Krummacher, Emil Wilhelm - Gideon, der Richter Israels - Dritte Betrachtung.

Krummacher, Emil Wilhelm - Gideon, der Richter Israels - Dritte Betrachtung.

Richt. VI,13. 14.
Gideon aber sprach zu ihm: Mein Herr, ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches Alles widerfahren? Und wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter erzählten, und sprachen: Der Herr hat hat uns aus Ägypten geführt: Nun aber hat uns der Berr verlassen, und unter der Midianiter Hände gegeben.
Der Herr aber blickte ihn an, und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft, du sollst Israel erlösen aus der Midianiter Hände. Siehe, ich habe dich gesandt.

Wir betrachten nach Inhalt dieser Worte die Einwendung, welche Gideon gegen die ihm gewordene Begrüßung erhebt und die Entgegnung der HErrn.

1.

Denken sollte man freilich, dass Gideon, nachdem er aus dem Mund des HErrn den Gruß empfangen: „Der Herr mit dir, du streitbarer Held!“ sofort mit der frischesten Freudigkeit, ja mit Löwenmut angetan worden wäre und in das Wort des Psalmisten eingestimmt hätte: „Mit dem HErrn kann ich Kriegsvolk zerschmeißen und ob Tausend fallen zu meiner Rechten und Zehntausend zu meiner Seite, so wird es doch mich nicht treffen.“ Aber nein. Er kann den so herrliche Verheißungen in sich schließenden Gruß noch nicht fassen, er kann ihn mit der Lage, in der er und sein Volk sich befand, nicht reimen, darum spricht er: Mein Herr, ist der Herr mit uns: warum ist uns denn solches Alles widerfahren? Und wo sind alle seine Wunder, die uns unsere Väter erzählten, und sprachen: Der Herr, hat uns aus Ägypten geführt?, Nun aber hat uns der Herr verlassen und unter der Midianiter Hände gegeben.

Das Walten des HErrn, will er sagen, ist ein ganz anderes geworden, wie es zur Zeit der Väter war; es scheint eine Änderung in der Gesinnung des Gottes Israel vorgegangen zu sein. Er scheint seine Barmherzigkeit vor Zorn verschlossen und seine Hand von seinem auserwählten Volk abgezogen zu haben. Wäre das nicht der Fall, will er sagen, dann würden ja jene gottlosen Midianiter nicht so mordend, plündernd und verwüstend über uns hereinbrechen und stets aufs Neue den Stab Wehe über uns schwingen. Das Walten des HErrn stand ihm also in offenbarem und grellem Widerspruch mit seiner und seines Volkes Lage er konnte es nicht mehr glauben, dass der HErr noch Gedanken des Friedens hege, es glaubte, vielmehr annehmen zu müssen, dass Er nur noch Gedanken des Leides hege, tue. Nun, mit diesen seinen Einwendungen steht Gideon nicht vereinzelt da.

1. „Ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches Alles widerfahren?“. O wie oftmals ist im Laufe der Zeit dieselbe Sprache laut geworden! Welcher Klage entströmte Hiobs Herzen, als er all seiner Habe, ja aller seiner Kinder beraubt worden war;- in welche Anfechtungen geriet er, dass er schier verzweifelte an aller Barmherzigkeit Gottes! Welche Klagen vernehmen wir aus Davids, Naemans, Assaphs Herzen! Und was mag vorgegangen sein in den Herzen der Propheten, wenn sie zu ihrem tiefen Schmerz wahrnehmen mussten, wie tausend Hindernisse und Verfolgungen sich ihnen in den Weg stellten. Wie oftmals waren die Apostel des HErrn veranlasst, ähnliche Fragen aufzuwerfen wie Gideon. Wenn sie verfolgt, geschlagen, verhöhnt, gesteinigt, geschleift wurden, Schiffbruch erlitten, Hunger und Durst, Frost und Blöße erduldeten und endlich unter dem Mordschwert ihrer Feinde ihr Leben aufopfern mussten, o wie große Veranlassung hatten da auch sie, zu sprechen: „Ist der HErr mit uns, warum ist uns denn solches alles widerfahren?“ Als Johannes der Täufer darum, weil er jenem ehebrecherischen Herodes die Wahrheit gesagt hatte, nicht nur ins Gefängnis geworfen, sondern sogar enthauptet wurde, wie dunkel war da über ihm das Walten des HErrn! Als in den drei ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung die entsetzlichen zehn Verfolgungen von den römischen Kaisern über die Christenheit verhängt wurden und im siebten Jahrhundert der Muhamedanismus sein Haupt erhob und mit Feuer und Schwert die Christengemeinden zerstörte, als später unter der päpstlichen Herrschaft die lieben Waldenser auf die grausamste Weise gemartert und zu Tausenden hingeschlachtet, als unter Ludwig IX. und Karl IX. die evangelischen Christen in Frankreich, unter Alba die Christen in den Niederlanden niedergemetzelt wurden, als vorher im Jahr 1547 die Häupter des schmalkaldischen Bundes, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Herzog Ernst von Lüneburg von Kaiser Karl V. nicht nur bei Mühlberg geschlagen wurden, sondern sogar in die Gefangenschaft des Kaisers gerieten, wie oftmals wird da auch Gideons Wort auf ihren Lippen gewesen sein: „Ist der HErr mit uns, warum ist uns denn solches Alles widerfahren?“ Ich könnte ferner an das blutige Inquisitionsgericht, besonders in Spanien erinnern, welches viele tausend Christen, die das Evangelium von Christo liebten, hinmordete. Und fehlt es in unserer Zeit an ähnlichen Ereignissen? Ach denken wir nur an jene schrecklichen Nachrichten, die wir im Jahre 1859 von der Insel Borneo erhielten, wo unsere lieben Sendboten auf die entsetzlichste Weise hingemordet wurden. Denken wir ferner an die himmelschreienden Gräuel, welche jene Drusen im Jahr 1860 an den Christen Syriens verübten, Denken wir auch an unsern lieben, teuren König, der sein Volk, der die Kirche Gottes so lieb hatte, der so gern das Beste unseres Vaterlandes suchte und vor Gottes Angesicht wandelte seinem Wahlspruch gemäß: „Ich und mein Haus, wir wollen dem HErrn dienen.“ Ach, wie hat ihn die Hand des HErrn so schwer heimgesucht. Welche heiße Tränen hat er vergießen müssen, welche bange Seufzer sind aus seiner Brust gestiegen und wie oft mag es in seinem Herzen geheißen haben: Ist der HErr mit mir, warum ist mir denn solches Alles widerfahren? Und o! was trägt sich nicht sonst zu. Wie manche liebe treue Christen gibt es, die bei aller Arbeit und Plage, bei aller gewissenhaften Wahrnehmung ihrer Berufspflichten und bei all ihrem Beten und Ringen doch ein herber Schlag nach dem andern trifft. Wie oftmals werden christliche Familien durch erschütternde Todesfälle auf das tiefste darniedergebeugt, dass sie unter Tränen des Schmerzes und unter den heißesten Anfechtungen zu der Frage gedrungen werden: „Ist der HErr mit uns, warum ist uns denn solches Alles widerfahren?“

Aber freilich, sind wir arme, furzsichtige und sündige Menschenkinder denn befugt, mit einem solchen Warum vor dem HErrn zu erscheinen? Darf der Ton wider den Töpfer, das Geschöpf wider den Schöpfer, der Untertan wider den König aller Könige sich auflehnen und ihn zur Rechenschaft ziehen? Sind wir bei unserer Kurzsichtigkeit im Stande, die Gedanken und Wege Gottes, die so viel höher sind als unsere Gedanken, als der Himmel höher ist denn die Erde, zu beurteilen, zu tadeln? Wenn ein kleines Kind seinen Vater zur Rechenschaft ziehen und fragen wollte: Warum tust und unternimmst du dies und das, so wäre das ja eine unleidliche Anmaßung und zum allermindesten verdiente ein solches Kind die Antwort: Ei, das kannst du unverständiges kleines Kind ja nicht verstehen.

Ist aber unser Abstand von dem hocherhabenen Gott nicht ein viel größerer? Sollen wir es ihm nicht zu trauen, dass er auch dann Gedanken der Weisheit, der Liebe und Treue hat; wenn Er Wege einschlägt, die wir nicht fassen und verstehen können? Und haben, denn wie wohl Ursache, mit Gott zu rechten, wir elende Sünder, die wir es tausendfältig verdient haben, dass er die Gerichte seiner Gerechtigkeit über uns verhänge? Verfährt er nicht immer noch gelinder mit uns, als wir es mit unsern Sünden und Missetaten verdient haben? Ja, hat er nicht bei allen Trübsalen und Widerwärtigkeiten, die er den Seinen zusendet, weise, erziehende Absichten? Will er uns nicht auserwählt machen im Ofen des Elende, und soll nicht die Züchtigung, die, wenn sie da ist, freilich nicht Freude, sondern Traurigkeit, zu sein dünkt, eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit bringen denen, die dadurch geübt werden? Fürwahr, wenn solches Warum aus einem ungebrochenen, empörerischen Herzen kommt, dann begehen wir damit eine schwere Versündigung, die mit nichts entschuldigt werden kann.

II.

Und doch sehen wir hier in unserer Geschichte, wie der HErr mit dem fragenden, angefochtenen und verzagenden Gideon geduldig und leutselig verfährt. Nein, Empörung wider den HErrn war in der Frage des Gideon nicht. Es war eine Frage seines klagenden, ringenden, angefochtenen, heißbedrängten Herzens; er sehnte sich in aller Demut danach, vom HErrn Aufschluss zu bekommen und dieser ward ihm zu Teil.

Wir lesen zuvörderst: „der HErr blickte ihn an.“ Davon wissen alle Kinder Gottes zu sagen. Als sie in ihrem Blute dalagen, niedergeschmettert durch das schmerzliche Bewusstsein ihrer Sünden und Missetaten, alt sie ganz und gar verzagen mussten an aller eigenen Gerechtigkeit und nirgends in sich, nirgends in der ganzen Welt einen Ausweg der Rettung zu finden wussten, da ging das Wort des Propheten an ihnen in Erfüllung: „Ich sah dich in deinem Blut liegen und sprach zu dir: Du sollst leben.“ Und als sie später dem HErrn JEsu, wie Petrus einst, die Treue brachen und sie wenn auch nicht mit Worten, doch durch ihre ganze Handlungsweise sprachen: „Ich kenne den Menschen nicht“, da blickte auch sie, wie den Petrus einst der HErr an und Tränen des tiefsten Sündenschmerzes und Gnadendurstes entströmten ihren Augen. Aber der HErr ließ sie doch nicht untergehen, er blickte sie an mit Augen voll Erbarmen und da wurde ihre Seele wieder getröstet und ausgerichtet. O, wie oftmals hat er mit einem Blick aus seinen Augen von dem Kreuze Golgathas herab steinerne Herzen wie Wachs zerschmolzen, dass sie sich auf ewig dem Manne der Schmerzen weihten und hingaben. Und wenn wir in Tränenwinkel saßen und rings umher die Wogen der Trübsal uns umbrandeten, o! wie hat da oft der Blick aus seinen Augen unser Innerstes mit Trost erfüllt und uns Mut und Freudigkeit eingeflößt, auch die züchtigende Hand des HErrn zu küssen und stillen Herzens auf Ihn zu harren und zu hoffen.

Hier bei Gideon verband der HErr mit dem Blicke seiner Augen zugleich eine köstliche Ansprache und Zusprache. Hinziehen sollte er in Kraft dieses Anblicks und Israel aus der Midianiter Händen erlösen. Das war freilich eine gewaltige, alle Menschenkraft übersteigende Aufgabe: denn es war ihrer eine ungeheure Menge. Aber er sollte vor dieser Aufgabe nicht zurückschaudern, darum fügte der HErr das Wort hinzu: „Siehe, Ich habe dich gesandt“, Ich der Allmächtige, der Durchbrecher aller Bande, Ich, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, der alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße legt, ich habe dich gesandt, Ich will durch dich Ehre einlegen unter den Heiden, Ich will alle meine Verheißungen an dir erfüllen und durch Alles hindurch helfen. Und seht, solche Gideons, die Großes ausrichten sollten für den HErrn und sein Volk, hat es oftmals gegeben in der Welt. - Eine Riesenaufgabe war auch den Aposteln des HErrn gestellt, die ohne alles äußere Ansehen, ohne Ross und Reisige in die Welt hinausgehen und die Buße zu Gott, den Glauben an Jesum den Gekreuzigten predigen sollten, der den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit war. Eine Riesenaufgabe war den teuren Reformatoren gestellt; sie sollten mit dem Worte Gottes gegen den Papst und den Kaiser, gegen Teufel und Welt zu Felde ziehen und die Welt für das lautere Evangelium erobern. Eine Riesenaufgabe ist noch heutzutage den Missionaren gestellt, die mitten in der verkommenen gottentfremdeten Heidenwelt das Panier des Kreuzes aufpflanzen und den Götzendienst zerstören sollen. Aber diese Alle ziehen hin, getrost, mutig, siegesgewiss, und warum? Weil sie wissen: der HErr hat uns gesandt, Er geht mit uns, Er bleibt bei uns, Er will mit seiner Kraft in den Schwachen mächtig sein, ja Er selbst geht voran in dem Kampf und darum wissen sie: „die Rechte des HErrn wird erhöht, die Rechte des HErrn behält den Sieg!“

Wohl uns, wenn wir Ähnliches wie Gideon erleben, wenn der HErr auch uns so anblickt wie den Gideon, wenn er auch uns deutlich kund tut, dass Er mit uns und wir mit Ihm im Bunde stehen. Dann seien die Schwierigkeiten und Hindernisse, welche im Wege stehen, noch so unübersteiglich für unsere Kraft, dann seien der Feinde, die uns Verderben drohen, ein noch so großes Heer, Er, der Herzog unserer Seligkeit ist unser Alliierter, da kann ja der Sieg nicht ausbleiben, wir überwinden in dem weit um deswillen, der uns geliebt hat und in Erfüllung geht das teuerwerte Verheißungswort: **Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein. So du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du dich nicht brennen und die Flamme soll dich nicht anzünden. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland.

Amen.

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autoren/k/krummacher_e/gideon/krummacher_emil_gideon_3_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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