Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Glaube ist's, der unsere geistige Blindheit heilt.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Glaube ist's, der unsere geistige Blindheit heilt.

Predigt am Sonntage Quinquagesimä.

Herr, mein Licht, erleuchte mich,
Daß ich mich und dich erkenne,
Daß ich voll Vertrauen dich
Meinen Gott und Vater nenne.
Höchster, laß mich doch auf Erden
Weise für den Himmel werden. Amen.

Unser Wissen ist Stückwerk! so klagt der Apostel Paulus, und erhob mit Recht diese Klage. Je mehr wir nach menschlichen Begriffen in einem Wissen fortgeschritten sind, desto mehr erkennen wir es, wie groß das Gebiet noch ist, welches unerkannt vor uns liegt. Nur der Beschränktheit ist es eigen, sich mit dem geringen Maße des bereits Erlangten zufrieden zu stellen, und hinter den Grenzen des bereits Erkannten überhaupt nichts mehr zu vermuthen. Dagegen ist es jedes strebsamen Geistes demüthig Bekenntnis: - Nicht, daß ichs schon ergriffen hätte, aber ich jage ihm nach. Ach, zu dieser Demuth können wir nicht genug ermahnen, - denn es gibt keinen größern Feind des geistigen und sittlichen Fortschritts des Menschengeschlechts und jedes Einzelnen, als die eitle Selbstzufriedenheit.

Wie? Ist es denn nicht aber ein Leid, ein Schmerz, mit sich selbst unzufrieden sein zu müssen? Ja, es ist ein Schmerz, aber ein heilsamer; es ist die Traurigkeit, welche die Schrift eine göttliche nennt, von der sie sagt, daß sie Niemand gereue. Es ist ein Leid, aber ein solches, dem wir unserer ganzen Natur nach nimmer entgehen können. Nur der Vollkommene hat die Seligkeit, mit sich zufrieden zu sein; der Unvollkommene darf es nicht, wenn er gewissenhaft ist, denn alsbald würde er aufhören, nach der Vollkommenheit zu trachten. Wenn wir aber uns selbst und alle unsere Verhältnisse ernstlich prüfen, so werden wir leicht erkennen, wie wenig Ursache wir haben, auch nur in einer Beziehung mit uns zufrieden zu sein. In unserm irdischen Lose folgt eine Hoffnung der andern: ein Beweis, daß wir es immer als ungenügend erkennen. Üben wir unsere körperlichen Kräfte, Fähigkeiten und Fertigkeiten, so wird mit jeder überwundenen Schwierigkeit wieder eine andere, noch zu überwindende uns erkennbar. Unser häusliches Leben leidet an Mängeln, deren Abstellung wir von Zeit zu Zeit entgegen sehen, und unsere bürgerlichen Zustände haben ihre Gebrechen, die in Gemeinde, Staat und Kirche vielleicht noch nie so sehr hervorgehoben wurden als jetzt. Und so ists recht, denn das Erkennen des Mangelhaften ist die nothwendige Grundlage, auf der allein ein beharrliches Streben nach dem Besseren sich erbauen kann. - Müssen wir aber nicht mehr als in allen übrigen Dingen die Unvollkommenheit unseres Erkenntnisvermögens anerkennen? Wohl haben wir recht, die Fortschritte unsers Jahrhunderts zu rühmen; aber es ist grade so weit fortgeschritten, daß wir es sehen: Unser Wissen ist Stückwerk, daß wir innig durchdrungen werden von der Überzeugung: wir sind noch Anfänger, und mit aller erlangten Einsicht können wir oft die gewöhnlichsten Erscheinungen des alltäglichen Lebens uns nicht erklären. Blickst du hinaus in die Ferne, wo im Abstande von unzählbaren Millionen Meilen die Sternenheere in einem kaum schimmernden Nebel verschwimmen - siehe hinter ihnen leuchten neue unzählbare, die noch kein irdisches Auge vollständig sah, und in denen jeder schimmernde Lichtfunken von einem mächtigen Sonnenballe stammt, den nur unsers Auge Schwache nicht wahrnimmt. Blickst du in die Nähe - siehe, wo nichts mehr zu sein scheint, da regt sich doch noch Kraft und Leben. Du siehst den Baum grünen und blühen, aber die Kraft, die das Alles wirkt, verbirgt sich dir, denn in das Innerste der geheimen Werkstatt der Natur dringt kein erschaffener Geist! - Wenn nun aber die einzelne Erscheinung, das Vergangene und Gegenwärtige uns so unbegreiflich ist, wie viel weniger werden wir zu irgend einem Ziele kommen, wenn wir in die unendliche Zukunft blicken, und nach dem ferneren Geschicke, nach dem Ziele und Zwecke aller Dinge fragen? Was werden soll, das können wir wohl ahnen, darauf können wir wohl schließen - wissen können wir es nicht, denn unsere Blicke reichen in die Zukunft nicht, und wenn auch bei dem Körperlichen uns die Erfahrung einen Fingerzeig gibt, der uns ihr wahrscheinlich Los vermuthen läßt, - wie so gar nichts Ähnliches wird uns im geistigen Bereiche geboten? Ja, laßt uns erkennen: Unser Wissen ist Stückwerk; wir gleichen dem Blinden am Wege, der da bittet: Herr, gib daß ich sehen möge!

