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Keller, Samuel - Lukas

Keller, Samuel - Lukas

Kapitel 1

„ohne Furcht unser Leben lang.“
Luk. 1, 74

Welche schroffen Gegensätze! Ohne Jesus Sklaven der Todesfurcht unser Leben lang, und dazwischen all die kleinen Nebengötzen der Furcht: Sorge, Ängstlichkeit, Gedrücktheit, bange Spannung des Augenblicks. Und dann kam die Wasserscheide; jetzt geht's mit dem Antlitz ihm zugewendet, den unsere Seele liebt: ohne Furcht unser Leben lang! Wir brauchen in Augenblicken, wo die alte Furcht ihre Fangarme nach uns ausstreut, uns nur zu besinnen darauf, daß Er uns liebt, daß Er uns nahe ist, daß nichts uns schaden kann, und der törichte Alpdruck weicht. Vor wem sollte uns denn grauen? Ist Jesus denn nicht derselbe? Der Nahe, Barmherzige, Freundliche, der sich um uns kümmert wie ein Vater um sein Kind. Furcht ist nicht in der Liebe, Furcht ist stets ein Symptom einer Seelenverstimmung. Je kindlicher wir uns dem nahen Heiland anvertrauen, desto völliger treibt die Freude an ihm alle Furcht aus. Furcht ist die Folge der kleinen Blicke in die irdischen Dinge. Sobald wir den großen Blick tun in die herrliche Zukunft der Kinder Gottes, ist die Furcht verscheucht. Nein! Furcht ist eine Stimmungssache. Gib deine verstimmte Harfe in die Hände des Meisters: der wird neue Saiten des Dankens und Lobens aufziehen.

So bitten wir dich, Herr Jesus, tue dein Werk an der Harfe unseres Herzens. Sie soll und muß doch klingen für dich! Unreine Nebentöne stören. Mach uns still und klar, tief und froh zugleich durch deine starke Hand. Amen.

Kapitel 5

„Herr, auf dein Wort will ich das Netz auswerfen.“
Luk. 5, 5

„Auf dein Wort!“ Ich weiß wohl, warum meine Monatsschrift diesen Titel bekommen hat! Wenn ich nicht gewiß geworden wäre, daß er diese Arbeit von mir gewollt, ich hätte es nie gewagt, an sie heranzugehen. Der Erfolg nach außen und innen hat mir recht gegeben. Vertrauen wir aber auch in kleineren täglichen Anliegen kindlich auf sein Wort? Das Vertrauen auf uns selbst gilt bei der Welt als Heilmethode. Wie anders ist das beim lebendigen Christen! Jede Form des Vertrauens auf uns selbst lähmt den Gottesarm und schlägt die Gotteshand beiseite. Sobald aber unser ganzes Vertrauen nur auf ihn gesetzt ist, unser Auge nur auf ihn schaut und wir uns nur auf ihn lehnen, kommt in die uns überall umgebende unsichtbare Welt Leben und Bewegung. Lerne es doch täglich besser erkennen, daß das Vertrauen auf sein Wort mehr Kräfte in der Wirklichkeit mobil macht als alles eigene Rennen und Laufen ohne Gott. Jene Fahrt des Petrus stand unter der Fahne „auf dein Wort!“, und wie wurde sie gesegnet. Ist diese eine Seite in Ordnung, dann werden unsere Tage unter seinem spürbaren Segen verlaufen. Das ist ihm und uns zu gönnen.

Auch beten will ich, Herr Jesus, auf dein Wort! Ich werfe mein Netz des gläubigen Vertrauens in die unsichtbare Welt hinaus und du segnest den Fang! Komm heute Abend zu mir und stärke mein Vertrauen für alles, was mich für morgen bekümmert. Amen.

„denn von nun an wirst du Menschen fangen.“
Luk. 5, 10

Petrus war schon nach Joh. 1 mit Jesus zusammengekommen, hatte das Wunder an der Hochzeit zu Kana miterlebt, und doch scheint die endgültige Aufgabe des Berufs erst jetzt nach dem Fischzug eingetreten zu sein. Ja, was braucht der Herr alles für Mittel, bis er einem Menschen den einzigartigen Beruf des Menschenfischers geben kann. Dazu ist Petrus nach dreijähriger Jüngerschaft, nach seiner Verleugnung und nach dem Empfang des Heiligen Geistes erst zu Pfingsten reif geworden. Dann aber ist sein geistliches Netz von den 3000 Gewonnenen nicht gerissen. Bei uns geht es in kleinerem Maßstab nach ähnlichen Gesetzen zu. Wie viel Erfahrungen von der Bedeutung Jesu müssen wir machen, bis wir andere Menschen fangen können. Erst muß er uns recht gefangen haben, erst muß er uns in seinem Netz haben, ehe er uns zumuten darf, unser Netz für ihn auszuwerfen. Je älter ich werde, desto mehr Zurüstungsstufen werden mir in meinem Leben offenbar. Aber das beschämt und demütigt: so viel Mühe gab er sich mit mir, und wie blind war ich oft für seine Absichten. Wenn er trotz allem doch noch irgend etwas durch solche Leute, wie wir sind, zustande bringt, setzt das seine Größe ins Licht.

Ja, Herr Jesu, du hast mich gefangen. Vergib mir meine Fischerfehler und segne das übrige von Zeit und Gelegenheit, was du mir noch zur Arbeit läßt! Auf dein Wort will ich's wagen! Amen.

„Er aber entwich in die Wüste und betete.“
Luk. 5, 16

Wenn Jesus das nötig hatte, bisweilen seinem ganzen aufreibenden Arbeitsgetriebe und den umdrängenden Menschen zu entweichen, um in der Stille der Wüste zu beten - wieviel mehr bedürfen wir das! Manche Entgleisung der Kinder Gottes, manche Übereilung, mancher schmähliche Zusammenbruch wäre nicht vorgekommen, wenn sie diese weise Selbsterhaltung beizeiten geübt hätten. Heilige Stille, gesegnetes Alleinsein mit seinem Gott! In solcher Stille wachen bei uns andere Stimmen auf, die sonst nicht gern gehört werden: da hört der Herr die Privatbeichte seiner Knechte. Da, wenn unser Mund schweigt, öffnen sich in uns die geheimnisvollen Türen, und Gott kommt zu Wort. Wenn wir anfangen uns zu fürchten vor solcher völligen Einsamkeit, dann ist meist schon in unserem Seelenleben etwas nicht in Ordnung. Dann hatten wir die Medizin der Stille erst recht nötig. Aber Stillesein allein kann Raum zu nutzlosem Grübeln geben: wir müssen auch beten. Aussprache und Antwort, Geben und Nehmen, ein seliges, heiliges Weberschifflein, das hin und her geht, bis das feine Gewebe eines gottgefälligen Neugewordenseins fertig ist! Je wahrer wir, desto offener er!

Lieber Vater im Himmel, der du in das verborgene Leben unserer Seele hineinsiehst, segne uns solche Stunden und besuche du uns mit dem heiligen Wehen deines Geistes. Schenk uns eine Erneuerung unseres Sinnes vor deinem Angesicht! Amen.

Kapitel 6

„Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Luk. 6, 36

Ist es nicht auffallend, daß Weltmenschen, wenn sie solche Ermahnungen hören, ihrem Beifall unverhohlenen Ausdruck geben? Läßt man sich in eine Unterhaltung mit ihnen ein, merkt man bald, woran das liegt. Solche sittliche Ermahnungen scheinen kein Dogma, keinen Wunderglauben, kein Gebetsleben vorauszusetzen; außerdem denkt der Weltmensch nur daran, wie angenehm es für ihn wäre, wenn die andern ihn nach Christi Vorschriften behandelten; daß er selbst zuerst sich danach richten müßte, liegt ihm fern. Und hier liegt der Schlüssel begraben. Wer eine einzige solche Vorschrift in eigener Kraft verwirklichen will, wird inne, daß er das nicht kann. Die tiefe Erkenntnis unseres Unvermögens ist der Weg zum Heiland, der uns von unserer Sünde scheiden und mit Liebeskraft aus der Höhe erfüllen will. An ihm erleben wir erst die ganze Tiefe und Herrlichkeit der Barmherzigkeit Gottes. Sonst könnten wir es ja gar nicht wissen, w i e barmherzig der Vater ist! Seit wir aber Jesum kennengelernt haben, und in ihm des Vaters Barmherzigkeit uns überwunden hat, so daß uns alle Waffen der Unbarmherzigkeit aus den Händen fielen, kann er uns auf seinen Pfaden weiterführen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Vater im Himmel, wir danken dir für alles, was du aus Barmherzigkeit an uns getan! Nun stärke in uns deine Art, deine Barmherzigkeit mit unsern Brüdern, damit sie an uns etwas von dir erkennen können. Amen.

„Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und besiehe dann, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.“
Luk. 6, 42

Warum Heuchler? Wie kann es dazu kommen? Weltart war es gewesen, sich durch Richten und Verdammen der Fehler des Nächsten eine Art Herzenserleichterung zu schaffen. Sind die andern so schlecht, helfe ich mit, daß nur über ihre Schuld gesprochen wird, so webe ich dadurch einen falschen Tugendschleier über meinen eigenen Herzenszustand. Heuchler bin ich dabei, wenn mir doch heimlich das Gewissen bezeugt, daß ich gar nicht besser bin als die, über die ich urteile. Im Gegenteil wenn ich mehr Barmherzigkeit Gottes erfahren habe als sie, bin ich, auch bei geringerer äußerer Schuld, viel schlechter als sie. Muß das nicht demütigen und ins Gebet treiben: Jesu, nimm du mir den Balken meines Hochmuts, meiner inneren Verbundenheit mit jener Sünde! Und nur, wenn eine neue Erfahrung seiner süßen Barmherzigkeit uns die Seele weich und froh gestimmt hat, werden wir Zartheit und Stille genug haben, dem Bruder einen so schwierigen Liebesdienst zu tun, ihn von einem kleinen Balkenteilchen zu befreien. Man könnte auch sagen, wer nicht den Kreuzbalken seiner eigenen Sünde schmerzlich empfunden hat, wer nicht unter seiner Sünde gelitten hat, der soll nicht an jene Operation beim Bruder gehen: sonst weiß er nicht, wie jede Berührung jener Gebiete weh tut.

Lieber Vater im Himmel, fülle uns Armen die Seele mit deinem Erbarmen, damit wir lernen, so zu werden gegen unsere Brüder, wie du bist gegen uns. Amen.

Kapitel 9

„Wer nicht wider euch ist, der ist für euch.“ (Bessere Lesart.)
Luk. 9, 50

Das ist auch eine Lehre der Erfahrung, die ich leider erst spät gemacht habe. Viel Unruhe und manch törichtes Streiten wäre mir erspart geblieben, wenn ich das vor mehreren Jahrzehnten schon verstanden hätte. Es handelte sich im letzten Grunde gar nicht um die Stellung gewisser Brüder zum Herrn, sondern zu mir. Sie mochten abgestoßen sein durch meine Art - den einen war ich zu salzig (Kol. 4, 6) in meiner schroff zufahrenden Weise, den andern zu süß mit persönlicher Liebenswürdigkeit im gemütlichen Verkehr. Sie waren gegen solche Nebensachen, aber gar nicht eigentlich gegen meine Arbeit oder meine Glaubensrichtung. Dann wäre eine Aussprache und ein Weg der Verständigung mit ihnen möglich und Pflicht gewesen. Vielleicht hätte ich ihre Meinung begriffen und manchen Anstoß vermieden. So aber, weil ich ihr abfälliges Urteil nicht tragen wollte und sie meine Art nicht mochten, gingen wir ganz getrennte Wege. Sie hielten mich für nicht „entschieden“, und ich hielt sie für „übertrieben“ - und doch stand keine wesentliche Kluft zwischen uns, die Stellung zum Herrn war dieselbe und keine Lehrspaltung trennte uns. Wenn ich manche Fehler, die ich im Zusammenprall mit fremdartigen Gotteskindern gemacht habe, weglöschen könnte, würde mein Lebensbild harmonischer.

Herr, vergib mir alles, was ich an deinen Kindern gesündigt habe, die mich nicht tragen konnten und die ich nicht tragen konnte. Hier hast du noch viel an mir zu bessern. Erbarme dich und lehre mich tragende Liebe! Amen.

Kapitel 10

„Tue das, so wirst du leben.“
Luk. 10, 28

Das ist der Lohn des Gehorsams schlicht ausgesprochen: Leben. Nehmen wir nun diesen Gedanken aus dem Zusammenhang heraus, so enthält er auch eine wichtige Lehre. Nicht große Erfolge, sondern erhöhtes, gesteigertes Leben ist der sichere Lohn, den wir schon auf Erden für unsern Gehorsam gegen des Herrn Wort erhalten. Habe ich meine Pflicht in kleinem Kreise treu erfüllt, so ist der Lohn, daß der Herr mir einen größeren Kreis von Pflichten öffnet, und das auf der ersten Stufe gewonnene Leben hilft nur zur Pflichterfüllung auf der zweiten. So geht es weiter. Ist das - abgesehen von allem andern - nicht am Ende auch eine von den Linien unserer ewigen Aussicht? Stufe um Stufe gesteigerter Tüchtigkeit, mehr Können, größere Treue, weiterer Kreis der Aufgaben? Du bist über wenigem getreu gewesen; ich will dich über viel setzen! Sogar am Eingang der ewigen Vollendung heißt es, daß, wer treu gewesen ist, als Lohn die Krone des Lebens erhält. Das ist doch kein Kranz, sondern das Höchste, Wertvollste vom Leben, also ein gesteigertes, harmonisches, ewiges Leben. Ob das nicht neue Wirkungskreise auf der neuen Erde bedeuten kann? Mein Vater wirket allezeit, sagt Jesus. Ist das ewige Leben nicht das erhöhte, gottähnliche Wirken in Ewigkeit?

Vater im Himmel, wir schauen aus nach dir und deiner ewigen Herrlichkeit, die unser Los werden soll. Mach uns stark im Glauben, Lieben, Hoffen, daß uns die Kräfte wachsen für jene Aufgaben der Ewigkeit. Amen.

„Er wollte sich aber selbst rechtfertigen“
Luk. 10, 29

Immer wieder dieselbe Erfahrung! Da ist eine Stelle, wo das Gewissen verletzt ist, wo das Wort Gottes oder das Zeugnis eines anderen Christen einem weh tut, wo es in uns klopft und bohrt und spricht: „Du mußt dich ändern! An dieser Stelle muß es ganz anders mit dir werden. Hier fehlt eine Tat, eine Selbstverleugnung. Hier mußt du deinem Gott gehorsam werden.“ Da möchte man diese unangenehme Stimme zum Schweigen bringen um jeden Preis und sich vor sich selbst rechtfertigen, damit alles beim alten bleiben könne. Wenn nicht anders, dann spricht man dem strafenden Wort oder Menschen die Berechtigung ab oder die Klarheit. Man könnte ja den Fall auch anders auffassen: Aus dem Gesetz ist nicht ersichtlich, wer mein Nächster ist, und damit bin ich der Verantwortlichkeit los und ledig. Statt sich selbst rechtfertigen zu wollen - wobei nichts herauskommt, als daß man sich nur tiefer und fester in allerlei Gewirr verstrickt - wollen wir doch lieber unsere Schuld eingestehen und uns mit demütiger, gläubiger Bitte an den wenden, der uns allein rechtfertigen kann.

Das bist du, Herr Jesus Christus, ganz allein! Erbarme dich unser und hilf uns. Vergib uns alle Schuld und alles Leugnen und alle die verkehrten Wege der Selbstentschuldigung und reinige uns von dem bösen Wesen. Wenn du uns rechtfertigst dann sind wir gerechtfertigt! Amen.

„Desselbigen gleichen auch ein Levit“
Luk. 10, 32

Was für eine Anklage liegt in diesem Wort „desselbigen gleichen“! Der Levit richtet sich nach dem ihm übergeordneten Priester, das Kind nach den Eltern, der Schüler nach dem Lehrer, der Schwächere nach dem Stärkeren. So geht unser Beispiel an Selbstbeherrschung oder Zuchtlosigkeit einflußreicher als alle Worte auf andere über. Darum bekehrt ein Abstinenter eher einen Trinker, als einer, der noch mäßig Wein trinkt. Was wir offenkundig in uns selbst beherrschen, das beherrschen wir leichter auch in andern, die uns in die Seele sehen. Was uns in irgendeiner Weise, wenn es auch nur heimlich wäre, zu Fall bringt, bekämpfen wir an andern vergeblich. Der innere Sieg bei uns selbst muß der wirksamen Ermahnung anderer auf diesem Punkt vorausgehen. Daher kommt der stillschweigend anerkannte Grundsatz: der Pfarrer muß ebenso rein leben, wie seine Predigt fordert, und das Leben der Geistlichen ist die Bibel der Laien. Setze hier an Stelle des Pfarrers jeden gläubigen Christen ein, der andere ermahnen oder bekehren will, dann gibt's für dich auch Grund und Gelegenheit zum Nachdenken und zur Beugung vor Gott. Was mag aus unserem Beispiel schon alles geworden sein!

Herr Jesu, erbarme dich unser und hilf uns! Wir möchten keinem Menschen zum Verderben oder Anstoß gereichen, sondern strecken unsere Arme aus den ganzen Tag, um selig zu machen, was sich retten läßt. Herr, hilf uns! Wir sind dein. Amen.

Kapitel 12

„Es ist aber nichts verborgen, was nicht offenbar werde, noch heimlich, das man nicht wissen werde.“
Luk. 12, 2

Es geht ein Zug von Offenbarung durch alles Geschehen. Als ob auf die Dauer keine Täuschung oder Heuchelei vorhält: schließlich kommt der eigentliche wahre Grund und das innerste Wesen doch an den Tag. Das geht mit Persönlichkeiten der Weltgeschichte und mit Irrtümern der Kinder Gottes so. Jesus hat also mit diesem Wort ein Naturgesetz in der Geisteswelt ausgesprochen, das sich schon längst vor dem Jüngsten Tag im Kleinen oder Großen durchsetzt. Uns soll es immer wieder vor die Mahnung stellen: bringe dein Geheimnis mit deinem Offenbaren in Einklang! Nur keine dunkle Stelle, vor deren Aufdeckung in der Öffentlichkeit du dich zu fürchten brauchtest. Verleumden kann man dich, verdrehen können sie aus dem Zusammenhang gerissene Sätze - aber sieh nur scharf zu, daß alles stimmt mit deiner Überzeugung. Dann kann auf die Dauer kein Klatsch haften, keine übelwollende Nachrede dir bei denen schaden, die dich wirklich gut kennen. Nimm aber denselben Maßstab der Öffentlichkeit für das, was du im vertrauten Kreise sagst oder im innersten Herzen denkst. Vor Gott werden sogar unsere Gedankenwege und Verirrungen, die niemals laut wurden, offenbar. Sieh zu, daß nichts an dir zu verraten sei.

Herr, du erforschest und kennest mich! Hilf mir, daß ich von aller auch noch so geheimen Unlauterkeit inwendig loskomme und frei und offen, ganz ohne Verstellung leben könne im Lichte deiner Wahrheit. Amen.

Kapitel 14

„Kommt, denn es ist alles bereit!“ „Ich bitte dich, entschuldige mich“
Luk. 14, 17 und 18

Schneidender läßt sich der Gegensatz kaum denken: auf der einen Seite der lebendige Gott, der heiligen Ernst macht mit seiner Zurüstung des Mahls und mit seiner dringlichen Einladung, und auf der andern Seite der grenzenlose Leichtsinn des kleinen Erdenmenschen, der eine Ewigkeit ausschlägt für eine Erdensache und meint, diese Schuld könne so leicht abgenommen werden. Viele machen wirklich so, als ob Jesus nur dazu da sei, um sie zu entschuldigen. Schön, wenn er das auch täte - dadurch haben sie doch keinen Anteil an den Heilskräften auf Erden und dem Trost im Sterben und der Seligkeit danach. Schuld allein könnte vergeben werden - aber den Verlust des Mahles kann keine Entschuldigung ersetzen. Sieh heute noch deine Stellung zum fertiggestellten Mahle der neutestamentlichen Heilszeit daraufhin an, ob du als ein Kommender, ein Wollender, nimmst und genießen kannst - oder ob du dich bloß um den Stachel des Vorwurfs grämst, unentschuldigt wegzubleiben. Komm und nimm! Lebe aus diesem Vermögen heraus und stärke dich an diesen Gaben. Sie haben die Art, sich für jedes deiner geistlichen Bedürfnisse zur rechten Hilfe zu gestalten. Nur wer hier nehmen lernt, kann auf mehr hoffen und sich der seligen Zukunft freuen.

Herr, mein Gott, ich bete dein Erbarmen an und preise deine Gnade. Was ich davon erfahren, macht mich willig, mehr zu erlangen. Stille du mein heimliches Sehnen nach deiner Gemeinschaft. Amen.

Kapitel 15

„Und wenn er's gefunden hat, so legt er es auf seine Achseln mit Freuden.“
Luk. 15, 5

An diesem Vers, den ich vielleicht hundertmal in meinem Leben gelesen, fiel mir heute Abend zum erstenmal der Gedanke auf: wie schwer so ein erwachsenes Schaf zu tragen ist und wie weit es sich von der Herde weg verirrt haben konnte, so daß es galt, diese Last vielleicht eine oder zwei Stunden weit zu tragen. Notwendig wird es gewesen sein, denn das arme Ding hatte sich auf Steingeröll beim sinnlosen Fortspringen die Füße müde und wund gelaufen. Und dann steht noch dabei, daß er das nicht mit Seufzen tat, sondern mit Freuden! Mit einem Schlag wurde ich tief beschämt. Nicht nur, daß Jesus mich überhaupt so geduldig gesucht, so lange, bis er mich fand. Nein, vielmehr, daß er nachher noch so viel Last mit mir gehabt hat und ich ihm vielleicht außer der natürlichen Schwere noch so viel Not mit meinem ungeduldigen Zappeln gemacht habe! Und das alles mit Freuden! Wie beugt mich solche Vorstellung! Meine Hirtenpflicht habe ich sehr oft mit Seufzen, sehr, sehr selten wirklich mit Freuden getan! Und er? Soll nun solch eine kleine Beobachtung nicht heißen, demütige Liebe in der Seele anfachen zu einem solchen Jesus! Es töne fort das Wort: Mit Freuden!

Herr Jesus, großer Menschenherden guter und getreuer Hirt, was soll ich zu solcher überwältigenden Liebe sagen? Ich beuge mich und bete drüber an und staune über dich! Ach, laß mich noch leben und arbeiten für dich, damit ich noch etwas mit Freuden für dich tun kann! Amen.

„Freuet euch mit mir: denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.“
Luk. 15, 6

Je mehr Gewicht auf dem Worte „verloren“ lag, um so heller tönt's wider in dem Worte „gefunden“. Welch ein hilfloses, unglückliches Geschöpf ist ein verirrtes, verlorenes Schaf! Wie viel bitterer ist der Schmerz um ein Kind, das im weglosen Bergland sich verirrte und zwischen schroffen Felsen hungernd in der Nacht erfroren war, ehe die Helfer es fanden. Aber was ist das gegen den Jammer um ein in Sünde und Schande verlorenes Kind, das kein Wort der Liebe und der Mahnung mehr erreicht! So war die ganze Menschheit in Gottes Augen verloren, so suchte Jesus sie - so freut er sich über einen, den er wirklich gefunden. Gerade weil er die Tiefe des Verlorenseins ganz anders ermißt als wir, ist das Finden eine so große Sache in seinen Augen. Nun, liebe Seele, wenn du heute Abend doch ganz gewiß darüber bist, daß dich der gute Hirte längst gefunden hat, dann laß dir das auch so groß sein wie ihm! Dann laß doch das helle Licht dieser Freude wie einen Scheinwerfer über deine Augenblicksschmerzen und Sorgen fallen: Sein bin ich doch! Er hat mich gefunden. Sollte ich jetzt über den Kleinigkeiten von heute, die nicht über eine gute Nachtruhe hinüber ihre Schatten werfen können, mich aufregen und grämen?

Herr, ich bitte dich, laß den tiefen starken Ton deiner Freude darüber, daß du mich gefunden, all die kleinen Klagen übertönen, die mein Herz zum Verzagen bringen wollen. Ich bin dein und in deinen Händen. Amen.

„und kehre das Haus“
Luk. 15, 8

Staub will Stille. Wie liegt der Staub der Vorurteile so totenstill auf dem Denken der Leute. Es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, daß Jesus einen Staubbesen haben und brauchen könne und plötzlich etwas geschieht, was diesen bleigrauen Staub hoch aufwirbelt. Eine einschneidende Erfahrung eigener Sünde - und der Staub der Selbstgerechtigkeit fliegt auf; die Bekehrung eines ungläubigen Freundes - und man erschrickt bis ins Mark; ein ernster Blick des untersuchenden Arztes - und der Staub der Sicherheit wird von dem kalten Hauch des nahenden Todes weggeblasen. Jesus braucht die verschiedensten Staubbesen. Wenn nur im Augenblick, wo der giftige, tödliche Staub aufwirbelt, mein Herz in Sehnsucht und Bitte glänzt, daß Jesus mich finden und aufheben kann: „Hier liege ich. Hebe mich auf.“ Da haben wir es besser. Wir können beten! Wehe aber, wenn alles Staubaufwirbeln nichts geholfen hat, weil du dich nicht hast retten lassen wollen; dann sinkt er doppelt stark hernieder und bildet bald wieder eine Todesschicht über dir. Wer weiß, wann wieder das Haus so gekehrt wird, daß für dich eine Rettungsstunde schlägt!

Darum will ich dankbar kommen, wenn du, mein Gott, mich suchst. Lehre mich die Gnadenstunden erkennen und ausnutzen. Ziehe meine Seele zu dir, wie ich es so nötig habe, und wie du so gern willst. Amen.

„Denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden.“
Luk. 15, 32

Das neue Leben als natürliche Folge der Sündenvergebung. Wenn der Vater des verlorenen Sohnes ihm bloß seine Sünden vergeben hätte, ihm einen Kuß gegeben hätte und dann gesagt: „So, nun ist deine Schuld getilgt. jetzt geh zurück zu deinem Elend und hüte weiter die Schweine und hungere weiter“ - würde die Geschichte miserabel genannt werden. Warum machen sich aber viele Christen selbst solch eine elende Geschichte zurecht? Als ob die Vergebung der Schuld das allergrößte wäre, was sie erleben könnten. Wozu erlebt man sie denn, wenn nicht dazu, daß jetzt das Größere, die Gemeinschaft mit Gott, folgen kann, die tägliche Hilfe zum Gehorsam genommen werde und die beseligende Liebe erwache. Wir wollen beim Vater bleiben! Übereilungssünden, die noch geschehen können, bringen uns doch nicht auf die Straße. Der Sohn bleibt ewiglich im Hause. Sündenvergebung bei unserer Bekehrung ist etwas anderes als die tägliche Reinigung. Man braucht doch gar nicht nochmals tot zu werden, um das Lebendigwerden aufs neue zu erleben. Wir bleiben lebendig, so wahr wir täglich die Hilfe Jesu nehmen und uns von seinem Geist führen lassen; als sein Eigentum bleiben wir trotz aller Schwachheit bei ihm.

Ja, wir bleiben bei dir, Herr Jesu! Verlaufen und verirren wollen wir uns nicht wieder Vergib uns täglich, was an uns nicht taugt, halte uns fest in deinen treuen Händen als dein teuer erkauftes Eigentum. Amen.

Kapitel 19

„Darum, daß du nicht erkannt hast die Zeit, darinnen du heimgesucht bist.“
Luk. 19, 44

Was für ein schöner, tiefer Ausdruck der deutschen Sprache: heimsuchen. Der treue Gott will dich so suchen, daß du dadurch heimkommst, zu ihm kommst. Suchen - das mahnt, an das eigene Verlorensein zu denken, heim - daran, daß wir nicht zu Hause, sondern verirrt in der Fremde sind. Was für eine Treue in der Liebe, die sich herabläßt, dem Verlorenen Zeit und Gelegenheit zu schaffen, daß er wieder heimkommt! Da ist ein Kind im nächtlichen Buschwald verirrt; es liegt todmüde am harten Boden und weint. Plötzlich hört es bekannte Stimmen: Vater und Mutter rufen es beim Namen; die Sucher kommen nahe vorbei. Was wird das Kind tun? Versteckspielen? Sich trotzig nach der anderen Seite schleichen? Man sollte es nicht für möglich halten - aber wahr wird's immer wieder, die Leute stoßen sich an der Form der Heimsuchung oder wollen lieber ihre unglückliche Freiheit des Verlorenseins behalten, als heimgebracht werden! So machte es Israel, daß Jesus weinen mußte über Jerusalem. So macht es manches uns bekannte Herz, weil es nicht heim will! Ließen wir uns heimsuchen, dann geht es nicht anders, wir wollen Jesu helfen, andere suchen und heimbringen!

Dazu segne, Herr Jesus, alles, was wir an unseren Freunden tun, die noch nicht deine Freunde geworden sind. Wecke in ihnen die große starke Sehnsucht nach der Heimat auf und schenk uns Liebe zu ihnen, und Weisheit und Treue im Suchen. Amen.

Kapitel 22

„Ihr aber seid's, die ihr beharret habt bei mir in meinen Anfechtungen.“
Luk. 22, 28

Obschon die Jünger nicht allzuviel von diesen Anfechtungen Jesu verstanden und noch weniger dazu beigetragen hatten, sie ihm zu erleichtern - schufen sie ihm doch erst durch ihren Unverstand manche -, so ist der Heiland auch für das Wenige an treuer Hingabe schon so beschämend dankbar. Und diesen letzten Zug möchte ich heute Abend nur als einen Andachtsklang anschlagen und ausklingen lassen. Wie hebt er das kleinste Stück unserer Treue und Hingabe gegen seine Person und Werk so sorgfältig auf und erkennt es an und lohnt es hienieden schon mit einem Aufleuchten seiner Augen und einem hellen Strahl seines Wohlwollens. Nachher, wenn uns so etwas von seiner großartigen Anerkennung der kleinsten Aufopferung klar geworden ist, schämen wir uns, daß wir einem solchen Herrn nicht mehr geopfert und uns um seinetwillen nicht noch ganz anders selbst verleugnet haben. Wie wird uns erst einst zumute sein, wenn er an seinem herrlichen Ehrentage sich vor seinem Vater und aller Welt zu uns kehren wird und unsere bescheidenen Leiden oder Nöte ins Licht ziehen wird, die wir um seinetwillen trugen, mit dem Worte: „Ihr aber seid's“

Herr Jesu, laß uns heute Abend an jenen letzten Abend der Weltgeschichte denken und ziehe uns durch deine Liebe so völlig hinein in deine Interessen, in deine Reichsarbeit und dein Kreuz, daß wir an jenem Abend nicht so beschämt dastehen müssen wie heute. Amen.

Kapitel 24

„bis daß ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe.“
Luk. 24, 49

Kraft der Rede, Kraft der Überzeugung, Kraft der Anziehung - all dergleichen hat heutzutage einen Marktwert. Die meisten Menschen sind an sich so kraftlos, daß sie jedem kraftvollen Auftreten nachlaufen. Sie wollen wenigstens eine kleine Weile fröhlich sein im fremden Licht. Dabei wird gar nicht unterschieden, daß es Kräfte der Naturanlage, des Charakters, der Persönlichkeit gibt, die mit der Kraft aus der Höhe nichts gemein haben. Noch schlimmer, wenn es Kräfte von unten her sind, unterpersönliche, aus dem Reich der Finsternis stammende. Bisweilen mischen sich auch natürliche Kräfte mit solchen satanischen; dann ist die Gefahr am größten. Kraft aus der Höhe - das ist Heiliger Geist. Der muß Jesum verklären wollen, der muß sich von sich selbst losmachen, sanftmütig und demütig machen. Wo solche Kraft vorhanden ist, muß früher oder später die Liebe Christi offenbar werden und damit eine Überwindung und Verklärung der Naturanlage, so daß Jesu Name dadurch gepriesen wird. Am sichersten kann man die Kraft beurteilen an ihren Früchten, d.h. an den Menschen, die sich ihr ergeben haben. Werden unsere Anhänger besser, freundlicher, stärker und freudiger?

Herr, du hast Kraft genug! Darum räume deine Kinder aus von ihren eigenen Machenschaften. Stoße die fremden Kräfte fort, daß sie deine Auserwählten nicht verführen und verblenden dürfen. Gib uns deine Kraft, die in Schwachen mächtig ist. Amen.

„Sie aber beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude.“
Luk. 24, 52

Offen gestanden, ich bin früher betroffen und verlegen geworden beim Lesen dieser Zeilen. Wie konnten die Jünger, die zum zweitenmal ihren Herrn verloren, mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehren? Ein jeder Abschied macht doch sonst traurig und dämpft auch etwa vorhandene Freudentöne. So werden ihre Augen ihn auf Erden nie mehr sehen. Selbst angenommen, daß sie jetzt wußten, daß diese letzte Heilstat Gottes sein Erlösungswerk abschloß und für Jesus den Eintritt in die volle Verklärung bedeutete - konnten sie so selbstlos sein, sich bloß für ihn zu freuen? Besonders, wo seine Verheißung des Geistes an ihnen sich noch nicht erfüllt hatte? Heute, als meine Augen wieder an diesem Verse hingen und diese Gedankenreihen mein Inneres bewegten, da blitzte mir plötzlich eine neue Erkenntnis auf. Sie beteten ihn, den soeben Entschwundenen, zum erstenmal an. Er war an Gottes Seite getreten. Das kleine Häuflein auf der flachen Kuppe des Ölbergs hatte, seit die Welt steht, zum erstenmal jemand als göttlich anbeten dürfen, der als nächster Vertrauter und Freund mit ihnen gewandelt war! Ähnlich durchzuckt uns, wenn wir zum erstenmal mit Bewußtsein und des Rechtes und Anspruchs, Jesum anrufen zu dürfen, bedienen, die wunderbare Freude: Mein Jesus ist mein Herr und Gott!

Darum rufen wir deinen Namen an, du unser teurer Seelenfreund, Herr Jesu Christ! Wir stehen anbetend vor dir, und du hörst und liebst uns! Amen.

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