Krummacher, Emil Wilhelm - Gideon, der Richter Israels - Zweite Betrachtung
Richt. VI,11,12.
Und der Engel des Herrn kam, und setzte sich unter eine Eiche zu Ophra die war Joas, vom Geschlecht Abieser; und sein Sohn Gideon drosch Weizen in der Kelter, dass er flüchtete vor den Midianitern. Da erschien ihm der Engel des Herrn, und sprach zu ihm: Der Herr mit dir, du streitbarer Held!
Die Veranstaltung des Herrn zur Errettung seines bedrängten Volkes, der Engel des Herrn, Gideon und seine Beschäftigung und endlich die Begrüßung und Anrede des Engels, das ist es, was wir nach Inhalt dieser Worte zu erwägen haben.
I.
Wir sehen zunächst, wie so freundlich der Herr auf das flehentliche Geschrei Anstalt trifft zu Israels Errettung.
Bei Ophra steht im Feld eine Eiche und nahe dabei befindet sich eine Dreschtenne, da ist ein junger Ackersmann am Dreschen und unter der Arbeit sieht er sich um mit ängstlichen Blicken jeden Augenblick: denn er fürchtet einen Überfall der Midianiter, vor welchen er seinen Weizen flüchten möchte. Gideon ist des Ackermannes Name und sein Vater war auch ein Landmann mit Namen Joas. Und wie er so eifrig beschäftigt ist, der liebe Mann, da schreitet unversehens ein Fremdling heran, hohen und holdseligen Ansehens, und es ruht etwas auf seinem Angesicht wie durchleuchtender Sonnenglanz. Der setzt sich unter die Eiche, als sei er müde von der Reise. Und wie Gideon ihn erblickt, da tut der Fremdling seinen Mund auf und spricht: „Der Herr mit dir, du streitbarer Held!“ Da stutzte Gideon und dachte: welch ein Gruß ist dies? Dann aber, wohl ahnend, wen er vor sich habe, spricht er sich rein aus: Mein Herr, ist der Herr mit uns: warum ist uns denn solches Alles widerfahren? Und wo sind alle seine Wunder, die uns unsere Väter erzählten, und sprachen: Der Herr hat uns aus Ägypten geführt? Nun aber hat uns der Herr verlassen, und unter der Midianiter Hände gegeben.
„Da“, erzählt uns die Geschichte, „blickte der Herr ihn an“ gar freundlich und holdselig und sprach zu ihm: „Gehe hin in dieser deiner Kraft, du sollst Israel erlösen aus der Midianiter Händen. Siehe, ich habe dich gesandt.“
Es ist nicht immer etwas Angenehmes, von dem Herrn angeblickt zu werden. Als der Herr die Dränger seines Volkes, die Ägypter ansah, da war es, als ob ein ganz gewaltiger Donnerschlag das ganze Heervolk durchzuckte, die Herzen der Helden wurden augenblicklich verzagt und die Köpfe der Klugen verwirrt und verdunkelt. „Er sieht die Berge an, so beben sie.“
„Deine Augen sehen mich, darüber vergehe ich“, ruft Hiob aus. Ja es gibt ein Herunterschauen der Majestät auf den Wurm, ein Herabschauen des Alleinheiligen in die Finsternis, ein Hinstarren von Seiten der ewigen Gerechtigkeit auf die Sünder, das ist der schrecklichste der Schrecken, die ein sündiges Herz empfinden kann und doch muss er erfahren werden oder man wird sich nie in Gottes Gnadenblicken sonnen können.
Der Blick, dessen Gideon gewürdigt ward bei der Eiche zu Ophra, war ein Blick der Huld und Freundlichkeit. Das Auge, in das er schaute, hatte nichts Schreckendes, nichts Zermalmendes, es war ein freier offener Himmel, klar, holdselig, glänzend in unaussprechlicher Milde.
Es war der Blicke Gottes einer, mit welchem sich ganze Ströme von Friede und Freude in zerschlagene Herzen ergießen und von welchen David singt: „lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.“
Mit solchen Augen der Huld und Gnade den Gideon anblickend, gibt der Herr ihm die Weisung: „Gehe hin in dieser deiner Kraft, du sollst Israel erlösen aus der Midianiter Händen.“ In welcher Kraft? In der Kraft meines Anblicks, Gideon, der Dich meiner Liebe und Gewogenheit versichert hat. Ach ja, die Kraft solcher Gnadenblicke, wodurch der Mensch in seinem Herzen inne wird, dass der Herr ihn lieb hat, ist unbeschreiblich groß. Da sieht man Herzen, die eben noch einem stürmischen Ozean glichen, in einem Moment in Tempel himmlischer Sabbatsruhe sich wandeln und die Seele, die kurz zuvor seufzend in Sack und Asche darniederlag, plötzlich wie ein junger Adler auf den Flügeln der Freude und Wonne sich himmelanschwingen, sobald das Auge des treuen Erbarmers sie erblickt. Da entfaltet nicht selten ein ganz einfältiges Gemüt wie eine Paradiesesblume seinen lieblichen Duft und es tun sich in ihm Kräfte und Gaben kund, die ihren Ursprung im Himmel haben. Stumme und Blöde fangen an zu zeigen, dass man sich nicht genug wundern kann und scheue, furchtsame Seelen treten mit dem Bekenntnis des Namens Jesu so freudig, aus, dass man nicht begreift, wie sie mit einem Mal zu solchem Mut gelangen. Und welche Opfer werden da gebracht, welche Verleugnungen, welche Geduld, welche Bruderliebe kommt da zum Vorschein! Und woher dies Alles? Es ist die Kraft des Gnadenblicks vom Herrn, es ist die Wirkung von dem Innewerden: Mein JEsus liebt mich.
„Gehe hin in dieser deiner Kraft!“ Das, Gideon, sei deine Stärke, dass ich dich angeblickt und das ermuntere dich, dass ich dir gnädig bin. In dieser Kraft gehe hin, und siege! O köstliche Rede! Das Eine nur wisse, dass Er dir gnädig sei, dann darfst du nimmer zagen, noch klagen. Habe nur das Zeugnis, dass Er dein Freund ist, dann darf kein Sturm noch Ungewitter dich schrecken, ja dann spotte nur der bebenden Lanze und „ob Tausend fallen zu deiner Rechten, Zehntausend zu deiner Seite, so wird es dich nicht treffen“, sorge nicht, dass irgend ein Gebirge auf deinem Weg unübersteiglich sei. Die Kräfte deines Immanuel sind zu deinen Diensten und Seine Liebe zu dir ist dein Panier, dein Schild, dein Siegesschwert. Wohin du auch gesendet wirst, sei es in das Feuer der Anfechtung, sei es in die „Wasser der Trübsal“, sei es in häusliche Verlegenheiten und Nöte, sei es zu schweren Kämpfen und großen Unternehmungen, ja sei es in Not und Tod, hat Er dich huldvoll angeblickt und weißt du nun: Mein Jesus liebt mich, gehe hin in dieser deiner Kraft, du hast nichts zu befürchten, nichts zu besorgen. Seine Liebe bahnt dir den Weg; in jedem Kampf wird dir der Sieg.
Eines solchen Gnadenblickes aus Gottes Augen, eines solchen Zurufes: „Gehe hin in dieser deiner Kraft“ wurde auch unsrem Volk zu Teil in den Jahren der Freiheitskriege. Da ging es fort von Kraft zu Kraft, von Sieg zu Sieg, dass man sehen musste, es sei der lebendige Gott auf seiner Seite. Schon in Russlands Eis- und Schneefeldern trat der Herr Zebaoth an die Spitze unserer Heere und sprach donnernd zu unseren Feinden: „Bis hierher und nicht weiter, hier sollen sich deine stolzen Wellen legen“ und als der achtzehnte Oktober 1813 erschien, der große Tag der Leipziger Völkerschlacht, da schlug die Stunde der Errettung, da brach der Tag an, an welchem das Joch jenes Drängers zerbrochen ward.
II.