Wohl uns aber, daß unsere Bitte eben so wenig wie die seinige eine vergebliche, daß uns eine höhere Erkenntnis gegeben ist, die da beginnt, wo unser Wissen aufhört: es ist der Glaube, die gewisse Zuversicht, daß wir hoffen und nicht zweifeln an dem, das wir nicht sehen; der Glaube an die Offenbarung von Jesu Christo. Diese ist das Gnadengeschenk Gottes, das unsere Finsternis in Klarheit umwandelt; die helle Sonne, die uns leuchtet in unserer geistigen Nacht. - Durch die Kraft seines Geistes zum Selbstbewußtsein befähigt, wohnt dem Menschen von Natur das Bestreben bei, den Urgrund seines Daseins, den Zusammenhang des ihn Umgebenden, und das, was einst sein wird, zu erschauen. Von jeher hat der menschliche Geist sich um die Lösung dieser Fragen bemüht, allein seine Vermuthungen vermochten nie längere Zeit ihm selbst zu genügen. Damit aber dieses tiefe, heilige Sehnen des Menschengeistes, für das er aus sich selbst die Befriedigung nicht schöpfen konnte, kein überhaupt unbefriedigtes bleibe, so hat Gott sein Wesen, sein Walten, seinen ewigen Rathschluß uns kund gethan durch Jesum Christum, der uns göttliche Offenbarung verkündet. Weil aber Gottes Wesen, Walten und Rathschluß unendlich ist, die Kraft unseres Erkennens aber nur für das Endliche ausreicht, so sind auch die Gegenstände dieser Offenbarung Gottes für uns nicht Gegenstände des Erkennens, sondern des Glaubens, eines Glaubens aber, der durch die Heiligkeit und die Wahrhaftigkeit dessen, der ihn uns verkündet hat, an Sicherheit und Festigkeit der Überzeugung gleichkommt, an Umfang und Seligkeit jede Überzeugung übertrifft. Jesus Christus leistet uns Bürgschaft für die Wahrheit seiner Verkündigung, ohne ihn wären wir für das Höchste und Heiligste blind; der Glaube an ihn aber ist es, der unsere geistige Blindheit heilt. Das lasset uns heute näher betrachten.

(Gesang. Gebet.)

Evang. Lucä 16,31-43.

