Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Christus, unsere Weisheit - Dritte Predigt.

Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Christus, unsere Weisheit - Dritte Predigt.

Christus, unsere Heiligung.

Die Erlösung der Kinder Israel aus der leiblichen Knechtschaft in Egypten ist ein lehrreiches Bild unsrer geistlichen Erlösung aus der Knechtschaft der Sünde, und wird uns in der Schrift auch vielfach so dargestellt, als ein Spiegel des Werkes Gottes an unsren Seelen. Erst mußten die Israeliten das Elend ihrer Dienstbarkeit fühlen und die ganze Bitterkeit derselben schmecken, und inne werden, wie hart, wie schwer, wie schimpflich das Joch war, das sie trugen, sonst würden sie aus Egypten gar nicht einmal hinausgewollt haben. Nun dies geschah, und war das Erste, Die Kinder Israel seufzten über ihre Arbeit und schrieen, und ihr Schreien über ihre Arbeit und ihr Wehklagen kam vor Gott, Nun wurde Schritt vor Schritt Alles eingeleitet und vorbereitet zu ihrem Auszuge; der Auszug selbst aber erfolgte nicht eher, als bis das' Pascha gefeiert, bis das Lamm geopfert war, dessen Blut die Kraft hatte, den Häusern der Israeliten, die auf Gottes Befehl ihre Thürpfosten damit bestrichen, Verschonung auszuwirken, nicht eher, bis das Osterlamm geschlachtet und gegessen war. Aber nachdem dieses geschehen war, erfolgte auch auf der Stelle, in derselben Nacht noch, der Auszug, und das ganze Heer des Herrn ging auf Einen Tag aus Egyptenland. Israel war nun aus der Knechtschaft erlöset, und sang Dank- und Loblieder am jenseitigen Ufer des rothen Meers, Aber Kanaan, das gelobte Land, das verheißene, Erbe, das Land her Ruhe, war darum noch nicht erreicht, geschweige eingenommen,

Sie hatten erst noch einen langen, beschwerlichen Zug vor sich, den Zug durch eine Wüste, einen Weg, auf der einen Seite voll von Erfahrungen der göttlichen Gegenwart, Leitung und Hülfe, auf der andern Seite aber auch voller Entbehrungen, voll Versuchungen und Gefahren, wo ihr Glaube und ihre Geduld auf schwere Proben kam, in denen sie zu ihrer Beschämung meistens schlecht bestanden, so daß kund wurde Alles, was in ihrem Herzen war, und offenbar wurde, daß es nur die Barmherzigkeit Gottes war, die sie doch endlich ans Ziel brachte. Ja, ein treuer Spiegel des Werkes der Gnade Gottes an unsren Seelen ist diese Geschichte; wie der Apostel auch ausdrücklich sagt, es sey das Alles uns zum Vorbilde geschehen. Die Knechtschaft Israels in Egypten ist ein Bild unsrer natürlichen Knechtschaft in Sünden, und das Erste, was uns nöthig ist zu unsrer Erlösung, ist, daß wir unser natürliches Verderben und Elend sehen und fühlen, und unsre Seufzer um Erlösung vor Gott bringen. Er hat unser bereits in Gnaden gedacht, noch ehe wir riefen, noch ehe wir da waren, und die Veranstaltung gen zu unsrer Erlösung sind bereits getroffen. Das Osterlamm ist ein Bild des wahrhaftigen Einigen Opfers, welches Christus dargebracht hat für die Sünde der Welt; wie der Apostel ausdrücklich sagt: Wir haben auch ein Osterlamm, welches ist Christus, für uns geopfert. Durch den Glauben eignen wir uns dieses Opfer zu, das Blut Christi reinigt unser Gewissen durch den Glauben an dasselbe. Durch den Glauben an das Evangelium und den gläubigen Genuß des heiligen Abendmahls haben wir an diesem Opfer der Versöhnung Theil. Ohne Glauben an das Blut der Versöhnung entrinnt Niemand der Obrigkeit der Finsterniß. Durch Kraft dieses Glaubens kann die Errettung und der Ausgang geschehen auf Einen Tag. Damit aber ist das himmlische Erbe, die Heimath der ewigen Ruhe und Freude, die Krone der ewigen Ehre und Herrlichkeit noch nicht erreicht. Die Büß, kämpfe, die Wehen der Wiedergeburt sind dahinten, Friede und Freude treten an die Stelle, wenn der neue Mensch durch den Glauben zur Welt geboren wird, wenn es heißt: Ich habe gefunden, und mir ist Barmherzigkeit widerfahren, und ich weiß, wen meine Seele liebt! Aber nun erst kommt der Weg durch die Wüste, wo wir auf alle Weise zwar gestärkt, und mit Erfahrungen der Gnade Gottes erfreut und erquickt, aber auch vielfach von Ihm geübt, geprüft, versucht, gedemüthigt und gezüchtigt werden, und werden müssen, auf daß wir seine Heiligung erlangen^ ohne welche Niemand sein Angesicht sehen wird. Und das ist die Wahrheit, von der ich nach unsern Textesworten heute zu Euch zu reden habe. Er helfe dem Redenden und den Hörenden, daß es im Segen geschehe zu unsrer Erbauung.

