Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Sechste Predigt. Die Gott suchende Seele.

Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Sechste Predigt. Die Gott suchende Seele.

Text: Jes. LV,6
Suchet den Herrn, weil Er zu finden ist; rufet Ihn an, weil Er nahe ist.

Glauben, selig zu werden, ohne daß man darnach trachte, noch sich darum bekümmere, heißt glauben was der Vernunft und Ordnung Gottes zuwider läuft. Es heißt hoffen, getränkt, erquickt zu werden, und doch nach keiner erfrischenden Sache verlangen; und wenn sie angeboten wird, sie ausschlagen. Es ist eben so unvernünftig, als wenn man hoffen würde, an einen gewissen Ort zu kommen, ohne sich den Weg gefallen zu lassen, der dahin führt. Wohl unsinnige Hoffnung! Und doch, ach! die Hoffnung der meisten unter den sogenannten evangelischen Christen.

Es ist zwar wahr:, die Seligkeit ist ein Kanaan, das uns aus Gnaden verheißen worden; aber doch auch ein Kanaan, darum wir kämpfen sollen. Es ist wahr: das Geschäft unsers Heils ist ein Geschäft des dreieinigen Gottes; aber doch auch ein Werk, das in uns und nicht blos außer uns vorgehen muß. (Gal. 4,19). Es ist ein Werk, das wir befördern, wenigstens nicht muthwillig hindern sollen (Phil. 2,12). Sind wir zu ohnmächtig, uns in den Stand der Gnade zu versetzen; ach so müssen wir doch den nicht zurückstoßen, der uns die Hände dazu bietet. Sind wir zu unwissend, uns selbst zu helfen; so muß man sich wenigstens dem Licht nicht entziehen, das uns erleuchten will.

Könnte man in der Sorglosigkeit, in dem Schlafe, worinn ihr sehet, daß die Sünder liegen, könnte man, sage ich, auf die Art selig werden: warum hätte uns Jesus befohlen, zu ringen, daß wir durch die enge Pforte eingehen? (Luc. 13,24). Warum sagte Er von einer Gewalt, die dem Himmelreich geschehen müßte? Warum redete denn das ganze Evangelium von einem Ernst, von einer Sorge, von einer Wahrnehmung seines ewigen Heils? Sie gälten nichts, jene nachdrücklichen Ermahnungen Gottes: der Sünder gehe in sein Herz, wendet euch zu mir, bessert euer Leben und Wesen! Wären das nicht alles lauter leere Worte, wenn man so im Traum, wie sich der Unbußfertige schmeichelt, zum ewigen Leben gelangen könnte? Gott kann thun, was Er will. Er kann sich von denen finden lassen, die Ihn noch nie gesucht. Er ist an keine bestimmte Ordnung gebunden, wir aber wohl. Ja selbst diejenigen, die Er durch eine wunderbare Wirkung seiner Gotteskraft erobert, macht Er nicht selig. Er habe sie denn zuvor heilsbegierig gemacht.

Die Gott suchende Seele.

  1. Wie man Gott suchen müsse.
  2. Wie nothwendig dieß sei.
  3. Die Zeit, wann es geschehen solle.

Ach grundgütiger Gott und Vater! Suche Du doch selbst Dein armes verlornes Geschöpf auf. Begegne ihm auf seinen Irrwegen nach Deiner großen Erbarmung, und kehre es doch wieder herum. Zeuch es zu Deinem Geliebten! Ach ja! übergieb Du uns dem Herzoge unserer Seligkeit; damit wir durch Sein Verdienst gerecht und durch Seinen Geist geheiligt, in alle Wahrheit geleitet werden. Amen!

I.

Suchet den Herrn! Das ist keine bloße Ermahnung, es ist zugleich eine ernstliche Bestrafung. Es sagen uns diese Worte eben das, was Paulus sagt: Sie sind alle abgewichen, sie sind allesamt untüchtig geworden. O mit Recht kann uns unser Gott zurufen: Ihr macht des Abweichens zu viel! Wo wir uns hinwenden, muß uns auch unsere Abtrünnigkeit in die Augen fallen. Nicht erst von gestern und ehegestern her; nein! von alten Zeiten her sind wir abtrünnige Menschen. Durch alle Geschlechter zurück bis auf Adam abtrünnige, bundbrüchige Menschen: Gold, Silber, Edelgesteine, die Reichthümer und Kostbarkeiten der Welt haben den Platz eingenommen, der dem Allerhöchsten, dem Liebenswürdigsten zugehörte. Ihnen, diesen vergänglichen, nichtigen, hinfälligen Dingen, haben wir unsere Liebe, unsere Hochachtung zugesagt. O erstaune, Himmel und Erde! Wir verlassen das große All, den Gott, der Himmel und Erde in seiner Hand hat, und gaffen nach dem Nichts. Wir verlassen die Güter, welche in Ewigkeit bleiben, und thun uns nur nach dem um, was Würmer fressen, das Feuer verzehren und eine diebische Hand in einer Nacht wegstehlen kann. Die Ehre vor Gott und Seinen Heiligen gilt nichts mehr in dieser Welt. Jedermann sehnet sich nach dem, was hienieden ist.

Kann das Gott mit gleichgültigen Augen ansehen? Kann Er das vertragen und dulden? Oder vielmehr: Kann Ers über sein Herz bringen, daß wir unserer wahren Glückseligkeit so unsinnig schaden? Wahrlich nicht! dazu sind wir nicht auf der Welt. Darum hat Er uns nicht Leben und Odem gegeben, daß wir Ihm den Rücken kehren, und andern nachhangen sollen! Er will, daß wir uns von ganzem Herzen zu Ihm wenden. Siehe den Himmel an in seinem prächtigen Glanze, in seiner wunderbaren und abgemessenen Bewegung. Betrachte die Erde, mit allen Wundern der Natur und Kunst. Erinnere dich an die Proben seiner Vorsehung und Liebe. Alles ruft mit einem Munde: Suche den Herrn! Suche den Herrn! So ruft unser Erbarmer nicht nur bei Jes. 45,21., so redet Er nicht nur durch Jeremiam K. 3,12., so ermahnet Er nicht blos an einem oder dem andern Orte der Offenbarung. Ich kann in dem heiligen Buche nichts lesen, das mich nicht darauf wiese. Selbst die Geschichten von den lasterhaftesten Menschen, welche uns die heilige Schrift aufgezeichnet, reden diese Sprache: Suche Gott! sonst wirst du gleich Jenen verderben.

Was heißt denn: den Herrn suchen? Was anders, als aus der Wüstenei wieder zu der Heerde des guten Hirten kommen, wo uns kein wahrhaftes Gut mehr mangelt? Von Armuth und Hunger zum Ueberfluß des Vaters, von der Knechtschaft der Sünden zur seligen Freiheit der Kinder Gottes, aus der Finsterniß zum Licht, vom Tod zum Leben kommen? Bei der Welt ein Narr werden, um weise vor Gott und Seinen Heiligen zu sein? Wahre Güter für falsche, ewige für vergängliche erwählen?

Aber laßt uns näher betrachten, wie wir Gott suchen sollen?

Ach daß wir euch bei einer so wichtigen Sache auf das Beispiel der meisten unter euch verweisen könnten!

Ach daß wir sagen dürften: machts nur so, wie ihr sehet, daß es die zur Rechten und Linken machen. Ihr jungen Leute! machts wie die Alten! Ihr Kinder, wie eure Eltern! Du Ehemann! wie dein Eheweib! Nein! Meine Freunde, die Zeiten sind vorbei, wo die meisten in der Kirche ein Herz, und eine Seele waren, ihrem Erlöser zu dienen. Wir haben vielmehr Ursache zu sagen: Ein Jeglicher hüte sich vor seinem Freund, und traue auch seinem Bruder nicht (Jer. 9,4).

Müssen wir denn nicht in beständigem Zweifel, in beständiger Ungewißheit bleiben? Wie sollen wir hinter die Wahrheit kommen? Wenn mich Vater und Mutter betrügen können, wem soll ich denn glauben? Dem, Meine Freunde, der da nicht lügen kann; dem, der die Wahrheit selbst ist, der sich in seinem heiligen Worte geoffenbaret hat! Gebenedeiet sei Gott! Wir haben ein festes prophetisches Wort; wir thun wohl, wenn wir darauf achten. Das zeigt uns die gerade Straße zum Himmel, das führet uns ohne Umschweife zu Gott. Werden wir dieses Wort des Herrn um Rath fragen, wie wirs anfangen sollen, wenn wir zur seligen Gemeinschaft unsers guten Gottes gelangen wollen, so wird es uns antworten: Suchet den Herrn fleißig in der Schrift. Suchet Ihn mit Gebet und Flehen. Sucht Ihn mit einer rechten Wachsamkeit über euer Herz.

Wer Gott finden will, muß Ihn in der Schrift suchen. Ich zweifle gar sehr, daß man werde mit Gott bekannt werden, wenn man mit Seinem Wort unbekannt bleibe Es ist und bleibt das ordentliche Mittel, wodurch der Mensch erleuchtet und überzeuget wird. Wer es verachtet, verachtet den Rath Gottes von seiner Seligkeit. Die Schrift macht klug (Ps. 119,130). Wie will man denn, ohne den Gebrauch derselben, weise werden zum Himmelreich? Sie ist ein Licht auf unserm Wege (Ps. 119,105). Wer kann denn ohne dasselbe richtig fortwandeln? Gottes Wort ist es, dadurch Jesu Jünger geheiliget werden (Joh. 17). Wie kannst du denn ohne dasselbe mit Gott bekannt, und erneuert werden? Gottes Wort ist es, dadurch man unterwiesen wird zur Seligkeit (II. Timoth. 3,15). Es ist der Saame der Wiedergeburt. Wie könnte man denn ohne dasselbe wiedergeboren werden?

Setzt mir nur nicht diejenigen entgegen, die bei allem ihrem Bibellesen unerleuchtete Menschen bleiben, - jene Pharisäer und Schriftgelehrten, jene Heuchler, die bei aller ihrer Andacht, nach dem Laufe der Welt, fern von Gott, fern von seiner heiligen Gemeinschaft dahin leben. Sie brauchen die Schrift nicht, wie man sie brauchen soll; sie forschen in derselben, sie meinen darinnen das ewige Leben zu haben. Doch zu Christo wollen sie nicht kommen. Was kann eine Arznei dafür, daß der Kranke nicht gesund wird, wenn er sie nur anschaut, und ihre Farbe und Zusammensetzung betrachtet, oder sie doch nicht nach der Vorschrift des Arztes einnimmt? So mußt du mit der Bibel freilich nicht umgehen, wie jene, wenn du Segen davon haben willst. Du mußt sie nicht darum lesen, daß du blos davon reden könnest; nicht zum Zeitvertreib lesen; nicht lesen, daß du doch einmal vor deinem Richter dich rühmen und sagen könnest: ich habe auch öfters die Bibel ausgelesen. Nein! nicht darum, sondern mit der Absicht, daß du dich und Gott daraus kennen lernest, daß du inne werdest, wer du gewesen, was du seiest, und wie du werden müssest? Liesest du also jene betrübte Schilderung der natürlichen Menschen, selbst derer, die äußerlich mit Gott im Bund stehen, jene Schilderung Röm. 3,10-18; jene Beschreibung Jesu Matth. 18,19. Aus dem Herzen kommen hervor arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerung; - kommst du auf dergleichen Stellen, die das Verborgene ans Licht bringen, den bösen Grund des Herzens aufdecken, ach! so bitten wir dich, so beschwören wir dich bei dem Heil deiner armen Seele: seufze doch unmittelbar zu Gott, daß Er dir deinen elenden Zustand recht offenbare, daß Er dich darüber beschäme, betrübe, wehmüthig mache; mit einem Wort, daß der heilige Geist sein erstes Werk an dir verrichte, und dich strafe, damit er dich trösten könne. Liesest du dann wiederum: Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben, der wird nicht gerichtet, der wird auferweckt am letzten Tage; liesest du diese herrliche Verheißungen: so bitte Gott um den Glauben, bitte, ehe du weiter fortfährst: Herr hilf meinem Unglauben! O Vater! zieh mich zu deinem Sohne, o heiliger Geist! verkläre Jesum in mir! Mache Ihn meiner Seele recht wichtig, köstlich, unentbehrlich; damit ich Ihn redlich suche, bis ich Ihn als meine Freiheit, als meine Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung an meinem Herzen erfahren habe.

So mache es, lieber Freund! mit allen andern Wahrheiten, die dir in der Offenbarung vorkommen. Verwandle, was du liesest, auf diese Art in Saft und Leben. Ein einziger Spruch, den du so erwogen, bringt dich dem Freund deiner Seele näher, als eine flüchtige Durchlesung der ganzen heiligen Schrift. Wie aber, wenn man nicht lesen kann? Schande für eure Eltern, daß man dergleichen Fragen beantworten muß! Ach! ihr arme Menschen, ihr seid in einem kläglichen Zustand! Was Raths? Seid ihr noch nicht zu alt, so laßt alle andere Geschäfte für einmal liegen, und lernet lesen.

Und habt ihr keine Fähigkeiten mehr hiezu, so bittet einen Freund, etwa einen Verwandten, um den christlichen Dienst, euch dann und wann aus dem Worte Gottes etwas vorzulesen. Bedient euch desto mehr des besondern Unterrichts euer Lehrer; vornehmlich aber dringet mit Ernst und Eifer in Gott ein, daß Er euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung zu Seiner selbst Erkenntnis. Indem ich dieses sage, werde ich unvermerkt auf die zweite Regel geleitet, die wir denen vorgeschrieben und anempfohlen haben, die Gott finden wollen. So lautet sie nach dem Ausspruch Jesu, unsers unfehlbaren Lehrers: Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden (Math. ?, 7). Woher kommt die Ruchlosigkeit so vieler Menschen, die mitten in der Christenheit leben? Woher der Mangel an rechtschaffenen Kindern Gottes? Woher die Unempfindlichkeit, die erstaunliche Sorglosigkeit so vieler tausend und aber tausend Sünder, mitten in dem bejammernswürdigsten Zustand, an dem Ufer der Hölle, am Rand eines ewigen Verderbens? Woher jene Kaltsinnigkeit in Beziehung auf Gott und unsere Seligkeit? Es ist wahr, es ist eine unglückliche Folge des tiefen Falles der Menschheit; aber die Hauptursache entdeckt uns Jakobus K. 4,2: Ihr habt nicht, darum daß ihr nicht bittet! Nie kann ein Mensch etwas Gutes erhalten ohne durch das Gebet, und geschieht es je ohne sein eigenes, so geschieht es gewiß nicht ohne ein fremdes, gewiß nicht ohne das Gebet Jesu, oder eines Seiner Kinder (Luc. 12,31. 2 Buch Mos. 32,32). Nichts ist so gering, daß wir nicht durchs Gebet suchen sollten (Röm. 11, 10) und nichts so groß, das wir nicht dadurch erlangen könnten (Math. 21,22). Durchs Gebet halt Moses den Arm der Gerechtigkeit, der sich zum Verderben einer ganzen Nation bewaffnet und aufgehoben hatte, zurück (2 B. Mos. 32, 10 - 14). Durchs Gebet schloß Elias den Himmel zu; und durchs Gebet eröffnete er ihn wieder. Durchs Gebet, darf ich es. sagen? Ja! die Schrift sagt es selbst, durchs Gebet wird der Unüberwindliche überwunden, Gott von einem Wurme besiegt. (Hos. 12, 5). Durchs Gebet findet Man Gott. Höret Seine eigene Erklärung hierüber: Ihr werdet Mich anrufen, und hingehen und Mich bitten, und Ich will euch erhören. Ihr werdet Mich suchen und finden (Jer. 29, 12. 13). Mein Gott! das ist ein Zusammenhang! Suchen und finden, beten und erhört worden, anklopfen und uns aufgethan werden! O ein Zusammenhang, den Deine Gnade, Deine unbegreifliche Gnade gemacht hat!

Ja! sagt man, jene großen Heiligen, jene Lichter der Welt, jene vertrauten Freunde des Herrn, sie konnten bitten und es mußte ihnen werden; aber wir! - Schließt nicht weiter, meine Brüder! höret zuerst das Urtheil eines Apostels (Jac. 5,17), welcher sagt: Elias war ein Mensch, gleichwie wir. Und ich setze hinzu: David war ein Mensch wie du, und doch, da er den Herrn suchte, so antwortete Er ihm. Er antwortete ihm, nicht wegen eigener Frömmigkeit. Bekennt es David nicht selbst? Da dieser Elende rief, sagt er, hörte der Herr (Ps. 34,7).

Und ist dir Davids und anderer Heiligen Exempel zu hoch: so siehe herab auf die Niedrigkeit eines Heiden, jenes Kornelii. Er betet zu Gott; er betet nicht, um sich Verdienste zu machen; er betet um Erleuchtung, und siehe: er wird erhöret; erhöret, ob er gleich ein Heide war. Ach! was zauderst du, von Gott entfernte Seele! was zauderst du, es auch also zumachen? Gehe hin, Mensch, wer du auch bist, falle deinem Gott zu Füßen, und suche seine Gemeinschaft mit Weinen und Beten. Bist du noch hart gegen deinen Heiland, noch gefühllos für seine erstaunliche Langmuth; schmerzen dich deine Sünden noch nicht: so eile doch mit Seufzen zu deinem Gott; klage Ihm diesen Jammer, und suche bei Ihm Errettung aus einem so verdammlichen Zustande. Ach, wie bald würde da dein Felsenherz weich, dein roher Sinn gebrochen, ja zu lauter Gefühl über deine Missethaten werden (Ps. 22, 15). Ist aber dein Herz in deinem Leibe wie zerschmolzen Wachs, erfüllen dich Schrecken und Angst, martern dich Unmuth und Zweifel: ach so bete nur, klage es deinem Gott, wie es um dich stehe, und suche allein Hülfe bei Ihm. Kannst du es nicht klagen, so seufze, so weine zu Ihm. Er versteht die Sprache der Thränen und wird mit seiner Hülfe herzueilen. Verzagte und ungläubige Sünder, redet uns hier nicht ein! Wir kennen die betrügerische Sprache eures bösen Herzens: Ihr meinet, ihr habet Gott im Gebet gesucht, und doch nicht gefunden. Aber! habt ihr Ihn auch redlich, ohne allen Vorenthalt, habt ihr Ihn allein. Ihn als euern Heiland gesucht? gesucht, wie man Silber und Gold sucht? zu Mittag und Mitternacht gesucht? Laßt hier euer Gewissen reden!

Wer den Herrn im Gebete finden will, der muß durch das Abweisen immer feuriger werden; er muß es nicht aufgeben, wie die Verzagten. Der betende Jakob sei. unser Exempel. Der gläubigen Kananiterin müssen wir es ablernen. Der Helfer in Israel mag ausschelten wie Er will; Er werfe uns unsere Unwürdigkeit vor, so viel Er will, wir wollen uns in Allem schuldig geben. Nur abweisen wollen wir uns nicht lassen. Weicht Er; wir müssen Ihm desto hurtiger nachsetzen. Will Er nicht hören, wir wollen desto stärker rufen. Fürchte dich nicht mit solchem unverschämtem Anhalten Gott zu beleidigen. Er ist kein Mensch. Er will es so haben. Das ist die Ordnung, darin Er Gnade ertheilt.

Hört die dritte Regel um Gott zu finden. Wer des Herrn will theilhaftig werden, der wache über sein Herz.

Betrachtung und Gebet nützt nichts, wenn es nicht mit der Wachsamkeit verbunden wird. Eine einzige Stunde, wo du leichtsinnig gewesen, raubt dir den Segen von vielen Monaten hinweg. Die Sorglosigkeit über das Seelenheil ist wie ein Hagelwetter; in einem Augenblicke zerschlägt es die Frucht, die manchen sauren Schweiß gekostet. Tausende und aber Tausende würden das Antlitz Gottes gefunden haben und noch finden, wenn sie nur sich der Wachsamkeit beflissen hätten. - Willst du wissen, was die Wachsamkeit sei? Es ist das fleißige Aufmerken auf die Hülfe des Herrn. Merke, liebe Seele, wenn du zu deinem Heiland gebeten hast, wenn du seine Gnade, seine bekehrende Gnade gesucht, inbrünstig verlangt hast, und du zerstreuest dich darauf nicht in der Welt, du lässest dich weder durch die Freude, nach durch die Sorgen der Welt von Gott abziehen, das heißt Wachen. Wann du Achtung gibst, was Gottes Geist in dir wirke, wann du auf deinen Gott von einer Morgenwache zu der andern harrest, dann wachest du. Aber wer hält da die Augen auf, daß sie nicht einschlafen? Eine Viertelstunde zum Tag blickt der Sünder gen Himmel, und dann hält er sich berechtiget, die übrige Zeit einzig und allein nach dem zu trachten, was hienieden ist. Ach! wie wird da Jesus in euch eine Gestalt, gewinnen können? Es kann nicht anders gehen, als wie der Heiland sagt Luc. 8,14: „Die da hingehen unter den Sorgen, Reichthümern und der Wollust dieses Lebens, erstecken den guten Saamen, und bringen keine Frucht.“ Aus euch wird nichts denn Heerlinge zur Zorneskelter, Unkraut zum ewigen Feuer.

Wir müssen hiervon noch weitläuftiger reden, weil alle vorhergehenden Ermahnungen vergeblich und umsonst sind, so lange ihr die Zerstreuung und Ausgelassenheit nicht vermeidet. Aus den angeführten Worten unsers göttlichen Lehrers habt ihr schon vernommen, daß die Pflicht der Wachsamkeit keine Erfindung eines strengen Sittenlehrers, keine Frucht eines schweren Geblütes sei. Das Wort des Herrn fordert sie mehr als an einem Orte. Wachet und betet, heißt es Matth. 26,41. Wachet! denn euer Widersacher, der Teufel, gehet herum wie ein brüllender Löwe I. Petr. 5,8. Wachet! dazu ermahnet Paulus Ephes. 6,18. Col. 4,2. 1. Cor. 16,13. Wachet! das lehret uns selbst die Natur der Zukehr zu Gott. Dann wäre die Wachsamkeit freilich nicht so nöthig, wenn man den Herrn, wie im Traume, finden könnte, wenn man dem Himmelreich nicht Gewalt anthun, wenn man nicht auf Gott harren, nicht auf Ihn hoffen, von einer Zeit zur andern auf Ihn warten müßte. Kann aber Jemand das leugnen, ohne zugleich der heiligen Schrift zu widersprechen?

Ich kann dieses Stück nicht verlassen, ohne noch mit euch, begnadigte Seelen, darüber gesprochen zu haben; und wie sehr wünschte ich, es mit Kraft und Nachdruck thun zu können. Der geistliche Schlummer, Geliebte, ist die Pest für eure Seele! Wir zittern, so oft wir euch im Leichtsinn wandeln sehen. Der Leichtsinn bringt euch nach und nach um alles Gute. Er ist das einzige Schwerdt, womit euch der Teufel verwunden, der einzige Ort, wo er euch in eurer Festung beikommen kann. Warum sind viele so kalt, die vorher von Liebe gegen Jesum brannten? Warum? weil Satan sie schlafend gefunden. Da erkaltete der Eifer im Gebet, da flohen sie den nahen Umgang mit wahren Christen, da gesellten sie sich zur Welt, da träumten sie, sie haben es ehedem gar zu genau genommen. Von nun an hieß es: eine lustige Gesellschaft, was kann die schaden? diese und jene Gleichstellung der Welt, was kann die schaden? diese und jene sündliche, sie heißen es unschuldige Lust, was kann die schaden? Inmittelst ward Gottes Geist betrübt; sein Erinnerungs-, Warnungs- und Zucht-Amt hörte allmählich auf; sie schlummerten zum zweitenmal, und also nur desto stärker wieder ein. Die Sünde kam wieder zur Herrschaft. Das Umkehren zu Gott wird ihnen täglich schwerer. Bebet Seelen! bebet vor diesen fürchterlichen Folgen der Sorglosigkeit. Greift diesen Feind, der in eurer eigenen Festung liegt, an, sonst seid ihr verloren. Denn seid so große Heilige, als ihr wollt; nehmt das Maaß des Glaubens, der Liebe und des Eifers so groß an als ihr wollt: die Schrift, die Vernunft, die Erfahrung jagen uns eine Furcht über euren Fall ein, sobald ihr unterlasset, Hüter vor das Herz, Hüter vor den Mund und zu allen euren Handlungen hinzustellen; wenn ihr nicht vorsichtig wandelt, nicht in der Demuth und Armuth des Geistes bleibt. Ja es erfordert dieses nicht nur euer eigen Heil, es erforderts die Ehre Gottes, es erforderts die Liebe des Nächsten, es erforderts euer ganzer Stand und Beruf. Ach darum wachet!