Aber wer war denn der Engel, der sich unter der Eiche zu Ophra niederließ? . Von den Engeln, den guten und bösen, ist in der heiligen Schrift alten und neuen Testamentes sehr oft die Rede. Die guten Engel haben wir uns dem Wort Gottes gemäß zu denken als höhere Wesen, welche durch Erkenntnis und Willenskraft und somit auch durch das Maß der Seligkeit über die Menschen erhaben sind. Sie werden als Gottes Boten bezeichnet, als Diener der göttlichen Macht, Güte und Weisheit, sie heißen darum auch dienstbare Geister; auch werden sie himmlische Heerscharen und wegen ihrer Ähnlichkeit mit Gott im Wesen und Leben, Kinder Gottes genannt. Die Anbetung der Engel wird aber im Wort Gottes nachdrücklich verboten. Nicht alle Engel Gottes sind gleicher Art, es gibt auch unter ihnen verschiedene Arten und Ordnungen, die als Erzengel, Cherubim, Seraphim, Herrschaften, Gewalten bezeichnet werden und manche derselben tragen ihre bestimmten Namen wie Michael, Gabriel, Raphael, Uriel. Es muss der Engel eine große Anzahl geben. Unser Heiland rühmte, dass sein Vater ihm mehr denn zwölf Legionen Engel zusenden könne; es sind ihrer nach dem fünften Kapitel der Offenbarung viel tausend mal tausend. Es wird und von den Engeln gesagt, dass sie allezeit erblicken das Antlitz des Vaters im Himmel. Sie freuen sich über einen jeden Sünder, der Buße tut, sie loben den Herrn, richten seine Befehle aus und werden ausgesandt zum Dienste derer, die ererben sollen die Seligkeit. Sie lagern sich um die her, die den Herrn fürchten, sie behüten die Kinder Gottes auf ihren Wegen. Die Engel, welche Sadrach, Mesach und Abednego in dem Feuerofen erhielten, sie behüteten den Daniel in der Löwengrube. Zuweilen werden sie auch als Diener der Strafgerechtigkeit Gottes gebraucht; ein Engel erschlug in dem Lager der Assyrer 185.000 Mann zu Boden durch Pestilenz; ein Engel des Herrn schlug den Herodes, dass er von Würmern zerfressen ward. Besonders aber zeigten die Engel sich geschäftig bei dem Erlösungswerk unsers Herrn. Sie waren es, welche der Maria seine Geburt ankündigten und den Hirten die selige Botschaft brachten: „Euch ist heute der Heiland geboren“, sie waren es, welche dem Herrn JEsus dienten nach der Versuchung in der Wüste; ein Engel stärkte ihn, als er in Gethsemane blutige Schweißtropfen vergoss; ein Engel wälzte den Stein von seinem Grab; Engel waren die ersten Zeugen seiner Auferstehung und am Ende der Tage wird sich der Mann, durch welchen Gott den Erdkreis zu richten beschlossen hat, der Engel als Zeugen seiner Herrlichkeit und als Werkzeuge bedienen, seine gerechten Urteile zu vollziehen.
Wenn wir nun aber den Engel des Herrn, welcher dem Gideon erschien, näher ansehen, so werden wir uns bald überzeugen, dass derselbe kein erschaffener Engel, sondern der große Abgesandte Gottes, der Sohn Gottes war. Dies erhellt zuvörderst daraus, dass ihm göttliche Namen gegeben werden. Er wird nämlich im 14. Vers ausdrücklich Jehovah und im 15. Adonai genannt, Namen, die nie einem erschaffenen Engel beigelegt werden. Beide Namen sind vielmehr wesentliche Namen Gottes, die keiner Kreatur zukommen. Zwar mochte auch Gideon den ihm erschienenen Engel zuerst für einen der erschaffenen oder für einen Propheten halten, indem er ihn einfach: „mein Herr“ anredete. Als dieser Engel ihn anblickte und mit diesem Anschauen einige Strahlen seiner Herrlichkeit in sein Herz fallen ließ, da bekam er einen andern, höheren Begriff von ihm und nannte ihn Adonai, d. h. mein Gott. - Dass aber dieser Engel keiner von den erschaffenen war, erhellt ferner aus dem Verhalten desselben, indem er nicht in eines „Andern Namen, wie die Propheten und die erschaffenen Engel“, sondern aus „eigener Macht“ und Autorität den Gideon sendet und ihm einen vollkommenen Sieg über die Midianiter zu schenken verspricht. Und diese seine Verheißung bestätigt er durch ein Wunder, indem er durch sein bloßes Wort und Befehl Feuer aus dem Felsen hervorgehen und das Opfer verzehren heißt.