Um diese Gnade bitten wir Dich, Herr, Heiliger und Wahrhaftiger, der Du uns berufen und geboten hast, heilig zu werden, wie Du heilig bist, und uns wissen lassest, daß in Dein himmlisches Reich kein Unreiner eingehen und kein Ungerechter es ererben kann, wir bitten Dich, Du wollest Deinen Ruf kräftig werden lassen in unsren Herzen, Du wollest die Schlafenden unter uns erwecken, und die Sichern unter uns erschüttern durch die Schauer Deiner Heiligkeit, wenn sie hören, bei Dir seh Vergebung, daß man Dich fürchte, daß sie erzittern vor dem Tage des Gerichts, jetzt da es noch Zeit ist, dem zukünftigen Zorn zu entfliehen; die Gedemüthigten aber wollest Du gründen im Glauben, die Gläubigen aber wollest Du im Wachen und Beten erhalten auf dem schmalen Pfade der Heiligung, daß sie fortfahren mit der Heiligung in Deiner Furcht. Dazu segne uns auch jetzt die Betrachtung Deines Wortes durch Jesum Christum! Amen.

Text: 1. Korinth. 1, 30.

Von welchem auch ihr herkommt im Christo Jesu, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit, und zur Gerechtigkeit, und zur Heiligung, und zur Erlösung.

Alles, ohne Ausnahme Alles, was uns zur Seligkeit Noth ist, ist uns von Gott in Christo bereitet. Diesen Inbegriff des Heils, das wir Christo verdanken, legt Paulus hier in vier einzelnen Gütern und Wohlthaten auseinander, und nennt sie gerade in der Ordnung, in der sie durch Gottes Gnade uns zufließen. Das Erste, was wir bedürfen, ist Licht, Erleuchtung, zu erkennen Gott, den Lebendigen, und uns selbst, und den Weg zum Ziele der Seligkeit. Alles, was wir hiezu bedürfen, finden wir in aller Fülle des Reichthums bei Christo. Er ist uns von Gott zuvörderst zur Weisheit gemacht. Was aber ist die erste Hauptentdeckung, die wir machen, wenn wir wirklich erleuchtet werden? Wir werden gewahr, daß wir vor Gott kein gutes Gewissen, keine Gerechtigkeit, daß wir die göttlichen Gebote allesammt nicht gehalten haben, daß wir von Kindesbeinen an Uebertreter sind, daß wir, wenn Gott mit uns ins Gericht geht, auf Tausend nicht Eins Ihm antworten können, daß eine Schuld auf uns lastet, die wir auch aus eigenen Mitteln nimmermehr zahlen und tilgen können. Wir bedürfen demnach, wenn wir im Gericht Gottes nicht das Urtheil unsrer Verdammniß hören sollen, nothwendig eines Mittlers, der für uns den Rechten der göttlichen Gerechtigkeit genug thut, eines Bürgen, der für uns Zahlung leistet, und durch dessen Verdienst wir freigesprochen werden im Gericht. Dieser mächtige Mittler, dieser gültige Bürge ist da, ein Lösegeld von unerschöpflichem Reichthum ist in dem Blute der Versöhnung vorhanden, das Er am Kreuze, für uns Sünder vergossen hat. Christus ist uns von Gott nicht nur zur Weisheit, sondern auch zur Gerechtigkeit gemacht. Wer an Ihn glaubt, ist gerecht, wird durch Ihn im göttlichen Gerichte seiner Schuld ledig, und erhält durch die ihm zugerechnete Gerechtigkeit Christi das Recht zum Leben, und diese Wohlthat ist es, die der Apostel in unsrem Texte mit dem Worte Gerechtigkeit ausdrückt, nämlich unsre Rechtfertigung im göttlichen Gericht. Aber laßt uns nun auch hören, was unzertrennlich hiemit zusammenhangt, laßt uns jetzt auch erwägen die dritte Hauptwohlthat, die wir Gott in Christo verdanken, daß uns Christus von Gott auch zur Heiligung gemacht ist.

