Krummacher, Friedrich Wilhelm - X. Neue Gotteshülfen.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - X. Neue Gotteshülfen.

„Du nöthigst Gott so oft, und läufst doch immer aus;
Wenn er dich dann besucht, so bist du nicht zu Haus,“

Wie wahr ist dieses Wort des frommen Dichters! Wer, der überhaupt betet, fühlt von demselben sich nicht getroffen? Und wer wäre, der nicht wenigstens je zuweilen betete? Auch dem Ungläubigsten wird, wenn ihm die Trübsalswasser bis an die Seele dringen, nicht selten ein unwillkührliches: „Herr Gott, so erbarme du dich meiner doch“! abgedrungen. Aber wie diesen, so widerfährt es auch oft genug den Frommen, daß sie, wenn nun die erbetene Hülfe wirklich eintritt, von der natürlichen Freude über dieselbe so gänzlich benommen werden, daß sie ihres Gebetes nicht mehr gedenken, und in der erfahrenen Hülfe die Gnadenthat göttlicher Erhörung gänzlich übersehen und verkennen. Selbst ein Hiob, dem das ehrende Zeugniß ertheilt wird, daß er „ schlecht und recht und gottesfürchtig“ gewesen sei, und „das Böse gemieden habe,“ sieht sich zu dem Geständniß genöthigt, daß auch er von solcher Unart sich nicht frei wisse. „Wenn ich zum Herrn rief,“ spricht er Kap. 9, 16, „und er antwortete mir, so wollte ich doch nicht glauben, daß er meine Stimme hörte.“ Freilich war das, wessen Hiob sich anzuklagen hatte, weniger ein leichtfertiges Uebersehen der erfahrenen Erhörung, als vielmehr eine falsche Demuth, in der er sich zu geringe deuchte, als daß der Gott der Götter auf seine Stimme merken sollte. Nichtsdestoweniger traf auch ihn der Vorwurf des obigen Versleins. Kam der Herr auf seinen Hülferuf, so war er „nicht zu Hause,“ um ihn in Ehrfurcht zu empfangen, und ihm auf den Knieen den schuldigen Dank zu stammeln. Wenn der Sänger des 119. Psalms spricht: „Oeffne mir die Augen, daß ich schaue die Wunder deines Gesetzes,“ so dürften wir Ursache haben, für uns hinzuzufügen: „und daß ich erkenne deine Führungs- und Regierungswunder.“ Unser Leben ist an solchen reicher, als wir's selbst auch nur ahnen. Wir thun darum wohl, den der Gemeine zu Laodicäa ertheilten Rath zu Herzen zu nehmen: „Salbe deine Augen mit Augensalbe, auf daß du sehend werdest!“

Nach diesem Vorworte treten wir nun wieder in das Leben Davids ein.

1.

1 Sam. 23, 14. Saul aber suchte den David immerdar; aber Gott gab ihn nicht in seine Hände. 1 Sam, 24, 5. Und David stand auf und schnitt leise einen Zipfel vom Mantel Sauls.

Wir sehen unsern Flüchtling heute auf's neue schwer bedroht, und zwar zu Kegila, in der Haide Siph, und in der Wüste Engeddi. Gereiche die Betrachtung der Scenen, deren wir dort Zeugen sein werden, zur Stärkung unsres Glaubens!

Wir ließen den Sohn Isais mit seiner Männerschaar im Walde Hareth zurück. Dort suchen wir ihn wieder auf. Wie wir aber dem Haine uns nähern, tönt uns daraus das Feldgeschrei: „Nach Kegila!“ entgegen. Die Philister haben in der That diese den Grenzen ihres Landes nahe gelegene Stadt des Stammes Juda überfallen, und die mit der erst kürzlich eingeheimsten Erndte gefüllten Scheuern und Tennen geplündert. Saul verzögerte die Vertheidigungsmaßregeln wider die räuberischen Horden; ja schien die getreue Stadt den letzteren ohne Weiteres preisgeben zu wollen. Was galt's da zu thun? Diese Frage trat dringend an Davids Herz heran. Er war ein Feldoberster des Königs. Griff er die Feinde an, so geschah es unter des Königes Banner, und für den König und das Vaterland. Freilich ohne königlichen Befehl. Durfte er darum doch des Glaubens leben, mit Gottes Genehmigung das Schwert zu ziehen? Es verstand sich ihm dies durchaus nicht von selbst; vielmehr verlangte ihn darüber nach einer unfehlbaren Entscheidung. Aber wie zu einer solchen gelangen? Glücklicherweise hatte er jetzt nicht allein den Propheten Gad, sondern auch den Hohenpriester Abjathar zur Seite, diesen Vertrauten Jehova's und vornehmsten Vertreter der Theokratie nächst dem Könige. Da sich's nun um eine höchst wichtige Angelegenheit des Reiches Gottes handelte, so ziemte es ihm wohl, den Herrn durch das „Urim und Thummim“ (das „Licht und Recht“, wie unser Luther dolmetscht,) für sich befragen zu lassen. An die Erforschung des eigentlichen Wesens dieses geheimnißvollen Offenbarungsmittels, und der Art und Weise, wie es gehandhabt wurde, ist von jeher der Mühe und des Fleißes viel verwendet worden; aber bis jetzt ohne befriedigenden Erfolg. Das Urim und Thummim war nicht, wie Manche meinten, das priesterliche Brustschild mit seinen zwölf Edelsteinen selbst; sondern ein Etwas, welches im Innern dieses Schildes, das eine Tasche bildete, verborgen war. Was wir uns aber darunter zu denken haben, ob den Namen Jehova, ob ein heiliges die Gegenwart Gottes verbürgendes Sinnbild, wie im Tempel die Bundeslade und das Cherubinenpaar darüber, oder was etwa sonst, wer entscheidet's? Israel aber, welches noch nicht, wie wir, im Namen Jesu zu beten vermochte, bedurfte für seinen Glauben, daß Gott, der Hocherhabene, auf die Stimme armer Sünder achte, noch sehr der äußerlichen Stützen, und zu einer solchen diente ihm, wie das göttlich eingesetzte vermittelnde Priesterthum überhaupt, so insbesondere jenes dem Hohenpriester in dem Urim und Thummim als sichtbares Unterpfand der leutseligen Nähe Gottes von Gott selbst beigelegte, geheimnißvolle Kleinod. Indem der Hohepriester das Schulterkleid mit demselben anlegte, bekannte er sich vermöge dieser Handlung auf's neue in Vertretung des ganzen Volkes stillschweigend zu dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs, und bezeugte damit zugleich sein Vertrauen zu der gnadenreichen Herablassung desselben zu den Sündern. Und Gott besiegelte diesen seinen Glauben, indem er sich ihm durch eine innere Einsprache seines Geistes offenbarte, der ganzen Gemeine zum Zeugniß, daß er zur Stelle sei, und Gehör schenke, wo ihm in Aufrichtigkeit die ihm gebührende Ehre gegeben werde. Uebrigens waren die göttlichen Mittheilungen durchaus nicht an die Vermittlung des Urim und Thummim gebunden. Wie manchmal offenbarte sich der Herr dem David auch unmittelbar und ohne jeden priesterlichen Dazwischentritt auf sein Gebet. Aber die Gegenwart der in jenem heiligen Geräthe gleichsam verkörperten Gottesverheißung gereichte dem Glauben derer, die nach Aufschluß aus der Höhe verlangten, stets zu einer wesentlichen Stärkung; und so gereichte es auch damals, als es sich in Betreff Kegilas um eine sehr wichtige Entscheidung für David handelte, diesem zu nicht geringem Troste, den Gesalbten des Herrn mit dem ihm die Geneigtheit Jehovas zur Ertheilung des begehrten Rathes verbürgenden Heiligthume in seinem Lager und Gefolge zu wissen.

Auf Davids durch den Priester an den Herrn der Heerschaaren gerichteten Frage: „Soll ich hinziehen und die Philister schlagen?“ ward ihm die göttliche Antwort: „Zeuch hin, du wirst die Philister besiegen und Kegila retten!“ So war er denn seiner Sache gewiß und fühlte sich vollkommen beruhigt. Vernahm er doch jetzt den Tagesbefehl aus dem Munde dessen, der ein unendlich Höherer war, als der menschliche Statthalter auf dem irdischen Throne. Werden nun aber auch die Männer, seine Freunde, ihm folgen wollen? Einen Augenblick sehen wir sie schwanken. „Siehe,“ sprechen sie, „hier in Juda schon fürchten wir uns, und nun wollen wir gar gen Kegila ziehn zum Zeuge der Philister?“ Und David fragte abermals in ihrer Aller Gegenwart den Herrn, und die Antwort durch den Mund Abjathars lautete auf's neue bestimmt und unzweideutig: „Auf, zeuch hinab gen Kegila; denn ich, der Herr, will die Philister in deine Hände geben!“ Nun schwanden auch den Gefährten die letzten Bedenken. Der Marsch wird angetreten. Ohne auf Widerstand zu stoßen, langen sie im Weichbilde von Kegila an. Hier aber stellt sich plötzlich der Feind in voller Rüstung ihnen gegenüber. Es entspinnt sich ein wilder, blutiger Kampf. Die Philister, die ohne Zweifel die Zahl der Angreifenden überschätzten, werden in die Flucht geschlagen, ihrer Viehheerden und andern Vorraths beraubt, und über die nahe Grenze ihres Landes zurückgeworfen. So war Kegila gerettet und frei.

Nachdem aber der Herr in diesem Triumphe seinem Knechte David ein neues Unterpfand seiner göttlichen Huld und Gnade gegeben, sah sich auch Davids kleine Freischaar hoch ermuthigt, und binnen Kurzem um einen Zuzug von zweihundert streitbaren Männern aus Israel verstärkt.