Nach Jerusalem hinauf lenkt der Heiland seinen Schritt; er weiß, daß die Stunde da ist, in der er, wie durch sein ganzes Leben, so auch durch Leiden und Sterben zeugen soll von seinem Vater im Himmel. Weil er ihn kannte, so wußte er auch seine Wege und verkündete seinen Jüngern sein bevorstehendes Leiden mit demüthiger Ergebung in den Willen Gottes. Sie aber vernahmen der keins, steht im Texte, und die Rede war ihnen verborgen, und wußten nicht, was das gesagt war; denn noch hatte ihr Glaube an den Herrn nicht die geistige Erleuchtung gefunden, von welcher ihre spätere Predigt zeugt. - Zu gleicher Zeit ruft ein Blinder am Wege Jesu Erbarmen an und bittet ihn: Herr, gib, daß ich sehen möge! und Jesus heilt ihn mit den Worten: Dein Glaube hat dir geholfen. - Wahrlich, meine Geliebten, das ist uns zum Vorbilde geschrieben. Wie Blinde würden wir uns in der Welt befinden, für sie und ihre Ordnung kein Verständnis haben, wenn nicht die Religion Jesu in Gott uns den Urgrund verkündete, auf den Alles zurückgeführt werden muß, und wie Jesus im Evangelio den Glauben als die Ursache angibt, durch den des Unglücklichen leibliche Blindheit geheilt sei, so und noch viel sicherer ist es auch der Glaube an ihn, der unsere geistige Blindheit heilt, denn nur durch ihn erkennen wir

den unsichtbaren Quell,
den wahren Zusammenhang,
das ewige Ziel

aller Dinge. Lasset mich diese Behauptung näher erweisen.

Zunächst also

1.

den unsichtbaren Quell aller Dinge, für den sonst unseres Geistes Augen blind sein würden, erkennen wir durch den Glauben. - Wir sind einmal so geschaffen, daß das Leben lediglich in der Gegenwart uns nicht genügt; wir möchten auch wissen: Woher wir sind, warum wir gerade so hingestellt sind und wozu wir da sind. Bleiben wir zuvörderst bei der ersten Frage stehen: Woher sind wir? Woher ist alles das, was uns umgibt und was wir wahrnehmen durch unsere Sinne? Woher ist die Geisteskraft in uns, die uns belebt und uns treibt zu forschen nach dem Urgrunde alles Daseins? Wird uns unser Wissen, unsere Erfahrung auf diese Frage eine Antwort geben? Wir gehen zurück und sammeln die Nachrichten, welche uns seit Jahrtausenden über unsere Erde, über die Uranfänge des Menschengeschlechts durch Zeugnisse damals lebender Menschen überliefert worden sind; - aber auch sie sahen nur, daß Alles war; wie es entstanden war, woher es kam, wessen Kraft sich durch die Schöpfung bethätigte, darüber spricht kein menschlich Zeugnis, das hat kein menschlich Auge gesehen, das hat kein menschlicher Verstand ergründet, dafür sind wir an uns geistig blind. - Und doch möchten wir es sehen, möchten wir es erkennen, und dieser innere Drang treibt die Bitte auf unsere Lippen: Ach, daß ich sehen möchte. - Da tönt eine alte Kunde zu uns herüber: Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde, und vor diesem Anfange war Alles nicht, war nur Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit; durch ihn sind alle Dinge geschaffen, und ohne ihn ist nichts, was ist; der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes! Von ihm zeugen Moses und die Propheten, von ihm zeugt einstimmig das Bewußtsein aller Völker, die jemals auf Erden lebten und noch leben, ihn verkündet uns Jesus Christus, der Herr, verkündet ihn uns als unsern Vater, und will uns zu seinen Kindern erheben: was brauchen wir weiter Zeugnis? Nein Geliebte! Wir brauchen kein weiteres Zeugnis, wir nicht, die wir an Gottes Offenbarung durch Jesum Christum glauben. Aber wer nun nicht glauben will? Wer nun trotzig verlangt: Beweise es mir? Wem das Dasein des Erschaffenen nicht Bürgschaft genug ist für das Dasein des Schöpfers? Wer nun selbst sehen will die schaffende Kraft? - Wer das will, der wird ewig blind bleiben, denn das Unsichtbare läßt sich nicht sehen, das Unendliche läßt sich nicht fassen; den wird sein trostloser Unglaube in ewiger Finsternis lassen, denn Gott wohnt in einem Lichte, dazu Niemand kommen kann. Aber ein Strahl dieses Lichtes ist hindurch gedrungen zu unsrer Welt, um unsere Nacht zu erleuchten; durch das Wort Jesu Christi sind unsere Augen geöffnet, ist das, was sonst nur dunkle Ahnung war, zur Wahrheit und Klarheit erhoben worden, und wer völlig und freudig an Christum glaubt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben. Dieser Glaube ist es also, der unsere geistige Blindheit heilt; durch ihn erkennen wir den unsichtbaren Quell aller Dinge, erkennen, daß Gottes Wort es war, das einst das mächtige: Es werde! rief, das noch täglich ruft: Es werde! das den Wechsel von Saat und Erndte, von Keim und Frucht erhält und Alles hervorbringt , was unser Bedürfnis befriedigt und unser Herz erfreut. -