Die Gerechtigkeit oder das Recht zum Leben , das uns durch Christum geschenkt wird, hängt unzertrennlich zusammen mit dem Werke unsrer Heiligung, dem Werk unsrer fortgesetzten, fortwährenden Reinigung von der Sünde, von aller Befleckung des Fleisches und Geistes. Vor dem menschlichen, dem weltlichen Gerichte kann es der Fall seyn, daß eine Lossprechung geschieht, ohne daß Besserung erfolgt. Hier kann ein Missethäter aus besondern Gründen begnadigt, die Strafe ihm geschenkt, er kann in Freiheit gesetzt werden, und kann demohnerachtet ein Bösewicht bleiben, Ganz auf dieselbe Weise wünschen sich unzählige Menschen auch im göttlichen Gericht bloß die Befreiung von der Strafe, das Recht zum Leben, zur Seligkeit; dieß möchten sie, übrigens aber möchten sie auch gerne bleiben, was sie sind, mögen sich nicht reinigen von ihren Sünden und Untugenden, und sie nicht ablegen, sie begehren nicht andere Menschen zu werden in Ansehung, ihres Herzens und Wandels. Aber welche Thorheit, im göttlichen Gerichte losgesprochen werden wollen mit solcher Gesinnung! Wem die Sünde nur leid ist, weil sie so üble Folgen mit sich führt, wer übrigens aber an ihr hängt, und sie nicht hasset, in des Geist ist Falsch! Darum sagt David schon, wenn er im Josten Psalm die Seligkeit des Begnadigten rühmt: „Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedecket ist. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet, in des Geist kein Falsch ist.“ So gewiß es ist, daß wir im göttlichen Gerichte losgesprochen und begnadigt werden nicht um unsrer Heiligkeit willen, sondern lediglich aus Gnaden um Christi willen, so gewiß ist auf der andern Seite, daß wir ohne Heiligung das Reich Gottes und sein Angesicht nicht sehen werden, daß also unsre Rechtfertigung nur eine eingebildete und erträumte ist, wenn sie nicht unsre Heiligung zur Folge hat. Entweder also, wir müssen beide zugleich wollen, die Rechtfertigung, und die Heiligung, oder wir müssen beide fahren lassen. Wer die Vergebung sucht ohne die Reinigung, erlangt keines von beiden, und in deß Geist ist Falsch. Doch, wer wahrhaft bußfertigen und gebeugten Herzens ist, dem darf dies nicht erst gesagt werden. Er sehnt sich mit starkem und brünstigem Verlangen seines ganzen Herzens nach beiden. Ihn dürstet auf der einen Seite nach Gnade, nach dem Troste der Vergebung, der Erlassung aller seiner Schuld, der Gewißheit seines Rechts und Antheils an der ewigen Freude und Herrlichkeit, - aber nicht minder sehnt er sich von Herzensgrund nach Erlösung von der Sünde selbst, nach Freiheit, nach Reinheit, nach Kraft, durch Gottes Gnade ein anderer und besserer Mensch zu werden, ein geheiligtes Gefäß im Hause Gottes, zu Ehren, dem Hausherrn bräuchlich, und zu allem guten Werk bereitet (2. Timoth. 2, 21). Wer das sucht und wünscht, wer das von Herzen begehrt, dem ist Befriedigung verheißen. Die nach Gerechtigkeit hungert und dürstet, die sollen satt werden. Die Gnade Gottes in Christo ist allgenugsam. Wir empfangen durch Ihn nicht nur das Recht zum Leben, sondern auch die Kraft zum Leben. Christus ist uns, sagt der Apostel in unsrem Texte, auch zur Heiligung gemacht. Seher da einen neuen, den dritten Hauptgrund, warum wir Ursache haben, Christum willkommen zu heißen, und uns zu freuen seiner gnadenreichen Erscheinung!