Endlich erhellt es auch aus dem Verhalten Gideons gegen diesen Engel, indem er ihm einen Altar errichtet und ihm offenbar eine Ehre erweist, die kein erschaffener Engel würde angenommen haben. Wir wissen ja, wie nachdrücklich das Wort Gottes alle Anbetung der Engel verwirft. Als Johannes nach dem 19. und 22. Kapitel der Offenbarung einem erschaffenen Engel göttliche Ehre erweisen wollte, so hieß es aus des Engels Mund: „Siehe zu, tue es nicht, ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder einer, die das Zeugnis Jesu haben, bete Gott an.“ Wird darum einem erschaffenen Engel göttliche Ehre erwiesen, so schließen wir daraus mit Recht, dass dieser Erscheinende eine göttliche Person sein müsse. Weil aber Gott selbst niemand je gesehen und Er in einem Licht wohnt, dazu niemand kommen kann, so haben wir die volle Berechtigung, ja Nötigung, diesem Engel des Herrn oder Engel des Bundes, wie er bei Maleachi heißt, den Sohn Gottes, unsern Herrn Christus zu verstehen.
Und diese Erscheinung des Herrn bei der Berufung des Gideon steht nicht vereinzelt da. O nein, derselbe Herr erscheint der Hagar bei dem Wasserbrunnen in der Wüste, er befiehlt ihr, zu ihrer Frau zurückzukehren und gibt dem Sohn, den sie gebären sollte; den Namen Ismael, während er zugleich verheißt, er wolle ihn zu einem großen Volk machen. Darum nannte auch die Hagar den Namen des HErrn, der mit ihr redete: „Du Gott siehst mich.“ Derselbe HErr ruft dem Abraham, da er seinen Sohn schlachten will; und das nicht nur, sondern es heißt von ihm, er habe bei sich selbst geschworen, dass er Abraham, weil er seines Sohnes nicht verschonte, segnen und seinen Samen machen werde wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer. Derselbe Herr redet mit Jakob, er sagt ihm: „Ich habe Alles gesehen, was Laban getan hat, ich bin der Gott zu Bethel, da du meinen Stein gesalbt und mit ein Gelübde dargebracht hast.“ Jakob nennt ihn auf seinem Sterbelager den Engel, der ihn erlöst habe von allem Übel. Er, der Engel des Bundes, gab dem Jakob den Namen Israel und sagt ihm, er habe mit Gott gekämpft und Jakob nannte jene Stätte am Bache Jakob Priel, d. h. „ich habe den HErrn von Angesicht gesehen.“ Dieser Engel ging vor dem Volke Israel her, als es aus Ägypten zog. In der Wolkensäule wanderte Er vor ihnen her und hinter ihnen und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. „Ich selbst“, sprach dieser Engel des Bundes, „zog vor euch her und wollte meinen Bund nicht brechen“ Dem Moses rief dieser unerschaffene Engel aus dem Dornbusch entgegen: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, ich habe gesehen das Elend meines Volks, ich habe ihr Geschrei gehört, habe ihr Leid erkannt und bin herniedergefahren, dass ich sie errettete aus der Ägypter Hand und sie führte aus diesem Land in ein gutes Land, darin Milch und Honig fließt“, und in dem siebenten Kapitel der Apostelgeschichte heißt es ausdrücklich, dass er das auserwählte Volk ausführte und Wunder tat. Dieser Engel erschien auch Manoahs Weibe und kündigte die Geburt des Richters Simson an, eine Ankündigung, die er mit einem Wunder bestätigte. Und bei dem letzten der Propheten lesen wir die merkwürdige Weissagung vom Messias: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HErr, den ihr sucht und der Engel des Bundes, des ihr begehrt.“
So ist es denn nach allem diesem keinem Zweifel unterworfen, dass wir unter dem Engel des HErrn niemand anders zu verstehen haben als Christum den HErrn, der auch in den Tagen des alten Bundes von Zeit zu Zeit seine Herrlichkeit offenbarte, worauf auch der Prophet Micha in den bekannten Worten hindeutet: „Und du Bethlehem Ephrata, die du zu klein bist, zu sein unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir kommen der über Israel Herr sei, des Ausgang und Anfang von Ewigkeit gewesen ist.“ Jawohl, sein Ausgang war von Ewigkeit her; auch schon in den Tagen des alten Bundes ging er aus von Zeit zu Zeit, die Menschenkinder zu besuchen und ihnen seine Herrlichkeit zu offenbaren. „Christus“, sagt der Apostel Paulus, 1 Kor. „war der geistliche Fels, der mitfolgte in der Wüste.“
III.