Und dieser Glaube ist nicht etwa wieder selbst ein blinder! Nein, sowohl durch die ganze Persönlichkeit dessen, der ihn uns verkündete, der durch Wort und Thai kräftiglich erwiesen ist als ein Sohn Gottes nach dem Geist, sondern auch durch seine ganze innere Übereinstimmung, vorzüglich aber durch die Frucht, die er gebracht hat für die Welt, durch die Befriedigung und Seligkeit, die er jedem unbefangenen Herzen gewährt, ist er für uns auf das Vollständigste bestätigt und als Wahrheit erwiesen, so daß wir aus vollem Herzen einstimmen in den Ausspruch des Psalmes: Die Thoren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Gott. Sie taugen nichts und sind ein Gräuel geworden in ihrem bösen Wesen, da ist Keiner, der Gutes thut. - Der Glaube an Gott ist die nothwendige Bedingung der Frömmigkeit und jeglicher Tugend, und ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen, denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde. Der Glaube an Gott gibt uns das Gefühl unserer Abhängigkeit von Gott, und dies treibt uns an zu thun, was uns Gottes Wille gebietet. Ohne Glauben an Gott gibt es kein Sittengesetz, keine Tugend, keine Abwehr vor dem Laster, denn wer bestreitet, daß Gott ein Richter sei, warum soll er seinen Lüsten und Begierden einen Zwang anlegen, warum nicht bloß thun nach seinem Belieben? Wir fühlen das Vorhandensein eines Sittengesetzes in unserm Gewissen; wer nicht an Gott glaubt, wird sich dessen leicht als eines unangenehmen Zwanges zu entäußern, wird sich zu überreden wissen, es stamme nur aus menschlicher Einbildung, es sei nichts als ein Vorurtheil; sein Ende aber wird das Verderben sein. Wer aber an Gott glaubt, findet in ihm die unsichtbare Quelle jener richtenden Stimme in unserm Gewissen und ehret dessen Ausspruch als eine Mahnung von Gott. - Ohne Glauben an ihn gibt es kein künftiges Leben, keine ewige Seligkeit; jedes Gesetz, jede Ordnung ist dann eine Willkür, und alle Bande werden gelöset, denn dies Alles wurzelt in seinem letzten Grunde in der Anerkennung Gottes und seines uns offenbarten ewigen Willens, welches ohne zeitlichen und ewigen Nachtheil nicht verletzt werden dürfe, hat aber seine Sicherheit und Klarheit immer wieder erst durch den Glauben an das Evangelium von Jesu Christo. Durch dasselbe gewinnen wir die wahre Gottesfurcht, welche aller Weisheit Mutter ist. Sie war es, die Jesum getrost seinen Pfad gehen ließ, denn er kannte den, der ihn gesandt hatte, kannte seinen Willen, und folgte ihm ohne alles eigene Wählen; denn wenn er den Gottespfad ging, so war Gott mit ihm, und welchen Gegner hatte er dann zu fürchten? Ob auch seine Feinde wütheten, ob sie ihn auch an das Kreuz schlugen und ihn tödteten, er verkündete getrost: am dritten Tage werde er wieder auferstehen, denn er kannte den und vertraute dem, der da gerecht richtet. -

