Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Daß die blos äußerliche Frömmigkeit das wahrhaft christlich religiöse Gemüth nicht befriedigen kann.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Daß die blos äußerliche Frömmigkeit das wahrhaft christlich religiöse Gemüth nicht befriedigen kann.

Predigt am ersten Sonntage nach Epiphanias.

Gelobt sei Gott, unser Gott, und alle Welt preise ihn. Amen.

Will man die ganze Macht solcher Vorstellungen, welche mit der Muttermilch eingesogen, durch die Erziehung befestigt, solcher Gewohnheiten und Sitten, welche durch Jugenderinnerungen und durch das Vorbild geliebter Personen theuer geworden sind, erkennen, so muß man besonders auf den Werth und die Wichtigkeit hinschauen, welchen die Menschen, besonders auf noch niederer Bildungsstufe, den überlieferten religiösen und gottesdienstlichen Gebräuchen und Formeln beilegen. Es hat diese Anhänglichkeit etwas Ehrenwerthes und Rührendes; denn die Religion ist ja das größte Heiligthum des Menschen; aus ihr schöpft er Kraft im Leben und Trost im Sterben, und dies kann sie ihm nur gewähren, wenn sie fest in dem Herzen eingewurzelt und dem Herzen so theuer ist, daß es ihm schwer wird, seine religiösen Vorstellungen zu ändern. Und doch sind diese bildungsfähig, müssen zum Vollkommneren fortgebildet werden, und demgemäß müssen sich auch die religiösen Gebräuche und Formeln fortbilden. Jene Anhänglichkeit wird also dann auch gefährlich und verwerflich werden, wenn sie die fortschreitende Läuterung des religiösen Bewußtseins hemmen sollte. - Es gehörte freilich ein langer Zeitraum dazu, um das Menschengeschlecht geistig so weit zu bilden, daß es den Gedanken von Einem Gotte, der heilig und die Liebe, der vollkommen ist, fassen konnte, und aus dieser Idee allein kann eine richtige Gottesverehrung hervorgehen. Es mußte die dunkle Ahnung von dem Dasein eines höhern Wesens, welche Gott als Zeugniß von sich, gleichsam als Grundanlage zu religiöser Ausbildung in den Menschen gelegt, erst viel bestimmter werden, mußte in dem Entwickelungsgange dazu erst viel Sinnliches und Bildliches annehmen, ausbilden und wieder abstreifen. Aber zu jeder Zeit that sich in dem Menschen das unabweisliche Bedürfniß nach Gottesverehrung kund, in welchem sich das Bewußtsein der eigenen Hülfsbedürftigkeit und der Zuversicht auf einen höhern Schutz, das Bewußtsein der eigenen Unvollkommenheit und die Sehnsucht nach Gnade vor dem ewigen Richter kund giebt. Dies Bewußtsein und diese Sehnsucht fanden bei dem noch rein sinnlichen Menschen ihren Ausdruck naturgemäß auch nur in gewissen sinnlichen Gebräuchen und äußeren Formen, in Opfern an geheiligten mit dem Schauer des Geheimnisses umgebenen Orten, in festlichen Aufzügen, in feststehenden Liedern und Gebetsformeln, und dies Alles wurde zur stehenden Gewohnheit, wurde als ein Heiligthum von Geschlecht zu Geschlecht vererbt, wurde als unantastbares Heiligthum angepriesen und angelernt, und ging so in das Leben der Völker über, daß, wenn auch einzelne kräftigere Geister sich zu Zweifeln über das Genügende solcher Gottes-Verehrung erhoben, doch die Masse des Volkes mit eiserner Treue daran hing, davon sein Heil abhängig glaubte, dafür lebte, kämpfte und starb. Ja selbst, wenn ein Volk eine höhere Stufe religiöser Erkenntniß erstieg, konnte es sich nicht leicht von solchen hergebrachten Sitten und Formeln losmachen; sie blieben oft selbst im Widerspruche mit der neu erlangten bessern Religionserkenntniß bestehen, oder wurden mühsam und dürftig den neuen Religionsbegriffen anbequemt und ihnen gemäß umgestaltet. So groß ist die Macht der Gewohnheit über den Menschen, besonders wenn sie sich auf etwas Religiöses bezieht. -