David gedachte nun eine Zeitlang in der wiedereroberten Stadt zu verbleiben, weil er sich in ihr um so gesicherter glauben durfte, je größere Ansprüche er sich auf die Dankbarkeit ihrer Bewohner erworben hatte. Wirklich trat einmal wieder eine Friedenspause in seinem sturmbewegten Leben ein. Er fühlte sich wohl in Kegila, zumal nachdem auch der Hohepriester Abjathar mit dem Ephod, dem heiligen Gewande, ihm dorthin gefolgt war. Aber die Ruhe war nur eine kurz dauernde. Bald drohte neues Unheil. Man lasse sich's aber nicht zu sehr befremden, daß der Herr über den „Mann nach seinem Herzen“, so Schweres verhängte, und ihn aus einer Fährlichkeit in die andere gerathen ließ. Es war dies die Schule für den künftigen König, und der Herr gewann dadurch Raum, ihn durch stets erneuerte Wunderhülfen immer deutlicher als den Mann seiner Wahl zu kennzeichnen, und schon jetzt die Herzen des Volkes ihrem künftigen Herrscher zuzuneigen.

Was war es aber, das den David auf's neue bedrohte? Saul erhielt Nachricht von dem glorreichen Siege, den der junge Held bei Kegila abermals über den Erzfeind Israels davongetragen hatte. Diese Botschaft aber war so wenig geeignet, den König milder gegen den Sieger zu stimmen, daß sie vielmehr nur der dämonischen Wuthflamme des eifersüchtigen und verbissenen Monarchen neue Nahrung zutrug. „Gott der Herr,“ rief er aus, „hat den Verräther jetzt in meine Hände gegeben. Er ist in die Falle gegangen. Wir haben ihn in einer Stadt, die mit Thoren und Riegeln verwahrt ist!“ Er sprach's und erließ unverweilt an seine Heeresmacht den Tagesbefehl: „Auf jetzt, zum Streit nach Kegila! Belagert und berennet die Stadt, und schont meines Feindes und seiner Spießgesellen nicht!“ - David erfuhr, was wider ihn im Anzuge sei. Was aber beginnen? Hier galt es wieder, den Herrn zu fragen. Abjathar muß abermals im Priesterkleide mit dem Licht und Recht herzu. Er erscheint, und David nimmt zuerst betend das Wort. „Herr Gott Israels,“ fleht er, „dein Knecht hat gehört^ Saul trachte darnach, daß er gen Kegila komme, die Stadt zu verderben um meinetwillen. Werden mich die Bürger zu Kegila überantworten in seine Hände, und wird Saul selbst herabkommen, wie dein Knecht vernommen hat? Dies, Herr, du Gott Israels, verkündige deinem Knechte!“ - So David. Und die Antwort des Herrn? Sie lautete durch Abjathars Mund; „Er wird herabkommen!“ Zum andern Male fragte David: „Werden aber die Bürger zu Kegila mich und meine Männer überantworten in Sauls Hände?“ Der göttliche Bescheid lautet: „ja, ein solcher Frevel ist in ihrem Herzen.“ So wußte nun David, es sei Zeit zur Flucht. „Auf's neue zur Flucht?“ Zu was Anderem doch? Hätte sich David mit Waffengewalt wider seinen König und Herrn setzen sollen? Nimmermehr! Seine ganze Seele sträubte sich dawider, durch solche That seine Sache zu beflecken. Wie erklärt sich's aber, daß selbst die Bürger Kegilas, die David doch vom Untergang errettete, ihm keine Sicherheit mehr boten? Vielleicht sahen die Undankbaren in ihm nun den Empörer gegen ihren Landesherrn Saul, und standen aus Furcht vor dessen Rache, oder auch aus mißverstandenem Patriotismus wider ihren Retter. Wir haben vor einigen Jahren ein Gleiches, ja Aergeres noch erlebt, als hier David. Wir erretteten Länder, Kronen und Throne, und erndteten, freilich aus andern Gründen, nur Haß und Feindseligkeiten statt des Dankes.

So zieht denn David mit seinen Sechshundert wieder ab. „Sic wandelten,“ sagt die Geschichte, „wohin sie konnten,“ d.h. querfeldein, keines bestimmten Zieles sich bewußt. Eine sich weithin erstreckende, einsame, und von starren Felswänden und tiefen Klüften durchzogene Wüste nahm zunächst sie auf. In die Zeit dieser Wanderung hat man die Entstehung des 31. Psalms verlegen wollen, obwohl in der Aufschrift desselben irgend eine Andeutung, die dazu berechtigte, nicht enthalten ist. Jedenfalls aber begegnen uns in jenem Psalme viele Stellen, die der damaligen Lage Davids ganz entsprechen. Der Sänger beginnt daselbst mit der demüthigen, aber vertrauensvollen Bitte, Gott wolle ihn nicht ewig beschämt werden lassen - (er war es ja damals, indem auch die Bürger Kegila's ihn nicht ferner unter sich dulden wollten,)- sondern er möge ihn (den schuldlos Geächteten) durch seine Gerechtigkeit erretten. Der Herr, sieht er, wolle sein Ohr ihm neigen, ihm eilend helfen, ihm ein starker Fels und eine schirmende Beste sein. Lauter Bilder dies, welche die wilde Natur, die den Sänger eben umgab, ihm nahe legte. Um seines Namens willen wolle der Herr ihn leiten, und ihm in der unwegsamen und unwirthbaren Steppe gnädiglich zur Seite stehn. Seinen Fuß wolle er vor dem Netze behüten, das man, um ihn zu sahen, von allen Seiten her ihm lege. „In deine Hände,“ fährt er fort, „befehle ich meinen Geist. Du erlösest mich ja, du treuer Gott,“ nämlich aus der Gewalt, der man mich überantworten möchte. Weiter stellt sich David dar als Einen, der von aller Welt verlassen sei, und mit unverdienten Schmähungen und Verleumdungen überschüttet werde. Wurde er doch sogar des Hochverrats beschuldigt, und hatte, weil die königliche Ungnade auf ihm ruhte, den größten Theil des Volkes wider sich. Doch ist er weit entfernt, von jeder Schuld sich frei zu sprechen. Er fühlt sich vor Gott als armen Sünder und seufzt: „Herr sei mir gnädig!“ Nichtsdestoweniger getröstet er sich der Barmherzigkeit dessen, den er vertrauensvoll seinen Gott nennt, und schließt nach einer Lobpreisung des Herrn für alle die wunderliche Güte und Hülfe, die er ihm bisher „auf seiner Eilflucht“ habe angedeihen lasten mit dem Zuruf an seine Glaubensbrüder: „Liebet den Herrn, alle seine Heiligen. Die Gläubigen behütet der Herr, und vergilt reichlich dem, der Hochmuth übet. Seid getrost und unverzagt. Gott stärke euch Allen das Herz, die ihr seiner harret!“