Wohlan, meine Geliebten, so lasset auch uns in Gott den unsichtbaren Quell aller Dinge erkennen, und nach dieser Erkenntnis handeln. Sie begründe unsere tiefe Ehrfurcht vor dem Allmächtigen, unsern Dank gegen den Allgütigen, unser Vertrauen zu dem Allweisen, unsere Achtung vor unsern Mitgeschöpfen, unsere Gewissenhaftigkeit im Leben und unsern Frieden im Sterben. Wir wissen von dem Übersinnlichen nichts, aber wir glauben an Gott, und durch diesen Glauben sind wir geheilt von der geistigen Blindheit, die den bloß natürlichen Menschen umfängt, denn wir erkennen durch ihn nicht nur den unsichtbaren Quell, sondern auch

2)

den wahren Zusammenhang aller Dinge.

Versuche es mit aller menschlichen Weisheit, den wunderbaren Lauf der Welt im Allgemeinen und die Schicksale jedes Einzelnen zu ergründen! Versuche es, zu erforschen, warum gerade diese Mischung von Kräften in uns, warum diese Mannigfaltigkeit von Geschöpfen auf der Welt, warum gerade die Erzeugnisse so und nicht anders zusammen wirken, um endlich nach Jahrhunderten vielleicht jene Erfolge hervorzubringen, welche durch so lange Zeiträume vorbereitet worden! Versuche es doch, dir klar zu machen, wie es kommt, daß die Masse der Thorheiten und der Sünden, die so reichlich von den Menschen begangen werden, die Welt nicht schon ganz mit Elend und Leiden jeglicher Art überschwemmt, nicht schon jeden Frieden hinweggenommen, nicht schon jedes Glück zertrümmert haben? Suche die geheimen Fäden auf, durch welche das Weltall in seiner Ordnung erhalten, durch welche der Menschen so oft widerstrebendes Beginnen immer wieder zu einer höheren Einheit hingeführt wird; versuche es, und du wirst bald zu der Überzeugung kommen: ich vermag es nicht; unsere Blicke reichen nicht so weit, wir befinden uns da, wenn wir nichts Anderes, als unsere Erfahrung und Erkenntnis haben, in einer völligen Blindheit. - Der Glaube ist es wieder, der sie heilt, denn er zeigt uns Gottes weise und gnädige Vorsehung als die unsichtbare Leiterin alles dessen, was geschieht, und läßt uns einen heiligen Plan annehmen, dem Alles dienen, den Alles fördern muß. - Unsere Augen sehen oft nur Verwirrung und Unordnung, der Glaube läßt uns getrost sein; uns erscheinen die Ereignisse oft als blinder Zufall, der Glaube lehrt es uns besser, daß in Gottes Welt kein Zufall sein kann, sondern Alles absichtsvolle Weisheit ist, und wir durchschauen auch oft schon hier nach Verlauf von wenigen Jahren, wie Alles gekommen ist und wie Alles so kommen mußte, damit sich das erzeugen könne, was aus dem ehemals Gefürchteten und Beklagten Erfreuliches und Segensreiches hervorgegangen ist: eine herrliche Bestätigung für unsern Glauben. -

Auch unser Evangelium läßt uns so die Spuren der göttlichen Weisheit erkennen. Oder war es etwa Zufall, daß der Blinde im Evangelio der Sehkraft entbehrte? Der Glaube ahnet auch hier weise Absicht, und jetzt sehen wir, wie Gottes Macht sich an ihm offenbaren sollte. War es etwa Zufall, daß er gerade an dem Wege saß, den Jesus einherzog? Nein, sein Glaube hatte ihn dorthin und seiner Rettung entgegengeführt. - Als Jesus von seinem bevorstehenden Leiden spricht, da verstehen seine Jünger ihn nicht. Sie können sich es nicht denken, daß Gottes Rathschluß ihren geliebten Herrn und Meister so dunkle Wege führen könne, noch wissen sie wie dieser die Zeichen der Zeit zu deuten. Jesu dagegen lag Alles klar vor Augen: sein Leiden, sein Tod, seine Auferstehung. Und als nun Alles vollendet war, als die nach Emmaus wandelnden Jünger klagten über des gekreuzigten Heilands schmählich Leiden, da sprach er: O ihr Thoren und trägen Herzens, zu glauben alle dem, was geschrieben steht durch die Propheten von des Menschen Sohn; mußte nicht Christus Solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? Da wurde es auch den blöden Augen klar, wie Gott so wunderbar seinen Rath zur That gemacht und Alles herrlich hinausgeführt hatte.

O, meine Lieben, lasset uns auch zu diesem Glauben erwachen; lasset uns in Allem, was geschieht, Gottes Rath erkennen, und bei Allem, was uns betrifft, hoffen auf den lebendigen Gott. Er regiert die Welt, und wir haben weiter nichts zu thun, als ihn zu lieben, und aus Liebe zu ihm zu wandeln auf seinem Wege. Thun wir das, so dürfen wir vertrauen, denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Solcher Glaube wird uns Kraft geben zu jedem guten Werke, Zuversicht bei dunkler Aussicht, Vertrauen in Gefahr und Geduld im Leide. Gott lebt ja, und er verläßt die Seinen nicht. Der Unglaube mag zweifeln, mag bangen und zagen, mag murren und klagen, denn er ist blind und erkennt die Vaterhand nicht, die Alles führt. Aber der Glaube zeigt sie uns, er erhebt uns auch, wenn der Herr uns heimsucht, denn er kennt des Herrn Wort: Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein, danach aber wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. - Der Glaube zeigt uns nur eine Gefahr: das ist die Sünde; denn sie streitet wider Gott, und Gott ist nach seiner Heiligkeit wider sie. Sie allein hat keinen Zusammenhang mit dem göttlichen Walten; bei allen andern Dingen aber, wie wenig wir mit unserm Blicke auch ihren wahren Zusammenhang erkennen mögen, zeigt uns der Glaube die ewige Weisheit Gottes als die alleinige Leiterin alles dessen, was geschieht; auch auf den dunklen Erdenwegen leuchtet er uns; wer ihn hat, wandelt nimmer in Finsternis.

Noch deutlicher aber wird die Wahrheit unsers Hauptsatzes uns werden, daß nur der Glaube unsere geistige Blindheit heilen kann, wenn wir bedenken, daß wir durch ihn allein nicht nur den unsichtbaren Quell und den wahren Zusammenhang, sondern auch

3)

durch ihn nur das ewige Ziel aller Dinge erkennen; denn am Ziele können ja erst alle die Räthsel ihre Lösung finden, welche sich dem irdischen Blicke in der Weltschöpfung und Weltregierung so zahlreich darbieten. Würden wir aber wohl aus unserer Erfahrung, oder mit unserm Verstande das wahre Ziel aller Dinge erkennen können? unsere Erfahrung zeigt uns als Ziel der irdischen Dinge nur die endliche Vernichtung, und mit der körperlichen Vernichtung tritt das Geistige, das dieses Körpers Hülle umschloß, aus dem Gebiete der Erfahrung hinaus. Wohl trägt aber der Geist in sich eine Ahnung, daß das Los der Vernichtung ihn nicht treffen werde, und wenn er das Staub gewordene Irdische sich in neuer Gestalt verjüngen sieht, so nährt er daraus und durch Schlüsse anderer Art in sich die Hoffnung, daß er sein Ziel weiter als am Grabe zu suchen habe! Aber welches ist es? Es liegt ja jedenfalls jenseits dieser Welt, und für das Jenseits sind unseres Leibes, wie unsers Geistes Augen ja völlig blind! Wir wissen schon nicht, was morgen, was in der nächsten Minute sein wird; wie sollten wir denn das Vermögen haben, das auch nur mit einiger Bestimmtheit voraus zu schauen, was über die Grenzen dieser Zeit hinausgeht und in der Ewigkeit sich erst vollziehen wird? Und wenn auch von jeher die Menschen darüber ihre Meinungen und Ahnungen hatten, wie willkürliche, wie sinnliche Gebilde menschlicher Einbildungskraft waren diese, wie weit entfernt von der Hoheit und Seligkeit dessen, was uns das Evangelium Jesu Christi verkündet, und was durch den Glauben an dasselbe unser Eigenthum und unseres Geistes Licht geworden ist! Vollkommenheit ist das erhabene Ziel, welches nach ihm Gott allen geistigen Wesen bestimmt hat, und alles irdische Wesen soll die Erreichung dieses Zieles fördern. Wie der eine Gott alle Welt geschaffen hat, so läuft auch Alles in der Welt auf dies Eine Ziel hinaus. Die Welt soll ein Reich Gottes werden; so wie in der sinnlichen Welt, soll auch in der sittlichen Welt allein der Wille Gottes herrschen; der freie sittliche Menschengeist soll Gott durch Jesum recht erkennen, und ihn von ganzem Herzen lieben lernen, darum aber auch aus freier Liebe, aus innerer Übereinstimmung sich ihm dahingeben, und in dieser Einheit mit ihm seine Seligkeit suchen und finden! Das Reich Gottes soll zuerst hier zu uns kommen, durch die Befolgung der Lehren des Evangeliums soll jeder Einzelne sich zu einem würdigen Mitgliede solcher Gemeinschaft bilden, in welcher die Liebe Gottes und der Gehorsam gegen sein Gebot herrscht; dadurch aber soll er reif werden, einst einzugehen in das höhere jenseitige Gottesreich, dahin uns Jesus vorangegangen ist, um auch dort unser Führer zum Vater zu sein. - Diese ganze beglückende Kunde von dem ewigen Leben ist nicht eine Frucht unsers Schauens, sondern unsers Glaubens an Jesum Christum!

Christen! Danket Gott dafür und erkennet die Würde, zu der dieser Glaube euch erhebt. Ohne ihn würdet ihr euch nur fühlen als Kinder des Staubes, und alle eure Bestrebungen würden euch nur ketten an den Staub; zerstören würden die Leidenschaften des Fleisches dann die göttlichen Anlagen, die euer Vater in euch gelegt; an dem Nichtigen und Vergänglichen würden eure Kräfte sich aufreiben; die Zukunft würde lediglich die Aussicht auf Vernichtung durch den Tod euch darbieten, ohne Hoffnung würdet ihr an den Gräbern der Euren stehen, ohne Trost der eigenen Auflösung entgegensehen. - Ist es nicht dagegen ein himmlisches Licht, welchem die Offenbarung Jesu unseres Geistes Augen öffnet? Sie zeigt uns die höhere Bestimmung, welche die Welt hat und Alles, was darinnen ist: der Ewigkeit zu dienen, und freie, nach seinem Bilde geschaffene Geister zur Gottähnlichkeit heranzubilden, sie bietet die Anregung dar, alle Kräfte zu entfalten, daß alle Anlagen Frucht bringen, daß alle Tugenden geübt werden, daß alles Ungöttliche von uns abfalle, sie lehrt uns trachten nach dem Einen hohen Ziele: Nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit. Das gläubige Gemüth erkennet Gott in Allem, liebet Gott in Allem, suchet Gott in Allem, und nimmt Jesum dabei zum Leiter, der uns zuruft: Niemand kommt zum Vater, denn durch mich. Siehe, Mensch, nur die Religion kann dir dies Bewußtsein deiner Würde, diese rechte Ansicht von deinem Leben, diese Erweckung zur sittlichen Thätigkeit, diese erhebende Gewißheit des ewigen Lebens geben, und nur die Religion Jesu erfüllt diese Aufgabe ganz zur innigsten Befriedigung des menschlichen Herzens. Die Religion ist aber nicht Schauen, sondern Glauben; ohne sie wären wir geistig blind, der Glaube ist es aber, der unsere geistige Blindheit heilt. - Auf denn, ihr Christen alle, schließet euch innig an an das Wort des Herrn; es ist euch gegeben als ein köstlich Gut. So seid denn nicht mehr Finsternis, sondern ein Licht in dem Herrn, und euer Licht möge leuchten auch vor der Welt. Bewegen Zweifel eure Seele, suchet ihre Lösung in der Offenbarung des Herrn, und ihr werdet Frieden finden für eure Seele. Beschweren Sorgen eure Herzen, flüchtet mit ihnen zu dem Herrn und hoffet auf ihn, er wird es wohl machen. Wogen Leidenschaften in eurer Brust, vergegenwärtigt euch die Stellung, zu der euch Gott berufen hat, als seine Kinder, und ihr werdet Kraft finden, die Sünde zu überwinden. Durch den Glauben haben wir Gemeinschaft mit Gott, tragen wir ihn in unserer Brust und können selig sein in ihm. - Wohl ist in neuerer Zeit durch den Mißbrauch, den man von einer Seite mit dem Namen Glauben treibt, indem man darunter lediglich ein Fürwahrhalten alter, auch widervernünftiger, menschlicher Lehrsätze versteht, das Wort „Glauben“ bei Vielen in Mißachtung gekommen, und man hört oft genug den Satz aussprechen: Auf den Glauben komme es nicht an, sondern nur auf die Liebe, welche sich im Leben beweise! Das Wort könnte nur dann wahr sein, wenn Glaube und Liebe sich trennen ließen, wenn es ohne den rechten Glauben eine rechte Liebe geben könnte. Dies ist aber nicht der Fall, denn der Glaube gibt uns erst die rechte Lebensanschauung , auf welcher die Übung der Liebe als Gewissenspflicht und Herzensdrang erscheint. Der Glaubenslose ist immer selbstsüchtig, und die Schrift hat vollkommen recht, wenn sie spricht: Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen. Freilich ist unter diesem Glauben nicht das Annehmen der einzelnen Ergebnisse menschlicher Klügelei über einzelne Gegenstände der Verkündigung des Evangelii zu verstehen, sondern das lebendige Dahingeben des ganzen Herzens an den Gott, den uns Jesus Christus verkündet im Allgemeinen. Nimmer dürfe uns daher der Glaubensinhalt der Lehre Jesu gleichgültig werden; nein, es sei unser Bestreben, ihn immer völliger im Geiste seines Verkünders in uns aufzunehmen. Je mehr wir das thun, desto mehr werden wir, geheilt von unserer geistigen Blindheit, das Licht des Lebens haben, den unsichtbaren Quell, den wahren Zusammenhang und das ewige Ziel aller Dinge erkennen, und zu der Liebe erwachen, durch welche wir in Gott bleiben und er in uns.

So bitten wir denn immerdar: Herr, thue unsere Augen auf, damit wir deine Herrlichkeit schauen, und den Segen, den du den Deinen bereitet hast! Heilige uns in deiner Wahrheit, denn dein Wort ist Wahrheit. Amen.

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