Blicken wir nun von dem christlichen Standpunkte, auf den wir durch Gottes Gnade gestellt sind, auf jene Götterfabeln und die durch sie bedingten gottesdienstlichen Gebräuche der verschiedenen Völker der vergangenen Zeit hin, selbst auf die, welche im Mittelalter unter den Christen wieder herrschend geworden waren, und bei manchen christlichen Religionspartheien es noch sind, so will es uns fast unbegreiflich erscheinen, daß jemals der menschliche Geist ihre Wahrheit hat behaupten, in ihrer Ausübung hat ein Genüge finden können; und doch ist es so und wird auch ferner so sein, daß die folgenden Geschlechter eine höhere Vorstellung von Gott und ihr entsprechende vollkommnere religiöse Formen haben werden, denn der Geist des Christenthums führt unaufhaltsam die Menschheit dem Vollkommneren zu, wie sehr man auch oft sein Walten zu hemmen sucht. Er ist es aber auch, der das religiöse Leben immer mehr in das Innere des menschlichen Herzens versetzt, und darum den äußerlichen religiösen Gebräuchen die ihnen früher zuerkannte vorzügliche Wichtigkeit nimmt, wenn wir auch als sinnliche Menschen ihrer nie ganz werden entbehren können. Er hat dem religiösen Bewußtsein diejenige Ausbildung gegeben, in welchem ihm die Uebung blos äußerlicher Frömmigkeit nicht mehr genügen kann. - Das sehen wir vorbildlich in dem ganzen Leben Jesu, das erscheint uns sogar schon in der Erzählung aus seinen Knabenjahren, welche das heutige Sonntagsevangelium uns vorführt. Aus ihm wollen wir denn heute die Wahrheit erkennen: daß die blos äußerliche Frömmigkeit das wahrhaft christlich religiöse Gemüth nicht befriedigen kann. -

Evang. Lucä 2, 41 - 52.

Die Frömmigkeit der Juden war durch das Gesetz des Moses geregelt. Es setzte die Formen fest, durch welche Jehovahs von seinem Volke verehrt sein wolle, und machte ihre Beobachtung zur wesentlichsten Gewissenspflicht. Das konnte zu der Zeit, da Moses lebte, nicht anders sein. Das durch lange Knechtschaft sittlich entwürdigte Volk, welches Moses zu bilden hatte, mußte erst durch ein äußeres Band der Pflicht an Gott gebunden, es mußte durch dasselbe erst der Gedanke an Gott, die Rücksicht auf Gottes Willen seinem Geiste und Gewissen aufgenöthigt werden. Moses selbst-erkannte sehr wohl, daß sein Gesetz nur eine Uebergangsstufe bilde, daß nach ihm ein anderer Prophet erscheinen und sein Werk fortführen werde, und er selbst verpflichtete schon sein Volk, diesem zu gehorsamen.1) Wiewohl schon die Propheten des alten Bundes die Nothwendigkeit einer innerlichen Gottesverehrung durch Buße und Heiligung kräftig hervor gehoben hatten, so bestand doch zu Jesu Zeiten jener äußere Formendienst noch in seiner ganzen Kraft, und wurde für um so unantastbarer gehalten, als das bürgerliche Bestehen des jüdischen Volkes durch die Eroberung der Römer in Frage gestellt war, und man zur Bewahrung der Nationalität die Aufrechterhaltung der religiösen Formen, welche den, jüdischen Volke eigenthümlich waren, für unbedingt erforderlich hielt. Sie legten dem Juden mancherlei schwere Lasten auf, und unter diesen war die jährliche Reise nach Jerusalem zum Passahfeste, welches nach den damaligen Begriffen nur in dem dortigen Tempel, als der sichtbaren Wohnstätte Gottes, würdig gefeiert werden konnte. Die Kosten der mehrtägigen Reise, des längeren Aufenthaltes in der Hauptstadt, welche wegen des gleichzeitigen Zudranges so vieler Tausende gewiß nicht unbedeutend sein konnten, die Störung des gewöhnlichen Geschäfts durch so lange Abwesenheit, Alles wurde gern ertragen, um der religiösen Pflicht zu genügen. So kamen auch Joseph und Maria zum Feste, und brachten ihren Sohn Jesus, als er das damals angenommene Alter der religiösen Mündigkeit, das zwölfte Jahr, erreicht hatte, dahin mit. Wie mag ihm das Herz geschlagen haben, als er zum ersten Male der Hauptstadt und dem Heiligthume seines Volkes nahen durfte! Und doch scheint ihn das Fest nicht befriedigt zu haben, denn er bleibt nach demselben noch zurück, um das zu suchen, was ihm bisher gefehlt hatte. Es war nämlich Sitte, daß an einem Orte des Tempels die Schriftgelehrten sich versammelten, um sich über das Gesetz zu besprechen, Streitfragen zu entscheiden, Belehrung denen zu geben, die sie suchten. Da wurde Nahrung für den Geist geboten, und sie war es, die Jesus suchte. Sehr erklärlich ist es wohl, daß diese Besprechungen während des Festes wo so viele Taufende sich zu dem Tempel drängten, um ihre äußere religiöse Pflicht zu erfüllen, wo Jeder in Jerusalem die Pflicht der Gastfreundschaft zu üben hatte, entweder ausfielen, oder doch sehr gestört, vielleicht auch von Erwachsenen so umdrängt waren, daß einem Knaben der Zutritt nicht leicht werden mochte. Nach dem Feste kehrte aber Alles in das gewohnte Geleise zurück, und darum scheint Jesus die Abreise seiner Eltern versäumt zu haben, weil er nun finden konnte, wonach seine Seele dürstete, weil die bisher b!os äußerlich geübte Frömmigkeit seinem Gotterfüllten Herzen nicht genügte. - Ist diese Erklärung seines Verhaltens zulässig, so giebt er uns hier vorbildlich den Beweis: daß die blos äußerliche Frömmigkeit das wahrhaft christlich religiöse Gemüth nicht befriedigen kann.

Und warum nicht? Weil sie den Geist nicht bereichert, das Herz nicht erwärmt, das Leben nicht bessert.

Dem wollen wir jetzt nachdenken.

Das wahrhaft christlich religiöse Gemüth findet in der Uebung blos äußerlicher Frömmigkeit keine Befriedigung, weil solche

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den Geist nicht bereichert.

Jesus selbst verachtete die religiösen Formen keineswegs; im Gegentheil hielt er sie in hohen Ehren, genügte ihnen selbst mit seinen Jüngern, wie wir aus seiner Feier des Osterlammes sehen. Er heiligte den Sabbath, doch nicht so, daß er sich durch denselben von Werken der Liebe sollte abhalten lassen, und als er die Aussätzigen geheilt, wies er sie an, sich den Priestern zu zeigen, wobei sie natürlich auch das Reinigungsopfer darbringen mußten. Aber der gedankenlosen Frömmigkeit, welche die Form des Gottesdienstes für das Wesen desselben nimmt, trat er überall entschieden entgegen, und erlaubte auch seinen Jüngern schon manche Abweichung von dem Gesetze. Sein Wirken für das Reich Gottes war, daß er umherzog im ganzen Lande, und allem Volke das Evangelium predigte, und als er seine Jünger entsandte, da geschah es mit dem Auftrage: zu lehren in aller Welt. Jesus wandte sich also an den Geist des Menschen, Belehrung zunächst wollte er ihnen bringen, und solche muß die Uebung der religiösen Pflicht dem Christen immer noch zugänglich machen. - Die christliche Frömmigkeit darf nicht mehr auf dem dunkeln Gefühle, daß da Oben etwas über uns waltet, beruhen, soll nicht von einer unbestimmten Furcht und dem -aus solcher hervorgehenden Bedürfnisse nach Mitteln der Gnade entspringen, sondern aus einer möglichst klaren Erkenntniß des Gottes, der uns das Evangelium verkündet, aus der lebendigen Liebe zu ihm, unserm großen Vater im Himmel, aus dem bewußten Trachten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit. Die christliche Frömmigkeit kann sich daher in einzelnen Handlungen frommer Zucht kein Genüge thun, sie muß ihrer Natur nach das ganze Leben durchdringen, und die äußeren gottesdienstlichen Gebrauche sind weniger Erweisungen solcher Frömmigkeit, als Gnadenmittel zur Belebung des christlichen Sinnes; sie werden nicht geübt, um Gott damit einen Dienst zu erweisen, sondern um uns selbst zu erwecken, uns selbst die Kraft zuzuführen zu einem gottbewußten Leben und Streben, um dem frommen Bedürfnisse des eigenen Herzens ein Genüge zu leisten. Es handelt sich also bei allen religiösen Uebungen im Geiste des Christenthums wesentlich darum, daß Gott und sein Wille, daß unsere Stellung zu ihm und zu einander, daß unsere ewige Bestimmung, daß die Herrlichkeit des Göttlichen gegenüber der Nichtigkeit des Irdischen recht lebendig von uns erkannt werde; sie sollen ein lebendigeres Bewußtsein unserer Verbindung mit Gott, unserer Verpflichtung gegen Gott, eine Belebung der religiösen Gefühle und Gedanken in uns hervorbringen. - Daß dies Alles eine blos äußerliche Frömmigkeit nicht leisten kann, ist von selbst klar. Bewegt sich die Gottesverehrung nur in äußeren Formen, so richtet das Streben des Geistes sich wohl darauf hin, diesen Formen auf das Genaueste nachzukommen, und die Aufmerksamkeit wird von dem Innern ab-, und auf das Aeußere hingelenkt. So lange ein Mensch oder ein Volk oder eine Religionsparthei noch nicht weiter gekommen ist, als zu solcher äußerlichen Gottesverehrung, welche sich gern mit dem Gedanken täuscht, daß man seinen Pflichten gegen Gott durch solches äußerliches Formenleben: Beten, Kirchengehen, Fasten und dergleichen genügen, und ihn dadurch bewegen könne, für die Sünde, welche ihr Leben befleckt, Gnade zu gewähren, so lange sind sie noch nicht zu der Reinheit der Gottesidee vorgedrungen, deren Herold Jesus war, und welche den Menschen allein zu der wahren Frömmigkeit erweckt. Sie dem Menschengeschlecht darzubieten und zu erhalten, ist die Aufgabe der christlichen Kirche, und daraus geht schon die Nothwendigkeit hervor, daß in der christlichen Kirche die Predigt des Evangeliums stets der Mittelpunkt aller Gottesverehrung sein muß. -

Das ist das ewige Leben, daß sie dich, daß du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen, spricht der Heiland; solche Erkenntniß bietet er in seinem Evangelio dar; die Kirche soll auf sie hinweisen und sie erläutern, auf daß Jeder die rechte Offenbarung Jesu von seinem Vater im Himmel in sich aufnehme. Aber die Wege der göttlichen Vorsehung sind oft so dunkel, unsere Lasten oft so schwer, unsere Sorgen so niederbeugend, unsere Schmerzen so groß, daß sie uns schwache Menschen an dem Walten Gottes zuweilen irre machen. Noch öfter aber ist der irdische Sinn in uns so mächtig, die Leidenschaft so stark, daß sie uns geflissentlich den Gedanken an Gott scheuen läßt, weil mit ihm die bisherige Selbsttäuschung schwinden, die Eitelkeit fliehen, die Reue aber erwachen müßte. Da soll denn nun das Evangelium neu belebt werden in dem Herzen durch die christliche Predigt. Nicht etwas Neues kann und soll sie jedes Mal bringen, wohl aber die alte und ewige evangelische Wahrheit und Mahnung unserm Bewußtsein wieder näher führen; die wechselnden Ereignisse der Zeiten, die Irrwege der sündigen Herzen mit dem Lichte des Evangeliums beleuchten; des christlichen Glaubens Wahrheit, der christlichen Liebe Herrlichkeit, der christlichen Hoffnung Sicherheit immer wieder begründen, hervorheben und anwenden, mit einem Worte: die lebendige Durchdringung unsers Geistes mit den ewigen Ideen des Christenthums vermitteln und ihn anregen, sich ganz der Verwirklichung dieser Ideen in sich und außer sich hinzugeben. Das soll der christliche Gottesdienst in jedem Einzelnen wirken, dadurch in der christlichen Gemeinde das religiöse Gemeinbewußtsein, den Sinn für Wahrheit, Frömmigkeit und Tugend, erhalten und stärken, die christliche Sitte pflegen, und dazu giebt es kein anderes, gleich kräftiges Mittel, als die christliche Predigt. Alle andern Aeußerlichkeiten bei dem Gottesdienste haben nur den Zweck, das Gemüth empfänglich zu machen für die Verkündigung des Wortes vom Herrn, die harten Herzen zu erweichen, die verschlossenen zu öffnen, die weltliche Störung zu verscheuchen, und darum giebt es mit Recht in der evangelischen Kirche keinen Gottesdienst, kein Sacrament ohne Worte, ohne Hinweisung auf Gott, und den er uns gesandt hat, Jesum Christum. Fühlen wir nun Alle, wie fach- und zweckgemäß dies in sich sei, so erkennen wir aus dem heutigen Evangelio, wie -sehr dies im Sinne Jesu ist. Religiöse Formen und Gebräuche hatte er im Feste genug gesehen, aber dadurch fühlte er sich nicht befriedigt; sein Geist suchte Nahrung, darum blieb er zurück, um die Lehrer des Volkes zu hören und zu fragen, ein lebendiges Vorbild, wie wenig dem wahrhaft christlich frommen Gemüthe die blos äußerliche Frömmigkeit genügt, weil sie den Geist nicht bereichert; - aber auch

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weil sie das Herz nicht erwärmt.

Es hat in der neueren Zeit Stimmen genug gegeben, welche die Art des Gottesdienstes, in welcher das Lehren durch die Predigt die Hauptsache ausmacht, beschuldigten, eine einseitige Richtung auf den Verstand zu nehmen, und dabei das Herz unbefriedigt zu lassen, allein ich gestehe ein, nicht zu begreifen, auf welche andere Weise das Herz wahrhaft und nachhaltig angeregt werden könne, als durch den Verstand. Es handelt sich hier doch nicht darum, eine vorübergehende Aufwallung desselben, ein Schwelgen in dunklen Gefühlen zu erregen, sondern ihm die Richtung aus Gott hin zu geben, und es dauernd mit der Liebe Gottes zu erfüllen, welche die Kraft zum christlichen Leben darbietet. Werden dem Geiste alle die Gnadenerweisungen vorgeführt, mit welchen Gott uns, seine Kinder, überschüttet; alle die Hülfsmittel unserer Seligkeit, die er uns verliehen; jene Weisheit, die auch durch Nacht und Trübsal immer wieder zum Heile zu führen weiß; jene Barmherzigkeit, welche nicht sogleich mit uns in das Gericht geht, sondern mit schonender Geduld uns trägt, um uns Zeit zur Buße zu lassen, dann muß die Liebe zu Gott in dem Herzen erwachen, und uns erwecken zu wahrer Dankbarkeit und Frömmigkeit. Wird die ganze Erhabenheit eines göttlichen Lebens, wie es sich in dem Vorbilde Jesu so herrlich, so erweckend darstellt, gegenüber der Verwerflichkeit des nichtigen und sündigen Treibens dieser Welt, gehörig hervorgehoben, jener Liebe, die für das Heil der Brüder selbst in den Tod ging, dann wendet sich das Herz dem Herrn in wahrer Liebe zu, und faßt die Entschließung, seinem Wandel nachzufolgen; dann schwindet wohl die eitle Selbstzufriedenheit vor der Vergleichung mit dem Heiligen, und das Herz wird zur Buße bereit. Aus dem Bewußtsein der eigenen Unvollkommenheit erzeugt sich die Milde im Urtheile gegen die Brüder, und die Erkenntniß der überschwänglichen Liebe Gottes und Jesu zu uns erweckt dann wohl eine thätige Bruderliebe. Das Alles sollten die Jünger wirken, und Jesus sandte sie lediglich aus mit dem Auftrage, zu predigen, zu lehren; ihre Predigt war durch nichts Aeußeres, die Sinne Anregendes unterstützt, und doch wirkte sie so Großes, weil sie die Geister erleuchtete und dadurch die Herzen erwärmte. - Wie wenig aber eine Frömmigkeit, welche sich blos oder auch nur vorzugsweise in äußeren Formen bewegt, eine gleiche Erwärmung des Herzens für Gott, für Liebe und Heiligung hervorzubringen vermag, darüber belehren uns die Zeiten, in denen eine solche vorzugsweise und allein geübt wurde, davon giebt auch die Gegenwart Kunde. Gewiß wurde nirgends ein größerer Werth auf die genaue Erfüllung der Vorschriften des Gesetzes, auf die äußeren Formen der Frömmigkeit gelegt, als bei den Pharisäern, und gerade sie waren die größten Feinde Jesu, gerade sie waren von tugendstolzem Hochmuthe erfüllt, gerade sie beschuldigte Jesus stets der Heuchelei, des unreinen Wandels und liebeleerer Herzen, die sie ja dadurch bewiesen, daß sie den Heiland, wegen seiner Liebesthaten anfeindeten, und kein Bedenken trugen, ihn in martervollem Tode am Kreuze hinzuopfern. Eben so waren die Zeiten vor der Reformation durch eine Menge von gottesdienstlichen Formen und äußeren Zeichen der Frömmigkeit bezeichnet, und doch fehlte dort gerade die rechte Gottesfurcht, herrschte dort ein so blinder, aller Liebe entbehrender Glaubenseifer, daß selbst die Verfolgung der anders Glaubenden für eine religiöse Pflicht ausgegeben, daß selbst ihre Peinigung und Ermordung mit einer religiösen Feier umgeben wurde, und von dem damaligen Zustande der Sittlichkeit bieten sich uns nur trübe Bilder dar, wogegen Aberglaube jeder Art in üppigem Flore stand. - Und sind nicht noch jetzt diejenigen Religionspartheien, welche sich am allermeisten ihres Glaubens rühmen, welche den allergrößten Werth auf die äußeren Formen des religiösen Lebens legen, die allerunduldsamsten und hochmüthigsten, die sich gern die „Auserwählten des Herrn“, die „allein zur Seligkeit Berufenen“, alle Andern aber die „Ungläubigen“ und „ewig Verlorenen“ nennen? Das ist doch wahrlich wohl Beweis genug, daß die blos äußere Frömmigkeit das Herz nicht erwärmt; darum kann sie auch dem wahrhaft christlichen Gemüthe nicht genügen. Von ihr gilt das von dem Heilande angewandte Wort des Propheten: Dies Volk ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir; ihr ruft Jesus zu: Es werden nicht Alle, die zu mir Herr! Herr! sagen, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel. - Dahin soll also jede religiöse und kirchliche Einrichtung und Feier uns leiten, daß wir lernen und kräftig werden mögen, den Willen unsers himmlischen Vaters zu thun, und darum kann eine blos äußere Frömmigkeit dem wahrhaft christlich frommen Gemüthe endlich nicht genügen, weil sie

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das Leben nicht bessert.

Was hilft aller Gottesdienst, was hilft alles Beten und Singen, was hilft alles genaue Befolgen der religiösen Formen, wenn das Herz schlecht, wenn das Leben ungebessert bleibt? Thut Buße! war der große Ruf, mit welchem Jesus sein Evangelium ankündigte, den das Evangelium fort und fort allen seinen Bekennern zuruft. Erheben wir uns von unserm Gebete nicht gestärkt und getröstet durch den Gedanken an Gott; verlassen wir das Gotteshaus nicht gekräftigt im Glauben, durchdrungen von der Anerkennung einer heiligen Weltordnung und von der sittlichen Notwendigkeit für uns, auf Gottes Wegen zu wandeln; erweckt jede Feier des heiligen Sakramentes nicht in uns das schmerzliche Bewußtsein unserer Unvollkommenheit, feste und heilige Entschließungen zu einem rüstigen Kampfe gegen die Sünde, zu einem eifrigen Trachten nach dem Reiche Gottes und der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, - welchen wahren Gewinn haben wir dann davon? Die Religion, das Gebet, der Gottesdienst, die Sakramente sollen die innerliche Verbindung unsers Heraus mit Gott erhalten und beleben, und als Frucht unsere Heiligung hervorbringen; sie sollen uns leiten und fördern in dem Bestreben, Gott wohlgefällig, seine guten Kinder zu werden. Sind wir das, wenn wir uns damit begnügen, die religiösen Gebräuche lediglich aus hergebrachter Gewohnheit und blos äußerlich mitzumachen? Nein, das Herz, das Gott liebt und sich nach ihm sehnt, findet darin keine Befriedigung, und der Apostel Paulus ruft seinen Mitarbeitern zu: Trachtet danach, daß ihr die Gemeinde bessert! - Es ist eine alte geschichtliche Erfahrung, daß jede Religion, je mehr sie ihre Bekenner an die Erfüllung gewisser äußerer Gebräuche bindet, desto mehr von der wahren Heiligung der Herzen sie ablenkt; daß eine solche, je untrüglicher sie sich die Macht, die Sünden wirklich zu vergeben, zuschreibt, nur zu dreisterem Fortsündigen ermuthigt, da ja die Entsündigung stets wieder, schlimmsten Falls noch auf dem Sterbebette zu haben ist. Dadurch kann das Gewissen wohl beschwichtigt, das Leben aber nicht gebessert, die Seligkeit nicht gefördert werden. Darum findet auch das wahrhaft christlich fromme Gemüth darin keine Befriedigung; Jesus aber spricht: Selig sind, die da hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Es ist also die wahrhaft innere Herzensfrömmigkeit, der unausgesetzte Verkehr unserer Seele mit Gott, welchen wir erstreben müssen. Durch ihn wird der Geist bereichert, das Herz erwärmt, das Leben gebessert. Solche Frömmigkeit wird dann allerdings sich auch in entsprechenden Formen der äußern Gottesverehrung äußern; sie wird ihre Lust haben am Gebete, am öffentlichen Gottesdienste; es wird ihr ein Bedürfniß sein, sich der christlichen Gemeinde bei der Feier des Sakramentes anzuschließen, und Alles zu erfüllen, was der Heiland empfohlen hat, wird ihre Liebe zu ihm sie drängen. Wahrlich, ich bin weit entfernt davon, die Nützlichkeit, ja Nothwendigkeit auch der äußeren Formen der Frömmigkeit und Gottesverehrung in Abrede zu stellen. Allein sie müßte der ungesuchte, natürliche Ausdruck des frommen Innern sein; dann wird in natürlicher Wechselwirkung auch solche äußere Frömmigkeit auf die innere erhaltend und belebend, anregend und kräftigend wirken, als wahres Heilsmittel für die Seele. Wo aber die blos äußere Form geübt wird, aus Gewohnheit, als ein Gesetzeszwang, ohne entsprechende Theilnahme des Herzens, da ist sie ein Leichnam ohne Geist, da ist sie nicht die rechte Vorbereitung für das ewige Leben. -

Auf das Herz kommt es an, auf das Herz sieht Gott. Im Herzen laßt, Geliebte, uns darum ihn und sein Wort tragen. Dann werden wir von selbst nicht verlassen unsere Versammlungen, wie Etliche pflegen, sondern durch unser Herz uns gedrungen fühlen, zu sein in dem, das unsers Vaters ist, werden von selbst halten an dem Gebete, und darin den rechten Gewinn für unsere Seele suchen und finden. Wo aber Ohr, Mund und Hand nur auf äußeren Antrieb thätig sind, da bleibt das Herz kalt und todt. - Derjenige ist fromm, der Gott stets vor Augen und im Herzen hat, den Gott, den er liebt von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe und mit allen Kräften! Solche Frömmigkeit ist zugleich Gottseligkeit, und diese kann nicht von außen kommen, sie muß im innersten Herzen ihren Grund und ihre Stätte haben. Darum können blos äußere Frömmigkeitserweisungen ihr auch nicht genügen, ihr Trieb ist, Gott anzubeten im Geiste und in der Wahrheit.

O möchten wir Alle, meine Geliebten, so aus innerm Herzenstriebe und mit unserm ganzen Herzen hier anwesend sein, möchte unsere Seele hier sich stets aufrichten zu ihrem Gott, wenn sie daniedergebeugt ist, sei's von der Last der Sorgen und Schmerzen, oder von den Schlingen der Versuchung; möchten unsere Andachtsstunden dazu dienen, daß unser Geist bereichert werde durch immer bessere Erkenntniß Gottes und seines heiligen Willens, daß unser Herz erwärmt werde durch innige Liebe zu unserm göttlichen Heilande, daß unser Leben gebessert werde durch stete Wiedergeburt aus dem heiligen Geiste! dann dürften wir hoffen, daß wir durch sie zunehmen werden an Weisheit, wie an Gnade bei Gott und den Menschen.

Ja, Vater, dazu segne du diese Stunden! Amen.

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5 Mos. 18,15.18.19.
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