Nicht allezeit war sich der Sänger, wie hier, mit Klarheit bewußt, daß er seine Lieder nicht blos zur Erleichterung seines eignen Herzens, sondern zugleich zum gottesdienstlichen Gebrauch für seine Glaubensgenossen dichtete. Oft sprach er in denselben, einem innern Drange folgend, nur seine persönlichen Empfindungen aus, und hatte Niemanden, als Gott und sich selbst dabei im Auge. Immer aber war bei dem Werdeprozeß der Psalmen der Geist Gottes auch in sofern schöpferisch wirksam, als er den unwillkürlichen Herzensergüssen des Sängers unvermerkt nach Form und Inhalt eine Gestalt und Einrichtung gab, welche sie zugleich zu Kirchengesängen für die Gemeine der Gläubigen aller Zeiten stempelte. Auf dieser Anschauung ruhten apostolische Ermahnungen wie die des Jakobus: „Ist Jemand guten Muthes, der singe Psalmen,“ und die Paulinische Col. 3, 16: „Lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen.“ -

2.

Auf die Nachricht von Davids Entweichen hatte Saul natürlich sein Unternehmen gegen Kegila aufgegeben; keinesweges aber von der fernern Verfolgung des verhaßten Flüchtlings Abstand genommen. Dieser weilte jetzt in der gebirgigen Wüste Siph im Stamme Juda, ohnfern der Stadt gleichen Namens, und zwei Stunden südöstlich von Hebron. Planlos und scheinbar durch Zufall war er hierhin gerathen, wurde aber später, wie immer, auch hier wieder gewahr, daß Gott der Herr es sei, der auch ohne Wolken- und Feuersäule ihn leite und seinen Gang regiere. In der Einöde Siph war ihm nach allem Herzeleid, das ihn bisher betroffen, eine erquickliche Ueberraschung zugedacht. Ehe er sich's nemlich versah, stand, - kaum glaubte er seinen Augen trauen zu dürfen, - sein Freund Jonathan, der geliebte, vor ihm. Dieser hatte sich heimlich vom königlichen Heere weggestohlen, und dem Freunde durch Berg und Gethale nachgespürt; und wer beschreibt die Rührung und das Entzücken, womit sie beiderseits den Herrn priesen, der sie so unverhofft wieder zusammenführte. Fast einem tröstenden Engel gleich erschien der traute Genosse dem David in einen, Augenblicke, da dieser nach dem Vorgang in Kegila sich wie von aller Welt verlassen und verstoßen fühlte. „Jonathan,“ heißt es „stärkte Davids Hand in Gott,“ d. i. ermuthigte und belebte seinen Glauben, unstreitig durch Hinweisung auf die Gnadenführungen des Herrn, deren er bis dahin gewürdigt worden sei. Dann sprach er zu ihm im prophetischem Geiste mit großer Bestimmtheit: „Fürchte dich nicht! die Hand meines Vaters Saul wird dich nicht finden, und du wirst König werden über Israel, und ich will der nächste um dich sein. Auch weiß mein Vater Solches wohl!“ - So war es denn jetzt ohne Rückhalt ausgesprochen: „Du bist der Erbe des Thrones Israels!“ Jonathan beugt sich unter den Rathschluß Gottes, gibt Gott die Ehre und entsagt. Wo begegnet uns in der Weltgeschichte ein gleiches Beispiel lauterster Selbstverleugnung und aufopferungsfreudigster Beugung unter den göttlichen Willen? David sieht jetzt das letzte Siegel von dem Geheimniß der ihm einst durch Samuel gewordenen Salbung gelöst. „Mir geschehe, wie Gott will,“ spricht er in aufrichtiger Demuth, und stellt die Sache gänzlich dem anheim, dessen Leitung er sich unbedingt übergeben hat. Die Beiden erneuern ihren Herzensbund „vor dem Herrn,“ und reichen sich dann tief bewegt die Hand zum Abschied, ach, für diese Welt auf immer Das Bild dieses Freundespaares aber, edler und erhebender, als das der heidnischen Dioskuren, strahlt unauslöschlich am Himmel der Kirche fort als ein zu Begeisterung entflammendes Ideal ungefärbter, in Gott geheiligter männlicher Befreundung,