Er ist uns von Gott zur Heiligung gemacht in jedem Sinne des Worts. Wir haben an Ihm zuvörderst den vollkommenen Lehrer der Heiligkeit. Er hat uns den geistlichen Sinn des göttlichen Gesetzes aufgeschlossen in seiner ganzen Tiefe. Er hat uns gelehrt unterscheiden den Gehorsam nach dem Buchstaben von dem Gehorsam des Herzens, und gezeigt, daß wir Gott nimmer gefallen können Mit äusserer Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit, wenn nicht auch unsres Herzens Neigungen und Wünsche und Begierde hängen seinem heiligen Willen gleichförmig, und lauter und rein sind vor seinem heiligen Angesicht. In der Bergpredigt Jesu allein besitzen wir eine ohne allen Vergleich reinere und tiefere Tugendlehre, als alles, was alle Weisen der Heiden jemals von der Tugend Gutes gelehrt haben, zusammen genommen. Konnte David vom Gesetze Mosis sagen: „Das Gesetz des Herrn ist ohne Wandel; die Befehle des Herrn sind richtig; die Gebote des Herrn sind lauter, und erleuchten die Augen; alsdann wird ein Mensch seinen Weg unsträflich gehen, wenn er sich hält nach deinem Gebot;“ wir haben von noch größerer Klarheit zu rühmen in den Geboten des Evangeliums. Auch nicht nur mit Worten ist Jesus uns ein vollkommener Lehrer der Heiligkeit, sondern auch mit seinem heiligen Leben und Wan, del ein Vorbild. Er ist uns auf dem Pfade der Heiligung vorangegangen, und hat uns sein Vorbild gelassen, daß wir nachwandeln seinen Fußstapfen. Doch was würde das uns helfen, wenn Christus bloß unser Lehrer, sein Evangelium uns bloß eine Weisheitslehre wäre! Das Evangelium aber enthalt zugleich die stärksten, die kräftigsten Beweggründe und Ermunterungen zur Heiligung! Im Tode Jesu haben wir Alles vor Augen, was von der Sünde uns abschrecken, was uns die Sünde verleiden kann. In demselben Tode sehen wir Alles, was uns zur Liebe Gottes und zum Gehorsam der Liebe reizen kann. Ist das nicht Gerechtigkeit, daß die Sünde der Welt auf diese Weise gestraft ward? Ist das nicht Liebe, daß Gott seinen eingebornen Sohn für uns dahin gab? Die Gerechtigkeit und die Gnade geben sich über dem Kreuze Christi die Hand, also, daß es ein Zeichen ist denen, die selig werden, und denen, die verloren gehen. In dem Evangelium wird uns vorgehalten Himmel und Hölle, die ewige Freude und die ewige Pein. Wer sich nicht heiliget, nicht reiniget von den Sünden, die er doch erkennt, wo seine Hand, oder sein Fuß, oder sein Auge ihn ärgert, fährt in die Hölle, sagt Jesus, in das ewige Feuer, da ihr: Wurm nicht stirbt, und ihr Feuer nicht verlöscht. Als Preis der Heiligung dagegen, der Reinigung von aller Befleckung Fleisches und Geistes, zeigt uns das Evangelium das ewige Leben, das himmlische Erbe, die Heimath der Ruhe, die Krone der Ueberwindung und unaussprechliche Herrlichkeit! Ist das nicht Ermunterung, dem Kleinod nachzujagen, das uns die himmlische Berufung in Jesu Christo vorhält? Doch was würden auch Himmel und Hölle über uns vermögen, uns zur Heiligung tüchtig zu machen, ohne die allerkostbarste, die nöthigste, die aller, unentbehrlichste Gabe der göttlichen Gnade, ohne den heiligen Geist, der die Kraft giebt,, von dem die Kraft kommt, die uns zur Heiligung Noth ist? In uns ist diese Kraft nicht. Wir werden zu Schanden mit allen unsern Vorsätzen, ohne den wirksamen Gnadenbeistand des Heiligen Geistes. Ja, hier erst erhellt, wie und wo, durch uns Christus auch zur Heiligung gemacht ist! Er allein, der uns Vergebung ausgewirkt, hat hiemit auch die Gabe und Kraft des Heiligen Geistes für uns erworben und hat sie in Händen. Diesen Geist empfangen Alle, die durch den Glauben mit Christo in wirkliche Verbindung treten, Ihm als ihrem Heilande, im Glauben wirklich eigen werden. Die Gabe und Kraft des Heiligen Geistes wird empfangen durch den Glauben. Unsre Wiedergeburt ist in allen ihren Theilen ein Werk des Heiligen Geistes vom Vater und vom Sohne. Auch die ersten Anfänge der Erleuchtung über uns selbst und jede heilige Gewissensregung ist sein Werk, seine Arbeit an unsrem Herzen. Aber mit diesen Anfängen seiner Arbeit an uns ist Er selbst noch nicht in uns eingekehrt. Dies geschieht erst durch den Glauben, durch welchen Christus unsre Gerechtigkeit wird. Christus unsre Gerechtigkeit! Wo dieses Wort im Herzen lebendig erfahren wird, da kehrt der Heilige Geist ein, und macht im Herzen Wohnung mit Liebe, mit Friede und Freude , mit Zuversicht, mit kräftigen Erinnerungen und, wo es Noth ist, mit Zurechtweisungen, Drohungen und Bestrafungen, mit Erleuchtung über Gottes Wort, und Liebe zu Gottes Wort, und Freude, an demselben, mit Erleuchtung über Gottes Willen und Wohlgefallen auf allen unsern Wegen, mit deutlicher und kräftiger Führung und Leitung im Glauben, mit Beistand und Bewahrung in der Versuchung, mit wirksamem Troste in der Anfechtung, indem Er Christum je mehr und mehr in unsrem Herzen verklärt, und je mehr und mehr in seiner Erkenntniß und Liebe uns gründet, und den Glauben und die Hoffnung auf das ewige Leben uns stärkt, und uns mit Lust und Liebe zu guten Werken erfüllt, zur Ehre Gottes und Jesu Christi. Indem Er uns täglich demüthigt durch Blicke in unsre Unwürdigkeit und Schwachheit, in den Abgrund unsres natürlichen Verderbens, hält Er uns nieder, daß wir uns unsrer Gaben und Werke nicht erheben, - aber indem unser natürliches Verderben und unsre Ohnmacht uns niederschlägt und niederbeugt, hilft Er uns auf, daß wir in unsren Sünden und Gebrechen nicht verzagen, und lehrt uns auch unsre Heiligung als Gabe der Gnade suchen von dem, der unsre Gerechtigkeit ist; denn Er hat verheißen, daß er mit seiner Kraft will mächtig werden und sich verherrlichen in unsrer Schwachheit. Er hat die Stärke, die uns gebricht, und giebt sie denen, die sie bei Ihm suchen. Er giebt den Müden Kraft, und Stärke genug den Unvermögenden. Ist schon die Sünde mächtig in uns, Er ist noch immer mächtiger, uns von ihr zu reinigen und zu befreien, und zu heilen alle unsre Gebrechen. Er ist der Weinstock, wir die Reben. Bleiben wir an Ihm, so bringen wir zu seiner Zeit auch Frucht.

Nun, geliebte Zuhörer, wer unter uns der Heiligung begehrt, der suche sie nun auch auf dem hier vorgeschriebenen Wege, in der hier vorgeschriebenen Ordnung. Unsre Heiligung ist in dem ganzen Werk der Gnade Gottes an unsrem Herzen der Zweck, sie ist das Ziel aller Veranstaltungen, die Gott in Christo für uns getroffen hat. „Er hat uns, sagt der Apostel, erwählt durch denselben, daß wir sollten seyn heilig und unsträflich vor Ihm in der Liebe.“ Der Herr sucht die Frucht. Dadurch, sagt Jesus, wird mein Vater geehrt, daß ihr viel Frucht bringt. Wo Christus in einem Menschenherzen und Menschenleben Gestalt gewinnt in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die Gott gefällig ist, in Liebe von reinem Herzen, und von gutem Gewissen, und von ungefärbtem Glauben, da wird der Name Gottes geheiligt, da geschieht, warum Jesus vor allem Andern in dem Gebete, das Er uns gelehrt hat, uns bitten heißt. Was können wir uns auch Größeres erbitten, als die Reinigung von der Sünde, ein reines Herz, die Verklärung in das Bild der Heiligkeit Christi, so wie Christus ein Bild des Vaters ist! Was können wir Größeres von Gott erlangen, als daß wir nach Geist, Seele und Leib geheiligt, und Tempel seines, Heiligen Geistes werden! Nun, wer unter uns geheiligt zu werden begehrt, der achte auf den in unsrem Texte gewiesenen Weg, auf die hier gelehrte Ordnung. Von Natur ist die Kraft zur Heiligung nicht in uns. Sie wird uns von Gott aus Gnaden geschenkt, durch Christum. Er ist uns von, Gott zur Heiligung gemacht, - vorher aber zur Gerechtigkeit. Diese also ist das Erste, was wir zu suchen haben. Nicht erst die Heiligung, und dann die Vergebung, sondern umgekehrt , erst die Vergebung, darnach, die Heiligung. Wer die Heiligung sucht, und die Vergebung, die Reinigung seines Gewissens durch das Blut der Versöhnung gering achtet, bleibt unter des Gesetzes Fluch, und hat keinen Christum. Erst der Glaube, durch den der Heilige Geist ins Herz kommt, darnach die Frucht. Wie thöricht, wenn wir die Frucht wollen zur Wurzel machen, wenn wie wollen heilig werden, und mit dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste wieder in Gemeinschaft stehen, ehe wir Gnade erfahren haben, ehe wir Gott durch Christum versöhnt sind! Die Kinder sollten uns hier lehren. Haben sie vor den Eltern ein böses Gewissen und keine Freudigkeit, so bleibt ihre Sünde und Schuld, und sie haben nicht Kraft zur Besserung und Reinigung von ihrer Sünde. Wenn sie aber ihre Sünde bekannt haben, und sie empfangen einen Eindruck von der Liebe, die ihnen vergiebt, wie willig sind sie alsdann, zu thun, was die Eltern wollen, und haben Kraft zum Gehorsam, zum Fleiß, und sind fertig und freudig zu allem Guten, ihren Eltern zu Liebe und zu Gefallen. „Wenn Du mein Herz tröstest, sagt David, dann laufe ich den Weg deiner Gebote.“ Ja, das ist der große Hauptbetrug unsrer natürlichen Blindheit, daß Wir wollen erst besser seyn, erst warten, bis wir gottgefällige Menschen geworden, ehe wir den Trost der Vergebung aller unsrer Sünden uns zueignen. Sieht aus, wie Demuth, ist's aber nicht. Es ist eigene Weisheit, die es besser wissen will und zu verstehen meint, als es der Geist Gottes im Evangelium lehrt. O, geliebte Zuhörer, möchtet ihr Gehör schenken dem, was aus Gottes Wort, aus unsrem Texte Euch gepredigt wird, der Bitte, die an Euch gerichtet wird, daß ihr nicht umkehren wollet die im Evangelium offenbarete -Ordnung des Heils, und keines der vier Güter des Heils, die hier genannt werden, übersehen oder verachten, auch nicht in anderer Ordnung sie suchen wollet, als hier gelehrt ist. Christus unsre Weisheit zuerst, darnach unsre Gerechtigkeit und hiermit unsre Heiligung. Schon beim Propheten Jesaias heißt es, daß, wer sich des Herrn rühmt, sagen werde: „In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke!“ Die Gerechtigkeit also zuerst, und darnach die Stärke. Sehet da zugleich, Geliebte, den eigentlichen Grund, warum wir so oft, so viel, und immer aufs Neue von der Seligkeit durch den Glauben reden. Wahrlich nicht, daß wir die Werke verachteten! Wir eifern nur gegen die Werke, die nicht aus dem Glauben kommen, und behaupten mit großer Gewißheit, daß diese Niemanden zur Seligkeit helfen. Wir wissen, daß nur diejenigen Werke, die aus einem gründlich gedemüthigten und wirklich gläubigen Herzen hervorgehen, Gotte angenehm sind in Christo. Heben wir das Gesetz auf durch die Predigt vom Glauben? Im Gegentheil, wir richten das Gesetz auf!

