Krummacher, Emil Wilhelm - Der Kinder Gottes Trost und selige Hoffnung.

Krummacher, Emil Wilhelm - Der Kinder Gottes Trost und selige Hoffnung.

Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns Allen! Amen.

Text: 1. Johannes 3,2.
Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wann es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

Wie ein Brunnen voll heilender Kräfte, wie die liebe Sonne, die auch schwarze Gewitterwolken mit einem Silberrande umkränzt, wie ein golden Morgenroth, das einen herrlichen Tag verkündet nach schwarzer, stürmischer Nacht, so sind diese Worte des heiligen Johannes. O es haben wohl schon gar manche müde Wanderer aus diesem Brunnquell sich einen Labetrunk geschöpft, und tausend brechende Herzen hat er mit seliger Himmelslust erfüllt. Wenn nirgends auf der weiten Welt ein Ruheplätzchen zu finden war, nirgends Schatten wider die stechende Sonnenhitze der Trübsal und Anfechtung, nirgends ein Mutterherz mitleidig uns entgegenschlug, vielmehr Alles quer und feindselig auf unsere gebeugte, zerrissene Seele losdrang: hier fanden wir, hier fanden Tausende, was die schmachtende Seele trösten, erquicken, sättigen, emporrichten konnte: Adlersflügel in der Mattigkeit, Lebenskräfte mitten in finstern Thälern, selige Hoffnung, wenn das Herz im Staube lag, ja Himmelswonne, wenn wir den 88. Psalm singen mußten: „Meine Seele ist voll Jammer und mein Leben nahe bei der Hölle.“

Zur Beständigkeit im Glauben, zur Liebe gegen einander, zur fortgesetzten Heiligung, zur Geduld, zum standhaften Ausharren in Jesu Gemeinschaft und Nachfolge will der heilige Johannes uns ermuntern. Daß wir bleiben bei Jesu, daß wir durch nichts und niemand von Ihm uns abwendig machen lassen, daß wir auch durch die Nacht hindurchbrechen in unserm Glauben, wie Assaph mit seinem „Dennoch“ und im bittren Winter dem Anbruch des Frühlings entgegenharren, das möchte er bewirken bei uns Allen, und das müsse ihm gelingen. Wohlan, Geliebte, lasset uns das johanneische Trosteswort in nähere Erwägung ziehn. Unser Text weiset uns einen dreifachen Standpunkt für unsere Betrachtung an. Johannes sagt uns: was wir sind, was wir noch nicht sind und was wir sein werden.

Heiliger Vater, heilige uns in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

I.

“Meine Lieben“, so beginnt der Apostel, “wir sind nun Gottes Kinder.“ Da hören wir’s klar und deutlich, mit was für Leuten es der liebe Johannes zu thun hat: mit Gottes Kindern, mit seinen Geschwistern, die er seine Lieben nennt. Diese will er trösten, aufrichten und stärken, daß sie fröhlich in Hoffnung bei ihm ausharren und ihr Angesicht salben mit Freuden. – Das sollen wir uns wohl merken. Es steht in der ganzen heiligen Schrift alten und neuen Testamentes kein Trost, keine Verheißung verzeichnet, die er auf andere Leute bezöge. Wer die erquickenden Aussprüche zur Vergebung der Sünden, Gnade, Seligkeit und ewigem Leben sich zueignet, ohne ein Kind Gottes zu sein, der dringt ohne alle Berechtigung in Gottes Heiligthum hinein, zerreißt die Schranken, die der König aller Könige gezogen und begeht einen Tempelraub. Mit ihm wird ihm auch der gestohlene Trost ein Gift, das ihn verdirbt. Wollen wir an den Gütern des Hauses Gottes Theil haben und aus seinem Brünnlein schöpfen Trost und Frieden, so müssen wir auch Gottes Kinder werden und das selige “Nun“ erfahren haben, von welchem Johannes redet in unserm Texte. Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder.

Was sind das aber für Leute die Kinder Gottes? Nun, es stempelt uns noch nicht zu Kindern Gottes, daß wir diesen und jenen groben Weltlüsten entsagen, ein zurückgezogenes Leben führen und uns äußerlich unter das Israel Gottes mengen. Das thut es nicht, daß wir die Sprache Canaans kennen; auch die Aehnlichkeit des Wandels und Benehmens reicht nicht hin. Siehe, du kannst dem ganzen Worte Gottes deine Beistimmung geben und Alles, was Christus gethan, geleistet, gelöset und gelitten hat gut heißen, kannst im Stande sein, jeden Glaubenssatz der geoffenbarten Wahrheit aus der heiligen Schrift schlagend zu beweisen und dazu die Achtung deiner Mitmenschen in hohem Grade in Anspruch nehmen, das Alles ist nicht hinreichend, das Alles bringt dich nicht ein in die Familie der Gotteskinder. Dazu wird mehr erfordert. Geburt, Geburt aus Gott, die thut’s allein. Wo gleiche Geburt ist, da ist Geschwisterschaft, sei auch Aussicht, Gestalt, seien Fähigkeiten und Verhältnisse noch so verschiedenartig; sei der stark, jener schwach, dieser gestiefelt an Beinen, fertig zu treiben das Evangelium des Friedens wie Paulus und Jesaias, jener lahm und hinkend wie Jakob und Mephiboseth, sei dieser ein Apollo, beredt und mächtig in der Schrift, jener stammelnd und lallend wie ein schwaches Kindlein, sei dieser ein Mann in Christo, erprobt und erfahren in den Wegen Gottes, jener ein jetzt geborner Säugling, der Milch bedürftig, was thut’s? Hier ist ein Blut, eine Herkunft, ein Stamm, ein Haus, ein Erbe, hier ist Verwandtschaft, hier sind Brüder und Schwestern. Gottes Kinder sind nicht alle in eine Form gegossen, nicht alle stellen sich in Auffassungsart und Ausdrucksweise gleich dar, es findet hier vielmehr eine große Mannichfaltigkeit Statt. Auch im geistlichen Gottesgarten haben nicht alle Blumen dieselbe Gestalt und Farbe und Duft, vielmehr sind sie tausendfältig verschieden, ja so verschieden, daß am Ende keine der andern völlig gleich ist. Aber so gewiß dieß festgehalten werden muß wider alle steife Engherzigkeit, so gewiß steht es andererseits fest, daß nur die Neugeburt des Herzens zu Gottes Kindern macht. “Wahrlich, wahrlich“, spricht der Herr, “es sei denn, daß der Mensch von Neuem geboren werde, sonst kann er das Reich Gottes nicht sehen“ Wer daran sich vorbei machen will, und sei er ein Tugendmuster erster Größe und ein hellleuchtender Stern am Firmamente der Welt, bewundert von Nationen und gepriesen von einem Pol zum andern, der mag ein Tugendmuster sein, ein Kind Gottes ist er nicht und wahrlich, er kann das Reich Gottes nicht sehen, geschweige hineinkommen. Hier zieht das Wort Gottes unerbittlich eine scharfe Grenze.

Siehe, mein lieber Christ, es hilft dir nichts, daß du auf das Kleid deiner alten Natur einen neuen Lappen setzest: Du sollst deinen alten Menschen aus- und den neuen Menschen anziehen, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren und wer es verlieren wird, der wird es erhalten.“ In den Tod muß deine alte Natur. „Es muß mit einem jeglichen Menschen zu einem Untergang kommen“, hat Luther gesagt und wenn es Luther nicht gesagt hätte, so versichert uns doch der Herr und seine heiligen Apostel, daß wir Buße thun und wieder geboren werden müssen, wenn wir zur Gotteskindschaft gelangen wollen. Das Blut Jesu Christi muß mit seiner errettenden, versöhnenden, heiligenden Kraft über deine Seele kommen. Um Gnade und Vergebung deiner Sünde mußt du flehen lernen. Gottes Kinder leisten auf alles eigene Verdienst Verzicht. Es ist nur ein Rock, der ihre Blöße deckt: das ist der Purpur ihres Königs, des himmlischen Friedefürsten. Mit diesem Gewande treten sie in den königlichen Hochzeitsaal und werden willkommen geheißen. Wer aber in dem Flitterputz seiner eigenen eingebildeten Gerechtigkeit erscheint und das umsonst dargebotene königliche Hochzeitgewand des Mittlers unbußfertig verschmäht, der wird hinaus gewiesen aus dem Saale und in die äußerste Finsterniß geworfen, wo Heulen und Zähneklappern ist. Gottes Kinder sind nicht so verwegen, daß sie sich einbilden, als könnten sie etwas bringen; nichts können sie bringen, als leere Hände und sündige Herzen zum Betteln und Empfangen.

Ja, ein Kind Gottes sein, das will viel sagen, dazu gehört mehr, als eine oberflächliche Religiosität, mehr als eine todte Rechtgläubigkeit, mehr als ein äußerlich sittsamer Wandel, dazu wird eine durchgreifende Umgestaltung unseres ganzen Wesens, ein Versetztwerden aus dem Tod ins Leben, aus der Finsterniß in das Licht, eine Geburt aus Gott erfordert. Mag diese plötzlich oder allmählig statt finden, sie muß bei uns Allen geschehen und wir Alle müssen inne werden, daß sie geschehen ist. „Wir wissen,“ sagt Johannes, „daß wir aus dem Tode zum Leben durchgedrungen sind: den wir lieben die Brüder. Daran haben wir erkannt, daß wir Gott lieben, an dem Geist, den er uns gegeben hat“, und dieser Geist hat eine umwandelnde Kraft. Man war todt, schwach, sündig, aber durch den Geist wird man lebendig, stark und reines Herzens. O der gesegneten Umwandlung“ Heil und Segen allen denen, die sie erfahren haben. Wie sind sie so glücklich zu preisen. Da werden uns nicht nur die Ketten abgenommen, wir werden in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes versetzt, in die Familie des himmlischen Vaters aufgenommen. Was will aber das nicht sagen! Als ein begnadigtes Gotteskind in Gottes Vaterarme, in seinen Vaterschooß, in sein Vaterherz gebettet werden, größeres Heil giebt es auf Erden nicht. Was kann dir fehlen, wenn der Allgenugsame dein Gott ist? Was hast du nicht, wenn du Ihn hast? Wer kann dich ängstigen, verdammen, verderben, wenn der Herr deines Herzens Trost und dein Theil ist? Deine Sünden? Sie sind getilgt und vergeben. Deine Armuth? Der Himmel ist dein und das Himmelreich. Der Fluch des Gesetzes. Er ist abgethan. Die Hölle? Für dich ist sie ausgelöscht. Der Tod? Er hat seinen Stachel verloren, er kann dich nicht tödten. Der Satan? Er ist sammt der Welt überwunden. Du bist gerecht vor Gott; Christi Gerechtigkeit ist die Deine; in ihm hast du das Gesetz erfüllt, in Ihm die Strafe getragen. O seliges Gotteskind, freue dich und jauchze aus allen Kräften. Großes hat der Herr an dir gethan, er hat dein Haupt gesalbet mit Freudenöl, er hat dir den neuen Namen gegeben, den niemand kennt, als der ihn empfäht, er hat dir sein Liebesherz geöffnet, er hat dich getröstet, wie einen seine Mutter tröstet, den Himmel hat er dir aufgethan, den Trost des ewigen Lebens hat er dir geschenkt, deine Seele hat er wie einen Brand aus dem Feuer gerissen, dein Auge von den Thränen, deinen Fuß vom Gleiten, er hat dir einen Freibrief gegeben wider alle Anklagen deiner Feinde und überschwänglich mehr an dir gethan, als du bitten und verstehen kannst. Du bist sein Augapfel, ein Gegenstand seiner innigsten Vaterzärtlichkeit, ein Gefäß seiner Gnade und Wahrheit, ein lebendiger Beweis seiner unaussprechlichen Wunderliebe. Alle Güte und Gaben des neuen Testaments, alle Verheißungen des heiligen Evangeliums sind dein Eigenthum. O welch ein Adel, welch ein Reichthum, welch eine Wonne in Zeit und Ewigkeit wird unser, wenn wir Gottes Kinder sind.

II.

Doch stille, was sagt Johannes weiter? „Meine Lieben“, spricht er, „wir sind nun Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“ Ja, ja, es ist nicht lauter Wonne, was Gottes Kinder hier umfängt, sie schweben nicht immerdar in einem Freudenhimmel, nicht immer sind sie unter den Palmen des Friedens gelagert, nicht immerdar scheint ihnen die Sonne, nicht fort und fort blüht ihnen der Frühling. Es giebt auch für sie dunkle Nächte, heulende Wüsten, heiße Sonnenbrände, es giebt Stürme und Schwerdter, Flammen von innen und tobende Wellen von außen, es giebt ein ganzes Heer von Trübsalen und Widerwärtigkeiten, die auf Gottes Kinder losstürmen und ihre Seelen unaussprechlich ängstigen.

Schaut nur die Väter des alten Bundes an, geleitet sie auf ihren Wanderschaften. Ach wie oft stieg ihnen das Wasser der Trübsal bis an die Seele, welche dornigte, dunkle Schluchten mußten sie durchwandern. Wie viele theure Gottesmänner sind auf die entsetzlichste Weise umgekommen! Wie erging es den Aposteln des Herrn? Ach wie manchen Isaak mußten sie schlachten mit blutendem Herzen! Paulus war gefangen, in Todesnöthen, er wurde gestäupt und gesteinigt, litt Schiffbruch, war in Gefahr zu Wasser, zu Lande, unter Juden und Heiden, in den Städten, auf dem Meere, unter den falschen Brüdern. Welche Mühe und Arbeit, Hunger und Durst, Fasten, Trost und Blöße hat er ausgestanden! Daneben schlug ihn Satansengel mit Fäusten und es war ihm gegeben ein Pfahl in’s Fleisch. Und was waren die Christen der damaligen Zeit anders als Schlachtschafe, Fegopfer der Leute, verhaßt wie die Pest; wie sind sie zerhackt, zerstochen, durch’s Schwert getödtet, wie schlugen die Fluthen des namenlosesten Jammers über ihrem Haupte zusammen! Alles lag wider sie zu Felde, ja die Welt glaubte Gott einen Dienst zu thun, wenn sie sie auf die grausamste Weise verfolgte und Satan schüttete seinen ganzen Ingrimm über sie aus, um sie durch die entsetzlichsten Leiden in die Schrecken der Verzweiflung zu stürzen. Da mochte Johannes wohl freilich seinen Lieben zurufen: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“

Und was sollen wir hierzu sagen? Haben sich nicht zu allen Zeiten über den Häuptern der Kinder Gottes solche dunkle Wolken entladen? Waren nicht immerdar die lebendigen Christen dem Satan und der Welt wie ein spitziger Dorn im Auge? Ach, wie viele Henkersbeile sind mit dem Blute gläubiger Christen geröthet worden! Wie viele Christenherzen sind von der Welt in Stücke gerissen. Vergegenwärtigt euch nur die Verfolgungen der Reformirten in den Niederlanden, wo unter dem blutdürstigen Herzog Alba 18000 Bekenner des Evangeliums hingeschlachtet wurden. Denkt an die Pariser Bluthochzeit, wo unter dem König Karl IX. innerhalb 30 Tagen nicht weniger als 60,000 Reformirte unter dem Mordschwert ihr Leben ausbluteten. Und wenn wir auch bis dahin in unserm Leben vor ähnlichen grausamen Martern und Verfolgungen bewahrt geblieben sind, so werden wir doch wohl bei Beobachtung der Zeichen unserer Zeit nicht in Abrede stellen wollen, daß die antichristische Gesinnung in erschreckenden Maße steigt, so daß die Zukunft vielleicht ähnliche Ausbrüche des Christushasses in die Erscheinung rufen möchte. Aber sei es auch, daß der Herr uns noch mit solchen Martern und Verfolgungen verschone, das steht gleichwohl fest, daß auch wir durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen müssen und nicht selten ist es der Fall, daß gerade die theuersten Lieblingskinder Gottes mit den empfindlichsten Leiden heimgesucht werden. Schaut euch nur um in der Gemeinde des Herrn. Ich will nicht reden von so manchen Räthseln der göttlichen Vorsehung in der Geschichte der Welt und dem Mißlingen so mancher christlichen Unternehmungen, auch nicht von dem verwahrlosten Zustande, in welchem sich so viele christliche Kirche und Schulen befinden. Lasset euch nur einmal von denen, die den Herrn fürchten und auf seinen Wegen wandeln, ihre Erfahrungen und Führungen mittheilen. Hier bittere Armuth, dort empfindliche Schmerzen und Körperleiden, hier peinliche Entbehrungen, das Liebste uns entrissen oder versagt, dort innerliche Verdunkelungen, Seelenkummer, Versuchungen, gotteslästerliche Gedanken, Reizungen zu allerlei Sünden, hier Verkennung, Schmach, Anfeindung selbst von den nächsten Anverwandten und Hausgenossen, dort ein verborgenes Kreuz, das niemand kennt als Gott allein. Ach wie oft will es Nacht werden um Gottes Kinder, so daß ihnen nirgends ein Sternlein des Trostes und der Hoffnung scheint. Ach, da hat es ja manchmal den Anschein, als würde unser Glaube verlacht, unserer Hoffnung gespottet und unser Beten verhöhnt. Nur mit neuem Kreuz wird unser Flehen, unser Seufzen mit verdoppelten Streichen, unsre Geduld mit nichts als neuer Noth und Drangsal vergolten. Wir bitten bescheiden und ergeben nur um ein Tröpflein Linderung, und es wird uns nicht, nur um ein wenig Ruhe, aber sie bleibt aus, nur um eine kurze Windstille, aber neue Stürme heulen uns an. Endlich meinen wir, das Schifflein unserer Hülfe segle heran, aber ach, wie wir es bestiegen wollen, da geht es entweder unter, oder es segelt vorbei. Wir glauben endlich die rettende Hand zu erblicken, aber wie wir sie ergreifen wollen, da ist’s ein Traumgesicht. Nun endlich denken wir, sei das Licht in Anbruch nach der langen, bangen, stürmischen Nacht – aber wie wir daraus zueilen, da ist’s verschwunden und erloschen wie ein Irrwisch, ausgeblasen wir von einem schadenfrohen Geist, und auf’s Neue verwandelt sich unser Lobgesang in ein Aechzen, und unser Hoffen in einen Schrei des Entsetzens. Uns mißlingt es mit unserm Glauben und den Gottlosen gelingt’s mit ihrer Bosheit, daß sie unsrer lachen können. Uns wird neues Ungemach, immer neue Nöthen und Verlegenheiten, während die Verruchten triumphiren auf der Höhe ihres Glücks und ihrer Siege. Ja ihr, die ihr ein liebendes Herz im Busen traget für euern Erbarmer und seine Wege wandelt in seiner Furcht, ihr kennt diese Zustände der Verdunkelung, ihr wisset von diesen bittern Anfechtungen zu sagen, aber lasset euch das Herz nicht entfallen, theure Brüder, denket nicht, als widerführe euch mit dieser Hitze der Anfechtungen etwas Sonderliches. „Es sind wahrlich alle Frommen, die des Himmels Klarheit sehn, aus viel Trübsal hergekommen.“ Getrost, getrost! Lasset der Welt den kurzen scheinbaren Triumph, lasset dem Satan sein doch ohnmächtiges Schnauben, zürnet dem himmlischen Weingärtner nicht, wenn er seine Rebe beschneidet, verzaget nicht, wenn der Herr sich in Dunkelheit hüllt. Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Noch macht uns der Todesleib, noch macht uns die uns anklebende Sünde viel zu schaffen, viel zu seufzen.

III.

Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden: denn wir werden Ihn sehen, wie er ist. Wir wissen, sagt der Apostel; er sagt nicht, wir meinen, wir denken, wir hoffen so oben hin, sondern wir wissen, so wahr der Herr im Himmel wohnt, so gewiß sein Wort die ewige Wahrheit ist. Es steht uns fest, fester als die Berge Gottes, die Jahrtausenden trotzen; wir wissen nicht nur, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, wir wissen mehr als das, wir wissen, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden. O Geliebte, dieses Wissen der Kinder Gottes, diese zuversichtliche, felsenfeste Gewißheit, die ihrem Gewissen unverwüstliche eingeprägt ist, sie ist ein unvergleichlich köstlicher Schatz. Wohl ist es etwas Schönes und Herrliches, wenn der Mensch seinen Geist auszubilden strebt und sich zu einer gründlichen Wissenschaftlichkeit emporschwingt. Wir wollen es gern anerkennen, daß es etwas Edles ist, wenn ein Mensch im Gebiete der Kunst und Wissenschaft zu Hause ist; aber etwas kann das am Ende austragen, wenn wir was nicht wissen, daß wir als Gottes Kinder zur Erbschaft des ewigen Lebens gelangen werden. Und dieses selige Wissen, das uns nicht genommen werden kann, ist das Besitzthum der Kinder Gottes. Wir wissen, sprechen sie mit dem Apostel, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden. Hier im dunklen Erdenthale noch eine kleine Zeit gelitten, gestritten, geweint, gekämpft, gerungen, hier noch einige Jahre arm, verachtet, verspottet, verhöhnt, verabscheut, angefochten, verkannt; das Blatt wendet sich, endlich, endlich schlägt die Stunde der vollen Erlösung, die Stunde der Offenbarung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi. Christus bricht hervor, zu erlösen die Gefangenen Zions und ihre Schmach wird hinweggethan. Christus bricht hervor, Alles, was Noth und Drangsal heißt, mit allmächtiger Hand zu bannen. Dann wird es an’s Tageslicht kommen, welch ein gutes Theil die Kinder Gottes erwählt haben; da wird man ausrufen müssen, der Herr hat Großes an ihnen gethan, deß Name heilig ist; und o wie werden sie sich schämen die losen Verächter, die Feinde des Evangeliums, wenn nun in Erfüllung gehen wird das Wort: Wir sind gestorben und unser Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn dann Christus, unser Leben, offenbar werden wird, dann werden wir mit ihm offenbar werden in seiner Herrlichkeit. Ja, dann werden wir Ihm gleich sein. An den Tag wird es kommen, daß die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit und daß seine Herrlichkeit die unsrige ist, nach dem großen Worte der Verheißung: Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir sein, die du mir gegeben hast, auf daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. Vor den Augen aller Nationen werden Gottes Kinder behandelt werden wie Christus selbst, behandelt werden als Heilige und Gerechte, die nie eine Sünde begangen und alle Gerechtigkeit vollbracht haben und sie werden nicht nur dem Gerichte entrinnen, sondern – wer mag es fassen? mit dem Könige aller Könige die Welt richten. Wie wird man dann staunen, wenn man sehen wird, wie die armen Schächer, Zöllner und Magdalenen den Thron mit Christo theilen und mit ihm die Welt richten werden. Wie wird man staunen, wenn man diejenigen, die auf Erden so arm, so verachtet und verhöhnt waren, erblicken wird mit Kronen auf ihren Häuptern, mit Palmen des Friedens in ihren Händen, wenn sie dastehen werden im Glanze der Verklärung, nachdem der Herr der Herrlichkeit ihren nichtigen Leib verklärt hat, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe. Mitten zwischen den himmlischen Heerscharen werden sie mit dem Herrn Lob sagen, als Gottes Erben und Christi Miterben werden sie jauchzen, als Könige und Priester Gottes haben sie ihre Wohnung im Allerheiligsten.

Wir werden ihm gleich sein, sagt der Apostel, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Hier ist unser Auge noch getrübt durch die Sünde, durch die Wolken der Anfechtung, durch den Erdenstaub. Unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk; wir wandeln hier im Glauben und nicht im Schauen; wir sehen durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dort aber wandelt sich unser Glaube in ein Schauen, dort erblicken wir als ganz geheiligter, durch und durch geläuterte und beseligte Wesen den Herrn von Angesicht zu Angesicht. Alle Hüllen werden hinweggethan, in seiner ganzen Glorie, in seiner namenlosen Majestät und Sünderliebe, in seiner ganzen Huld und Treue tritt nun Immanuel vor das nicht mehr umflorte, sondern völlig helle Geistesauge und es erschließt sich eine Wundertiefe seiner Herrlichkeit nach der andern. Hinweggerissen sind alle Dämme, die dem Zufluß seiner Gnadenmittheilungen im Wege standen, das wunderbare Licht der seligen Ewigkeiten durchdringt uns gar und strömt in unsere ganze Seele ein. Wir sehen Ihn, den wir nicht sahen und doch liebten und freuen uns sein mit herrlicher und unaussprechlicher Freude – und diese Freude nimmt kein Ende. Immer neue Psalmen ergießen sich aus unserer wonneerfüllten Brust, immer neue Weihrauchswolken dampfen von dem Altar unseres Herzens zum Throne der Gnade empor. Jetzt erst sehen wir ganz, wie sehr Er uns geliebet, wie groß der Reichthum seines Erbarmens war; jetzt erkennen wir, wie alle seine Führungen, auch die räthselhaftesten und unbegreiflichsten, Führungen Seiner Weisheit, Liebe und Treue waren – und alle Wonne des ewigen Lebens, alle Herrlichkeit, die wir genießen, sie kann uns in Ewigkeit nicht mehr genommen werden. Doch was ringe ich armer Mensch, Unaussprechliches auszusprechen? Es hat es nie eine menschliche Sprache vermocht und wird es nie vermögen, die Herrlichkeit des ewigen Lebens nach Gebühr zu schildern. Es bleibt in Ewigkeit dabei: Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehöret und in keines Menschen Herz ist gekommen, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben. Und als der Apostel Paulus in eine himmlische Entzückung versetzt wurde, da konnte er nachher doch weiter nichts berichten als: er habe unaussprechliche Worte gehört; auch er verzagte also daran, das zu schildern, was der Herr ihn hatte sehen lassen von der Herrlichkeit des ewigen Lebens. wünschen wir aber, lieben Brüder und Schwestern, hier auf Erden schon den Vorschmack und droben den Vollgenuß dieser Herrlichkeit zu erlangen, möchten auch wir aus eigner Anschauung inne werden, wie groß das Heil der Kinder Gottes ist, o so lasset uns wohl zusehen, daß wir um den Geist der Gotteskindschaft ringen und flehen. O begnüget euch nicht mit einem kalten Halb- und Namenschristenthum, sondern machet Ernst aus der Sache, in Wahrheit Kinder Gottes zu werden. Ihr betrügt euch selbst um das edelste Kleinod, welches die Liebe Gottes uns gespendet, wenn ihr in Sattheit, Selbstgerechtigkeit und Gleichgültigkeit verharret, ja ihr grabet euch selbst das Grab des Jammers und Verderbens, wenn ihr nicht von ganzem Herzen bezeugen lernet, daß der Geist Gottes eurem Geiste Zeugniß giebt, daß ihr Kinder Gottes seid.

Ihr aber, theure Brüder und Schwestern in dem Herrn, die ihr dieses Ringen nach der Kindschaft aus Erfahrung kennt und keinen höhern Wunsch im Herzen tragt, als daß alltäglich Gottes Geist euch treibe, führe und regiere, damit auch die Frucht dieses Geistes: Liebe, Friede, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Treue, Sanftmuth und Keuschheit in’s Leben treten, o freuet euch, lobet den Herrn und preiset seinen heiligen Namen! Müßt ihr auch hier noch eine Zeitlang oder lange Zeit leiden, ja wenn bisweilen eure Schultern wund werden unter dem Kreuze: schauet an die Belohnung, schauet an das herrliche Ziel, glaubet auch in der Finsterniß an das immer wieder den Gerechten aufgehende Licht und wisset, daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, die an euch soll offenbar werden, so daß eure Trübsal, die da zeitlich und leicht ist, eine über alle Maßen wichtige Herzlichkeit schaffet! Nur ausgeharrt bis ans Ende, nur fortgebetet, fortgekämpft den guten Kampf des Glaubens, Glauben gehalten und so den Lauf vollendet, dann harret eurer die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr verheißen hat allen, die seine Erscheinung lieb haben. Der große Gnadentag bricht an. Immanuel erscheint. Ihr werdet Ihm gleich sein. Ihr werdet Ihn sehen wie er ist, Ihn, den ihr nicht sahet, und doch lieb hattet, und werdet euch freuen in alle Ewigkeit mit herrlicher und unaussprechlicher Freude!

Amen.

Predigt über 1. Johannes 3. V. 2 in der St. Stephanikirche zu Bremen am 28. Juli 1850 gehalten von Emil Wilhelm Krummacher, Pastor an der St. Salvator- und Marienkirche in Duisburg.
Auf Begehren zum Besten der schleswig-holsteinischen verwundeten Krieger dem Druck übergeben.
Bremen, 1850.
Druck von F. Feilner.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_e/kinder_gottes.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain