, an denen sie sich noch erlaben, unausgesprochen wiedertönen, auch die letzten Saiten, in denen in ihrem Innern das Himmlische noch leise anklingt, vollends reißen, und ihre Abneigung gegen Letzteres in entschiedenem und unheilbarem Widerwillen gegen Alles, was von oben stammt, sich vollendet.

Davids Harfenklänge hatten in der That für den Augenblick mindestens wahre Wunder gewirkt. Der König athmete zur nicht geringen Freude seiner Umgebung wieder freier und erschien milder und heiterer gestimmt, als man ihn seit lange gesehen hatte. Und öfter noch, wenn die alte Schwermuth seine Seele wieder zu umwölken begann, erzielte das Saitenspiel des Hirtenjünglings denselben erfreulichen Erfolg. Was Wunder, daß Saul den jungen Harfner lieb gewann? Er sandte zu Isai und ließ ihm sagen: „Dein Sohn bleibe bei mir, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen;“ ja, Sauls Gnade erstreckte sich so weit, daß er den Bethlehemiter in die Zahl seiner Edelknaben und Waffenträger aufnahm. Die Geschichte meldet: „Wenn der Geist von Gott“ (d. h. der Geist, der unter Gottes geheimnißvoller richterlicher Zulassung ihn erfaßte,) „über Saul kam, nahm David die Harfe, und spielte mit seiner Hand; alsdann erquickte sich Saul; es ward mit ihm besser, und der böse Geist wich von ihm.“ Die letzten Worte befremden uns. „Die Akkorde,“ fragen wir, „bannten den Dämon?“ - Nicht so. Die höhere Stimmung aber, in welche der König durch sie versetzt ward, genügten, dem Argen den Spielraum für seine Einwirkungen auf des Königes Gemüth mindestens zu beschränken, während an einem vollen, klar bewußten Glaubensleben Sauls die Macht des bösen Geistes gänzlich gescheitert sein würde. Uebrigens werden die stillen Fürbitten, welche David auf den Flügeln seiner Harfentöne gen Himmel sandte, nicht wenig zu den Erfolgen beigetragen haben, mit welchen die Melodien gekrönt wurden. Gottes Absicht ging dahin, dem Könige in der Sendung Davids noch ein neues und letztes Gnadenmittel darzubieten. Er sollte inne werden, was ein kindlich frommer Mensch, wie der Hirtenknabe, mit Gottes Hülfe über alle Mächte der Finsterniß vermöge, und auf dem Wege solcher Erfahrung sollte er selbst die Frömmigkeit lieb gewinnen. Leider! aber blieben alle Heilsversuche, auch der letzte, an dem unglückseligen Manne fruchtlos. Sein Herz verstockte sich mehr und mehr.

Einer unserer großen weltlichen Dichter hat geahnt, welch' eine erhebende, ja heiligende Macht einer gottgeweihten Musik innewohnen könne, indem er den Helden seiner Dichtung durch einzelne aus einer benachbarten Cathedrale in seine Zelle herüber schwebende Akkorde eines festlichen Kirchenchors von einem Anfall schwärzester Gedanken errettet werden läßt. Nur hat der Dichter die volle Harmonie nicht verstehen wollen, vor deren Gewalt nicht nur vorübergehend, sondern stetig alle bösen Geister weichen müssen. Es ist dies die Harmonie des heiligen Evangeliums, für die aber erst im Herzen des Lauschenden die Akustik geschaffen werden muß, was lediglich vermittelst der Buße und des erwachenden Heilsbedürfnisses geschieht. Dann kann im Himmel und auf Erden Beschwichtigenderes und Erhebenderes nicht vernommen werden, als was aus dem geistigen Saitenspiel der Evangelisten und Apostel uns antönt. Hier umschwebt uns eine Harmonie, die jeden Mißklang in uns bewältigt und verstummen macht.

Lassen wir schließlich Gottes anbetungswürdige Weisheit auch in dem Umstande nicht außer Acht, daß er den David schon so frühzeitig dem Throne nahe brachte, den er einst selbst besteigen sollte. Da ward ihm Gelegenheit mit noch unbefangenem Blick das Hofleben nach seinen verschiedensten Seiten hin sich anzusehen und die zahllosen Gefahren kennen zu lernen, die dasselbe für Alle, die die Luft dieser Sphäre athmen, mit sich führe. Es entschleierte sich ihm da der Pfuhl von Lug und Trug, von Schein und Heuchelei, der die „Götter der Erde“ zu umgeben pflegt, und flößte ihm für sein ganzes künftiges Leben einen gründlichen Widerwillen gegen alles in Schmeichelei und Augendienerei ersoffene Hofschranzenthum und eine entschiedene Vorliebe für ehrliche und getreue, ob auch minder geglättete Räthe und Diener ein. Zugleich bestärkte ihn, freilich in erschütterndster Weise, der Vorgang Sauls in der Ueberzeugung, daß die landläufige Meinung, als erhebe eine Königskrone auf den Gipfel aller Erdenseligkeiten, nur ein Wahn, dagegen die Furcht Gottes wie „aller Weisheit Anfang“, so auch der einzig sichere Unterbau jedes wahren Glückes im Palast wie in der Tagelöhnerhütte sei. Der erste der auf uns gekommenen Davidischen Psalmen mag aus den Erfahrungen, die der Sänger schon damals gesammelt, erwachsen sein. Schließen wir mit ihm unsere diesmalige Betrachtung. Er lautet: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rathe der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Spötter, sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetze Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum, gepflanzet an, den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht und was er macht, das geräth wohl. Aber so sind die Gottlosen nicht; sondern sie sind wie Spreu, die der Wind verstreuet. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergehet.“

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