Aber, Geliebte, diejenigen unter uns, die es erkennen, daß es die ewige Weisheit und Liebe ist, die diese Gnadenordnung entworfen, und diesen Weg uns bereitet hat, diese muß ich zum Schlüsse unsrer heutigen Betrachtung auch auffordern und ermahnen zum Eifer und zum Fleiße in der Heiligung. Die Gerechtigkeit, die Rechtfertigung im göttlichen Gericht, wird uns auf einmal und alsbald auch ganz geschenkt. Aber nicht so ist es mit der Heiligung. Diese ist ein Werk, das allmählig zu Stande gebracht wird, das viele Stufen hat, das mancherlei Uebung, Prüfung, Erziehung, Züchtigung, Läuterung und Schmelzung erfordert, ein Werk, das Zeit erfordert, bis der Sauerteig die ganze Masse mehr und mehr durchdringt, und den ganzen Menschen nach Geist, Seele und Leib durchsäuert. Was ist nun hier unser Seits Noth? Vor Allem, daß wir Christum lassen täglich aufs Neue unsre Weisheit und Gerechtigkeit seyn. O, wie Noth jedem auch unter uns! Wie wahr und treffend sagt irgendwo Luther: „Der alte Adam wird im Bade der Wiedergeburt nicht gleich ersäuft, sondern ist ein Vogel, der schwimmen kann.“ Manches Stück Finsterniß, manche noch unerkannte innere Unlauterkeit pflegt bei der Wiedergeburt in das Leben des Glaubens noch mit hinüberzugehen, und es kostet oft viel, viel Mühe, viel Zucht, viel Demüthigung, bis es dem Herrn gelingt, uns die unerkannte Sünde in ihrer finstern Wurzel ins Licht zu stellen vor unser eignes Angesicht. Mit tiefer Beschämung, mit schmerzlicher Beugung müssen wir bekennen, auch bei den besten unter den Gläubigen ist es nicht anders. Hier nun kann und will und darf und wird der Herr auch weiter nicht schonen, so wahr Er die Liebe ist. Die, die Er lieb hat, die züchtiget Er, und der Zweck der Züchtigung ist, daß wir seine Heiligung erlangen, daß wir gereinigt werden von aller der noch in uns haftenden, und von uns entweder noch nicht erkannten, oder doch noch nicht abgelegten Unreinigkeit, die das göttliche Ebenbild in uns entstellt, und uns noch häßlich erscheinen läßt vor seinem heiligen Angesicht. O, wie nöthig ist uns die Züchtigung! Wer lernt sie aus, die Schlangenwindungen des alten Menschen in uns, der nicht sterben will? Wie viele sind unter den Gläubigen, die sich selbst weit mehr Demuth zuschreiben, als sie doch haben, und es damit beweisen, daß sie ungern sich strafen lassen, und bei weitem ihr Ohr noch immer nicht genug öffnen den Erinnerungen und Winken, die sie empfangen. Wie viele unter den Gläubigen, die sich auch in der Weisheit, in. der Anwendung des Wortes Gottes auf sich selbst, auf ihr Leben, in der Lebensweisheit geförderter halten, als sie sind! Daher muß denn Gott wohl mit Zuchtmitteln, mit der Züchtigung fortfahren, so wahr Er uns lieb hat, und darum ist es denn ein Hauptstück unsrer Heiligung, daß wir die Züchtigung annehmen, und merken auf die Hand des Herrn, die uns schlägt, warum sie es thut. Sollen wir nicht Gott danken für jegliche Züchtigung, wie schmerzlich sie auch für den Augenblick ist, da wir wissen, wenn wir's auch jetzt noch nicht sehen, da wir wissen, daß Gott mit jeder Züchtigung unsre Heiligung im Auge und zum Ziele hat. Sollen wir nicht beten mit den Worten eines alten Liedes:

„Und wo mir's Noth, so schneide, stich und brenne,
„Verschone nicht, bis sich die Sünde trenne,
„Und meine Seel ihr höchstes Gut Dich nenne
„Aufrichtiglich.“

Wohl jedem, der das beten kann! Amen.

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