Krummacher, Emil Wilhelm - Tägliche Herzensweide aus Luther's Werken - November
Am 1. November.
Wiewohl wir die Verheißung und Gottes Gebote haben, so soll man Gott gleichwohl nicht versuchen, das ist, man soll die Mittel nicht versäumen, oder verachten, sondern man soll die gebrauchen, die man gebrauchen kann; sintemal Gott die Vernunft und auch den Rath und Hülfe der Vernunft nicht darum gegeben hat, daß du sie verachten sollst, welches entweder die thun, die vermessen sind, oder die da verzweifeln, wenn sie also sagen: Ich thue, was ich wolle, so kann ich das nicht verhindern, was nothwendig und durch ein Schicksal geschehen soll und muß. Das sind Worte derer, die verzweiflen. Die aber vermessen sind, pflegen solche Worte zu führen: Wenn ich schon nicht esse, so werde ich doch wohl leben, wenn ich leben soll; Gott hat mir das Leben verheißen; darum ist daran Nichts gelegen, ich esse oder esse nicht. Wir sollen uns aber wohl vorsehen, daß wir Gott nicht versuchen, weder durch falsche Vermessenheit, noch durch Verzweiflung. Es ist ja ein närrisch Ding, daß du darnach forschen willst, was Gott aus sonderlichem Rathe vor dir verborgen hat. Dieweil du aber nicht weißest, wie lange du leben werdest, darum sollst du der Mittel gebrauchen, die zum Leben nöthig sind. Wo es also versehen ist, daß du nach Ausgang eines Monats sterben sollst, so sollst du gleichwohl Gott nicht versuchen, sintemal du dessen noch nicht gewiß bist, sondern du sollst der Mittel gebrauchen, die dazu vonnöthen sind, daß man dieses Leben erhalten möge.
Am 2. November.
Wenn ich aus diesem Leben werde abscheiden, halte ich mich an diesem Trost, daß ich glaube an den Sohn Gottes. Ja, ich werde gleichwohl in die Erde begraben, von den Würmern gefressen, und muß gar im Stanke verfaulen und verzehret werden; wie Hiob, Cap. 17, V. 14, saget: Die Verwesung heiße ich meinen Vater, und die Würmer meine Mutter und meine Schwester. Daselbst sehe ich Gottes Rath nicht, daß ich, wenn ich schon sterben und verfaulen muß, doch gleichwohl noch einmal lebendig werden soll. Aber Gott hat es verheißen und gesaget: Du wirst wieder leben; denn ich lebe, darum werdet ihr auch leben. Joh. 14, V. 19. Ich bin der Herr, dein Gott. Wie werden wir aber leben? Antwort: Im ewigen Leben und in einem solchen Leibe, der schöner und klarer ist, denn die Sonne. Dieß sehe oder fühle ich jetzund nicht, ich glaube es aber, und ertrage diesen sehr geringen Verzug. Denn das Leben ist schon bereitet, und wird mittlerzeit auch die Krone des Reiches und Herrlichkeit bereiten, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber alleine, sondern auch Tillen, die seine Erscheinung lieb haben, wie Paulus saget, 2 Tim. 4, V. 8.
Am 3. November.
Weil du so unfleißig bei Gottes Wort bist, so sollst du wissen, daß der Teufel schon seine Füße zu deiner Thür eingesetzt hat. Darum sollen wir uns wohl vor dem Teufel hüten. Der Wolf würde Niemand betrügen, wenn er käme in Wolfsgestalt, eben als wenig ein Schaaf stille stehet und sich willig und gern fressen lasset, wenn es des Wolfs gewahr wird. Darum warnet hie Christus und spricht: Lieber Mensch, liebes Kind, hüte dich, höre Niemand anders zu, denn mir und meinen Aposteln. Kehre dich an keinen Schleicher, halte dich an mein Wort und zu der Kirche, die da saget: Ich glaube an Jesum Christum, der um uns Menschen, und um unserer Seligkeit willen vom Himmel kommen ist. Derselben sprich nach und sage: Ich glaube, daß ich getauft bin, und allein selig werde durch in einen lieben Herrn und Erlöser Jesum Christum. Drum schweig still, du honigsüßes Maul, du kommst geschlichen in einem Schaafskleid und bist doch der leidige Teufel. Darum lerne ein Jeder auf Gottes Wort fleißig merken und spreche: Ich will bei Gottes Wort bleiben, will dem glauben und folgen, und in solchem Glauben dahin gehen und meinem Vater und Mutter gehorsam sein, meinem Herrn fleißig dienen. Was dawider klinget, das will ich nicht hören, noch demselben folgen, es klinge auch so süße es immer wolle. Denn das weiß ich gewiß, bleibe ich bei dem Wort, glaube an Gott und bin gehorsam meinen Eltern, meinen Herren rc. so habe ich einen gnädigen Gott, und kann mich der Teufel nicht zerreißen. Ob ich schon Etwas drüber leiden muß, das schadet nicht. Es ist besser, hie bei Gott Etwas leiden, denn dort bei dem Teufel zerrissen werden. Also thue ich, halte bei dem Wort, predige dasselbe mit Fleiß, und warte meines Berufs; ob ich schon über dem Wort und über meinem Amt leiden muß, da liegt Nichts an. Es ist mir besser, daß ich um Christi willen vom Papst und von seinem Anhang ein Ketzer gescholten werde, denn daß ich mit dem Papst sollte Christum verläugnen, und ewig mit dem Teufel verdammt sein. So sollen wir nun aus dem Evangelio lernen: Wer Gott in seinem Wort nicht hören will, der muß dem Teufel hören. Wer Vater und Mutter nicht will gehorchen, der gehorche Meister Hansen. Wer einem guten Freund nicht will folgen, der folge einem Bösewicht und Schalk. Wenn der Teufel kommt, so kommt er in Schaafskleidern, gibt gute Worte; aber endlich heißt es doch zerrissen, hie am Leib, Ehr und Gut, dort an Seele. Darum sollen wir Gott in seinem Wort gehorchen lernen, auf daß wir nicht zerrissen werden, sondern hie gute Tage haben, und dort ewig selig werden mögen. Das verleihe uns unser lieber Gott und Vater durch seinen heiligen Geist, um Jesu Christi, unsers Herrn, willen, Amen.
Am 4. November.
Kein Mensch ist so hoch, noch wird so hoch kommen, der nicht zu fürchten habe, er werde der Allerniedrigste. Wiederum, Niemand liegt so tief gefallen, oder mag so tief fallen, dem nicht zu hoffen sei, er möge der Höchste werden; weil hier alle Verdienste aufgehoben und allein Gottes Güte gepreiset wird, und beschlossen ist festiglich: Der Erste soll der Leyte, und der Letzte der Erste sein. Damit, daß Er spricht: Der Erste soll der Letzte sein, nimmt Er dir alle Vermessenheit und verbeut dir, daß du dich über keine Hure erhebest, wenn du gleich Abraham, David, Petrus oder Paulus wärest. Damit aber, daß Er spricht: Der Letzte soll der Erste sein, wehret Er dir alle Verzweiflung und verbeut dir, daß du dich unter keinen Heiligen werfest, wenn du auch Pilatus, Herodes, Sodom und Gommorrha wärest. Denn, gleichwie wir keine Ursache haben, uns zu vermessen, so haben wir auch keine Ursache zu verzweiflen; sondern die Mittelstraße wird durch dies Evangelium befestigt und bewahret, daß man nicht nach dem Pfenning sehe, sondern auf die Güte des Hausvaters, welche gleich und einerlei ist über Hohe und Niedrige, Ersten und Letzten, über Heilige und Sünder, und sich derselben Keiner mehr rühmen, oder trösten, oder vermessen kann, denn der Andere; denn es ist nicht allein der Juden Gott, sondern auch der Heiden, ja, Aller zumal, wie sie auch sind, oder heißen.
Am 5. November.
St. Paulus braucht (Phil. 4,5) ein griechisch Wort, welches wir verdeutscht haben: Lindigkeit, wiewohl das deutsche Wort nicht völlig erreicht den griechischen Verstand; denn es begreift sehr viel in sich und drückt aus die Tugend damit sich der Mensch allen Menschen liebreich und gefällig macht, und sich in Jedermanns Weise schicket, ob Niemand einen Verdruß hat, Jedermann wohlthut, Jedermann nachgibt und Alles leidet und verträgt, was er ohne Sünde leiden kann, auch den Verlust seiner Güter, Leibes und Ehre, und was ihm sonst begegnen mag. Denn er sucht nicht das Seine, sondern was Vielen nützlich ist, daß sie selig werden. Ein solcher Mensch, der nicht sucht das Seine, sondern was eines Andern ist, der muß je Jedermann lieb und werth sein, denn er ist Niemand beschwerlich, unbillig, noch verdrießlich.
Am 6. November.
Buße heißet Besserung, nicht wenn man sich geißelt und kasteiet, für die Sünde genug zu thun, und wenn der Priester Einem so viel, oder so viel zur Buße auferlegt; also redet die Schrift nicht davon; sondern Buße heißet eigentlich eine Aenderung des ganzen Lebens, wenn der Mensch sich erkennet, daß er ein Sünder sei und fühlet, daß sein Leben nicht recht ist, daß er alsdann von dem abstehe und trete in ein besser Wesen mit alle seinem Leben an Worten und Werken und dasselbige auch von Herzen. Was ist denn nun Buße in Christi Namen? Damit unterscheidet der Herr die Buße, die nicht in seinem Namen ist. Buße nicht in seinem Namen ist, wenn ich mit eignen Werken zufahre und dadurch mich unterstehe, die Sünden zu tilgen und ein gut, ruhig Gewissen zu machen und Gnade zu verdienen. Das ist aber nicht eine Buße in Gottes Namen, sondern in des Teufels Namen. Aber die Buße in seinem Namen, die wird also gethan, daß mir Christus im Evangelio seine Hände und Füße und seine Seite zeiget, das sind seine Werke und Verdienst und Alles, was Er für mich gethan und gelitten hat. Wenn ich nun anfange zu glauben in Christum und zweifle nicht, daß Er für mich ist in die Angst des Todes getreten, das Gesetz für mich erfüllet und mit seinem Blut die Sünde sammt der Hölle und dem Zorn Gottes ausgelöscht, und mir solche seine Buße und Genugthuung geschenket, als hatte ich sie selbst gethan und wäre ich derselbe Christus, da fängt mein Herz an zu brennen in göttlicher Liebe und kehret sich Alles in mir um, und ich werde neu geboren und ein anderer Mensch, der da ohne Zwang und Noth, aus freier Lust und Liebe das thut, was er thun soll und laßt, was er lassen soll.- Da kommt her eine rechte Buße und Besserung, die da gehet und herfleußet aus dem rechten Grund des Herzens und geschieht mit Lust durch den Glauben, da er erkennet den Herrn und siehet aus seinen durchgrabenen Händen und Füßen und aus seiner geöffneten Seite das gütige, treue Herz des lieben Heilandes, der für uns, die armen, verdammten Sünder, am Kreuz sein theures Blut so mildiglich vergießet. Darum will der Herr sagen: Nehme es ihm Niemand vor, sein Leben zu bessern und Buße zu thun, als aus eigenen Kräften und in seinem eigenen Namen; denn Niemand ist der Sünde feind, Niemand thut Buße und gedenket sein Leben zu bessern, es wird Nichts ausgerichtet, als nur in meinem Namen. Der Namen thuts allein und bringt die Gnade mit sich, daß der Mensch Lust zum heiligen Leben gewinne und wolle gern anders werden. - Alles Andere ist eine falsche Heuchelbuße, nicht in meinem, sondern in deinem und des Teufels Namen.
Am 7. November.
Wie könnte sich Gott mehr ausschütten und liebreicher, oder süßer dargeben, denn daß Er spreche, es gefalle Ihm von Herzen wohl, daß sein Sohn Christus so freundlich mit mir redet, so herzlich mich meinet und so mit großer Liebe für mich leidet, stirbt und Alles thut. Meinest du nicht, wo ein menschlich Herz sollte recht fühlen solchen Wohlgefallen Gottes an Christo, wenn Er uns so dienet, es müßte für Freuden in hunderttausend Stücken zerspringen; denn da würde es sehen in den Abgrund des väterlichen Herzens, ja in die grundlose und ewige Güte und Liebe Gottes, die Er zu uns tragt und von Ewigkeit getragen hat. Aber wir sind zu kalt und hart, das Fleisch ist zu schwer auf unserm Halse, daß wir solch Wort nicht recht fassen, demselbigen nicht recht wohl nachdenken, noch zu Herzen nehmen, wie treffliche, unaussprechliche Liebe und Lust darinnen sei; sonst würden wir ohne Zweifel darinnen sehen, daß Himmel und Erde voll Feuers göttlicher Liebe, voll Lebens und Gerechtigkeit, voll Ehre und Lob wäre, daß dagegen die Hölle mit ihrem Feuer, mit Tod und Sünde Nichts wäre, denn ein gemalet Ding. Aber wir kaltes faule, undankbare Schelmen lassen solch' Worte, als geringe Dinge und gleich als wärens Menschenworte, fürübergehen, oder im Buche liegen, oder auf dem Papiere stehen geschrieben, als waren sie todt und ganz aus, und gingen sie Christum alleine, und uns nicht an, und sehen nicht, daß sie Christum gar Nichts angehen, sondern allein uns gelten und um unsertwillen da sind. Also siehest du, daß Gott mit diesen Worten Christum in sich zeucht, und sich in Christum, mit dem, daß sein Wohlgefallen sei in Allem, was Christus thut; und wiederum, mit denselbigen Worten beide, sich selbst und Christum, in seinem lieben Sohn ausschüttet über uns, und sich in uns geußt und uns in sich zeucht, daß Er ganz und gar vermenschet wird, und wir ganz und gar vergottet werden. Wie so? Also: Weil Gott spricht, es gefalle Ihm wohl, daß Christus ist und thut; so führen dich die Worte dahin, daß du Gottes Wohlgefallen und sein ganzes Herz in Christo siehest in allen Worten und Werken; und wiederum Christum siehest im Herzen und Wohlgefallen Gottes, und sind die beiden in einander aufs allertiefste und höheste, und kann dir deß keines fehlen, weil Gott nicht lügen kann. Weiter, weil denn Christus, das liebe und angenehme Kind, in solchem Wohlgefallen und im Herzen Gottes gefasset, mit alle seinem Reden und Thun dein ist, und dir damit dienet, wie Er selbst sagt, so bist du gewißlich auch in demselben Wohlgefallen und eben so tief im Herzen Gottes, als Christus, und wiederum Gottes Wohlgefallen und Herz eben so tief in dir, als in Christo, daß nun du und Gott sammt seinem lieben Sohn in dir ganz und gar ist, und du ganz und gar in Ihm bist, und Alles mit einander dein ist: Gott, Christus und du.
Am 8. November.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Solches hebet in diesem Leben an; aber in jenem Leben wird es vollendet und rein erfüllet werden. Jetzt singen wir dieß Liedlein in der Person Christi; dort wollen wirs auch in unserer Person singen, fröhlich jauchzen und dem Tod ein Klipplein schlagen. Diese heilsame Lehre und reichen Trost haben wir Christen aus der heiligen Schrift. Heiden und Unchristen haben diesen Trost nicht; denn in ihren Büchern finden sie Nichts davon. Darum, wenn wir Christen solches in der Bibel und in der heiligen Schrift lesen, so sollen wir auch unserm Gott von Herzen danken für diesen Schatz, solche Verheißung mit Freuden annehmen und fest darauf gründen, und dieß Liedlein, wider des Todes Sieg, mit fröhlichem Herzen singen, und des jüngsten Tages, als unserer endlichen Erlösung, mit Freuden erwarten. Hier in diesem Leben sähet dieser Sieg an in uns durch den Glauben im Wort; aber dort, in jenem Leben, wird er rein erfüllt werden. Indeß sieget der Tod über unsern Leib, von Adam bis an der Welt Ende. Aber an jenem Tage werden wir den Sieg auch haben nach dem Leibe, von Ewigkeit zu Ewigkeit; also, daß, das Leben ewiglich herrschen und regieren wird wider den Tod.
Am 9. November. .
- Denn zugleich, als im Anfang aller Creaturen Er die Welt aus Nichts schuf (davon Er Schöpfer und allmächtig heißet), so bleibet Er solcher Art zu wirken unverwandelt, und sind doch alle seine Werke bis ans Ende der Welt also gethan, daß Er aus dem, das Nichts, geringe, verachtet, elend, todt ist, etwas Köstliches, ehrlich, selig und lebendig macht; wiederum. Alles, was Etwas, köstlich, ehrlich, selig und lebendig ist, zunichte, geringe, verachtet, elend und sterbend macht; auf welche Weise keine Creatur wirken kann, vermag nicht, aus Nichts Ichtes (Etwas) machen. Also, daß feine Augen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe sehen, wie Daniel am 3. Cap. saget (Gebet der drei Männer, V. 55): Du siezest über denen Cherubim, und stehest in die Tiefe oder Abgrund. Und Ps. 138, 6: Gott ist der Allerhöchste und stehet herunter auf die Niedrigen, und die Hohen erkennet Er von ferne. Item Ps. 113, 5. 6: wo ist ein solcher Gott, als der unsere, der da siezet am höchsten, und stehet doch herunter auf die Niedrigen im Himmel und auf Erden? Denn dieweil Er der Allerhöchste und Nichts über Ihn ist, mag Er nicht über sich sehen; mag auch nicht neben sich sehen, dieweil Ihm Niemand gleich ist, muß Er von Noth in sich selbst und unter sich sehen. Und je tiefer Jemand unter Ihm ist, je bas Er ihn siehet.
Am 10. November.
Das Fleisch und menschliche Schwachheit saget: Es wird ja zumal lange, die Hülfe verzeucht sich 5, 10, oder 20 Jahre, und man siehet der Anfechtung kein Ende. Gedenke aber, daß du göttliche Verheißung hast, und hast dazu Gott zum Freunde und Vater, der aus unermeßlicher Güte, Gnade und Barmherzigkeit verheißen hat, Er wolle für dich väterlich sorgen, du sollst sein Söhnchen sein. Er ist dein Vater, du bist sein lieber Sohn. Ja, es wird aber Nichts daraus, spricht das Fleisch? Antwort: Harre mit allen Heiligen und Gläubigen, so wird doch endlich das geschehen, was Christus, Matth. 24, 13, verheißet: wer da beharret bis an das Ende, der soll selig werden.
Am 11. November.
Es ist eine angenehme Zeit, und ein Tag der Seligkeit. (2 Cor. 6,2.)
Hiemit beschreibet Er, welch eine reiche Seligkeit das ist, wo das Evangelium gehet: Es ist eitel Gnade und Hülfe da; da ist kein Zorn, noch Strafe; ja, es sind unaussprechliche Worte, die Er hier setzet. Aufs erste, daß es angenehme Zeit ist. Das ist auf ebräische Weise geredet, und gilt auf deutsche Weise so viel: Es ist eine gnädige Zeit, darinnen Gott seinen Zorn abwendet, eitel Liebe und Wohlgefallen hat, uns wohl zu thun. Hier ist aller Sünden vergessen, beide, der vergangenen und noch übrigen. Kurz es ist ein Reich der Barmherzigkeit, darinnen lauter Vergebung und Versöhnung ist, der Himmel steht jetzt offen, es ist das rechte, güldene Jahr, da Niemand Nichts versaget wird. Darum spricht Er: Ich erhöre dich zur Zeit des Wohlgefallens, das ist, ich bin dir hold, was du nur willst und bittest, das hast du gewiß; versäume dich nur nicht und bitte, weil sie währet. Zum andern, daß es ein Tag der Seligkeit, ein Tag des Heils, ein Hülfstag ist, darinnen nicht allein wir angenehm sind und gewiß, daß uns Gott günstig und hold ist; sondern auch, wie wir also gewiß sind, so hilft Er auch, und thut es, beweiset es mit der That, daß unser Bitten erhöret sei. Das heißen wir einen seligen Tag, einen glücklichen Tag, einen reichen Tag; denn es muß und soll beides bei einander sein, daß uns Gott günstig sei, und dieselbe Gunst mit der That beweise. Daß Er uns günstig sei, gibt das erste, - daß eine gnädige, angenehme Zeit ist, daß Er uns helfe und beistehe, gibt das andere, daß ein seliger Helfertag ist. Beides will und muß mit dem Glauben gefasset sein im guten Gewissen; sonst, wo man nach dem äußerlichen Menschen will richten, würde diese selige Zeit wohl vielmehr eine unselige Zeit des Zorns und der Ungnade genennet werden. Aber nach dem Geist muß man solche geistliche Worte annehmen, so finden wir, daß dies ,zween herrliche, liebliche, schöne Namen sind der evangelischen Zeit, damit aller Schatz und Reichthum des Reichs Christi gepreiset wird.
Am 12. November.
Wo du hörest das Evangelium recht gelehrt werden, oder siehest einen Menschen getauft werden, das Sacrament reichen oder empfangen, oder absolviren, da kannst du kühnlich sagen: Heute habe ich Gottes Werk und Wort gesehen, ja Gott selbst gehöret und gesehen predigen und taufen rc. Die Zunge, Stimme, Hände ,c. sind wohl des Menschen, aber das Wort und Amt ist eigentlich der göttlichen Majestät selbst. Darum soll es auch also angesehen und geglaubet werden, als hörete man Gottes Stimme vom Himmel herab schallen, oder sähe Ihn mit seinen Händen taufen, oder Sacramente reichen, also, daß man hier keine Trennung noch Unterschied mache zwischen Gott und seinem Wort und Amt, durch Christum uns gegeben, oder auf andere Weise Gott suche oder von Ihm denke. Wenn wir gen Himmel kommen, so werden wir Ihn anders ansehen ohne Mittel und Dunkel; aber hier auf Erden wirst du Ihn nicht sehen, noch erlangen mit deinen Sinnen, noch Gedanken; sondern, wie St. Paulus sagt (1 Cor. 13, 12): wir sehen Ihn im dunklen Wort und Bild verhüllet, nämlich in dem Wort und Sacramenten; das sind gleich als seine Larven oder Kleid, darunter Er sich verbirgt; aber gewißlich ist Er da gegenwärtig, daß Er selbst Wunder thut, prediget, Sacramente gibt, tröstet, stärket und hilft, und wir also Ihn sehen, wie man die Sonne siehet durch eine Wolke. Denn wir können doch jetzt den hellen Anblick und Schauen der Majestät nicht leiden, darum muß Er sich also zudecken und verhüllen, als hinter einer dicken Wolke. Also ist beschlossen, wer beide, den Vater und Christum, nachdem Er verklaret und in der Majestät sitzet, sehen und ergreifen will, der muß Ihn durchs Wort und in den Werken, so Er in der Christenheit thut, durchs Predigtamt und andere Stücke ergreifen. Darum sollen wir bei Leibe nicht so unverständig werden, daß wir Gott, Christum und sein Wort von einander theilen und trennen lassen, und von Gott disputiren als die Heiden, Türken, Sophisten, oder andere nach der bloßen Majestät, da Er hienieden auf Erden lasset mit uns reden und wirken durch Prediger, Vater und Mutter rc. dieweil Jene fahren in die Wolken, und bekümmern sich, was Gott daselbst mache oder gedenke. Das heißt sie der Teufel, und kein guter Geist, fragen und denken. Willst du aber recht wissen, wie du mit Gott dran seiest, und ob dein Wesen Ihm gefalle, so höre hieher auf dieß Wort, so ist dirs bald gesagt: wer mich stehet oder höret, der stehet und höret auch den Vater. Darum siehe nur darauf, ob dir von Herzen gefällt, was Christus dir predigt und thut durch seine Christenheit, als Prediger, Vater und Mutter und andere fromme Leute. Hörest du das von Herzen, und bleibst daran hangen, so bist du schon den Sachen gewiß und darfst auch selbst nicht zweifeln. Denn was dir diese sagen, das sagt dir wahrhaftig Gott selbst. Gehest du aber dahin, wie ein ruchloser Mensch, und willst solches nicht achten, und doch durch deinen eigenen Kopf erforschen und ausgründen, wie du mit Gott und Himmel dran seist, so bist du verloren und geschieht dir eben recht, weil du das, so dir Gott vorlegt, nicht willst annehmen, und dafür Anders suchest. Denn Er ist eben darum da, daß Er dir solches sage und zeige, daß du gewiß wissen mögest, was Er gegen dich gesinnet sei, und hat alle Aemter und Stände in der Christenheit darum so geordnet, daß die ganze Welt voll Gottes Werk sei. Und du läßt das Alles anstehen, als sei es Nichts, und denkest: Gott ist droben im Himmel unter den Engeln, und hat andre Dinge zu thun; was können mir Prediger, Vater und Mutter helfen? wenn ich Ihn selbst möchte hören oder sehen rc. Das heißt denn von einander getrennt und gesondert Gott und sein Werk, Christum und sein Wort, welche man sollte zusammenfassen und verbinden aufs allerfesteste. Darum hüte sich nur Jedermann dafür, daß er nach Gott nimmermehr forsche mit seinen eigenen Sinnen und Gedanken; sondern lerne sich schlechts heften und halten an das Wort, und demselben nach richten und schließen, so kann er nicht fehlen. Nun hörest du je darinne nichts Anders, denn: Glaube an mich, daß ich dir um Christi willen die Sünde vergebe und gnädig sei, und laß dich darauf taufen, sei Vater und Mutter gehorsam, und thue, was dein Amt und Stand fordert, so hast du Alles und Gott selbst dazu. O, sprichst du, heißt das Gott gesehen und gehöret? Ich meinete, Er wäre droben im Himmel und müßte sonderliche Offenbarung von Ihm haben. Nein, nicht also, sondern willst du Ihn treffen, so siehe Ihn zuvor im Wort unter der Larve (Decke), so kannst du Ihn auch hernach sehen in der Majestät. Denn Er wird dir jetzt kein Sonderliches machen, außer und wider seinen Befehl, so Er im Wort gegeben hat.
Darnach richte dich und lasse einen Andern disputiren und vergeblich forschen, was Gott droben im Himmel vorhabe, denn du wirsts doch nicht erlangen, ob du dich zu Tode spekulirest. Hier aber hast du es gewiß, daß du nicht darfst noch sollst daran zweifeln; denn eben darum hat Er sich vom Himmel herabgelassen und gesagt: Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören. Dieser aber hat es weiter den Aposteln befohlen, und dieselbigen habens den folgenden Predigern gelassen, diese aber uns und unsern Kindern. Also gehts fein, wie es von Gott geordnet, daß ich Ihn nimmer sehe und höre durch die Röhren, so ich dem Wässerlein folge, das aus Christo gehet und zu dem Brünnlein führet.
Am 13. November
Wir halten uns des Unterschiedes, so Christus allhier gibt (Joh. 16,1.2.), daß wir die nicht für die Christenheit halten, welche nicht recht und rein bleiben bei dem, so Christus gelehret, gegeben und gestiftet hat, sie seien, wie groß, heilig und hochgelehret sie wollen, sondern sagen ihnen, daß sie des Teufels Kirche sind. Wiederum wollen wir aber die erkennen und ehren als die rechte Braut Christi, so da bleiben an dem reinen Wort Christi, und keinen andern Trost ihres Herzens haben, denn diesen Heiland, den sie in der Taufe empfangen und bekannt, und das Sacrament darauf genommen haben. Das sind die rechte Kirche, nicht allein an einem Ort, als unter dem Papst, sondern wo sie auch sind, so weit die Welt ist. Nach dem äußerlichen Wesen mögen sie hin und wieder zerstreuet sein, aber in diesem Stück kommen sie zusammen, das heißt: Ich glaube an Gott Vater, Allmächtigen, und an Jesum Christum, unsern Herrn, für uns geboren, gelitten, am Kreuz gestorben u. s. w., beten zugleich: Unser Vater im Himmel; haben einerlei Geist, Wort und Sacrament; führen einerlei selige Stände, ein Jeglicher nach seinem Beruf, Vater, Mutter, Oberherren, Knechte u. s. w. Und also, was wir predigen, glauben und leben, also predigen, glauben und leben sie auch, leiblich voneinander geschieden und hin und her geworfen durch die weite Welt, aber in Christo versammlet und vereiniget. Siehe, das heißt die catholica, gemeine christliche Kirche, die wird uns gewißlich nicht in Bann thun, noch verfolgen, sondern unsere Lehre von Herzen gerne annehmen und bestätigen, und uns für ihre lieben Brüder halten.
Am 14. November.
Warum wird der Saame der Gottesfürchtigen gewaltig auf Erden? Sie haben den Segen Gottes, sie sollen gebenedeiet werden; der Segen Gottes wird im Hause der Gottesfürchtigen sein, Sprüchw. 10,22; darum wird der Vater gesegnet sein, der Sohn und des Sohnes Sohn. Die Kinder müssen genug haben, ja, wenn sie gleich keinen Heller hatten, auch nicht alle Stunden Geld und Gut im Vorrath ist, so muß es doch kommen zu seiner Zeit; und sollte schon die ganze Welt Hunger leiden, so müssen sie satt sein. Denn es stehet an einem andern Orte, Ps. 37, V. 19: In der Theuerung werden sie genug haben. Item, dasselbe, V. 25, spricht David weiter: Ich bin jung gewesen und alt worden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Saamen nach Brod gehen; es muß nicht dahin kommen, daß sein Saame Mangel habe.
Am 15. November.
Man muß sonderlich das Wort „zweifeln“ einschärfen. Denn die Papisten machen den Glauben sehr geringe und halten nicht dafür, daß Zweifeln was Böses sei. Hingegen Christus leget dem Zweifeln die ganze Schuld bei, und gibt deutlich zu verstehen, daß ein Zweifler versinket, wo er nicht wiederum den Glauben fasset und durch denselben rufet und schreiet. Denn das Zweifeln machte, daß Petrus anfing zu sinken; aber hinwiederum der Glaube an Christum, den er anrief, richtete ihn auf und führete ihn heraus. Denn bei fortdauerndem Zweifel hatte er nicht schreien können: Herr, hilf mir! (welches Worte nicht eines solchen Menschen sind, der da zweifelt, sondern der wiederum glaubet). Denn ein Zweifler rufet Gott nicht an, sondern er fället in Verzweiflung und schweiget stille.
Am 16. November
Die heilige Schrift hat die Weise, daß sie Christum vergleichet der Sonne, sonderlich der Prophet Malachias, Cap. 4,2, da er spricht: Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter desselben Flügeln. Gleichwie die natürliche Sonne von sich gibt einen Schein und Licht, damit sie den Tag machet, und die Menschen vom Schlafe erwecket, daß sie an ihre Arbeit gehen, wie Moses lehret, 1 Buch Cap. 1,16: Gott machte das große Licht, das den Tag regierte. Und Ps. 104,22: wenn die Sonne aufgehet, so gehet der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Ackerwerk, bis an den Abend. Also gibt Christus, welcher die geistliche Sonne ist, den Schein und Glanz seines Evangelii in die Welt und erleuchtet damit der Menschen Herzen. So sagt Er selbst, Joh. 8,12: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolget, der wird nicht wandeln in Finsterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben. Es nennt aber Malachias Christum die Sonne der Gerechtigkeit, unter welches Flügeln Heil ist. Denn welches Herz Christum mit seinem Glanz erleuchtet, derselbe Mensch ist gerecht vor Gott um der Sonne willen, und so lange er unter dieser Sonne Flügel bleibet, ist er selig. Ps. 118,24, sagt David: Dieß ist der lag, den der Herr machet. Jesus Christus ist der Herr. Gleichwie nun die natürliche Sonne den Tag machet, also machet die geistliche Sonne, Jesus Christus, diesen Tag, darinnen wir uns freuen und fröhlich sind.
Am 17. November.
Die Buße und Reue, die man zubereitet durch Erforschung, Betrachtung und Haß der Sünden, als wenn ein Mensch aus dem Gesetz mit Bitterkeit seines Herzens seine ganze Lebenszeit betrachtet und die Größe, Menge und Schande seiner Sünden, dazu den Verlust des ewigen Lebens und den Gewinn der ewigen Verdammniß; die macht einen Heuchler und größern Sünder, - darum hab' ich gelehret, daß ein Jeglicher soll zuvor sein Herz erforschen, ob er aus gründlicher Lust und willigem Herzen die Sünde hasset, und wo er sich nicht also findet, so soll er seine Reue nur verachten und zuvor niederfallen und seinen Herrn bitten um eine rechte, wahre Reue, wie die Kirche bittet: Et cor poenitens tribute nobis (Ein reuig Herz verleih' uns gnädiglich) und dann mag er seine Sünden bedenken. Ein reuig Herz ist gar ein seltsam Ding und eine hohe Gnade, und läßt sich nicht mit dem Bedenken der Sünden und der Hölle zubereiten, sondern allein durch den heiligen Geist eingießen; sonst hätte Judas die größte Reue gehabt, der seine Sünde mit großem Herzeleid bedacht hat. Darum ist eitel erlogene, erstunkene und verführerische Heuchelei, daß man Reue bereiten lehrt aus dem Gesetz durch Betrachtung der Sünden und ihres Schadens; so man sollte zuvor Christum in seinen Wunden ansehen, und aus denselben sein Liebe gegen uns, alsdann unsere Undankbarkeit erwägen, und also aus herzlicher, gründlicher Gunst zu Christo und mit Ungunst auf uns selbst betrachten. Das ist eine rechte Reue und fruchtbare Buße.
Am 18. November.
Auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. (Röm. 15, 4.)
Da laß auftreten alle Lehre, laß hertragen alle Bücher und sehen, ob sie so viel vermögen, daß sie eine Seele trösten mögen in der allergeringsten Anfechtung; es ist ja nicht möglich, eine Seele zu trösten, sie höre denn ihres Gottes Wort. Wo ist aber Gottes Wort in allen Büchern, außer der Schrift? Was machen wir denn, daß wir andere Bücher lesen und lassen dies liegen? Martern und tödten mögen sie uns wohl, aber trösten mag kein Buch, denn die heilige Schrift. Den Titel hat sie allein, den ihr St. Paulus hier gibt, daß hie ein Trostbuch ist, welches die Seele erhalten kann in allem Trübsal, daß sie nicht verzage, sondern Hoffnung behalte, denn sie fasset Gottes Wort, dabei lernet sie seinen gnädigen Willen, daran hanget sie fest und bleibet bestehen im Leben und Sterben. Wer aber Gottes Willen nicht weiß, der muß zweifeln, denn er weiß nicht, wie er mit Gott dran ist.
Am 19. November.
Der Teufel ist mit seiner Weisheit, Klugheit und Macht aller Menschen Vernunft und Witz weit überlegen; also, daß wo Gott die Hand abzeucht, so macht er uns bald ein Gespenst vor die Augen, daß wir betrogen sind, ehe wir es uns versehen. Das sehen wir an Jakob und Job, Cap. 3, 1, den brachte der Teufel dahin, daß er verfluchte den Tag, darin er geboren war, und lästerte Gott. David war ein großer, trefflicher Mann: aber da Gott die Hand abzog, da fiel er dahin, und ward ein Ehebrecher und Mörder, 2 Sam. 11. Vor solcher großen List und Macht des Teufels soll man sich fürchten, und wissen, daß kein Mensch vor ihm sicher ist. Wenn Gott ihm vorhängt, so kann er verführen, nicht allein Franziscum, sondern auch die Andern alle durch Franziscum. Darum soll man nicht sicher sein, sondern in Gottesfurcht und Demuth leben, und Gott bitten, daß Er uns nicht in Versuchung führe, noch in Anfechtung fallen lasse, Matth. 6, 13. Mit derselben seiner List und Macht blendet und verstockt der Teufel die Leute, daß sie der Wahrheit nicht glauben; wiederum narret und äffet er die Leute und macht sie glaubend, daß sie fallen auf die Lügen, derselben glauben, und darauf schwören, es sei die lautere Wahrheit Gottes; so es doch eitel Teufels Trug und Lügen ist. Item, blendet auch die äußerlichen Sinne, daß die Leute nicht anders meinen, denn daß sie Etwas sehen, hören, greifen, da sie doch nicht sehen, noch hören, noch greifen. Und das ist ihm keine Kunst. Denn kann er die Vernunft und innerlichen Sinne verblenden, daß ein Mensch meine, er habe Gottes Wort, da er doch des Teufels Lügen hat; meine, das sei der rechte Christus und ein rechtschaffener Prophet, da doch ein falscher Christus, und ein falscher Prophet ist.
Am 20. November.
Ein Bettler weiset einem Theologo den Weg zum Himmel.
Es schreibet Taulerus von einem Theologo, der habe 8 ganzer Jahre mit unaufhörlichem Seufzen bei dem lieben Gott angehalten, Er wolle ihm doch einen Menschen zeigen, von dem er den rechten Weg und Steg zum Himmel erlernen möge. Endlich habe er eine Stimme gehört, die habe zu ihm gesprochen: Er solle zur Kirchen gehen, da werde er vor der Thür Einen antreffen, der ihm seine Bitte gewähren solle. Als er nun zur Kirchen kommt, sitzt ein armer Bettler da mit zerrissenen Kleidern. Er grüßet ihn und spricht: Gott gebe dir einen fröhlichen Morgen! Der Bettler antwortet: Ich weiß mich nicht zu erinnern, daß ich jemals einen traurigen Morgen gehabt hatte. Ei, sprach der Theologus, daß dir Gott viel Glück beschere! Was redest du? Der Bettler antwortete: Hab ich doch nie Unglück gehabt. Der Theologus wußte nicht, wie er mit ihm daran war, und bat, er wolle ihm doch solches ein wenig besser erklären. Da sprach der Bettler: Ja, das will ich gerne thun. Du wünschest mir einen fröhlichen Morgen, so spreche ich, ich habe noch nie einen traurigen Morgen gehabt, das ist wahr. Denn wenn mich hungert, so lob' ich Gott; wenn mich friert, so lob' ich Gott; es regne oder schneie, es donnere oder blitze, es sei Wetter, wie es wolle, so lob' ich Gott, das ist die Ursache, daß mir Gott viel Glück beschere, so spreche ich: Ich hätte noch nie ein Unglück gehabt, das ist auch wahr; denn ich weiß mich Gott zu ergeben, und bin deß gewiß, daß Er nichts Böses thut. Was mir nun mein Gott widerfahren lässet, es sei süß oder sauer, Freude oder Leid, Glück oder Unglück, das halt' ich für das Beste, und nehm' es mit Freuden an, denn es muß doch denen, die Gott lieben, Alles zum Besten dienen. Der Theologus wunderte sich über des Bettlers Glaubensmuth und fragte weiter: Was wolltest du thun, wenn dich Gott in die Hölle verstoßen würde? Je, in die Hölle verstoßen, sprach der Bettler, das wird Er nicht thun, wollt' Er es aber thun, so hab' ich zwei Arme, den Arm des Glaubens und der Liebe, damit wollt' ich Ihn angreifen und so feste halten, daß Er mit in die Hölle fahren müßte. Da könnte mir denn nicht wehe noch übel sein, denn ich will lieber in der Hölle mit Gott sein, als im Himmel ohne Gott.
Am 21. November.
Wenn ein Christ, so im Glauben unterwiesen wird, bleibet in rechtschaffener Demuth, fühlet und erkennet wahrhaftig, daß er Sünde habe, derhalben er Gottes Zorn, Gericht und ewigen Tod von Rechtswegen wohl verdienet hätte, hat er Ursache genug, daß er nicht vermessen wird, sondern eine Nebenfurcht hat, daß er fallen möchte, wo Gott die Hand abzöge. Doch bleibet er Nichts desto weniger zugleich auch in einem freien, reinen und heiligen Hochmuth und Stolz, dadurch er sich zu Christo kehret und lehnet sich durch denselben ganz steif und trotziglich auf wider den Zorn und Gerichte Gottes, so er fühlet; glaubet festiglich, daß ihn der Vater recht herzlich lieb habe: nicht, daß er solche Liebe verdienet habe, und ihr würdig sei; sondern, daß er Christi, des lieben Sohns, genieße, und um seinetwillen auch geliebt werde.
Am 22. November.
Hoffährtig muß der Mensch wohl sein und Etwas von sich selbst halten, der noch nicht an sich selbst, an seiner Vernunft, an seiner guten Meinung und seinen innerlichen und äußerlichen Werken gar verzagt hat, und zum Gnadenthron, arm und elend, seine Zuflucht nimmt; denn alle diese guten Werke und Einbildung bringen den Menschen in zwiefachen Schaden. Erst sind es nicht rechte gute Werke und Erkenntnisse, sondern Sünde und Irrthum; denn sie kommen nur aus bösem Herzen, dem noch nicht geholfen ist durch die Gnade. Ein solches Herz mag sonst Nichts suchen überall, denn sich selbst; darum machen solche Tugenden den Menschen leer und eitel; zum andern, daß sie den Menschen verführen und aufblasen, daß er ja nicht denken soll, daß er böse und närrisch sei. Daraus denn weiter kommt, daß er bei sich sicher ist, und wenig oder gar nicht sorgt, wie er Gnade erlangt; denn er hält gänzlich dafür, er thue kein Böses, ob er wohl bedenkt, daß er kein verdienstlich Werk vollbringe unter allen seinen guten Werken.
Am 23. November.
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibet die Furcht aus: denn die Furcht hat Pein. Derowegen wenn die völlige Liebe die Furcht austreibet, so folget nothwendig, daß die Liebe, so nicht völlig ist, die Furcht nicht austreibet; und vermöge dessen folget auch das, daß Furcht bei der unvollkommenen Liebe sei. Aber wo ist die völlige Liebe? und (daß ich eine kleine Ausschweifung mache) wer ist ohne Furcht vor dem Tode, vor dem Gerichte und vor der Hölle? Denn bei jedwedem Menschen, er mag noch so heilig sein, sind noch Ueberbleibsel des alten Menschen und der Sünde, und die Kinder Israel können in dieser Zeitlichkeit die Jebusiter, Cananiter, und übrigen Heiden nicht völlig ausrotten, es bleiben noch Fußstapfen vom alten Adam. Dieser alte Mensch aber ist Irrthum, böse Lüste, Zorn, Furcht, Hoffnung, Verzweiflung, böses Gewissen, Grauen vor dem Tode rc., denn dieses sind Stücke von dem alten und fleischlichen Menschen. Sie werden zwar in dem neuen Menschen geschwächet, daß sie abnehmen, aber nicht ausgerottet, bis der fleischliche Mensch selbst aufhöret im Tode, wie der Apostel spricht: Ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tage zu Tage erneuert, 2 Kor. 4,16. Derowegen wird das Uebel von den Ueberbleibseln des alten Menschen durch den Ablaß nicht gänzlich weggenommen, noch auch durch die angefangene Reue; sondern es wird nur der Anfang dazu gemacht: und je mehr man in dieser zunimmt, desto mehr nimmt jener ab. Das ist die Gesundheit des Geistes, welche nichts Anders ist, als der Glaube oder die Liebe in Christo.
Nachdem ich nun dieses also zum Voraus gesetzt habe, so ist der Schluß deutlich genug. Denn wenn Jemand vom Tode übereilet wird, ehe er es zu der vollkommenen Liebe bringen kann, die die Furcht austreibet, so stirbt er notwendig mit Furcht und Schrecken, bis die Liebe völlig wird, und diese Furcht austreibet. Diese Furcht aber ist eben das böse und furchtsame Gewissen wegen des Mangels des Glaubens. Denn kein Gewissen ist furchtsam, als das, dem es am Glauben mangelt, oder das unvollkommen ist. Kurz, wenn ich beweisen kann, daß die Ursache des Schreckens und der Furcht das Mißtrauen sei; hinwiederum, daß die Ursache der Freudigkeit der Glaube sei: so glaube ich, sei auch zugleich bewiesen, daß Einer, der im unvollkommenen Glauben stirbt, sich nothwendig fürchtet und erschreckt.
Am 24. November.
Heute sind wir gesund, morgen sterben wir dahin (Ps. 90, V. 3 u. s. w.). Gott hat also geordnet unser Leben, daß wir nicht einen Augenblick sicher sind, und den unsicheren Augenblick legen wir so schändlich an; was sollte geschehen, wenn die bösen Buben 20 oder 30 Jahre sicher waren? Da würden sie hindurch gehen und gedenken: Ich bekomme seiner noch wohl fromm zu werden; ich will ein Jahr oder achtzehn im Sauft leben, und darnach mich bessern. Aber wir sind unsicher, und leben doch so schändlich, als ob wir gewiß wären, sparen die Frömmigkeit, bis wir sterben sollen. Das thut der Fromme nicht, der leget sein Gut nicht in dieser Welt; er siehet das vergängliche Leben nicht an, er siehet in das ewige, da er ewig wird bleiben, Col. 3,2. Denn da hat er den, der nicht sterben kann, der ihm gnädig und barmherzig ist, der ewig bleibt, auf den verlaßt er sich; und ob er gleich stirbt, so gehet er doch durch den Tod in ein solches Leben, da er ewig bleiben soll, Joh. 11,25.
Am 25. November.
Der alte Mensch soll unter dem Gesetz bleiben, von welcher Materie man Paulum in seinen Episteln an die Römer und Galater nachlesen kann. Der alte Mensch soll wegen der Ueberbleibsel der Sünde im Fleisch, dem Gesetze unterworfen sein, bis auf den Tag, da er wird ins Grab gescharret werden. Das ganze Leben hindurch soll er des Todes und der Verdammniß schuldig sein, und von den Stacheln des bösen Gewissens geplaget und also gekreuziget werden, jedoch zu seinem selbsteigenen Besten, damit er selbst, mit seinen Lastern und bösen Begierden getödtet werde. Daher spricht St. Paulus, 2 Cor. 4,16: Ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche, der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen ist, von Tag zu Tag erneuert. Der neue Mensch aber, der an das Kind, so uns geboren und an den Sohn, der uns gegeben ist, glaubet, der ist der allerfreieste Herr, und keinem Gesetz unterworfen. Derohalben sollen der alte und der neue Mensch nicht mit einander vermischet werden. Der neue Mensch ist dem Gesetz, dem Tode und der Sünde nicht unterworfen, sondern ein freier Sohn Gottes, der über das Gesetz, über die Sünde, über den Tod und über die Hölle ist. Deßwegen soll das Joch der Last nicht den neuen, sondern den alten Menschen drücken, als welcher täglich sterben soll, auf daß der Leib der Sünden aufhöre. Röm. 6,6. Der Leib ist zwar todt um der Sünde willen, spricht Paulus, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen, Röm. 8,10. Um der Ueberbleibsel willen der Sünde im Fleisch werden wir vom Gesetz gerichtet, zum Tode verdammet und unser fleischlich Leben hat kein gut Gewissen. Aber der neue Mensch, der an den Sohn glaubet, ist mit dem Sohn ein Herr aller Dinge, er ist ein König und ein Herr aller Herren, nicht in weltlichen und vergänglichen, sondern in himmlischen und ewigen Dingen. Er ist ein Herr des Todes, des Gesetzes, der Sünde und der Hölle. Wenn mich der Tod schrecket, oder das Gewissen plaget, so antworte ich: Packe dich, übe deine Herrschaft übe r das Fleisch, laß die Seele in Frieden und das Gewissen in Ruhe. Du, o Tod, hast nicht Ursache, mich zu schrecken; ich glaube an Jesum Christum, den Sohn Gottes. Was hast du für Recht an diesen? Was willst du Ihm thun? Dieser ist mir gegeben und Er ist wahrhaftig und in der That ein Sohn, als der da ist ein Befreier, die Freiheit und meine Befreiung, meine Weisheit, meine Gerechtigkeit und meine Erlösung, 1 Cor. 1, V. 30. Und Joh. 11,25 und Cap. 14, V. 6 bezeuget Er selbst, Er sei die Auferstehung, der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Am 26. November.
St. Paulus vermahnet Röm. 12,12: Haltet an am Gebete. Als sollte er sagen: Es ist nicht genug, anheben, und einmal seufzen, und das Gebet hersagen, und darnach davon gehen, sondern, gleichwie die Noth ist, so soll das Gebet auch thun. Denn sie greifet dich nicht einmal an, und laßt darnach von dir, sondern hanget immer an, und fället dir wieder an den Hals, und will nicht ablassen. Also thue du auch, daß du immer bittest, und dazu suchest und anklopfest, und lassest nicht abe. Gleichwie das Exempel, Luc. 18,3 ff., lehret von der Wittwe, die nicht wollte ihrem Richter vom Hals lassen, mit Geilen und Anhalten, und machet es so unverschämt, daß er übertäubet ward, und mußte ihr ohne seinen Dank helfen. Wie viel mehr (schleußt Christus daselbst V. 7) wird uns Gott geben, wenn er siehet, daß man nicht ablaßt mit Bitten, sondern immer und immer klopft, daß Er muß erhören; sonderlich weil Ers gehießen hat, und zeiget, daß Er Gefallen habe an solchem Anhalten. Darum, wie die Noth immer anklopft, so klopfe du auch immer an, und lasse auch nicht ab, weil du sein Wort hast; so wird Er auch müssen sagen: Wohlan, so fahre hin, und habe, was du begehrest. Davon sagt auch St. Jacob in seiner Epistel, Cap. 5,16: Daß das Gebet des Gerechten viel vermag, wenn es ernstlich anhält, und zeucht dazu das Exempel Eliä, des Propheten aus der Schrift rc. So thuts auch Gott darum, daß er dich treibet, nicht allein schlecht zu bitten, sondern anzuklopfen, daß Er dich will versuchen, ob du könnest fest halten, und dich lehre, daß darum dein Gebet nicht unangenehm, noch unerhöret ist, ob Er gleich verzeucht, und dich oft läßt suchen und anklopfen.
Am 27. November.
Ich bitte und vermahne treulich einen jeden Christen, daß er sich nicht ärgere, noch stoße an den einfältigen Reden, noch Geschichten, so in der Bibel stehen, und zweifele nicht daran, wie schlecht und albern es immer sich ansehen läßt, so sind's doch gewiß eitel Worte, Werke, Geschichte und Gerichte der hohen göttlichen Majestät, Macht und Weisheit. Denn dies ist das Buch, das alle Weisen und Klugen zu Narren machet, und allein von den Albernen und Einfältigen kann verstanden werden, wie Christus sagt, Matth. 11, 25. Darum laß deinen Dünkel und Fühlen fahren, und halte Viel von diesem Buch, als von dem allerhöhesten, edelsten Heiligthum, als von der allerreichsten Fundgrube, die nimmermehr genug ausgegründet, noch erschöpft werden mag: auf daß du darinnen die göttliche Weisheit finden mögest, welche Gott in der Bibel so albern und schlecht vorleget, daß Er aller Klüglinge Hochmuth dämpfe und zu Schanden mache. In diesem Buch findest du die Windeln und Krippen, darinnen Christus lieget, dahin auch der Engel die Hirten weiset. Es sind wohl schlechte und geringe Windeln; aber theuer ist der Schatz, Christus, so darinnen liegt.
Am 28. November.
Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben. (Röm. 15,4.)
So denn unsere Lehre in der Schrift ist, sollen wir sie billig nicht anderswo suchen, sondern alle Christen sollten dies Buch täglich in Brauch haben. Aber siehe zu, was hat der Teufel angerichtet durch die Papisten? Ihnen ist nicht genug gewesen, daß sie dieß Buch unter die Bank gestoßen haben, und so seltsam gemacht, daß gar wenig Doctores der heiligen Schrift dasselbige haben; auf daß es ja Niemand hervorzöge, hangen sie ihm einen Schandlappen an, lästern Gott und sprechen, es sei finster, man müsse der Menschen Glosse folgen und nicht der bloßen Schrift. Was ist dieß anders gesagt, denn Paulum hier Lügen strafen, der da sagt, es sei unser Lehrbuch? Und sie sagen, es sei unser Verführungsbuch und sei finster.
Am 29. November.
Ich muß bekennen, daß es mir sauer und schwer wird, den Artikel von der Vergebung der Sünden zu glauben; denn ich sehe vor mir ein groß Register voll Sünde. Und so ich gleich nichts anders wider Gott gesündiget hatte, so habe ich doch 16 Jahre lang gelebet in der gottlosen, graulichen Möncherei, habe Messen gehalten, Irrthum und Verführung geprediget, habe mich und Andere verführet; und soll doch in diesen Sünden keine sehen, eben als hätte ich der keine begangen. Item, ich sehe noch täglich, daß mirs fehlt an Gottesfurcht, am Glauben; ich trage einen faulen Schelm am Halse, den alten Adam, der mir nichts Gutes predigt; ich liebe Gott nicht von ganzem Herzen, und meinen Nächsten nicht als mich selbst, und bin also voller Sünde, und soll dennoch glauben, daß keine Sünde da sei. Da muß ich bekennen, daß mirs schwer sei, diesen Artikel zu glauben. Denn ich bin von Natur also gesinnet (so bin ich auch im Papstthum also gewohnet), daß ich gern wollte fasten, wachen, beten, Wallfahrt gehen, gute Werke thun, damit ich meine Sünde bezahlete. Da ist aber kein Mittel, Vergebung der Sünde zu erlangen, denn daß ich die Augen zuthue, und glaube, daß mir meine Sünden vergeben werden; wie wir im christlichen Glauben beten: Ich glaube an den heiligen Geist rc. Vergebung der Sünde. Aber meine Natur und Vernunft wollte gern diesen Artikel also haben, daß Sünde nicht heiße Sünde, sondern eine gemalte oder gedichtete Sünde; daß Sünde wäre ein Wort, schlecht aus Demuth also gesprochen. In Summa, ich wollte gern Gott einen falschen Sünder geben, und so fern mich einen Sünder bekennen, daß ich keine Sünde in mir fühlete. Das wäre mir wahrlich ein feiner Sünder! Nun aber sind dies Worte des heiligen Geistes, daß es heißt: Ich glaube Vergebung der Sünde. Was der heilige Geist Sünde heißt, das muß ja keine gemalte Sünde, sondern muß eine rechte, wahrhaftige Sünde sein, wie Ehebruch, Hurerei, Diebstahl rc. Sünde ist. Solche Sünden sind auch, die ich gethan habe, und noch täglich thue. Wer sich nun recht für einen Sünder erkennen will, der sehe zu, daß es nicht ein Traum und erdichtetes Ding sei mit seinen Sünden; sondern erkenne, daß seine Sünde eben sowohl Sünde sei, als Ehebruch, Diebstahl, Mord; das ist, daß es so große Sünden sind, die zur Hölle führen, wenn sie nicht vergeben werden. Denn, ob wir schon nicht alle die äußerlichen groben Sünden begehen, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht morden; dennoch, so wir diesen Vortheil nicht haben, daß wir glauben Vergebung der Sünde, so verdammen uns unsere Sünden in den Abgrund der Höllen. Diese Kunst kann ich noch nicht, sondern lerne noch immerdar daran. Der rohe Haufe weiß gar nicht was Sünde und Vergebung der Sünde sei. Aber wir, die wir uns darum annehmen, auf daß wir wissen, was Vergebung der Sünde sei, haben für und für daran zu lernen. Denn das hängt uns von Natur an, daß wir gern wollen die Sünde tilgen durch uns selbst, und daß wir die Sünde gering machen und sagen: Ich weiß nicht sonderliche Sünde, die ich gethan habe, ich bin kein Ehebrecher, kein Dieb, kein Todschläger rc. Aber es muß ein Ernst und rechtschaffen Bekenntniß der Sünde bei uns erkannt sein, daß wir vor Gott also sagen: Lieber Gott, wenn Du mit mir Rechnung halten willst, so werden sich nicht gemalte Sünden, sondern rechte große Sünden bei mir finden; solche Bekenntniß der Sünden ist von Nöthen; denn soll die Vergebung der Sünden rechtschaffen sein, so muß auch die Sünde rechtschaffen erkannt sein. Darum sind die Worte im Glauben: Ich glaube Vergebung der Sünde, gar hohe Worte. Wir glauben die Sünde sei da, und sei dennoch vergeben. Die Vergebung frisset die Sünde hinweg. Und wiederum, wo die Vergebung geglaubt, und bekannt wird, da muß auch die Sünde geglaubet und bekannt sein.
Der mehrere Theil fraget nichts nach der Sünde, gehet sicher dahin, fürchtet sich nicht vor Gottes Zorn. Solche Leute können nicht zu Vergebung der Sünden kommen; denn sie kommen nicht dahin, daß sie wüßten, daß sie Sünde haben. Sie sprechen wohl mit dem Munde/ sie haben Sünde; aber wenns ihnen ein Ernst wäre, so würden sie viel anders reden. Jener Knecht (Matth. 18) sagt auch wohl, ehe sein Herr mit ihm Rechnung hält, so viel bin ich meinem Herrn schuldig, nämlich 10,000 Ps., aber er gehet dahin und lachets. Da aber die Rechnung gehalten ist, und sein Herr heißt verkaufen ihn, sein Weib, seine Kinder und Alles, was er hat, und bezahlen, da fühlet er es. Also fühlen wir auch den Ernst, wenn uns unsere Sünden in Herzen offenbar werden; wenn uns das Schuldregister vorgehalten wird, da vergehet uns das Gelachter. Alsdann sprechen wir: Ich bin der allerelendeste Mensch, es ist kein unseligerer Mensch auf Erden, denn ich. Solch Erkenntniß macht einen rechten demüthigen Menschen, macht Raum, daß man zu rechter Vergebung der Sünden kommen kann. Und wo solche Demuth nicht vorhergehet, da ist auch keine Vergebung. Damm gehöret das Evangelium, von Vergebung der Sünde, allein für die rechten Christen, die ihre Sünde recht erkennen und fühlen: die andern rohen Leute, so ihre Sünde nicht erkennen noch fühlen, gehören nicht hieher, verstehen auch nicht diesen Artikel von Vergebung der Sünde; und ob sie schon davon predigen hören, so bleibt es doch ihnen zugedeckt.
Am 30. November.
Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir, Jes. 60, 1. Daß der Prophet das Evangelium nennt ein Licht, Klarheit, Glanz und Aufgang des Herrn, gibt er zu verstehen einen Unterschied unter dem Licht des Evangelii und des Gesetzes; welcher Unterschied gar wohl zu merken ist, daß man nicht Evangelium und Gesetz in einander menge, und das Evangelium heiße, das Gesetz ist; oder wiederum. Denn im Advent haben wir gehöret, wie das Evangelium ist ein Wort des Lebens, eine Lehre der Gnaden, ein Licht der Freude, das da zusaget, bringet und giebet Christum mit allen seinen Gütern. Aber das Gesetz ist ein Wort des Todes, eine Lehre des Zorns, ein Licht der Betrübniß, das die Sünde offenbaret und fordert die Gerechtigkeit von uns, welche wir nicht vermögen, damit das Gewissen sich erkennet und fühlet als des ewigen Todes und Zorns schuldig, davon es muß betrübet und unruhig sein. Und einem solchen Gewissen kommt und wird diese fröhliche Prophezeihung Esaia gesungen, daß es wieder erfreuet, lebendig und ledig werde vom Gesetz und Sünden. Darum mögen wir diese zwei Lichter nennen, eines des Herrn Licht, das andere des Knechts Licht, 2 Kor. 3, 13. Des Herrn Licht ist durch Christum, des Knechts Licht ist durch Mosen aufgegangen.
Darum mochte Aaron und die Kinder von Israel nicht leiden das Licht und Klarheit Mosis in seinem Angesicht, sondern er mußte eine Decke vorhangen. Aber Christi Angesicht auf dem Berge Thabor, da es verklaret ward, war nicht unleidlich, ja, so lustig und lieblich, daß St. Petrus für Freuden sprach: Herr, hier ist gut sein, willst du, so wollen wir 3 Hütten machen, dir eine, Mos: eine, und Elia eine. Daselbst war auch Mosis Licht nicht unträglich, sondern lieblich; denn das Evangelium machte das Gesetz, den Zuchtmeister, angenehm, der zuvor der Natur unleidlich und unangenehm war.