Kaum hatte Jonathan, der sich ohne Vorwissen seines königlichen Vaters von dessen Seite entfernt, den Rückweg wieder angetreten, als David, noch tief ergriffen von der überraschenden Begegnung des theuren Freundes und der bedeutsamen Unterredung, die er mit ihm gepflogen, die betrübende Kunde erhielt, daß er auch von den Siphitern verrathen sei. Wahrscheinlich aus Furcht, es könnte auch ihrer, wenn sie dem Flüchtling gastliche Herberge gewährten, ein gleiches Schicksal harren, wie es die Bewohner von Not) betroffen, hatten sie Boten zu Saul nach Gibea abgesandt, und ihm sagen lassen: „Weißt du nicht, daß David bei uns verborgen ist in der Beste auf dem Hügel Hachila, der zur Rechten liegt an der Wüste? Es komme nun der König hernieder nach all' seines Herzens Begehr, so wollen wir den Entronnenen überantworten in des Königes Hände.“ Und Saul hatte den Elenden mit scheinfrommer Redensart erwiedert,: „Gesegnet seid ihr dem Herrn, daß ihr euch meiner erbarmt habt,“ und sie dann mit dem Auftrage entlassen, daß sie sich noch genauer erkundigen möchten, in welcher Richtung der Hochverräther etwa seinen Weg fortgesetzt habe; er werde ihnen, dann auf dem Fuße folgen, und auch seinerseits „unter allen Tausenden,“ (d. h. in allen Volksabtheilungen des Stammes, deren jede tausend Köpfe zählte,) „nach ihm forschen.“ Gesagt, gethan. Sobald David von dem Anmarsch des königlichen Heeres hörte, floh er mit den Seinen in die Wüste Maon. Saul jagte ihm nach. Die Gefahr für den Verfolgten wuchs von Moment zu Moment und schien unausweichlich. Eine Hügelkette trennte die beiden Lager von einander. Saul hatte es darauf angelegt, mit seiner Uebermacht die kleine Schaar seines Eidams zu umgehen, und sie unversehens im Rücken anzugreifen. David schien in der That verloren. Plötzlich sprengt ein Eilbote zu Saul heran, und bringt die Nachricht: „Säume nicht, und komme; denn die Philister sind wieder in's Land gefallen!“ Ein Schrecken Gottes überfiel des Königs Heer. Saul stand unverweilt von der weiteren Verfolgung Davids ab, und zog mit seinen Reisigen den Philistern entgegen. David war gerettet, freilich „zur letzten Stunde.“ Diese aber schlägt dem Herrn niemals zu spät, um auch in ihr noch denjenigen, die auf ihn vertrauten, den Beweis zu liefern, daß sein Wort: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen,“ Ja und Amen sei. Den Ort, wo die glückliche Wendung in der Lage Davids eintrat, nannte man seitdem „Sela-Maselkoth“, d. i. „Fels des Entkommens.“ Wo wird ein Freund Gottes gefunden werden, auf dessen Lebensgange nicht mehr, als eine Stelle, desselben Namens würdig wäre?

Zu der Zeit, als David davon benachrichtigt ward, daß auch die Siphiter ihn verrathen hätten, ergoß sich seine Seele in dem 54. Psalme. Hier richtet er zunächst von der Erde, wo der Treulosigkeit und Bosheit so viel ihn umgab, den Blick gen Himmel, und bittet Gott, daß er ihn retten und richten, d. i. rechtfertigen möge, da seine eignen Stammesgenossen sich gegen ihn erhüben als Feinde, ja gleich Heiden. Nicht minder aber spricht er sein Vertrauen aus, der Herr werde ihm beistehn, und seine Seele erhalten, und die Bosheit seiner Widersacher auf diese selbst zurückfallen lassen. „Vernichte sie nach deiner Wahrheit,“ ruft er aus, fügt gelobend hinzu: „so will ich dir ein Freudenopfer thun, und deinem Namen danken, daß er so tröstlich ist;“ und schließt mit dem Worte freudiger Zuversicht: „Du errettest mich aus aller meiner Noth, und mein Auge wird seine Lust sehen an meinen Feinden!“ - Wir waren bereits Zeugen, wie diese Zuversicht ihn nicht täuschte, und werden's auch ferner sein.

3.