Wir haben euch eben Hoffnung gemacht, daß ihr Gott finden werdet, wo ihr Ihn mit Ernst und Eifer suchet. Und das versichern wir vornehmlich auch euch, ihr verzagten und bekümmerten Seelen, denen das Gefühl ihrer Sünden und Unwürdigkeit die Fragen in den Mund legt: Sollte sich Gott meiner erbarmen? der erhabene Gott sich eines solchen sündigen Wurms erbarmen? Der heiligste Jesus, sollte er wohl mit einer so unreinen, so verfluchungswürdigen Kreatur in Gemeinschaft treten? Ja, wird er mich auch noch ansehen? Ja, Geliebte, Er wird Barmherzigkeit an euch thun! Der, so da wohnet in der Höhe und im Heiligthum, der wohnet auch bei denen, die eines zerschlagenen und gedemüthigten Geistes sind. Ja, Er nahet sich zu euch, wenn ihr euch zu Ihm nahet, und kommt, daß Er erquicke den Geist der Gedemüthigten, und das Herz der Zerschlagenen (Esaia 57,15). Denkt euer Herz noch mit Maria: Er ist heilig; wo soll ich Ihn finden? Siehe! so ist Er schon in der Nähe. Er zählet da die Thränen, die nach Ihm zur Erde fallen, und faßt sie auf. Mit einem Mutterherzen sieht Er die Aufwallung der Seelen, das Stöhnen nach Ihm; und sollte Er sich da halten können? Nein! Nein! Sein Herz bricht Ihm in Seinem Leibe, daß Er sich eurer erbarmen muß (Jer. 31,20). Erbarmen muß? Wer dürfte das sagen, wenn es nicht der Herr selbst ausgesprochen hätte? Er muß sich deiner erbarmen. Wer zwingt Ihn denn? Wer? Seine Liebe, jene erstaunenswürdige Liebe, die Ihn nöthigte, Seinen Sohn für uns dahin zu geben; eine unerhörte Liebe, die Ihn nöthigte, Sein Blut für Seine Feinde, für Uebelthäter zu vergießen. Seine Gerechtigkeit fordert euch zum Opfer, die Hölle zum Raub; aber diese Liebe, die alle Vernunft übertrifft, ruft: ich kann nicht, ich muß mich erbarmen.

Ich muß mich erbarmen! Das ist eine Notwendigkeit, die Er sich selbst auferlegt hat; denn, spricht er, ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredt habe (Jer. 31,52). Nun was hat er denn versprochen? Was ist es, daran Er gedenket? Es ist die Verheißung, die du im Ev. Matth. 11,28 liesest. Er gedenkt daran, daß Er gesagt: Ich will die Mühseligen und Beladenen erquicken. Er gedenkt an die Worte: Ich will das Verlorne wieder suchen, und das Verirrte wiederbringen, und das Verwundete verbinden und des Schwachen warten (Ezech. 34,16). Er gedenkt daran, wie er geredet: Ich will dem Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers (Apoc. 21,6). Ich will mein Angesicht nicht gegen euch verstellen (Jer. 3,12). Er gedenkt an jene Verheißung: ich will ihrer Sünden nimmermehr gedenken (Jer. 31, 34) an jene Verheißung, bei Joh. 12,47. Ich bin gekommen, daß ich die Welt selig mache. Er denkt noch wohl daran, wie er dir gesagt: Wer zu mir kommt, den stoße ich nicht hinaus (Joh. 6,37). Und das bezeugen die Exempel. Es bezeuget es Petrus; es sagt es David; es bestätigts jene große Sünderin; es versichert es Paulus. Diese alle rufen dir zu: Uns ist Barmherzigkeit wiederfahren. Und geschah es zu euerm Nachtheil? Sind nun diese Schätze der Gnaden ausgeleeret? Ist die Hoffnung für euch verloren? Nein! Gott begnadigte jene gleichsam um euertwillen, auf daß an uns vornehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an Ihn glauben sollten zum ewigen Leben (1. Tim. 1,16).

II.

Es ist unumgänglich nothwendig, Gott zu suchen: Das werden wir euch im zweiten Theil zeigen. Denn das ist das einzige Mittel, zur wahren Ruhe zu gelangen; das ist der Weg, von seinen unordentlichen Leidenschaften befreit zu werden, der Weg zum größten Vergnügen, das Mittel, dem fürchterlichsten Verderben zu entrinnen.

Die Seelenruhe ist das allergrößte Gut, das wir verlangen und wünschen können; aber auch ein Gut, das wir außer der Gemeinschaft Gottes vergebens suchen. Der Weltweise mag ein Buch nach dem andern von der Seelenruhe schreiben, er mag eine Regel nach der andern ausdenken, er wird kein Herz wahrhaftig zufrieden stellen können. Ihre Vorschriften lassen sich nicht ausüben, oder sie helfen doch nichts, als nur zur Verwirrung des Herzens. Es ist ein Vorrecht Gottes unsers Heilandes, das Herz zu erquicken, und das ganze Verlangen der Seele zu stillen. Denket nur auf die Ursachen der Unruhe; ihr werdet es bald gestehen müßen. Warum ist das Herz mißvergnügt? Entweder aus Verlangen oder aus Furcht. Es ist mißvergnügt, weil es etwas verlanget. Hier wird einer wie eine Meereswelle hin und her getrieben. Warum? Er wäre gern reicher, als er ist. Ein andrer ist beständig mit sich selbst im Streit. Warum? Er wäre gern geehrter, vergnügter, als er ist. Wird sich diese Unruhe des Herzens durch Gründe des Weltweisen, oder durch einen Zuwachs an Eitelkeiten legen? Nein, L. B. so wenig ein grimmiges Thier durch Beredsamkeit gedämmet, und das Meer durch den Zufluß aller Ströme erfüllet wird. Wer von diesem Wasser trinket, den wird wieder dürsten (Joh. 4,14). Die Begierden des Menschen sind ein bodenloser Abgrund; fallen sie nun aufs Irdische, sie können nie gefüllet werden. Da heißt es immer: Je mehr man hat, je mehr man will.