Nachdem wir nun wissen, wer der erschienene Engel ist, richten wir auf Gideon unsern Blick.
Wir finden ihn in der Kelter, Weizen dreschend. Er war also ein Landmann, ein Bauer und bei allen hohen herrlichen Gaben, die er besaß, schämte er sich durchaus nicht, in seinem ihm von Gott angewiesenen Beruf demütig tätig zu sein. Ein Anderer wäre an seiner Stelle längst auf den Gedanken gekommen, er sei zu gut zum Dreschen und Ackern und für eine höhere Sphäre berufen als die eines einfachen Landmanns, er dürfe der Menschheit seine Talente nicht vorenthalten, er müsse studieren, müsse auf die Hochschulen und Akademien und dann hinaus auf den Schauplatz des öffentlichen Wirkens und die Welt erleuchten und regieren helfen. Aber so etwas kam unserem Gideon nicht in den Sinn. Er sah in den stillen täglichen Geschäften seinen Beruf und war gar wohl damit zufrieden und trachtete nicht nach hohen Dingen. - Und wie viel liebenswürdiger und schöner ist dieser Sinn als die entgegengesetzte Richtung. der man heutzutage so oft unter den Christen begegnet, O da ist des eitlen selbstgefälligen Vordrängens so viel! Kaum hat heutzutage Einer ein wenig göttlicher Gabe bei sich zu bemerken geglaubt, da nimmt er auch schon keinen Anstand mehr, sich als einen Pfeiler der Kirche anzusehen. Da ist denn gleich von einer höheren Bestimmung die Rede, zu der man sich geboren fühlt. Aber das ist leider oft nichts anderes als ein eitles, dünkelhaftes Gelüst des Herzens. Von solcher Gesinnung war Gideon fern. Er war bei allen herrlichen Gaben, die er empfangen, in seinem irdischen Beruf treu und demütig, und so ist es recht. „Den Hoffärtigen widersteht Gott und den Demütigen schenkt er seine Gnade.“ „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu dem Niedrigen. Wer im Geringsten nicht treu ist, der ist es auch im Großen nicht.“ Bitten wir den HErrn, dass wir unserem eigenen Willen absagen und seinem allein guten Willen ohne alles Widersprechen gehorchen, auf dass ein jeglicher sein Amt so treulich ausrichte, wie die Engel im Himmel.
Gideon suchte einen Weizen auf die Seite zu schaffen, um so zu leichterer Flucht fertig zu sein, ehe die räuberischen Midianiter kämen, die ja schon wieder auszogen, um Israel zu überfallen. Er fürchtete sich also vor den herannahenden Feinden und das um so tiefer, weil er wohl erkannte, dass das schwere Schicksal, das auf ihm und seinem Volk tastete, kein unverschuldetes sei. So war denn sein Herz bußfertig gesinnt und daniedergebeugt über seine und seines Volkes Sünden. Und solche demütige, gebeugte Menschen sind es, zu welchen der Herr sich herabneigt. Mit zerbrochenen Stäben tut er seine Taten. Zu Petrus hieß es: „Ich will dich zum Menschenfischer machen.“ Aber wann wurde dieser Beruf ihm übertragen? Als er in tiefster Demut ausrief: „HErr, gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch;“ ja als er auf die Frage: „Simon Johanna, hast du mich lieb?“ in tiefer Beugung antwortete: „HErr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich schnöde verleugnen, dass ich dir die Treue brechen konnte, aber du weißt auch, dass ich dich lieb habe.“ Martin Luther musste auch erst in dem Kloster zu Erfurt ganz und gar zerbrochen und geknickt werden, also dass er vor Jammer und Sündenschmerz nicht aus noch ein wusste, ehe er zum Reformator der Kirche berufen werden konnte. Und Augustin wurde da erst zum hocherleuchteten Kirchenvater, als er, von Sündenschmerz ganz und gar überwältigt, nichts begehrte als Gnade und Erbarmen um des Blutes Christi willen. Seht, so war es auch bei Gideon.
IV.
Wie lautete denn die begrüßende Anrede, welche der Engel des HErrn an ihn richtete? „Der HErr mit dir, du streitbarer Held!“ Dem Mutlosen soll Mut und Kraft gegeben werden, dass er als ein Held wider die Feinde ins Feld ziehen und den Sieg erkämpfen soll. Solche streitbare Helden hat der HErr von je und je erweckt und ausgerüstet, wenn sein Volk von den Feinden belagert und bedrängt war. Solche Helden, Glaubenshelden, angetan mit der Kraft aus der Höhe, waren die Propheten der alten, wie die Apostel und Reformatoren des neuen Bundes; Solche Heldengestalten begegnen uns auch auf dem Gebiet der Mission, der äußeren und der inneren, Helden, die vor keinen Schwierigkeiten, vor keinen Gefahren, vor keinen Feinden zurückbeben, sondern fröhlich einstimmen in das alte Heldenlied:
„Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt' uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es sollt uns doch gelingen!“
Welche Heldengestalten begegnen uns namentlich in den Zeiten der Verfolgung der Kirche Gottes! Wie groß ist die Zahl der teuren Märtyrer, welche mit Freuden das Bekenntnis der evangelischen Wahrheit unter den entsetzlichsten Qualen mit dein Tod besiegelten. Auch uns ist ein ernster Kampf verordnet. „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“ Wir haben zu kämpfen wider einen Feind, der mit einem brüllenden Löwen verglichen und der Fürst und Gott dieser Welt genannt wird. Zu kämpfen haben wir mit allerlei Anfechtungen, die aus dem Reich der Finsternis stammen, zu kämpfen haben wir wider eine Welt, die im Argen liegt und uns gar zu gern in ihre Netze und Stricke verwickeln möchte. Zu kämpfen haben wir wider ein Herz, aus welchen nach des Herzenskündigers untrüglichem Ausspruch hervorgehen „arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis und Lästerung“ und da gilt es denn, also kämpfen, nicht, dass man in die Luft streicht, sondern kämpfen bis aufs Blut, damit der Sieg unser werde.
Das ist aber nur dann möglich, wenn es auch zu uns heißt: „Der Herr ist mit dir!“ Sind wir uns selbst gelassen, stehen wir allein den Feinden unserer Seligkeit gegenüber, wollen wir in eigener Kraft und Klugheit den Kampf unternehmen, o dann ist nichts gewisser, als dass wir eine Niederlage nach der andern erleiden: „denn in uns ist nicht die Kraft, zu streiten wider den großen Haufen, der wider uns ist“, „mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Alle unsere Anstrengungen, alle unsere guten Vorsätze, die wir fassen, ach es sind ohnmächtige Waffen, es sind Stäbe, die uns durch die Hand gehen, wenn wir uns darauf stützen wollen. Ist aber der HErr mit uns, hat er uns wie dem Jakob einst die Hüfte der eigenen Kraft, Weisheit und Gerechtigkeit so zerbrochen, dass uns nichts übrig bleibt, als Ihm um den Hals zu fallen und zu sprechen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“, dann werden auch wir, versöhnt durch sein Blut, gerechtfertigt und begnadigt, erneuert und geheiligt, zu dem Israel Gottes hinzugetan, ja dann werden auch wir starke Helden, die fröhlich singen können,
„Ist Gott für mich, so trete
Gleich Alles wider mich,
So oft ich sing und bete,
Stärkt meine Seele sich,
Hab ich das Haupt zum Freunde,
Bin ich geliebt von Gott,
Was schaden mir die Feinde,
Was acht ich ihren Spott?
Mein Herz geht mir in Sprüngen,
Ich kann nicht traurig sein,
Bin voller Freud und Singen,
Seh‘ lauter Sonnenschein,
Die Sonne, die mir lachet,
Ist mein HErr JEsus Christ,
Das, was mich fröhlich machet,
Mein süßer Heiland ist.“
Ringen wir denn danach, dass auch wir zu dem seligen Bewusstsein gelangen: der HErr ist mit mir! Es ist ja bei Licht besehen, etwas Schauerliches, wenn wir in diesem armen, dunklen, gefahrvollen Leben, da wir keinen Augenblick vor Tod und Teufel sicher sind, allein stehen ohne den HErrn; da sind wir allen Pfeilen unserer Feinde wehrlos bloßgestellt und geraten unausbleiblich unter ihre verderbende, verdammende, für Zeit und Ewigkeit unglücklich machende Gewalt… Ruhen wir darum nicht, bis auch uns der Sohn des lebendigen Gottes deutlich in die Seele ruft: Siehe, ich bin mit dir!
Amen.