Die Ruhe, welche nach dem Abzuge Sauls dem David gegönnt war, währte nicht lange. Denn kaum hatte Saul die Philister siegreich über die Grenze zurückgeworfen, als er sich auf's neue mit seiner Heeresmacht gegen den armen Gejagten in Marsch setzte. Dieser hatte sich mittlerweile in den äußersten Süden des Stammes, in die an das todte Meer grenzende Wüste Engeddi, zurückgezogen, die gleichfalls wieder in ihren Felsenklüften und geräumigen Höhlen für ganze Heerhaufen treffliche Bergungsstätten darbot. Saul erhielt abermals durch seine Späher Nachricht von dem Aufenthalte Davids, und rückte ihm mit einer Schaar von dreitausend aus ganz Israel geworbenen Männern nach. In allen Schlupfwinkeln suchte er den Flüchtling auf, und ließ sogar die höchsten Felsenspitzen, die Wohnungen der Gemsen und Steinböcke, erklimmen, ob vielleicht bis da hinauf die Angst ihn getrieben habe. Aber alle Mühe blieb erfolglos. Als nun der Tag sich zu neigen begann, gefiel es dem Könige, der von den Märschen ermüdet war, im Thalgrunde bei den Schafhürden am Wege unter dem Eingang einer Grotte zu einer kurzen Ruhe sich niederzulegen. In seinen Mantel gehüllt streckte er daselbst sich aus, und schlummerte ein. Und siehe, es war dies dieselbe labyrinthische Felsenkluft, in deren Hintergründen auch David mit seinen Männern Zuflucht gefunden hatte. Welch' eine Lage also, in welche dieser sich da plötzlich versetzt sah! Einige seiner Leute hatten den auf der Schwelle ihres Versteckes Eingeschlafenen bald erkannt, schlichen leisen Trittes an ihren Führer heran, und flüsterten ihm zu: „Auf der Schwelle liegt der König und schläft. Der Tag ist gekommen, an welchem der Herr zu dir sagt: Siehe ich gebe deinen Feind in deine Hand, daß du mit ihm thuest, was dir gefällt!“ Und allerdings hatte es den Anschein, als redeten sie Wahrheit. Die Versuchung für David war groß. Ein Schwertstreich, und er hatte sich seines Todfeindes entledigt. Aber Alles, was in ihm war, fluchte diesem Gedanken. „Das lasse der Herr ferne von mir sein,“ entgegnete er den unberufenen Rathgebern, „daß ich meinem Herrn, dem Gesalbten Jehovas, Solches thun sollte und meine Hand an ihn legen; denn er ist der Gesalbte des Herrn!“ Und indem er dies sprach, hieß er mit ernstem Worte die Männer aus der Nähe des Schlummernden in das Dunkel ihrer Lagerstätte sich zurückziehn und bedrohte sie mit den schwersten Strafen, falls sie sich erkühnen würden, an den König die Hand zu legen. Eines aber erwehrte er sich nicht. Saul sollte endlich einmal in einer unzweideutigen Weise zu der Ueberzeugung gelangen, daß sein Knecht David nichts Uebles wider ihn im Schilde führe. So trat er denn leise an ihn heran, und schnitt ihm einen Zipfel von seinem Königsmantel. Aber schon hiezu entschloß er sich wohl nur mit klopfendem Herzen und zitternder Hand. Es mochte ihn schon in dem Momente, da es eben geschehen war, wieder gereuen. Fast einem Majestätsverbrechen gleich deuchte es ihn. So tief wurzelte in Israelitenherzen die Vorstellung von ihrem Könige und Herr n als von einem Statthalter Gottes auf Erden. Dazu war Saul Davids Schwäher, der Vater seines Weibes.

Der König erwachte. Ohne zu ahnen, was ihm widerfahren sei, erhob er sich, um unter seine Krieger zurückzutreten. Da eilte David auf jede Gefahr hin, der er sich etwa aussetzen könnte, dem Könige nach, und rief: „Mein Herr König!“ Saul wandte sich, und wie groß war sein Erstaunen, den Gegenstand seines Hasses vor sich zu erblicken. David aber neigete sein Antlitz vor ihm zur Erde, betete an, (d. i. huldigte seinem Gebieter) und sprach: „Warum gehorchest du den Worten der Menschen, die zu dir sagen: David sucht dein Unglück? Heutigen Tages sehen deine Augen, daß dich der Herr hat in meine Hand gegeben in der Höhle. Mir ward gesagt, ich solle dich erwürgen; aber ich schonte deiner; denn ich sprach: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen, denn er ist der Gesalbte des Herrn. Mein Vater!“ - so fuhr er mit zärtlichster Betonung fort, - „siehe doch hier den Zipfel von deinem Rock in meiner Hand, und merke, daß ich dich nicht tödten wollte, da ich nur den Zipfel von deinem Gewande schnitt. Erkenne und siehe doch, daß nichts Böses in meiner Hand ist, und keine Uebertretung. Ich habe ja überhaupt an dir nicht gesündigt, und du jagst meiner Seele nach, daß du sie wegnehmest. Der Herr wird Richter sein zwischen dir und mir und mich rechtfertigen vor dir; aber meine Hand soll nicht über dir sein. Wie man nach dem alten Sprichworte sagt: Vom Gottlosen kommt Untugend“, (gleichbedeutend mit dem neutestamentlichen: „An der Frucht erkennet man den Baum“,) so, (dies der Sinn seiner Rede,) magst du ja an dem, daß ich mich nicht an dir vergriff, erkennen, wer ich bin, und wie ich zu dir stehe. „Wem ziehest du nach“, so schließt er seine Rede, - „o König von Israel? Wem jagest du nach? Einem todten Hunde, einem einigen Floh! Der Herr sei Richter, und sehe darein, und führe meine Sache aus, und rette mich von deiner Hand!“

Also David in vollster Aufrichtigkeit und tiefster, ungeheuchelter Demuth seines Herzens. Nicht in kriechender Selbstentwürdigung geschah's, daß er einen „todten Hund“, ja einen „Floh“ sich nannte. Er wollte damit nur sagen, daß er der Geächtete, gegenwärtig aller Welt ja für nichts Höheres gelte, und seine Macht mit der königlichen verglichen in nichts zerrinne.

Nachdem David ausgeredet, erwiedert Saul nicht ohne sichtliche Bewegung des Gemüths: „Ist das nicht deine Stimme, mein Sohn David?“ Mit einem so zärtlichen Namen hatte er ihn lange nicht genannt. Dann fuhr er fort, und zwar, - wir staunen, - bis zu Thränen gerührt: „Du bist gerechter, denn ich. Ja, du hast mir Gutes erwiesen, während ich dir nur Böses. Und du hast mir heute angezeigt, wie du edel an mir gehandelt hast, da mich der Herr hatte in deine Hände beschlossen, und du mich doch nicht erwürget hast. Wie sollte Jemand seinen Feind finden, und doch ihn lassen einen guten Weg gehn? Der Herr vergelte dir Gutes für diesen Tag, da du Solches an mir gethan hast.“

Wir unterbrechen den- König für einen Augenblick, und geben unsrer Verwunderung darüber Ausdruck, den finstern und verbitterten Mann mit einem Male in solcher Stimmung anzutreffen. Freilich hatte an seiner Rührung die eigensüchtige Freude nicht geringen Theil, sich der Todesgefahr, die über seinem Haupte geschwebt, so heil entronnen zu sein. Auch konnte er, wenn nicht alles Menschliche in ihm erstorben war, für eine so großmüthige Verschonung, wie sie David ihm hatte angedeihen lassen, nicht gänzlich unempfindlich bleiben. Aber daß wir ihn eingestehen hören: „Du bist gerechter, denn ich, denn du erwiesest mir Gutes, während ich dir nur Böses;“ und daß wir den harten und herzlosen Tyrannen sogar weich werden sehen bis zu Thränen, dies überrascht uns und könnte uns hoffen lassen, es werde doch noch einst zu einem sittlichen Umschwunge mit ihm kommen. Ohne Zweifel erfuhr er in den bessern Regungen, die sich in jenen Augenblicken in ihm geltend machten, nochmals eine starke Heimsuchung der göttlichen Gnade. Aber erkannte er sie als eine solche, und meldet die Geschichte, daß er sich jetzt seines gottvergeßnen Lebens bewußt geworden sei, vor dem Angesichte Gottes über sich den Stab gebrochen, des Herrn Gnade und Vergebung gesucht, und ihn um Kraft zur Heiligung angerufen habe? Wir lesen von dem Allen nichts. Er mochte denken, daß er schon mit dem offnen Geständnisse, daß David gerechter sei, als er, Gott und Menschen ein Genüge gethan und einen hinreichenden Beweis von Demuth und Herablassung gegeben habe. Aber sahen wir ihn nicht wirklich ergriffen und bewegt? Freilich war er noch keinesweges jedes bessern Gefühles baar. Wir haben uns davon schon mehrmals überzeugen können. Aber immer geläufiger ward es ihm, edlerer Eindrücke rasch wieder Meister zu werden. Auch bei den verwerflichsten Charakteren gibt sich nicht selten noch ein leicht erregbares Empfindungsvermögen kund, so oft ihnen unverkennbar Edles und Gutes irgendwo im Leben entgegentritt. Schon eine die Tugend verherrlichende Dichtung, die auf einer Schaubühne an ihnen vorübergeht, macht sie vielleicht in Thränen zerfließen, während sie heimkommend als Wütheriche gegen Weib und Kind sich erzeigen, und aller bösen Stücke fähig sind. So vermögen wir auch der Gefühligkeit, die wir bei dem Auftritte in Engeddi an dem Könige Saul bemerken, kaum irgend einen sittlichen Werth beizumessen. Frühe genug wird er sich der Erniedrigung vor David, zu der er sich augenblicklich hinreißen ließ, gründlicher geschämt haben, als aller der Frevel, deren er sich an ihm schuldig machte. Er hatte ihm gegenüber eine Schwäche verrathen, und wie wird das der arme David büßen müssen!