Der Mensch ist unruhig aus Furcht. Bald schrecket ihn ein irdisches Unglück, bald ein geistliches; heut kommt ihm dieses in den Weg, morgen ein anderes. Je näher er mit der Welt bekannt wird, desto mehr hat er zu fürchten. Wer kann ihm die Furcht, hie oder da etwas zu verlieren, von diesem oder jenem Schaden zu leiden, wer kann ihm diese Furcht benehmen? Und bringt ihn die Menge seiner Sünden in Unruhe und Bekümmerniß; wie kann er da ohne Gott getröstet werden? Ach gewiß! Geld und Gut, und wenn's auch unzählige Summen wären, können Gewissenswunden nicht verbinden. Wider die Unruhe des Herzens, schützen auch Königreiche nicht. Man kann wohlsein Gewissen betäuben; aber das heißt noch lange nicht, es beruhigen. Man kann es durch fleischliche Lustbarkeiten einschläfern; aber das heißt noch nicht, es zur Ruhe bringen. O es redet doch noch bisweilen, und vergället die Freude der Weltkinder. Es wird dereinst nur desto erschrecklicher schreien und heulen. Außer Gott ist eitel Unruhe.

Aber wenn der Mensch mit Gott in Gemeinschaft tritt, dann kommt er zur Ruhe, zur Ruhe in Absicht seines Verlangens. Gott ist der Allgenugsame; wer Ihn hat, hat alles, was er zu seiner Glückseligkeit vonnöthen hat.

Aber wie? wird man denn gleich reich und geehrt, wenn man Gott hat? Ja reich genug. Man wird überzeugt, daß nichts unentbehrlich sei, als Gott. Man erkennet, daß man zu seinem wahren Wohl eben weder Reichthum noch Ehre vor den Menschen nöthig habe; und so wird man reich, selbst in der Armuth, stark in der Schwachheit, geehrt in Schmach und Schande, gesund in Krankheiten. Die Seele, die Gott genießt, fühlt, was sie beim Besitz der ganzen Welt nicht fühlen könnte; sie fühlt, sie habe genug (Ps. 4.). Und so verlieren sich auch in der Gemeinschaft Gottes Furcht und Schrecken. Wenn schon hundert tausend sich wider mich legen; warum sollte mir grauen? Der Gott, dessen ich bin, ist allmächtig; und Er ist mein Schild, meine Burg, mein Erretter (Ps. 3.). Er kann dem Elend sagen, mache dich Ihm in Gemeinschaft tritt, dann sind diese Tyrannen geschlagen. Sie empören sich zwar auch oft in Christen; aber eben dieses ist ihnen zum Zeugniß, daß sie nicht mehr herrschen (Gal. 5,17).

Die Welt mag sagen, was sie will. Es bleibt doch dabei: wer Gott findet, der findet das wahre Vergnügen. Wer mit dem allein seligen Gott verbunden ist, sollte der sich nicht freuen können? Wer weder vor Hunger noch Schwerdt erschrecken darf; wer sich weder vor Tod, noch Grab, noch Verwesung, noch Gericht, noch Ewigkeit scheuen darf, hat der nicht Ursache vergnügt zu seyn? Wer mit dem vereiniget ist, der die Schlüssel der Hölle und des Todes hat; mit dem, der der Welt Richter ist; mit dem, vor dem die Teufel zittern: sollte der sich scheuen müssen?

O großes, seliges, reines Vergnügen, das eine gläubige Seele in ihrem Gott und Heiland schmeckt! Vergnügen, in Vergleichung mit welchem Kronen und Scepter Eckel erwecken! Namenloses Vergnügen! O süßer Vorschmack des ewigen Lebens! Wer sollte doch nicht gern sich aufmachen, Gott zu suchen, einen Antheil daran zu nehmen?

Siehst du aus dem, was wir bis jetzt gesagt haben, noch nicht die Nothwendigkeit ein, dich nach Gott umzuthun, so müssen wir dir auf einem andern Wege suchen beizukommen. Seele! wenn du Gott und deinen Heiland nicht hast, so beraubest du dich alles Guten, und setzest dich allem Jammer aus. Fordere keinen Beweis hiervon. Ist Gott, Gott, - so bist du ohne ihn nothwendig unglückselig. Ist Er die Quelle des Lichts, des Lebens, des Trostes, - dann bist du vor Ihm in Finsterniß, im Tod, in der Verzweiflung. Jetzt meinst du es zwar noch nicht. Das Blendwerk dieser Eitelkeit verzaubert noch ein wenig deine Seele, und verdeckt ihr ihren Mangel. Du bist vielleicht reich, oder geehrt, beliebt auf Erden; und besitzest du nichts dergleichen, so bist du gesund, oder freuest dich sonst noch deines Lebens. Aber über ein kleines, armer Mensch! vielleicht diese Nacht, vielleicht die folgende, und wenn auch über viele Jahre, doch über ein kleines! kommt dein Tod. Dann, dann wird's offenbar werden, was eine von Gott geschiedene Seele sei. Der Gott, der gnadenvolle Heiland, der sterbende Christen unterstützt, der sie in ihrer letzten Stunde muthig und unerschrocken macht, der ihr ihre Leuchte ist durch das Thal der Schatten des Todes, eben der wird für dich, von ihm geschiedene Seele! nur Schrecken, verzehrendes Feuer sein. Du hast keinen Schutz in seinem allmächtigen Arm. Seine Hände, tragen dir alsdann nur Donnerstrahlen, Seine Augen zeichnen dich zum Tod aus, und Sein Mund ruft Gerichte über dich. Ach arme Seele! wo willst du denn hin? Seiner Gnade, suchtest du in deinem Leben zu entgehen; aber wahrlich Seinen Gerichten wirst du es nicht können. Wo willst du hin? Er ist der Allgegenwärtige! Wie willst du dich vertheidigen? Er ist der Allmächtige! Wer soll dich wider Ihn in Schutz nehmen? Er ist der Allerhöchste!

Wie stehst du mit der Ewigkeit, ohne die Bekanntschaft mit dem göttlichen Mittler? Sie ist der Ort der Quaal für beharrliche Sünder, und du hast eitel Böses gethan. Sie ist der Ort der Vergeltung, und du hast immer gesündiget. Sie ist der Strom, mit dem man immer weiter fortgerissen wird, ohne wiederum zum Ursprung zurückkehren zu können, und wenn sie dich - ach willst du nicht den Augenblick in dich gehen? - wenn sie dich jetzt ergreift, ergreift sie dich in deinen Sünden. Sie ist die Hölle für die, welche Gott nicht gefunden, und du hast Ihn noch nie gesucht.

Ihr liebt die Ruhe eurer Seelen; aber bleibt ihr entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist: dann werdet ihr vor Angst und Quaal weder Tag noch Nacht Ruhe haben. Der Wurm eures Gewissens wird nicht sterben, und das Feuer euerer Marter nicht verlöschen. O das Heulen. das Jammern! das Verzweiflen! das Zähnklappen wird der einzige Trost euerer Seelen sein!

Mein Gott! muß der nicht Vernunft und Verstand verloren haben, der lieber unter den Schrecken der Zeit und Ewigkeit herumirret, als dich in Buße und Glauben sucht!

III.

Aber wann? zu welcher Zeit muß man seinen Gott und Heiland suchen? Das werden wir im dritten Theil unserer Betrachtung zeigen.

Selten wird ein Mensch selig, der seine Aussöhnung mit Gott von einer Zeit zur andern aufgeschoben. Die Schrift schweigt, zum Schrecken sorgloser Seelen, von solchen Beispielen. Heute! heute! heißt es da immer, verstocket eure Herzen nicht! Sie sagt uns von Sündern, die Gott dahin gegeben in verkehrten Sinn; und warum? weil sie Gott nicht erkennen, nicht suchen, nicht lieben wollten (Röm. 1.). Soll es dir nicht so gehen, so mußt du dich nach dem Herrn umsehen in dem Alter, wo du bist, in den Umständen, darinnen du dich befindest, in der Zeit, wo dich Gott ruft.

Ihr Alten und Betagten! es ist hohe Zeit, daß ihr euch um Gott bekümmert. Der Frühling und Sommer euerer Jahre ist nun vorbei, und ihr steht größtenteils, noch mit Gott in Feindschaft. Sind die Mittel des Heils noch nicht lang genug verachtet, der erbarmende Gott noch nicht lang genug abgewiesen worden? Soll es noch immer heißen: hier ein wenig, da ein wenig? Worauf wartet ihr noch? Auf gelegnere Zeit? Auf mehrere Munterkeit? Es ist vergebens, bequemere Tage zu erwarten. Eilet! eilet! kaufet jede Minute aus! Suchet! suchet den Erbarmer! Der Verzug kann euch um euer ewiges Heil bringen.

Bist du jung, in deiner Blüthe; warte nicht aufs Alter, um dich zu Gott zu bekehren. Das hat schon manchen Jüngling, manche Jungfrau zur Hölle gestürzt. Es ist ein gottloser Satz: die Jugend muß ausrasen. Wie? sind denn wir mehr vor dem Zukünftigen gesichert, als andere? Haben wir mehr Recht, Scheingüter, statt wahrer Güter zu erwählen? mehr Recht, Gott zu beleidigen? Sind wir nicht auch durch Christi Blut erkauft zu Gottes Eigenthum? Ja, was soll ich mehr sagen? Meine jungen Freunde! Eure Jahre sind die allerbequemsten, mit Gott bekannt zu werden. Eure Thränen um Jesu, euer Seufzen nach seiner Gemeinschaft, bringt der Religion Ehre. Eure Buße ist am allerwenigsten heuchlerisch, am ehesten rechtschaffen und gründlich. Fangt ihr jetzt an, euer Heil zu schaffen, so entgeht ihr vielen Gewissensbissen, ihr besitzt die Vortheile des Christenthums muthmaßlich noch viele Jahre. Ihr könnt noch am ersten etwas werden zum Lobe der Heiligkeit Gottes. Wohlan denn: schiebet es nicht länger auf, glücklich zu werden!

Warum will der Gesunde erst alsdann den Heiland suchen, wenn er krank wird; da doch alle Kranke versprechen: sie wollten es thun, wenn sie gesund würden? Eure Gesundheit ist euch nicht nur zur Verrichtung eurer irdischen Geschäfte, sondern vornehmlich auch dazu geschenkt, daß ihr euer Heil schaffet mit Furcht und Zittern. Sie ist der Tag, an dem ihr richtig wandeln, die Stunde, darin ihr wirken sollt. Es ist Thorheit, eine so gelegene Zeit zu versäumen. Es ist Unsinn, die wichtigste Beschäftigung eures ganzen Lebens auf die Stunde der Schmerzen aufzubehalten. Gehet hin zu den Sterbenden, und lernet von ihnen, den Herrn suchen, weil es noch Zeit ist.

Kranke und schwächliche Personen sollten, schon von selbst wissen, wie nothwendig es sei, Friede mit Gott zu machen. Jede Krankheit ist dem Unbekehrten ein gewisses Zeichen von der Zerrüttung seiner Natur, und daß er sich soll zeitig noch zu Gott wenden vom Verderben seiner Seele. Wir irren uns nie, wenn wir glauben, daß wir bald sterben werden; aber alsdann am wenigsten, wenn wir krank sind. O Sünder! die Schwächlichkeit, darüber du klagst, kann dir tödtlich sein, die Krankheit, die man dir aus grausamer Liebe verkleinert, kann dir tödtlich sein. Vielleicht haben Hölle und Tod schon um dich angehalten, und du hast nur noch wenige Minuten, um selbigen zu entrinnen. Es ist dir freilich nicht mehr möglich, die oben vorgeschriebenen Regeln der Weitläufigkeit nach zu beobachten; aber in Kürze kannst du es noch. Suche den Herrn, weil er noch zu finden ist. Rufe ihn an, weil er nahe ist.

Aber wie? sagt ein Anderer: Ich habe dieß und jenes erst auszuführen. In denen Umständen, wo ich jetzt bin, kann ich mich nicht zu Gott wenden. Es fällt bald dieß, bald das vor. Wann ich dann in andere Umstände komme: Nein lieber Mensch! nicht erst alsdann bekümmere dich um Gott; in denen Umständen, wo du bist, öffne ihm Ohren und Herz, wenn er zu dir kommen will. Weil er ruft, so höre du, und greife mit beiden Händen zu. Wer „seiner Seele Heil verträumet, der hat die Gnadenzeit versäumet. Ihm wird hernach nicht aufgethan, heut kommt, heut nimmt euch Jesus an!

Vielleicht habt ihr gegen unsere Ermahnung nichts einzuwenden; sie blinket euch dem Worte Gottes gemäß zu sein? Ihr haltet es für nothwendig, Gott in Christo zu suchen; und doch wird man euch langsam und träg finden, derselbigen nachzukommen.

Wir wissen wohl, wie ihr euch deswegen rechtfertiget. Wir sind, sagt ihr, eben so böse Menschen nicht; und wenn ihr damit nicht auskommt: wir sind arme schwache Menschen: wir können das nicht thun, was Gottes Wort fordert. O daß wir euch heute diese zween Schilde- der Unbußfertigkeit entreißen, und eure Seelen erwecken möchten, Gott zu suchen, bis ihr Ihn gefunden.

Wir wissen wohl, wir sagen es oft genug, daß die Trunkenbolde und Lügner und Hurer das Reich Gottes nicht ererben werden, wenn sie solche bleiben. Auch solchen Sündern riefen wir im Namen Gottes zu: Suchet den Herrn, weil Er zu finden ist! Aber habt ihr es denn nicht vonnöthen euch zu Gott zu wenden, die ihr nicht in offenbaren Lastern lebt? O daß wir euch zu viel thäten, wenn wir behaupten: die meisten unter euch haben Gott weder gesucht, noch gefunden, und wenn ihr Ihn auch mit den Lippen gesucht, doch nie recht mit dem Herzen gesucht! Ja! wenn Geld Und Gut Gott wäre, dann würden wir nicht so viele Ermahnungen verschwenden müssen! dann wäret ihr wohl mit Ihm bekannt. Ader ihr, deren Dichten und Trachten, deren Sinnen und Sorgen, deren Wachen und Schlafen nur diese Welt zum Gegenstand hat, ihr habt Gott gesucht? Nein ihr habt Ihn nicht gesucht. Ewig werdet ihr des Lichts Seines Angesichts beraubt sein, sowohl als die ausgelassensten Sünder beraubt sind, wenn ihr Ihn nicht noch suchet, weil Er zu finden ist.

Ihr habt Gott gefunden, ihr unter uns, denen die heilige Schrift noch ein fremdes, ein unbekanntes Buch ist? Ihr! die ihr aus der Religion eine bloße Meinung macht? Ihr? die ihr euern Mangel, euer Elend, euer Verderben noch nie lebhaft erkannt, nie gerührt eingesehen habt? Ihr? die ihr noch stolz aufgeblasen seid von eigner Gerechtigkeit? die ihr noch nie weinend und betend um die Zurechnung der Versöhnung Jesu gerungen? Ihr steht schon mit Gott im Frieden? Ihr-? die ihr über euer Herz nicht das geringste gewacht, die Zerstreuung liebt, die Stille flieht? Ihr? denen die Welt mehr Vergnügen schafft, als Gott? Ihr seid mit Ihm vereiniget? Nein! getrennt, entfernt seid ihr von Gott. Ihr habt's vonnöthen, eure Hand an den Pflug zu legen, nicht wieder umzusehen, sonst seid ihr untüchtig zum Reich Gottes, wenn ihr gleich getaufte, reformirte Christen seid, dennoch untüchtig zum Reich Gottes.

Aber ihr seid arme, schwache Menschen. Es ist wahr, arme schwache Menschen. . Abes ist denn das nicht ein Rath für die Elenden? Zu wem kann es besser heißen: suchet den Herrn! als zu ihnen. Bist du denn nach deinem Geständniß ein unmächtiger Sünder; das ist das Mittel, dadurch dir kann geholfen werden: Suche den allmächtigen Gott! Bist du gleich unvermögend, nicht im Stande, zu Ihm hinzugehen; so krieche wenigstens hin. Kannst du nicht zu Ihm rufen, so seufze und ächze. Aber ich fürchte, es sei noch den wenigsten recht um Gott zu thun. Ach lieber, himmlischer Vater! kann's denn der Sünder ohne Wehmuth ansehen, daß Du so viel an ihn gewandt, ihn so oft in Gnaden heimgesucht, und er Dir immer den Rücken gekehrt? Ist dieß das Gegengeschenk für Deinen Einiggeliebten? Verachtung Deiner Gnade, lieber Heiland? Ist das der Lohn für Dein Zittern und Zagen um uns? das der Lohn für die Aufopferung Deines frommen und heiligen Lebens? Du treuer heiliger Geist! sollen wir auf diese Art Deinen unermüdeten Rührungen, Bearbeitungen, Reizungen zu unserer Seligkeit entsprechen? Dir nur nicht einmal ein gutes Wort geben?

O du erste Welt, in den letzten Zeiten! Was meinst du? auf wessen Seiten wird endlich der Schade sein? auf Gottes Seite, oder auf deiner Seite? - Das ist bald entschieden! ^ Er, der Monarch aller Welt bedarf eure? nicht, und eures Dienstes nicht. Er, der mit einem Wort Myriaden, viele tausendmal tausend Engel schafft, abgefallene in großer Anzahl verstößt, und wenn es Ihm nur gefallen würde, vernichtet, und bei dem allem keine Veränderung leidet, Er bedarf eurer nicht! Der allein Selige ist selig ohne euch, der Allmächtige mächtig ohne euch! So sehr Er sich um euch bekümmert, nach euch umsieht, so ist's doch nur lauter Gnade, es ist kein Mangel, der Ihn dazu antreibt.

Aber könnt ihr ohne Gott, ohne den gesegneten Heiland sein? Ihr arme Menschen! Ihr Geschöpfe von gestern her! Ihr! die ihr bei all eurem Reichthum und Vermögen nicht die folgende Stunde in eurer Gewalt habt? deren Leben wie ein Staub zerstäubt, wie ein Rauch verschwindet, wie ein Blitz vorbeifährt? Mensch! du Wasserblase! du Nichts! du solltest ohne Gott durchkommen können? Sünder seit vielen Jahren her, du wolltest ohne Jesum in der Noth, im Tod, vor dem Gericht bestehen? Eher kann sich ein neugebornes Kind selbst erhalten, ehe ihr ohne Gott und Christum glücklich sein könnet. Entweder ihr seid in Ewigkeit verloren, oder ihr müsset den Herrn suchen, weil Er zu finden ist, Ihn anrufen, weil Er nahe ist. Amen.

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