Doch hören wir ihn weiter: „Siehe, ich weiß“, fährt er fort, „daß du König werden wirst, und das Königreich Israel wird aufrecht stehn in deiner Hand,“ d. h. bei dir und deinem Hause bleiben. Offenbar sprach er dies in Rückerinnerung an die richterliche Verkündigung, die Samuel einst in göttlichem Auftrage ihm mit den Worten überbrachte: „Du hast thörlich gethan, und nicht gehalten des Herrn Gebot. Nun wird dein Reich nicht bestehn; sondern der Herr hat sich einen Mann ersehn nach seinem Herzen, und ihm geboten, daß er Fürst sei über sein Volk!“ Die Selbstbeherrschung, mit welcher der König hier in eigner Person dem verhaßten Nebenbuhler das dunkle Geheimniß seiner Seele offenbarte, setzt uns freilich in noch größere Verwunderung, als alles unmittelbar Vorhergegangene. Das Unvermeidliche seines Schicksals und die Sorge um seine Zukunft mögen ihn für einen Moment überwältigt haben. „Schwöre mir nun bei dem Herrn“, fuhr er fort, „daß du nicht ausrotten wollest meinen Samen nach mir, noch den Namen von meines Vaters Hause vertilgen!“ In der That will es uns schwer werden, uns bei dieser wehmüthigen Bitte des Königes von Israel der Rührung zu erwehren. Schwerer noch wird dies damals dem David selbst geworden sein. Mit ganzer Aufrichtigkeit leistete er den von Saul begehrten Schwur, und nachdem dies geschehen, schieden die Beiden stille bewegt von einander. Saul kehrte mit seiner Mannschaft nach dem Lande Benjamin zurück; David dagegen zog es vor, mit der seinigen einstweilen noch in der Berglandschaft Engeddi zu verweilen. Der König gestattete dies ihm um so eher, da er ihn ja mit seiner Freischaar als einen gegen die feindlichen Grenzvölker vorgeschobenen Posten in seinen Diensten wußte. David jedoch schwankte in seinem Urtheil über den Werth der erneuerten Befreundung seines königlichen Herrn nicht einen Augenblick, sondern erachtete es für geratener, die Bewährung letzterer in einer der Felsenburgen der Wüste, als in der Nähe des königlichen Thrones abzuwarten.

Was während des Aufenthaltes Davids in der Höhle der Wüste Engeddi noch vor der Scene mit Saul in Davids Herzen vorging, enthüllt uns der 57. Psalm, welchem er, wie mehreren andern aus der Saulischen Zeit stammenden Liedern, die dem fünften Buche Moses (Kap. 9, 26) entlehnten Worte: „Verdirb nicht.“ (nämlich dein Volk und Erbtheil) als Wahlspruch vorgesetzt hat. Während Saul draußen schnaubte und tobte, betete er in seinem dunkeln Asyle: „Sei mir gnädig, o Gott! sei mir gnädig; denn auf dich trauet meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe. Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten; zu Gott, der meines Jammers ein Ende macht. Er sendet vom Himmel und rettet mich. Wie immer auch der nach mir Schauende mich schmähe, Gott wird mir senden seine Huld und seine Treue.“ - Der Sänger ist sich der bedenklichen Lage, in der er sich befindet, wohl bewußt. Dies verräth er, indem er fortfährt. „Ich liege mit meiner Seele unter Löwen. Die Menschenkinder sind Flammen, ihre Zähne Spieße und Pfeile, und ihre Zungen scharfe Schwerter.“ - Bei diesen Worten dachte er nicht sowohl an Saul und dessen Reisige, als vielmehr an die den König umgebenden Höflinge und Schmeichler, die mit ihren verleumderischen Verdächtigungen unablässig das Feuer in Sauls Brust gegen ihn schürten. David aber getröstet sich seines Gottes; und indem er aufs neue durch Einsprache des Geistes in seinem Innern die Zuversicht gnädiger Erhörung empfängt, ruft er aus: „Preis dir im Himmel, o Gott, Ehre dir auf der ganzen Erde!“ -

Gleich als wäre die völlige Rettung schon eingetreten, triumphirt er: „Ein Netz bereiteten sie meinen Schritten; sie drückten meine Seele nieder, sie gruben mir eine Grube, und - fielen selbst hinein!“ Und immer heller tagt's in seinem Innern: „Mein Herz aber ist bereit, o Gott; fest ist mein Herz. Ich will singen und loben. Wache auf, meine Ehre, wacht auf Harfe und Psalter; ich will aufwecken die Morgenröthe!“ Und weiter und lichter öffnet sich vor ihm die Aussicht in die Ferne. „Ich will dich preisen, o Herr, unter den Völkern; ich will dir lobsingen unter den Nationen: denn groß bis zum Himmel ist deine Huld und bis zu den Wolken deine Treue!“ - Nach diesem schließt er den Rettungsjubel, wie er ihn begonnen: „Preis dir, o Gott, im Himmel, und Ehre dir auf der ganzen Erde!“

Die Worte des Sängers: „Ich will dich preisen, o Herr, unter den Völkern,“ begleitet ein alter Bibelleser mit der Bemerkung: „Das hat der liebe Sänger schon gethan in diesem Psalme, der durch Gottes Gnade auf uns gekommen ist, und dem bereits die Völker der Erde lauschen.“ - Es ist dem ja wirklich so. Warum aber ertönen nur so selten von unsern eignen Lippen ähnliche Dank-, Preis- und Feierklänge? David, der Mann des alten Bundes, beschämt uns allewege. Gott der Herr stärke unsern Glauben.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_f.w/david/krummacher_david_10.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain